Montag: Driving home from Christmas. Der Junge, der einst meinen Namen trug, freute sich zu Weihnachten am meisten darauf, wenn am Heiligabend nach Gottesdienst und Essen endlich das Glöckchen bimmelte und Einlass gewährt wurde ins Wohnzimmer, wo am Baum die (echten) Kerzen brannten und wir, mein Bruder und ich, uns auf die darunter abgelegten Geschenke stürzen durften. An den Weihnachtsfeiertagen verbrachte ich viel Zeit im Wohnzimmer, betrachte bäuchlings auf dem Teppich liegend den Zug der L.G.B.-Eisenbahn mit der neuen Lok oder den neuen Wagen, wie er Runde um Runde den Baum umfuhr. Oder ich blätterte in dem Eisenbahnbuch, das ich geschenkt bekommen hatte. Schaute immer wieder auf die neue Uhr. Freute mich über den Pullover, eine Muh, eine Mäh oder Tätärätätä. Am zweiten Weihnachtstag fuhren wir mit dem Wagen nach Lämershagen, einem Ortsteil im Südosten von Bielefeld, von wo aus wir durch den Teutoburger Wald flanierten. Von der Brücke über die A 2 aus winkten wir den Autos zu, die sich auf dem Rückweg von den Weihnachtsbesuchen befanden.
Seit ich in Bonn wohne, sitze ich an Weihnachten selbst in einem dieser Wagen auf der A 2. Heiligabend verbringen wir meistens hier in Bonn, am ersten Weihnachtstag geht es los: Nicht allzu lang schlafen, mit einer Spur Widerwillen aufstehen, Geschenke ins Auto packen, dann auf nach Ostwestfalen zur Mutter und weiter zur Schwiegerfamilie. Gut essen, reichlich trinken, die alten Geschichten, lachen, manchmal auch ein Tränchen, Taxi ins Hotel. Morgens Frühstück, wenn es gut läuft ohne Kater (dieses Mal lief es gut), die Mutter nach Hause bringen, zurück nach Bonn. Ankommen, Ruhe. Das ist heute der Moment, auf den ich mich zu Weihnachten am meisten freue. Weihnachten 2022 ist überstanden – rückblickend war es ganz schön.

Er hat es auch hinter sich.
Während der Rückfahrt sah ich kurz vor Hamm auf einem Feld rechts der A2 ein großes Schild: »700 Aquarien – Nächste Ausfahrt Zierfische«. Wie viele Autofahrer mögen dadurch inspiriert werden, in Hamm abzufahren und erst nach Erwerb von einem Duzend Guppys oder Black Mollys ihre Fahrt Richtung Süden fortzusetzen?
Nach Rückkehr ging ich als erstes spazieren, woran mir auch einsetzender Regen nicht die Freude nahm. Bemerkenswert: Bereits heute, am Zweiten Weihnachtstag, liegt gegenüber neben dem Spielplatz der erste Tannenbaum abgelegt. Da konnte wohl auch jemand nicht das Ende vom Fest abwarten.
Was jemanden bewogen haben mag, am unteren Ende unserer Straße zwei Kartons mit Bananen abzustellen, ist schwer nachvollziehbar. Falls die Absicht war, anderen damit Gutes zu tun, darf man diese als im Ansatz verrissen betrachten, denn die Früchte sind dunkelbraun bis schwarz. Wenigstens verzichtete er auf den üblichen Zettel „Zu verschenken“.
Dienstag: Eine Woche Urlaub. Wie einst Opa Hoppenstedt bekam ich zu Weihnachten einen Plattenspieler geschenkt. Den nahm ich heute in Betrieb und bin damit sehr zufrieden.
Mich erreichte eine verspätete Weihnachtsgeschichte, die ich aus persönlichen Gründen sehr schön finde.
Mittwoch: Nach spätem Frühstück unternahm ich einen Gang durch die Innenstadt und an den Rhein. Fußgängerzone und Rheinpromenade waren menschengefüllt, viele haben ebenfalls Urlaub zwischen den Jahren. Am Rheinufer lag ein Hotelschiff aus der Schweiz, im Restaurant auf dem Hinterdeck wurde das Mittagessen gereicht. Die örtlichen Ausflugsschiffe dagegen liegen menschenleer im Winterschlaf bis zur nächsten Saison, bei einem wurde auf dem Oberdeck der Weihnachtsbaum demontiert. Nur wenige Frachtschiffe waren unterwegs. Rheinabwärts brummte ein Boot mit angebautem Kran, beladen mit grünen und orangen Bojen; Tonnenleger nennt man diese Boote meines Wissens. Tonnen gibt es wohl immer zu legen, auch zwischen den Jahren.
Oberhalb des Rheinufers steht im großen Garten einer Villa ein türmchenartiges Ziegelgebäude mit vielen Fenstern. Ich weiß nicht, welchem Zweck es ursprünglich diente. Vielleicht als Teehäuschen oder Gästeunterkunft. Oder als Rückzugsort des Hausherrn, wenn die Lieben daheim mal wieder an den Nerven zerrten; wo Menschen zusammenleben, kommt das gelegentlich vor, Sie kennen das sicher. Wie auch immer: Ich stelle es mir traumhaft vor, ofenbeheizt an einem kalten Wintertag darin im bequemen Sessel ein Buch zu lesen (wenn Sie unbedingt wollen auch ein gutes Buch, ich weiß nicht, warum das immer wieder betont werden muss; wer freiwillig schlechte Bücher liest, ist selbst schuld, wobei die Beurteilung, ob ein Buch gut oder schlecht ist, jedem selbst obliegt), zwischendurch immer wieder den Blick über den Fluss schweifen lassen. Oder am Schreibtisch zu sitzen, dahinter ein Fenster mit Rheinblick. Wem da nichts zu schreiben einfällt, dem ist nicht zu helfen.

Oder einfach nur sitzen und schauen.
Auch müsste ich mir nicht sagen lassen „Du hörst ja komische Musik“, wenn während des Sitzens, Lesens oder Schreibens Pink Floyd läuft. Das haben wir gerne: Erst zu Weihnachten einen Plattenspieler verschenken, dann rummeckern. So eine Langspielplatte läuft übrigens ganz schön kurz, stelle ich fest. Das war mir gar nicht mehr bewusst.
Donnerstag: Vergangene Nacht schlief ich schlecht. Gegen drei Uhr wachte ich auf und schlief längere Zeit nicht wieder ein. Vielleicht war der Körper urlaubsbedingt schlafsatt. Draußen zankten Katzen und schrieen dabei wie angebratene Säuglinge. Während des Wachens zogen diverse Gedanken durch, nichts Bedeutendes und nichts, was in Erinnerung geblieben ist, bis auf die Idee für einen passenden Buchtitel: „Was besorgt den, der keine Sorgen hat?“
Es hätte ein schöner Wandertag werden können. Geplant war eine Tour durch den Bonner Norden, das Meßdorfer Feld und das Vorgebirge maximal bis Brühl. Da Komoot hierfür etwa sieben Stunden veranschlagt, war offen, wie weit ich kommen würde, ehe das Nachlassen von Wanderlust oder Tageslicht eine Beendigung der Wanderung ratsam erscheinen ließen, was dank der parallel verlaufenden Stadtbahnlinie jederzeit möglich wäre. Trotz Schlafmangels kam ich zur vorgesehenen Zeit um kurz nach acht gut aus dem Tuch, der Regen war durch, der Tag versprach trocken, zeitweise sonnig zu werden, perfektes Wanderwetter.
Doch ach: Beim Anziehen der Wanderschuhe waren diese zu klein. Das konnte nicht sein: Ich habe sie im Oktober gekauft und war seitdem zweimal beanstandungslos darin gewandert. Da auch meine Füße seitdem sehr wahrscheinlich nicht gewachsen sind, beschloss ich, dennoch zu gehen, vielleicht glichen sich Schuhe und Füße im Laufe des Tages wieder an. Leider nicht – bei Ankunft am Meßdorfer Feld spürte ich die erste schmerzende Blase an der rechten Ferse, bald darauf auch an der linken. Daher entschied ich mich für den Abbruch und schleppte mich zur nächsten Bushaltestelle, wo bald ein Bus kam und den geschundenen Körper zurück in die Innenstadt brachte, von wo aus ich mich mit letzter Kraft unter Tränen nach Hause schleppte. (Na gut, ganz so schlimm war es nicht, dennoch ärgerte ich mich über den ausgefallenen Wandertag, ohne genau zu wissen, wem oder was das Scheitern in die Schuhe zu schieben war.)

Für ein Bild hat es immerhin gereicht: Das Meßdorfer Feld, dahinter das Vorgebirge.
Statt Wanderung als ein Sofalesetag. Es hätte zweifellos schlimmer kommen können. Und die Wanderung wird so bald wie möglich nachgeholt.
Freitag: Aufgrund interner atmosphärischer Störungen, auf deren Inhalt und Anlass ich nicht weiter eingehen werden, wünschte ich mir vormittags das oben besungene Gartenhäuschen am Rheinufer als vorübergehenden Rückzugsort. Wo so ein Häuschen nicht zur Verfügung steht, muss ein Zimmer mit einer zu schließenden Tür und einer Stereoanlage ausreichen.
Dort hörte ich nach längerer Zeit mal wieder „Mein Vaterland“ von Friedrich Smetana. Was ich mich dabei schon immer fragte: Warum ließ der Komponist das wunderschöne, zu Grundschulzeiten ausgiebig besprochene Stück „Die Moldau“ nach dem sanftleisen Ausklang mit zwei Donnerschlägen enden? Sollte das Publikum im Konzertsaal damit geweckt werden?
Später hörte ich bei noch immer geschlossener Tür die zweite Symphonie von Mahler, ebenfalls länger nicht mehr gehört. In welcher Verfassung mag sich Gustav Mahler während der Entstehung befunden haben? Jedenfalls nicht sehr aufgeräumt. Immerhin, das Finale ist grandios.
In einem Blog las ich die Frage, seit wann man sich zum Jahreswechsel nicht mehr „einen guten Rutsch“ wünscht. Ich weiß nicht, ob man das wirklich nicht mehr tut, vielmehr meine ich, es immer noch häufig zu hören und lesen. Soweit es mich betrifft, meide ich schon lange diese Formulierung, weil ich sie für unsinnig halte. Warum sollte jemand ins neue Jahr rutschen, und worauf? Soll er gar ausrutschen und sich was brechen? Das ist nun wirklich niemandem zu wünschen, weder zum Jahreswechsel noch sonst. Gut, ein paar wenigen vielleicht schon, aber das muss man denen ja nicht mitteilen.
Samstag: Das Jahr verabschiedet sich mit ungewöhnlich milder Temperatur. Auch das häusliche Klima scheint (zum Zeitpunkt der Niederschrift) wieder gemäßigter. Was soll der Zank auch immer.
Wie zu lesen ist, erfreuen sich die Namen Erwin und Kurt wieder größerer Beliebtheit bei der Namensgebung Neugeborener. Schade, dass mein Vater (E) und sein Lieblingsschwager (K) das nicht mehr erleben. Aber vielleicht erheben sie darauf im Jenseits ihr Glas. Bestimmt würden sie das tun.
Ich mag es immer wieder sehr, wenn die Sichtweise anderer bei bestimmten Randthemen mit meiner übereinstimmt:
»Ich habe neulich einen Hörtest gemacht und wenn ich es richtig verstanden habe, sagte man mir, ein Hörgerät wäre sehr sinnvoll für mich, ich glaube aber, ich bin im Moment nicht in der Verfassung, dass ich noch mehr mitbekommen möchte.«
Gelesen bei Frau Anje
„Hey Helene Fischer, spiel Roland Kaiser“, sprach der Geliebte zu fortgeschrittener Stunde zur Siri-Box und wunderte sich über die ausbleibende Ausführung. Ansonsten blieben die Silvester-Feierlichkeiten in angemessenem Rahmen.
Sonntag: Neben einem Asteroiden, der die Erde doch nicht verheerte, nennt die Sonntagszeitung in der Rubrik „Zehn düstere Prognosen, die sich nicht bewahrheitet haben“, wir würden uns nie wieder die Hand geben. Was genau wäre daran so düster gewesen?
Ich verschone Sie mit der in anderen Blogs üblichen Jahresrückblicksfragenliste, da es Sie vermutlich wenig interessiert, was ich gutes oder schlechtes gegessen, ob ich weniger oder mehr Geld ausgegeben habe oder meine Haare länger oder kürzer trage.
Neujahrsgrüße sind jetzt häufig verbunden mit dem Zusatz, 2023 möge ein besseres Jahr werden als das alte, was angesichts der aktuellen Krisen in der Welt nachvollziehbar, jedoch keineswegs wahrscheinlich ist. Gleichwohl kann ich das verblichene 2022 in ganz persönlicher Hinsicht nicht beklagen, insgesamt war es für mich ein recht gutes Jahr. Unsere Corona-Infektion haben wir gut und ohne spürbare Nachwirkungen überstanden, die bislang einzige Auswirkung der Energiekrise ist ein etwas zu kaltes Büro im Werk. Vielen Imponderabilien begegne ich inzwischen mit wachsendem Fatalismus. Wenn es schlimmer nicht wird, bin ich zufrieden. Wir werden sehen.

Spazieren war ich heute auch.

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Ich wünsche Ihnen ein erfreuliches Jahr und eine angenehme erste Woche. Im Übrigen würde es mich sehr freuen, wenn Sie hier weiterhin gelegentlich lesen. Machen Sie es gut!