Woche 8/2022: Karneval im Konjunktiv

Montag: In einem Artikel las ich den schönen Begriff „leidensgerechte Arbeitsplätze“ und fühlte mich verstanden.

„Ich bin ja noch Frischling“, sagte ein augenscheinlich jüngerer Kollege in einer Besprechung. Die legendäre Erika Fuchs hätte es vielleicht mit einem „Quiek!“ versehen.

Man ist ja inzwischen einiges gewohnt an seltsamen mitmenschlichen Gewohnheiten und Verrichtungen. Wie der Nachbar und Hauseigentümer von gegenüber am frühen Abend veranschaulichte, liegen Eigentum und eigentümlich nicht weit auseinander, als er bei Wind und Regen über eine Leiter aus dem Laden im ersten Stock in das Gärtchen darunter herabstieg, um die Fenster der vermieteten unteren Wohnung zu putzen und nach erfolgter Reinigung wieder über die Leiter entschwand wie ein Dieb in der Dämmerung.

Ansonsten bot der Tag wenig Anlass zur Beanstandung, das kann man ja auch nicht von jedem Montag behaupten.

Dienstag: Der Russland-Ukraine-Konflikt eskaliert. Der Westen ist hilflos entsetzt, droht und sanktioniert im Rahmen seiner Möglichkeiten. Ein Thema, mit dem mich eingehender zu befassen ich aus Gründen der persönlichen Seelenhygiene nicht gewillt bin, also jedenfalls nicht über das hinaus, was dazu ohnehin aus den Rundfunknachrichten und Zeitungsüberschriften zu mir dringt. Ähnliches gilt für die aktuelle Inflation, wobei das eine das andere schon bald heftig treiben könnte. Das kann schon ein wenig auf die Stimmung drücken, wenn man nicht aufpasst.

Doch bot der Tag auch Komisches: In seinem Leserbrief an den General-Anzeiger lässt uns Josef B. wissen, in seiner lange zurückliegenden Zeit als Gärtnerlehrling (heute: Auszubildende*r im Grünpflegefach) hätten sie Zigarettenkippen sammeln müssen, daraus wurde dann ein Sud zur Blattlausvergrämung gekocht. Wie viele der Nachwuchsgärtner dadurch sprichwörtlich vom Blatte fielen, bleibt offen. Ergänzender Gedanke von mir: Altöl müsste auch funktionieren.

Mittwoch: Durch klare, nachvollziehbare Regeln wird in Bonn erstmals wieder ausgelassenes und gefahrloses Feiern von Karneval ermöglicht. Aufgabe: Lies dir die Schilder durch und diskutiere mit deinem Trinkkumpanen darüber.

Unterdessen haben die Bonner Bürger die Maskenpflicht in der Innenstadt für beendet erklärt, jedenfalls legt der am Abend beobachtete Anteil der Maskenträger dies nahe.

Donnerstag: Ein Urlaubstag. Weiberfastnacht, zum zweiten Mal Karneval im Konjunktiv. Statt Kölsch und Saaleinmarsch mit Musik eine Erkältung, Einmarsch in die Ukraine (das am Dienstag dazu vermerkte ist seit heute kaum einzuhalten), eine nicht geplante Fahrt mit dem Liebsten nach Ostwestfalen aus traurigem Anlass und eine Kaltfront mit Regen und Wind. Außerdem ein negatives Testergebnis, immerhin das war positiv zu vermerken.

Freitag: Frühmorgens kam der erwartete, gleichwohl befürchtete Anruf. Die beste aller Schwiegermütter hat diese Welt verlassen.

Nachmittags verfinsterte sich der Himmel innerhalb von Minuten, kurz darauf Blitz, Donner und Hagel. Letzterer nur kleinkörnig, dafür in so erheblicher Menge, dass die Fahrradfahrt nach Hause zu einem Abenteuer mit nassen Füße wurde.

Ein wenig beneide ich jene, die heute schon sagen können, wie viele Tage sie noch zu arbeiten haben bis zum Ruhestand. Wobei das natürlich immer nur ein Hoffnungswert ist, den das Schicksal jederzeit zu kürzen vermag, zurzeit mehr denn je.

Samstag: Aufgewacht mit Kopfschmerzen wie nach übermäßigem Alkoholkonsum und diffusen Erinnerungen an einen Disput, bei dem unter anderem das Wort „Stubenputin“ fiel. Dabei war die Menge an Wein gestern Abend überschaubar gewesen, vielleicht war mein Körper erkältungsbedingt weniger aufnahmefähig.

Der Hauskonflikt löste sich im Laufe des Vormittags auf, auch der Kater zog seine Krallen nach einem sonnenbeschienenen Spaziergang ein. Während des Gehens fragte ich mich, wo die nächsten amerikanischen Atomwaffen lagern, was man so denkt, wenn man sonst nichts zu bedenken hat. Antwort: In Büchel in der Eifel, wie eine anschließende Recherche ergab. Das ist weniger als neunzig Kilometer von uns entfernt.

Laut Zeitung wird Russland vom ESC ausgeschlossen. Mit dem baldigen Befehl zum Rückzug ist dennoch nicht zu rechnen.

Eine Spaziergängerin hat bei Rheinbach-Loch zwei Sexpuppen aufgefunden, wie die Zeitung ebenfalls berichtet, eine davon mit »kindlichem Erscheinungsbild«, was seit Sommer 2021 verboten ist, betreffend »sowohl die Zurverfügungstellung solcher Puppen zum Verkauf oder zur Nutzung sowie den Erwerb und den Besitz«. Die Kriminalpolizei ermittelt deswegen, nachdem sie die Liebesfiguren »spurenschonend« sichergestellt hat.

(Aus dem Loriot-Kalender 2019, als eine kindliche Physiognomie bei Liebespuppen noch als unbedenklich galt)

Sonntag: Als ich morgens aufwachte, schlief mein Optimismus noch, auch im Laufe des Tages wurde er nicht richtig munter. Vielleicht braucht er mal Urlaub.

Heute wäre der Godesberger Karnevalszug gewesen. Es wäre übertrieben, zu behaupten, dass ich ihn sehr vermisse, doch musste ich nach dieser Woche voller großer und kleiner Konflikte kurz überlegen, was noch einmal der genaue Grund für seine Absage war.

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Haben Sie eine angenehme, möglichst konfliktarme Woche, möge der Optimismus bald wiederkehren.

Woche 7/2022: Das Misstrauen des Passanten gegen Baukräne bei Starkwind

Montag: Als ich morgens ins Werk fuhr, war es ungewöhnlich mild und schon erstaunlich hell, als hätte ich übers Wochenende einige Wochen verschlafen.

Noch immer verkauft die Kantine nur außer Haus; immerhin, andere Kinder haben gar keine Kantine. Erstmals in diesem Jahr nahm ich dank der oben genannten Milde, wenn auch windumtost, das Mittagessen im Freien hinter dem Mutterhaus ein. Danach ein kurzer Gang durch den Rheinauenpark, auch dazu kam ich länger nicht.

Nachdem meine Lieben mich gestern spontan genötigt hatten, eine größere Anzahl liebgewonnener, tadellos erhaltener Hemden auszusortieren, keines davon wesentlich älter als zwölf Jahre, erhielt ich heute eine Einweisung in die neue Kleiderschrankhängeordnung. Manchmal ist es zwecklos, nach dem Sinn zu fragen, glauben Sie mir. „So wird aus einem alten Rennpferd noch ein schicker Esel“, muss man sich dann auch noch sagen lassen.

Dienstag: „Ich weiß nicht, woran es gehängt hat“, sagte einer. Es ist aber auch wirklich nicht leicht mit der transitiven und intransitiven Form desselben Verbes.

Allen Kollegen, die meinen, mich unangekündigt in irgendwelche Skype- oder Teams-Konferenzen rufen zu müssen, sei mitgeteilt: Vergesst es.

Mittwoch: Ein angenehm ruhiger Arbeitstag mit einer abgesagten Besprechung und auch ansonsten nur wenigen Störungen. Dass ich das bei uns noch immer bevorzugte Kommunikationsmedium Skype seit gestern deaktiviert habe, bleibt bitte unter uns. Aber auch Teams-Nachrichten lassen sich sehr gut ignorieren.

Ansonsten hatte ich Freude an einem IT-System.

„Niemand ist störungsfrei“, sagte der Geliebte, womit er zweifellos recht hat.

Donnerstag: Die Nacht war stürmisch, jedenfalls draußen. (In den Gemächern weniger, aus dem Alter sind wir langsam raus, was alles andere als zu beklagen ist.) Zu den daraus resultierenden Zugausfällen nahm der Sprecher der Deutschen Bahn Stellung: »Ich fürchte, unsere Reisenden müssen noch über einen längeren Zeitraum mit Einschränkungen leben.« Dazu bedarf es freilich keines Sturmes, ist man hinzuzufügen geneigt. Welche furchtbaren Gräueltaten mag man in einem früheren Leben begangen haben, um im Jetzt als Bahnsprecher sein Dasein zu fristen verdammt zu sein?

Bleiben wir noch etwas draußen: In einem Zeitungsartikel über Bonner Litfaßsäulen bezeichnet der Geschäftsführer des Fachverbands Außenwerbung (FAW) diese »als das älteste Out of Home-Medium«, derohalben* der Sprachnerv kurz schmerzhaft zuckte.

*Liebe N, dieses Wort, kürzlich in einem Forum gelesen und mir bis dahin gänzlich unbekannt, sei Ihnen gewidmet. Ist es nicht wunderschön?

Freitag: Nachmittags hatte ich einen Termin in Köln zur Abholung einer neuen Uniformjacke für den Fall, dass es irgendwann wieder Karneval geben wird. Nicht nur der ist ausgefallen: Während der Anprobe gewährten die mich umgebenden Spiegel einen irritierenden Blick auf die zunehmend lichter werdende Stelle am oberen Hinterkopf, die ich von vorne üblicherweise nicht sehe.

Gerade als wir das Geschäft verließen, blies Sturmtief Zeynep auf, von heftigem Regen begleitet, verzog sich hier im Rheinland indes recht zügig wieder. Zeynep hieß übrigens einst eine Mitarbeiterin im Friseursalon meines Vertrauens, mit deren Schneidekunst ich sehr zufrieden war. Auch sie hat sich seit geraumer Zeit verzogen.

Idee für den Titel eines Dramas: »Das Misstrauen des Passanten gegen Baukräne bei Starkwind«

Samstag: Vielleicht haben Sie auch manchmal diese Momente, wenn Sie etwas lesen und denken: Ja genau, so ist es, besser kann man es nicht beschreiben. Einen solchen Genau-so-ist-es-Moment bescherte mir heute Herr B. mit Folgendem:

»Ich interessiere mich nicht für Sport, also für keine einzige Sportart auch nur ansatzweise, und ich halte es im Grunde für eine fürchterliche Zumutung, wie oft im Radio und in allen anderen Medien etwas zum Thema Sport vorgetragen wird. In meinem Erleben und Denken ist Sport ein drolliges Nischenthema und ich weiß wirklich nicht, warum ich damit lebenslang so überreich und an dermaßen vielen Stellen behelligt werde. […] Ich höre also dauernd Sport im Radio, aber ich höre es doch nicht, also nicht verstehend. Ich höre Sport etwa so wie Radio Moskau. Ich weiß, da spricht ein Mensch, aber es hat irgendwie keinen Inhalt, keine verständliche Botschaft. Da wird etwa die Bundesligatabelle ritualisiert runtergebetet, ich höre jedes Wort, aber es ergibt keinen Zusammenhang und nichts davon bleibt hängen, nichts davon könnte ich hinterher wiedergeben, keinen einzigen Sachverhalt, außer eben grob: Sport.«

Und das nicht nur zu Zeiten von Olympia oder irgendwelcher überflüssiger Welt- und Eurpoameisterschaften, deren Hauptzweck ja gerade nicht im Sport liegt, sondern in reichhaltigen Geldflüssen und Ansehensaufhellungen zweifelhafter Staatssysteme, erlaube ich mir hinzuzufügen.

Sonntag: Während des Spaziergangs begegneten mir zwei jüngere Männer und mutmaßlich ihre Partnerinnen dahinter. Der eine Mann hatte ein Kleinkind vor seine Brust gebunden, der andere schob einen Kinderwagen, die Damen führten Hunde an Leinen. Während unserer Begegnung sagte der mit dem vorgebundenen Kind zu dem anderen: „Dazu kommt noch der Druck des Marktes.“ In solchen Momenten bin ich, ohne es begründen zu können, sehr froh, mein Leben zu leben und nicht deren.

»Hanau ist überall«, hat jemand aus bekanntem Anlass an eine Wand gesprüht. Wer schon einmal in Hanau war, wird mir, auch ungeachtet der entsetzlichen Morde vor drei Jahren, sicher zustimmen: Zum Glück nicht.

Zum Schluss ein paar Bilder der Woche.

Der Rest vom Fest I, gesehen am Donnerstagmorgen
Der Rest vom Fest II – Überraschend hatte abends beim Rückweg das Büdchen am Rhein geöffnet und nötigte mich zur Einkehr
Freitagmorgen. Abends lagen sie unterhalb der Treppe.
Geprüfte Störlichbögen kann man nie genug im Haus haben.
Mit Alkohol wäre das nicht passiert.
Profunde diem.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme, möglichst sturm- und störungsfreie Woche.

Woche 6/2022: Gehen, Grünkohl und Glück

Montag: Morgenstund’ hat Gold im Mund und Erdogan hat Omikron, mit milden Symptomen. So steht auch mal was positives über ihn in der Zeitung.

Wie ich erst heute las, war bereits am vergangenen Freitag „Tag des Zustellers“, an dem der geneigte Empfänger aufgerufen war, seinem Post- und Paketboten Dank und Lob entgegen zu bringen. Man sollte ohnehin viel öfter loben, nicht nur die Zustellkraft an dafür festgelegten Tagen; stattdessen nur Gemotze und Gezeter, wenn mal etwas nicht funktioniert. – Anders in Amerika: Dort werden – ebenfalls heute gelesen – Paketzusteller per Zettel am Klingelschild dazu aufgefordert, vor der Türkamera zu tanzen, auf dass es anschließend bei TikTok hochgeladen wird. Die meisten Boten folgen der Aufforderung, da ihnen bei Weigerung eine schlechte Bewertung droht. Ich weiß nicht, ob die amerikanische Verfassung etwas vergleichbares enthält wie Artikel 1 Absatz 1 des deutschen Grundgesetzes, jedenfalls erscheint die Unantastbarkeit der Menschenwürde hier fraglich.

Dienstag: Was Sie vielleicht auch noch nicht wussten: Heute vor hundert Jahren gelang erst­mals der expe­rimen­telle Nach­weis der Richtungs­quante­lung von Drehimpulsen, schreibt Wikipedia.

Dem Glücklichen schlägt bekanntlich keine Stund. Ob überschäumendes Glück jemandes Anlass war, an einer Bonner Bushaltestelle diese Wanduhr zu hinterlassen, war nicht in Erfahrung zu bringen.

Mittwoch: Der Tag war ein wenig kopflastig, denn er begann mit einem (schmerzfreien) Zahnarztbesuch zur planmäßigen Esszimmerreinigung und endete mit einem Friseurtermin (ebenfalls weitgehend schmerzfrei).

Ein leichtes Stimmungstief am Abend wurde mit Döner gelindert. Satz des Abends: „Ich bin lieb, du hast nur eine andere Auffassung von lieb.“

In Bonn und anderen rheinischen Städten werden demnächst Bereiche festgelegt, in denen unter bestimmten Auflagen, wie Alkoholverbot, demnächst Karneval gefeiert werden darf; für diese Bereiche wurde das schöne Wort „Brauchtumszonen“* ersonnen. Na dann Alaaf.

Ansonsten Vorfreude meinerseits, denn morgen ist schon wieder Donners- und somit Zufußinswerkgehtag.

*Lesen Sie dazu bitte auch hier.

Donnerstag: Mittags gab es in der Kantine Grünkohl. Bitte denken Sie sich hierzu das entsprechende Foto eines Dreikammer-Mitnahmegefäßes mit Kartoffeln, Grünkohl, einer Mettwurst und Senf darin. Gehen, Grünkohl und Glück – es kann kein Zufall sein, dass diese Wörter denselben Anfangsbuchstaben haben.

Der Radiosender WDR 4* spielt ab heute achtzig Stunden lang Achtziger-Hits. In der Weinbar unseres Vertrauens war letzthin** Achtziger-Abend, ein Plattenleger legte entsprechende Schallplatten (richtige aus Vinyl) auf. Anscheinend erfreut sich diese Epoche, zumindest in musikalischer Hinsicht, gerade großer Beliebtheit, was daran liegen mag, dass die Programmgestalter, wie ich, in jener Zeit die Stürme ihrer Jugend erlebten, daher kann ich das gut verstehen und freue mich darüber. Vielleicht sollte ich über die Achtziger demnächst mal einen längeren Aufsatz verfassen. (Während der Niederschrift vorstehender Zeilen spielten sie Shakin‘ Stevens, auch in den Achtzigerjahren war nicht alles toll, aber mir allemal lieber als heute Max Giesinger.)

*WDR 4 war in den heute besungenen Achtzigern ein absolut unerträglicher Schlagerdudelstörsender, ich erwähnte es vor einiger Zeit schon. So ändern sich die Zeiten.

**Es freut mich sehr, aus Gründen, die Sie hier auf jeden Fall nachlesen sollten, erst- und sicher nicht letztmals dieses Wort zu gebrauchen. Herzlichen Dank, liebe N., für die Widmung!

Freitag: Mittags auf dem Weg in die Kantine sah ich die ersten Krokusse … Kroken? Kroki? Sie wissen schon, diese gelben Stehglöckchen, auf Wunsch auch in weiteren Farben erhältlich, die heute waren jedenfalls gelb, krokusgelb. Auch nach all den Jahren immer wieder beruhigend, wenn das Leben draußen erneut erwacht.

Abends beim Laufen fiel etwa einen Meter vor mir ein Vogelschiss zu Boden. Ähnliches passierte mir bereits oft im Leben, augenscheinlich ist mein Schutzengel ganz brauchbar.

Während sich meine Lieben später wegen irgendwas zankten, las ich bei Frau Anje den Satz »lächle, du kannst sie nicht alle töten« – und lächelte.

Samstag: »Mama hebt Kaffeegläser auf für‘n Gelee / Du bist schon ewig in der IG Chemie«, sang Klaus Lage in den Achtzigern. Ein wahres Kleinod deutscher Liedtextdichtung, nur knapp erreicht von Giesingers »Wenn wir uns begegnen / dann leuchten wir auf wie Kometen«.

Sonntag: Laut unserer Rechtsordnung dürfen bereits Jugendliche ab vierzehn Jahren alkoholische Getränke zu sich nehmen, vorausgesetzt, ihre Eltern sind dabei. Das nennt man dann „begleitetes Trinken“, das habe ich mir nicht ausgedacht.

Selbstverständlich sollte auch das „mit Augenmaß“ erfolgen, ein weiterer Begriff, den man häufig liest und hört, der gleichwohl bei genauerer Betrachtung unsinnig ist. Was soll dabei herauskommen, wenn man mit den Augen misst? Doch bevor ich mich in weiteren Haarspaltereien verliere, sei dieser Wochenrückblick beendet.

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Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Start in eine neue, möglichst schmerzfreie Woche.

Woche 5/2022: Ganz in Ordnung

Montag: Die Stadt Freiburg im Breisgau hat eine weitere Variante der geschlechterneutralen Sprache für sich entdeckt. In Stellenausschreibungen wird nun ausschließlich die weibliche Form verwendet, ergänzt durch ein kleines „a“, das für „alle“ steht und das bekannte „m/w/d“ ersetzt. Also beispielsweise „Stahlträgerin (a)“. Dazu die Stadtverwaltung: »Mit einer klaren und zugleich auffordernden Botschaft werden unmissverständlich alle Menschen angesprochen.« Da fühlt man(n) sich doch mitgedacht.

Dienstag: Wenn man von der Dame am Werksempfang morgens mit Namen begrüßt wird, hat man es irgendwie geschafft.

Die Wochenmail von Kurt Kister kam bereits heute. Für alle, die sie aus völlig unerfindlichen Gründen noch nicht abonniert haben, sei daraus zitiert:

»Wenn Sie mal jemandem begegnen, der im Zusammenhang mit Nachdenken, Lesen und Schreiben immer nur von „Texte erstellen“ oder „Inhalte produzieren“ redet, dann wissen Sie, dass er oder sie mutmaßlich auch in einer Digitaldistributionsagentur tätig ist und solche wasserlosen Verben für die Sprache der Zukunft hält.«

Wenn Ihnen das gefällt und Sie ähnliches wöchentlich lesen möchten, bitte hier entlang.

Ein Vorhaben für das nächste Lebensjahr ist das Anlegen einer Liste mit Dingen, über die ich mich nicht mehr aufregen möchte, weil es nichts nützt. Etwas, worüber ich mich zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Absatzes sehr aufgeregt habe, ist das Wegwerfen von Lebensmitteln. Das kommt auf jeden Fall auf die Liste, wobei nicht sicher ist, ob es mir gelingen wird, darüber künftig hinwegzusehen.

Was auch darin stehen wird ist der Gebrauch dämlicher Wörter wie „okayish“, das ich heute gelesen habe und das wohl soviel heißen soll wie „ganz in Ordnung“.

Mittwoch: Zu meinen Leibgerichten (ein Wort, über das auch gelegentlich nachzudenken ist) zählen unter anderem Entenbrust und Grünkohl. In der Kantine gab es heute beides in Kombination. Ganz in Ordnung.

Donnerstag: Die schönste der drei Bonner Rheinbrücken ist Friedrich-Ebert-Brücke, auch Nordbrücke genannt. Gebaut wurde sie vor fünfundfünfzig Jahren, somit haben wir bald etwas gemeinsam. Leider sind ihre Jahre gezählt, 2034 endet ihre Nutzungszeit, dann muss sie abgebrochen und neu gebaut werden, steht in der Zeitung. Mit einem Neubau meinerseits ist dann eher nicht zu rechnen.

Noch schöner war freilich die alte Rheinbrücke zwischen Bonn und Beuel, die 1945 leider einer großangelegten überregionalen Maßnahme der damaligen Regierung zur Stadtbildänderung zum Opfer fiel und danach durch einen schlichten Zweckbau ersetzt wurde.

Freitag: Als am 4. Februar 1967 in Bielefeld ein Kind mit schwarzen Haaren geboren wurde, ahnte niemand, dass daraus mal einer der erfolglosesten Blogger werden würde, allein schon, weil es noch keine Blogs gab. So wie jetzt niemand weiß, was dereinst aus Kindern wird, die heute erstmals das Licht der Welt erblicken. Sofern in einer vergleichbaren Anzahl an Jahren die zurzeit laufenden Maßnahmen zur Selbstabschaffung der Spezies noch nicht abgeschlossen sind.

»Russland verbietet Deutsche Welle – Moskau reagiert drastisch im Streit um ein Sendeverbot des deutschsprachigen Programms seines Staatssenders RT DE«, schreibt die Zeitung. Das ist gemein von Herrn Putin, keine Frage. Und doch verstehe ich die Empörung nicht ganz – welche Reaktion hat man denn sonst erwartet?

Aus gegebenem Anlass verbrachten wir den Abend in einem Restaurant. Sie sehen mich hier in freudiger Erwartung.

Samstag: Ein weiteres Zitat aus dem Welzer-Wälzer, ein ausgezeichnetes Buch übrigens über den menschlichen Wahnsinn:

»… Dummheit kann sehr gefährlich werden, wenn sie mit Macht gepaart ist. Dann kann in mörderischen Gesellschaften so etwas wie Adolf Eichmann dabei herauskommen, unter milderen Bedingungen des demokratischen Rechtsstaats so etwas wie Andreas Scheuer*«

Harald Welzer: Nachruf auf mich selbst.

*Für spätere Generationen und den eher unwahrscheinlichen Fall, dass dieses Blog dann noch existiert und gelesen wird: Während Adolf Eichmann aufgrund unrühmlicher Taten voraussichtlich längerfristigen Eingang in Geschichtsbücher gefunden hat, wird Andreas Scheuer vermut- und hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft vergessen sein. Deshalb zur Erinnerung: Andreas Scheuer (CSU) war von 2018 bis 2021 Bundesverkehrsminister. In diesem Amt stach er durch herausragende Unfähigkeit, gepaart mit unerschütterlicher Selbstherrlichkeit hervor. Sein „Meisterstück“ war die gescheiterte PKW-Maut, für die er mit den Betreiberfirmen milliardenschwere Verträge abgeschlossen hatte, kurz bevor das Vorhaben für rechtlich unzulässig erklärt wurde, was erhebliche Schadensersatzpflichten aus ScheuerSteuermitteln nach sich zog. Zudem beglückte er sein Heimatland Bayern stets mit überproportional hohen Bundesmitteln für die Verkehrsinfrastruktur, womit er allerdings nur eine beliebte Tradition seiner CSU-Amtsvorgänger fortsetzte. Böse Zungen behaupten, durch ihn hätte das Wort „bescheuert“ deutliche Verstärkung erlangt.

Übrigens: „Ich bin halt ein Mann, was soll ich machen“ ist eine äußerst fragwürdige Begründung für bescheuertes Verhalten.

Sonntag: Im Wein liegt bekanntlich Wahrheit, im Champagner womöglich Weisheit, worauf folgendes hindeutet, gehört gestern Abend: „Es gibt ja viele Tiere, die sind klein; wenn sie wachsen, werden sie größer.“

Apropos Tiere: Was treibt eigentlich Menschen dazu, die Kacke ihrer Hunde in kleinen Beutelchen aufzusammeln, wenn sie diese anschließend ins nächste Gebüsch werfen?

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Kommen Sie gut durch die Woche.