Woche 21: Worte und Wünsche

Montag: Während das Pfingstwunder uns einen arbeitsfreien Tag schenkt, wundere ich mich über eine technische Neuerung in unserem Haushalt. Seit gestern wird das Licht im Bad per Bewegungsmelder gesteuert, warum auch immer. Für längere Verrichtungen bedeutet dies, immer in Bewegung zu bleiben, möchte man sie nicht im Dunkeln verrichten. Wobei das immer noch besser ist, als jedes Mal, wie jetzt schon bei der Beschallung von Küche und Wohnzimmer, mit der begriffsstutzigen Siri diskutieren zu müssen. Und doch frage ich mich, was an klassischen Lichtschaltern so verkehrt sein soll.

Beim Spaziergang kam ich an einem Maibaum vorbei, der laut Herzchenbeschriftung für „T T“ aufgestellt worden ist. Zur Ehrenrettung des Verehrers wollen wir annehmen, die Angebetete heißt Thekla-Tanja oder Tamara-Tabea, und der Birkenschmuck ist nicht nur ausgewählten Körperteilen der Dame gewidmet.

Dienstag: Kälte und Regen lähmen heute ein wenig die Lust auf detaillierte Schilderung der Tagesbeobachtungen und -ereignisse. Immerhin – der Regen legte erst nach Ankunft im Werk los und endete vorübergehend kurz vor der Rückfahrt. Auch über Mittag pausierte er und ermöglichte mir, unbeschirmt trockenen Hauptes eine Portion Rheinischen Sauerbraten aus der Togo-Kantine zu holen. Nur abends beim Laufen tröpfelte es ein wenig auf mich herab, was ich beim Laufen indes ganz gerne mag. Fazit: Mein Regenschutzengel ist zu loben.

Eine der Lausch- und Laberbüchsen, in denen Frau Siri lauert, verweigert dauerhaft und irreparabel ihre Funktion. Mein Bedauern darüber ist überschaubar, zumal in unserer Wohnung (mindestens) vier weitere derartige Geräte über unsere Worte und Wünsche wachen.

Mittwoch: Sie mögen keine Anglizismen? Da habe ich was für Sie, schon etwas älter, heute eher zufällig hier gefunden. Am besten gefallen mir „Düsenbarke“ (Jet Ski), „Verjetztlichungsstrahl“ (Live-Stream) und „Eiferkauz“ (Nerd).

Gelesen hier und für gut befunden:

Es gibt Leute, die sich in Fachgeschäften persönlich beraten lassen, anschließend nach Hause fahren und das Produkt im Internet bestellen, weil es dort 0,1 Prozent billiger ist. Ich mache es umgekehrt. Ich nutze die Seite von Lieferando, um mich über das gesamte Angebot schnell zu informieren. Dann klicke ich auf das „i“ auf der Seite des Restaurants, das ist ausgewählt habe, wähle die dort angegebene Telefonnummer und bestelle mein Essen analog. Lieferando verdient keinen Cent, ich habe die Dienstleistung der Firma kostenlos genutzt. Fühlt sich jedes Mal gut an. Wie Klingelstreich.

Donnerstag: Vergangene Nacht geträumt von Inge Meysel, wie sie aus dem Buch Jesaja liest. Hat wohl nichts zu bedeuten.

Aus einer Besprechungseinladung: „… gerne möchte ich uns in Vorbereitung zum Thema in der Überschrift einmal gleichschalten, damit wir mit (bla bla) sicher ins Ziel kommen. Auch das Thema (bla bla) können wir hier zusammen verstehen.“ Ich möchte nicht gleichgeschaltet werden.

„Ich freue mich total, dass ich dieses Projekt leiten darf“, sagte eine. Da es eine sehr große, wenn auch virtuelle Runde war, verzichtete ich auf die angemessene Entgegnung „Du sollst nicht lügen“.

„Wartet nicht auf die Wartung“, sagte eine andere. Es sind Sätze wie dieser, die mich bisweilen lächeln lassen.

Ansonsten entkam ich mit knapper Not einer Break Out Session, bevor ich erfahren musste, was das überhaupt ist.

Freitag: Heute ist laut Zeitung Tag des Hamburgers, also nicht des Hanseaten, des Einwohners von Hammonia, sondern des Hackfleischgebräts im Weichbrötchen. Auf das Kantinenangebot hatte das glücklicherweise keinen Einfluss.

Ich ließ mich bereits aus über die recht neuartige Gewohnheit, Hausrat zum Zwecke der Entsorgung vor das Haus zu stellen mit einem Zettel „Zu verschenken“ daran, anstatt ihn dem Wertstoffkreislauf anheim zu stellen. Abends bei Rückkehr vom Laufen (Sie dürfen mich gerne loben, in dieser Woche lief ich wie geplant zweimal) ging ich an einem Stuhl vorbei mit ebendiesem Hinweis. Keiner der allgegenwärtigen Monobloc-Stühle, auch nichts dolles, ein einfacher Holzstuhl halt. Doch bezweifle ich, dass er bald einen Mitnehmer fand, da ein weiterer Zettel angebracht war: „Nicht draufsetzen“.

Auch bemerkenswert:

(General-Anzeiger Bonn)

Samstag: In Bonn ist der Inzidenzwert noch immer mit um die achtzig vergleichsweise hoch, dennoch strömt alles in Läden und Gastronomie. Ich möchte nicht spaßhemmend wirken, zumal ich in den vergangenen Monaten nur weniges mehr vermisst habe als als den Besuch eines Restaurants oder Biergartens. Und doch sehe ich die nun herrschende allgemeine Öffnungseuphorie mit Skepsis. Während sich die Wirte über Gäste freuen, freut sich das Virus schon auf neue Wirte. Aber womöglich sehe ich das zu negativ, beziehungsweise positiv. Wie auch immer – wir warten noch etwas. Der Liebste hat Maibock gekauft, der lässt sich auf dem Balkon auch kurz vor Juni noch ganz gut genießen.

(Keine Werbung, für diese Abbildung erhalte ich von der Herforder Brauerei keine Zuwendung.)

Gelesen bei Frau Anje und gelacht:

„Es war ein bisschen kompliziert, weil das Kind eine sehr eigenwillige Sprache benutzte, ich also nicht verstand, was es mir erzählte. Solche Situationen kenne ich aber auch von Besprechungen mit wichtigen Personen, die erzählen auch oft wirren Kram, der niemanden interessiert, ich habe also reagiert wie ich im beruflichen Kontext in solchen Situationen auch reagiere, erst habe ich lange nichts gesagt und dann ebenfalls Blödsinn erzählt, das Kind war sehr zufrieden mit meiner professionellen Reaktion.“

Sonntag: Endlich ein Sonntag, der seinen Namen verdient. Die meiste Zeit verbrachte ich (ohne alkoholische Stimmungsaufhellung) auf dem Balkon, wo es angenehm ruhig war, mal abgesehen von den üblichen Sonntagsinnenstadtgeräuschen. Nur wenige Menschen waren in der Nachbarschaft und näheren Umgebung auszumachen, die anderen betrieben vielleicht Inzidenzwertpflege in Cafés und Biergärten.

Woche 20: Künstliche Zoom-Hintergründe

Montag: Die größte Leistung bestand heute mal wieder darin, nach vier freien Tagen acht Stunden lang den Dingen Interesse entgegen zu bringen, für die zu interessieren ich ganz gut bezahlt werde.

Erster Gedanke in Besprechung mit junger Kollegin: Gleich sagt sie „genau“. Sie hat mich nicht enttäuscht.

Die Zeitung berichtet über ein Treffen von rund zweihundertfünfzig PS-Äffchen am vergangenen Samstag in Sankt Augustin. Auf einem Parkplatz präsentierten sie sich gegenseitig ihre Geschlechtsteile Fahrzeuge, unter Verzicht auf Masken und Abstand, dafür mit Musik und Tanz. „Die Polizei war nach Angaben der Leitstelle vor Ort, habe aber keine Straftaten festgestellt. Für die Kontrolle der Corona-Vorschriften sei das Ordnungsamt zuständig“, so die Zeitung. Es ist schön, in einem Land mit klaren Zuständigkeiten zu leben.

Abends verursachte eine arglose Frage zu Ölsardinen heftige, völlig unnötige und zum Glück nur kurzzeitige Reibungen. Ansonsten geht es uns gut.

Dienstag: Die bevorstehende Ablösung des Fußballpräsidenten bezeichnete die Frau im Radio morgens als „eine ernste Frage“. Dagegen ist der Nahostkonflikt natürlich ein Fliegenschiss.

Journalistisch Gelungeneres dagegen in der Zeitung über die Verbreitung der indischen Virusvariante in Groß Britannien: „… ein Wettrennen zwischen Infektion und Injektion“.

Mittwoch: In einer Besprechung wurde verkündet, dass ein nicht anwesender Kollege Vater geworden sei („Ein ganz süßes Kind“). Darauf die auch sonst von mir sehr geschätzte Kollegin C: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm gratulieren oder ihn dafür bedauern soll.“ Ein besonderer Moment, wenn jemand ausspricht, was ich allenfalls im Stillen zu denken wage. Respekt, liebe C!

Donnerstag: Heute nahm ich an einer der bei uns glücklicherweise noch immer seltenen Videokonferenzen teil. Künstliche Zoom-Hintergründe sind ja auch so eine eher spezielle Sache: Man sieht die Kollegen, während sie „genau“ (45 mal), „quasi“ (25 mal) und „tatsächlich“ (nur einmal) sagen, virtuell am Strand, in den Bergen, in einer tristen Fabrikhalle, an einer pittoresken, villengesäumten Allee oder anderen Orten, wo man währenddessen eben viel lieber wäre als im Büro oder am Heimarbeitsplatz. Da ich nicht weiß und es mich nicht im Geringsten interessiert, wie man das bei Zoom einstellt, zeigte mich das Bild ganz normal im Büro, wobei ich mich erst daran gewöhnen musste, nicht desinteressiert die Augen zu verdrehen, als einer anfing, von seinem Hund zu erzählen. Bester Satz des Einladenden, als einer eine textschwangere Präsentation zeigen wollte: „Ich mach dich zum Host.“ Gibt es eigentlich auch den Vollhost?

Freitag: Liebe Kollegen*, es macht mir wirklich überhaupt nichts aus, regelmäßig in der Kaffeeküche die Spülmaschine auszuräumen, das ist vielleicht gut für mein Kaffeeküchenkarma. Doch verratet mir bitte: Welchen Sinn hat es, Besteck mit dem Griff nach unten in den Besteckkorb zu stecken? Es wird dadurch nicht sauberer, und beim Entnehmen muss ich es dort anfassen, wo ihr es später in den Mund steckt.

Frage der Woche: Wann haben Sie das letzte Mal vor Weiterleitung einer längeren Mailkommunikation geschaut, ob der Betreff noch zum Inhalt passt?

Eigenlob verpflichtet: Die erste epubli-Abrechnung für „Herbsterwachen“ ist eingetroffen, demnach wurde im zurückliegenden Monat ein Buch verkauft. Na also, die Mühen und Entbehrungen der letzten Jahre beginnen, sich auszuzahlen, wenn auch zunächst verhalten, aber das wird schon. Lieber Käufer*, ich hoffe, Sie bereuen die Ausgabe nicht und empfehlen es weiter.

Samstag: Im Zusammenhang mit der gestern beschlossenen Kükenverschonung steht in der Zeitung das wunderschöne Wort „Zweinutzungshühner“. Biologisch bemerkenswert auch dieser Satz: „Dabei sollen weibliche Küken Eier legen.“

Seit heute dürfen auch in Bonn Läden und Außengastronomie wieder öffnen. Leute stehen Schlange für ein zweifelhaftes Getränk, das als „Bubble Tea“ bezeichnet wird und mit „Blasentee“ wenig gemein hat.

Kennen Sie noch Hermann Hoffmann? Er war in den Achtzigern mit seiner „Kleinen Dachkammermusik“ Teil der Radiounterhaltung am Samstagnachmittag, als das Wort „Comedy“ zumindest bei uns in Ostwestfalen noch nicht gebräuchlich war. Die Sendung wurde stets eingeleitet mit einer schief intonierten Kinderflöte, dann folgten ungefähr eine Viertelstunde lang witzig-absurde Szenen und Lieder mit Herrn Hoffmann, seiner Frau, den Herren de Vries, Schräuble, Schotterbeck und anderen; alles gespielt und gesprochen von Hermann Hoffmann daselbst. Lange ist es her.

Wie ich darauf komme: Etwas Ähnliches hat mein lieber Kollege Farhad Shahed nun gemacht, nur nicht im Radio, sondern im Netz: „Dark Day“, mit ihm daselbst in allen Rollen. Schauen Sie es sich an – es lohnt sich.

Übrigens: Wenn beim Scrabble richtig viele Punkte machen wollen, merken Sie sich das Wort „Shershenowiskanajaskiana“.

Sonntag: Ich habe angefangen, „Die Selbstgerechten“ von Sarah Wagenknecht zu lesen. Wenngleich ich mich nicht als der Dame und ihrer Partei nahestehend betrachte, gefällt mir doch sehr gut, wie sie den Linksliberalen, oder, wie sie sie nennt, „Lifestyle-Linken“, das sind die, denen Gendersterne wichtiger sind als gerechte Entlohnung, wie sie denen also – mit generischem Maskulinum – ordentlich die Uhr stellt.

Eins meiner persönlichen Probleme mit links sind übrigens konsequent linksgehende Fußgänger*, die mir auf dem Gehweg entgegenkommen und mich so zum Ausweichen nötigen. Vielleicht haben die noch den Satz „Links gehen – der Gefahr ins Auge sehen“ allzu sehr verinnerlicht, der uns als Kinder mit auf den Weg gegeben wurde, wenn wir eine Landstraße ohne Bürgersteig entlanggehen mussten. Alles vorbei: Heutige Kinder laufen nicht mehr entlang solcher Straßen, und Bürgersteig sagt man wohl auch nicht mehr. Auch nicht Bürger*innensteig.

Übrigens, wundern Sie sich bitte nicht über die neue Optik dieses Blogs. Seit gestern ließen sich Artikel nicht mehr über das MacBook bearbeiten oder neu anlegen. Da laut WordPress das bisherige Theme nicht mehr unterstützt wird, dachte ich, vielleicht liegt es daran, und habe kurzfristig die virtuelle Stube neu tapeziert. Daran lag es dann aber doch nicht, sondern an irgendwelchen Cookies, wie der Liebste herausfand. Das bisherige Design gefiel mir zwar etwas besser, aber an das neue werde ich mich wohl auch bald gewöhnen, es schadet ja fast nie, mal was zu ändern.

* Das Experiment Gender-i‘ erkläre ich für beendet. Kann man machen, muss man aber nicht. Deshalb, liebe Damen und Diverse, bitte fühlen Sie sich ausdrücklich mitgedacht.

Woche 19: Notizen unter Weineinfluss, Abgründe und nackt kochende Männer

Montag: Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hat sich mal wieder mit irgendwas unbeliebt gemacht; was genau, erfährt der Zeitungsleser nicht. Dafür dieses: „Mit dem Begriff N-Wort wird eine früher in Deutschland gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben.“ Schön, dass das endlich mal klargestellt ist. Darauf ein N-Wortkussbrötchen. (Ich gestehe, das N-Wort im intimsten Kreise, wo es niemanden stört oder verletzt, gelegentlich noch auszusprechen, ohne jede böse Absicht.)

Ein weiteres N-Wort, indes gänzlich unbedenklich, ist Namenstag. Den haben heute laut Zeitung: Epimach, Gordian, Isidor, Job; als Namen eher ungebräuchlich, daher nur selten auf Auto-Heckscheiben zu lesen.

Dienstag: Der erste Piks. Durch das kleine Pflaster auf dem Oberarm fühlt man sich fast ein wenig systemrelevant. Unterdessen freuen sich viele darauf, was sie bald vielleicht wieder dürfen. Ich sehe darüber hinaus mit etwas Unbehagen, was wir womöglich demnächst wieder müssen.

Zum Beispiel dieses: „Wir müssen ja auch Erwartungsmanagement betreiben“, gehört in einer Besprechung.

Mittwoch: „Ich bin der Jan-Malte“, sagte morgens der Mann im Radio. Für seinen Namen kann er nichts, für den bestimmten Artikel schon.

Mittags nach dem Essen begegnete mir im Rheinauenpark eine Läuferin, begleitet von einer männlichen Stimme aus einem Lautsprecher. Ob es sich dabei um einen Wortbeitrag im Radio oder eine Telefonkonferenz handelte, war auf die Schnelle nicht auszumachen. – Nachmittags auf dem Heimweg vom Werk sah ich einen, der freihändig radelnd ein Tablet in den Händen hielt, worüber er mit Trottel-Koronalisierung telefonierte. Demnächst fahren sie dann vielleicht mit aufgeklapptem Laptop auf Elektrorollern. Was geht in diesen Menschen nur vor? Oder wie es in einer Fernsehreklame heißt: Bin ich der einzige, der das nicht normal findet?

Ansonsten liebe ich – neben dem Herbst – diese Jahreszeit sehr, deswegen:

Die gestern injizierte Systemrelevanz fühlte sich heute an wie ein leichter Muskelkater. Keine Larmoyanz, reine Feststellung. Außerdem ist heute wegen Feier- und Brückentag gleichsam schon Freitag, wer wollte da jammern.

Der Geliebte bevorzugt neuerdings schwarze Einmalhandschuhe. „Daran sieht man das Blut nicht so“, sagt er. Ich gehe nicht von einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben aus.

Donnerstag: „Verarschen kann ich mich selbst!“ – „Los, mach mal.“ Und wie war Ihr Himmelfahrt so? (Es ist Liebe, glauben Sie mir; vielleicht eine Form, die sich Außenstehenden nicht unmittelbar erschließt.)

Freitag: Brückentag. Welch wunderbares Wort, in einer Reihe mit so schönen deutschen Wörtern wie Wanderlust, Weltschmerz, Kindergarten, Habseligkeiten, Doppelhaushälfte und Auslegeware. Zumal eine Brücke dem Zweck dient, Täler und Abgründe zu überwinden, womit der Charakter der Werktätigkeit einigermaßen treffend erfasst ist.

Samstag: „Rund fünf Prozent der deutschen Männer bevorzugen es, ohne Kleidung zu kochen“, schreibt die PSYCHOLOGIE HEUTE über die Freude am Nacktsein. In Gedanken gehe ich nun alle mir bekannten kochenden Männer durch und hoffe bei den meisten, sie gehören zu den anderen fünfundneunzig Prozent.

Bleiben wir in der Küche: Nach Bleikristall, Kaffeemaschinen und -tassen hat der Geliebte jetzt Gefallen gefunden an einer bestimmten Geschirrsorte; der Paketbote brachte heute gleich drei Pakete davon, wofür nun Platz geschaffen werden muss. Demnächst trage ich also wieder ausgemusterten Hausrat in das Häuschen zwei Straßen weiter. Was tut man nicht alles, wenn man liebt. Und einer muss den Konsum ja am Leben halten.

Laut Zeitung hat Isidor heute schon wieder Namenstag. Vielleicht für diejenigen, die es Montag für einen Scherz hielten.

Sonntag: Meine Bettlektüre der vergangenen Woche war „Vervirte Zeiten“ von Ralf König, wo der Corona-Alltag des Kölner Paares Konrad und Paul mit seinen Entbehrungen geschildert wird. Wer (wie ich) die Comics von Ralf König mag, wird auch dieses Buch mögen. Auch wenn sie in den letzten Jahren sehr harmlos, geradezu jugendfrei geworden sind; schon lange sieht man dort nicht mehr das Körperteil, das womöglich in nicht allzu ferner Zukunft als das „P-Wort“ umschrieben wird.

Gestern Abend haben wir uns übrigens die Serie „All you need“ angeschaut, die es in der ARD-Mediathek zum Strömen gibt. Obwohl ich nicht gerade der begeisterte Serienkucker bin, hat es mir gut gefallen. Es geht um das Liebesleben von vier jungen Männern und einer Frau in Berlin, wobei auch dem Auge was geboten wird. (Allerdings ebenfalls kein <P-Wort>, das ist im deutschen Fernsehen auch 2021 noch undenkbar.)

„Kann es eigentlich sein, dass Deutsche weniger gut Deutsch können als Engländer Englisch und Franzosen Französisch?“, fragt Claudius Seidl in der FAS zum Thema Sprachverschmutzung. Ja, kann gut sein.

Die Geschirrlieferung von gestern beinhaltete auch eine Kuchenplatte mit aufwändiger Glaskuppel. Diese nahmen wir heute in Betrieb mit Geburtstagskuchen aus der Nachbarschaft.

Eine deutsche Eigenart ist ja, Kuchen und Torten ab einem gewissen Sättigungsvermögen als „mächtig“ zu bezeichnen, warum auch immer. Nie hörte ich dieses Wort im Zusammenhang mit Rinderkotelette oder Grünkohl, die ebenfalls ganz schön satt machen können, dafür bei Kohleflözen, von deren Verzehr eher abzuraten ist. Das hier abgebildete Exemplar war jedenfalls äußerst mächtig. Liebe M, er war köstlich! Lieber J, alles Gute dir!

Ansonsten in dieser Woche notiert: 1) „Hildegard Knef und die Kesselflicker“ (vermutlich als Bandname) und 2) „Asphalt in Aspik“. Die Hintergründe dieser Notizen sind, da sie unter Weineinfluss erfolgten, nicht mehr nachvollziehbar.

Woche 18: Erfreuliche Momente in Rückenlage

Montag: Frühmorgens gurrte mich eine Taube vor dem Schlafzimmerfenster aus den Träumen. Wäre es eine Stumme gewesen, hätte ich vermutlich etwas länger geschlafen. Zugegeben – das war jetzt montäglich-mäßig witzig.

Witziger dieses, wenn auch unbeabsichtigt, gehört und notiert in einer Besprechung, in der es um kurzfristig notwendige Umverteilung von Arbeit ging: „Brauchst du einen Joker, oder bist du da als One-Man-Show ausreichend?“ Ein anderer wies auf mögliches Ungemach hin: „Sonst kommen wir in Rückenlage.“ Das muss nicht unbedingt nachteilig sein, viele äußerst erfreuliche Momente erlebte ich schon in Rückenlage, ohne da jetzt allzu sehr ins Detail zu gehen. Die Besprechung endete übrigens mit einem für mich vorläufig annehmbaren Ergebnis. Einmal mehr gilt: Unwissenheit schafft Freizeit.

Dienstag: Nachmittags fragte der Chef, ob ich damit einverstanden wäre, wenn er statt meiner am Freitag an einer Videokonferenz teilnehme. Ebenso gut hätte er fragen können, ob ich einer Gehaltserhöhung abgeneigt sei.

Mittwoch: Laut Radio ist heute „Wie-gehts-dir-Tag“. Warum dieser Frage, gleichsam Mutter des Kleingesprächs, ein eigener Tag gewidmet ist, weiß ich nicht. Nach wie vor gilt: Nichts erwartet oder erhofft der Fragesteller darauf weniger als eine ehrliche Antwort; akzeptiert sind allenfalls „Muss ja“, „Soweit ganz gut“ oder, bei humoristisch Naturen, „Am liebsten gut“. Oder, die Tage gehört: „Wieviel Zeit haben Sie?“ – Jedenfalls vermag ein möglichst unironisch vorgetragenes „Ausgezeichnet“ erhebliche Irritationen auszulösen, nicht nur in Zeiten wie diesen.

Im Übrigen war ich heute zum Schnelltest und beim Friseur, beides fiel zufriedenstellend aus. Mir geht es also gut, Danke der Nachfrage.

Wie es dieser Dame geht, war nicht zu erfahren, nur, dass sie einer Aufhübschung bedarf, wozu wir Herrn Horn eine geschickte Hand wünschen:

(General-Anzeiger Bonn)

„Morgen ist schon wieder Donnerstag, ist das nicht herrlich?“, entfuhr es mir am Abend. Wie jeden Mittwoch.

Donnerstag: Gestern Abend vor der Nachtruhe beendete ich die Lektüre des Buchs „Qualityland 2.0“ von Marc-Uwe Kling. Wie sein Vorgänger ist es witzig geschrieben mit zahlreichen Anspielungen auf unsere digitale Welt. Und doch bin ich nicht traurig, damit durch zu sein. Grund: Für meinen Geschmack enthält es zu viele Figuren und Handlungssprünge. Wenn man es mehr oder weniger am Stück lesen kann, im Urlaub oder während einer Quarantäne, mag das funktionieren, idealerweise in direktem Anschluss an Teil I. Wenn man hingegen wie ich immer nur Abends ein paar Seiten schafft und den ersten Teil bereits vor zwei Jahren las, kann man bald den Faden verlieren, was das Lesevergnügen zu trüben vermag. Fazit: Es kommt nicht in den öffentlichen Bücherschrank, irgendwann nehme ich mir beide Bücher nochmal vor. (Ähnliches habe ich schon lange vor mit der Trilogie „Neue Vahr Süd“, „Der kleine Bruder“ und „Herr Lehmann“ von Sven Regener, aber man kommt ja zu nichts.)

Wo wir gerade bei Büchern sind, erlaube ich mir nochmals (und letztmalig, versprochen) Werbung für das Werk eines mir persönlich ganz gut bekannten Autors – eine Geschichte über Leben, Lieben, Leiden und Lust. Man muss nicht schwul sein, um es zu mögen, es ist indes auch nicht von Nachteil. (Das ist es ohnehin nicht, glauben Sie mir.) Bezüglich Qualität und Lesegenus verzichte ich auf eine Wertung, da Eigenlob einen in olfaktorischer Hinsicht eher negativen Ruf hat.

„Herbsterwachen“ von Christian Rebeck, epubli, ISBN 978-3-7541-1262-5, 178 Seiten, 11,50 €

Freitag: Wie jeden Freitag stand auch heute wieder die mobile Hamburger-Bräterei vor dem Werk. Für mich ist das nichts – zum einen wegen der immensen Wartezeiten, zum anderen bin ich aufgrund tragischer Ungeschicklichkeit nicht in der Lage, so ein mit Soße und Salat garniertes Brathackbrötchen zu verzehren, ohne mich hinterher komplett neu einkleiden zu müssen.

Samstag: Der neunzehnte Hochzeitstag heißt „Perlmutthochzeit“. Dazu fand ich in des Netzes Weiten: „Perlmutt wächst langsam, über einen langen Zeitraum, um sich dann in wundervollem Glanz zu zeigen. […] Perlmutt ist ein sehr hartes und widerstandsfähiges Material.“ In diesem Sinne: Alles Liebe, mein Liebster!

..

Sonntag: Der erste Sommertag zog zahlreiche Leute nach draußen, um ihre hässlichen Tätowierungen zu präsentieren, die sie sich über den Winter in Waden und Schenkel stechen ließen.

„Üben, üben, üben“ las ich auf einem Zettel, angebracht im Fenster eines kirchlichen Gebäudes. An wen er sich richtet und was es zu üben gilt, ging nicht daraus hervor. Vielleicht Glaube, Treue und Redlichkeit, das kann ja nie schaden. Ich hingegen übe mich in Zurückhaltung und beende hiermit diesen Rückblick. Kommen Sie gut in die neue Woche!

Woche 17: Womöglich noch ein paar Jahre

Montag: Nach einer Woche Werksabstinenz wird besonders deutlich, wie sehr ich Sätze wie „Wir müssen jetzt das Momentum nutzen“ und „Ich habe um zwölf einen harten Anschlag“ nicht vermisst habe.

Laut einem Zeitungsartikel heißt die Leiterin der Duden-Redaktion Kathrin Kunkel-Razum. Das klingt auch wie ein harter Anschlag, beziehungsweise Aufschlag, etwa wenn eine Blechtonne auf einer LKW-Ladefläche umfällt und auf den Asphalt knallt, schriftvertont durch die legendäre Entenhausen-Korrespondentin Erika Fuchs. Eigentliches Thema des Artikels war die geplante Umstellung der amtlichen Buchstabiertafel auf Städtenamen, statt „Cäsar“ vielleicht künftig „Castrop-Rauxel“, „Schloss Holte-Stukenbrock“ statt „Schule“, warum nicht, kann man machen. Aus demselben Artikel: „Ä wie Ärger ist eben typisch deutsch.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Gelesen bei Frau Anje: „Auch nach über einem Jahr Pandemie genieße ich es immer noch, dass es keinerlei gesellschaftliche Verpflichtungen gibt, ich fürchte, meine Abneigung gegen Menschenversammlungen lässt sich nicht mehr heilen.“ Genau so fühle ich auch.

Dienstag:Wir können mit einiger Sicherheit sagen, dass die Pandemie keinen signifikanten Einfluss auf die globalen Militärausgaben 2020 hatte“, wird jemand in der Zeitung zitiert. Welch Lichtblick in dieser trüben Zeit.

Auch ein Lichtblick: Unser bescheu gar großartiger Bundesverkehrsminister verkündet den „Nationalen Radverkehrsplan 3.0“. Aha. Was genau waren nochmal die Inhalte der Radverkehrspläne 1.0 und 2.0? Vielleicht solches:

(Schonmal gezeigt im vergangenen Jahr)

Mittwoch: Die Werbewirtschaft ist sauer auf Apple, weil es jetzt Nutzern ermöglicht, das sogenannte Tracking durch externen Apps zu unterbinden. Deswegen hat sie sich an das Bundeskartellamt gewandt: „Durch diese einseitig auferlegten Maßnahmen schließt Apple faktisch alle Wettbewerber von der Verarbeitung kommerziell relevanter Daten im Apple-Ökosystem aus“, so die Begründung. Das ist etwa so, als verklagte die Einbrecherinnung den Hersteller neuartiger Sicherheitsschlösser. Auf die Entscheidung bin ich gespannt.

Klage ist auch immer wieder zu hören über sogenannte „kulturelle Aneignung“, etwa wenn sich eine weiße Sängerin Rastalocken kleistern lässt. Wie viele der derart Empörten ohne Asienhintergrund mögen wohl dennoch ihr Sushi mit Stäbchen essen, nur um damit anzugeben, dass sie es können?

Es ist immer wieder schön, nach einem Werktag heimzukehren zu den Lieben. Gestern: „Was bis du spät.“ Heute: „Was willst du denn schon hier?“ Manchmal weiß ich auch nicht.

Donnerstag: Die Zeitung berichtet über eine Radfahrerin, die mit dem Fahrrad eine rote Ampel missachtete und deshalb hundert Euro zahlen musste. Das findet sie empörend, denn: „Meist fühle ich mich natürlich als ‚Klimaretter’ im Recht und lege bei mir nicht einsichtigen Verkehrsregeln das ein oder andere Mal diese zu meinen Gunsten aus.“ Damit verkörpert die Dame eine Haltung, die in unserer Gesellschaft zunehmend um sich greift, sei es bei der Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr oder Corona-Abstandsregeln. Viele legen ihnen nicht einsichtige Regeln zu ihren Gunsten aus, auch ich betrachte manche Fußgängerampel eher als unverbindlichen Vorschlag. Werte Frau W, wenn Sie der Meinung sind, sich nicht an Regeln halten zu müssen, dann akzeptieren Sie bitte mögliche Konsequenzen, anstatt Zeitungsleser mit ihrem Egoismus zu belästigen.

Nach sonnigem Fußmarsch am Morgen …

… tobte mittags Tief „Christian“ mit Sturm und Regen durch die Stadt, beruhigte sich im Laufe des Tages jedoch wieder. Erst am Abend brauste es wieder etwas auf, wenn auch nur im häuslichen Rahmen.

Ansonsten lernte ich heute das mir neue Wort „pejorativ“ kennen, laut Duden bedeutet es „abwertend, eine negative Bedeutung besitzend“. So wie für manche Menschen Verkehrs,- Ab- und Anstandsregeln.

Freitag: Stell dir vor, es ist Ende April und wir verlassen das Haus morgens immer noch mit Schal und Handschuhen. (Bitte dies ausdrücklich nicht als Zweifel an der Klimaerwärmung verstehen.)

Samstag: Der Mai ist gekommen. Erstmals steht auch bei uns im Hof ein Maibaum, sofern man dieses dürre, frühzeitig herzlos aus dem jungen Leben gesägte Birkenkind mit zwei farbigen Krepppapierbändern als „Baum“ bezeichnen möchte. Herzlos ist hier wörtlich zu nehmen – da das sonst bei Maibäumen übliche rote Sperrholzherz mit Namenszug fehlt, bleibt offen, wer die oder der Angebetete ist und wer den Baum aufstellte. Gleichsam das amouröse Pendant zum Grabstein des unbekannten Soldaten, der auf fast jedem Friedhof zu finden ist.

Sonntag: Der Spaziergang führte entlang eines größeren, bei Hundehaltern beliebten Areals im Bonner Norden, wo sie heute wieder in größerer Anzahl anzutreffen waren, Hunde wie Halter. Auch wenn mir das egal sein kann und ich in keiner Weise belästigt wurde – solange ich in dieser Welt wandele, also womöglich noch ein paar Jahre, wird sie und mich ein tiefer Graben gegenseitigen Unverständnisses trennen, da bin ich mir ziemlich sicher.