Woche 34/2021: Nach vorne gerichtet

Montag: Ich danke sehr für die ungewöhnlich zahlreichen Kommentierungen meiner letzten Wochenbetrachtung. Anscheinend habe ich mit WDR 4 einen Nerv getroffen.

Gar nicht so nervig wie befürchtet war der erste Arbeitstag der Woche. Auch die nicht vorhergesehene, gleichwohl anscheinend einem Naturgesetz folgende Kombination aus weißem Hemd und Spaghetti Bolognese in der Kantine ging gut aus im Sinne eines unbefleckten Genusses.

Keinen Genuss dagegen versprechen zurzeit Reiseabsichten mit der Bahn. Komödie der Woche: Jim Klopf (alias Claus W.) und Luci (alias G. de Ell), die leeere Lolomotive.

(General-Anzeiger Bonn)

Von Deutscher Bahn zu Taliban – gelesen hier und für gut befunden:

„Warum regen sich die Leute über die Taliban auf? Nächstes Jahr ist in Katar die Fußball-WM, da gilt auch die Scharia und der ganze andere Scheiß.“

Dienstag: Nun also Charly Watts. Einer der bedeutendsten Steine ist ausgerollt. Möge er in Frieden ruhen. Ob die verbliebenen Steine sich jetzt einen neuen Trommler suchen und weiterrollen? Vielleicht benennen sie sich irgendwann um in „The Rollators“.

Mittwoch: Nach Monaten textiler Nachlässigkeit ging ich probeweise wieder im Anzug ins Werk, der freut sich auch, wenn er mal wieder aus dem dunklen Schrank darf. Das hat nicht dazu beigetragen, die in dieser Woche besonders heftige Mailflut einzudämmen, aber wenigstens war ich während des darin Absaufens gut gekleidet.

Donnerstag: Ich liebe es, wenn, nachdem ich einen Kollegen um die Ermittlung einer bestimmte Zahl gebeten habe, dieser mir anschließend – frühmorgens um kurz nach acht – per Skype deren Herleitung ausführlich anhand einer umfangreichen Excel-Tabelle erklärt, anstatt mir einfach die Zahl zuzusenden, maximal eingerahmt in die üblichen Höflichkeitsfloskeln.

Glück des Gehens: Man sieht Vorfreude auslösendes …

(Bonner Innenstadt)

… und Ungewöhnliches.

(Bonn-Kessenich)

Freitag: „Ich bin sonst ein hoffnungsloser Optimist“, sagt der Bürgermeister von Bad Neuenahr-Ahrweiler gegenüber der Zeitung.

„Wenn wir es nicht gelöst bekommen, müssen wir es festhalten“, sagte einer in der Besprechung. In ebendieser fiel auch mehrfach die Phrase „Nach vorne gerichtet“ – das neue „Am Ende des Tages“?

Samstag: Die Katholische Kirchengemeinde von Bad Godesberg darf sich laut einer Zeitungsmeldung nun als „Pfairrgemeinde“ bezeichnen wegen ihrer Selbstverpflichtung zu „fairem Engagement“ und „fairer Grundhaltung“. Abgesehen von gewissen schmerzhaften Zuckungen meines Sprachnervs ist das bemerkenswert für eine Institution, die zu ihren Kernkompetenzen Barmherzigkeit und Nächstenliebe zählt. Auch bemerkenswert, dass diese Auszeichnung ausgerechnet vom Erzbistum Köln verliehen wird, für das die Bezeichnung „Pfailgemeinde“ nicht völlig unpassend erscheint.

Sonntag: Noch immer bin ich begeistert von WDR 4. Sie senden keine Werbung und fordern die Hörer nicht ständig auf, ihre unmaßgebliche Meinung zu irgendwelchen aktuellen Themen mitzuteilen. Auch hörte ich dort bislang weder den Wellerman noch Giesingers Klagelied über die tanzende frustrierte Mutter, aber das kann Zufall sein.

Gehdanken beim Sonntagsspaziergang durch Nieselregen: Das Verkehrsmittel, dem sich alle anderen unterzuordnen haben, sollte zur Abwechslung mal der Fußgänger sein.

Bitte beachten Sie die Länge des Radwegs.

„Manchmal bist du ein bisschen schrullig“, sagte der Geliebte. Da hat er wohl recht.

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Kommen Sie gut durch die neue Woche!

Woche 33/2021: Salätchen und Pudding

Montag: Die Kette der schlechten Nachrichten scheint nicht abzureißen – Flutkatastrophe, brennende Wälder und Häuser, Klimawandel sowieso, Erdbeben, Afghanistan. Doch darf man dabei die guten nicht übersehen. Eine solche erreichte mich gegen Ende eines viel zu langen Arbeitstags mit viel zu vielen Besprechungen und gedanklichen Themensprüngen im Halbstundentakt ohne Denkpausen dazwischen, zwischendurch ging auf dem Bildschirm immer wieder das Skype-Fensterchen auf, weil schon wieder einer was wollte, dazu eingehende Mails im Minutentakt. An solchen Tagen fühle ich mich zunehmend zu alt für diese künstliche, unnötige Hektik. – Ach ja, die gute Nachricht: Ab Mittwoch öffnet nach monatelanger Umbauzeit endlich wieder die Kantine, so richtig mit Hinsetzen, Geschirr und Besteck, Salätchen dabei und Pudding danach. Vorbei die Zeiten, da es Mittagessen nur zum Mitnehmen gab, das man dann im günstigsten Fall auf einer Bank im Freien aus der Einwegverpackung löffelte. (Wobei es zum Verzehr nur in Ausnahmefällen eines Löffels bedurfte, aber „messerte und gabelte“ erscheint ungebräuchlich.) Als die Mitteilung kam, lächelte ich vermutlich kurz.

Damit nicht genug – die zweite gute Nachricht des Tages, die es ebenfalls voraussichtlich nicht in die Tagesschau schaffen wird: Die Liebste hat Urlaub angemeldet; wenn es gut läuft und die Seuchensituation es erlaubt, sind wir in fünf Wochen in Südfrankreich.

Dienstag: Regnerische Kälte den ganzen Tag. Ich mag den Herbst wirklich sehr, er ist meine liebste Jahreszeit, vielleicht weil auch für mich mittlerweile des Lebens Herbst angebrochen ist, oder mindestens Spätsommer mit ein paar letzten warmen Tagen; statt das Auge erfreuendem buntem Laub ergrauende Schläfen, weiße Nasen- und (wenige) Brusthaare; statt fallenden Blättern eine Lichtung am Hinterkopf. Führte ich eine persönliche Hitparade, stünde das Loblied für den Herbst ziemlich weit oben. Aber doch nicht jetzt schon – mitten im August.

Mittwoch: In Bonn wird seit geraumer Zeit gestritten um den Bau eines Radschnellweges, für den im Rheinauenpark eine größere Anzahl alter Bäume gefällt werden müsste. Eine nicht ganz einfache Situation für die regierenden Grünen. Im Übrigen Radschnellweg – wer braucht denn sowas? Sollen die Rennradraser in ihren bunten Stramplern und beigen Elektrorentner etwa noch schneller fahren?

Wie am Montag erwähnt, ist seit heute die Kantine wieder geöffnet. Schön ist sie geworden. Da ich es extrem albern finde, ein Foto von meinem Essen zu machen und es ins Netz zu stellen, habe ich davon Abstand genommen, wenngleich ich kurz versucht war, es heute ausnahmsweise zu tun. (Stellen Sie sich stattdessen eine Frikadelle mit grobkörniger Senfhaube an Kartoffel-Gurken-Beilage vor.) Jedenfalls war ich sehr zufrieden und bin es noch.

Als ich abends aus der Bahn stieg, ging vor mir eine Gruppe junger Burschen, Studenten vielleicht. Als sie an einer Spiegelwand vorbei gingen, winkte einer seiner Reflexion zu, als wollte er sich seiner selbst vergewissern: „Bin ich es wirklich, dieser überaus hübsche Jüngling? Schnell mal winken … ja, ich bin es tatsächlich!“

Donnerstag: Es dürfe „kein weiteres 2015 geben“, heißt es in diesen Tagen allüberall mit bangem Blick in Richtung Afghanistan. Da kann ich beruhigen: Nach jetzigen Erkenntnissen sieht unser Kalender das mittel- bis langfristig nicht vor.

Mein Werkskalender war heute prall gefüllt mit Besprechungsterminen, was die Morgenlaune ein wenig trübte. Doch soll man den Tag nicht vor dem Abend schmähen: Von geplanten 6,5 Stunden wurden 2,5 Stunden abgesagt.

Freitag: Laut Zeitungsbericht werden in Bonn besonders viele Wahlplakate zerstört. Kein Wunder bei den inhaltsleeren, austauschbaren Floskeln um Wohlstand, Sicherheit, Klima, Bildung, Digitalisierung, Gerechtigkeit und Flüchtlinge. Warum steht da nicht mal was Ehrliches drauf? Vorschlag: „Eine bessere Welt können wir nicht versprechen. Doch lassen Sie es uns versuchen.“ Da würde ich mein Kreuzchen wohl machen.

Samstag: Zeitungsartikel-Überschrift des Tages: „Ruhe finden am Ort der Hinrichtung“.

Ach was: Heute vor zehn Jahren starb Loriot. Die Lücke, die er hinterließ, blieb seitdem ungefüllt.

Während einer Autofahrt ins Ostwestfälische zwang mich endloses Fußballgeschrei im Radio zu einem Senderwechsel. So landete ich bei WDR 4, jenem Sender, den ich seit den Acht- und Neunzigern möglichst mied, weil er störsendergleich mit billigstem Schlager-Trallala das Ohr quälte, der sich dennoch oder deshalb bei Älteren großer Beliebtheit erfreute. Wie ich nun feststellte, spielen die da inzwischen richtig gute Musik.

Sonntag: Auf der Rückfahrt begeisterte mich weiterhin WDR 4, wo mich unter anderem „Also sprach Zarathustra“ von Strauss und „Shout“ von Tears For Fears mehrfach die Lautstärke hochregeln ließen, was Roger Whittaker vor dreißig Jahren kaum gelungen wäre. Oder hat sich in Wahrheit der Sender gar nicht gewandelt, nur mein Musikgeschmack ist gealtert?

„Rauchen mindert Ihre Fruchtbarkeit“, steht auf einer Zigarettenschachtel. Wäre das nicht eher ein Argument für das Rauchen?

Die Taliban und die vierte Welle – beide kamen früher als von manchen erwartet.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme neue Woche mit möglichst vielen Lächelanlässen, guten Nachrichten und wenigen Besprechungen.

Woche 32/2021: Das ist dann eben so

Montag: Während der Kollege davon erzählt, wie er im Urlaub die Alpen mit dem Fahrrad überquerte, wobei das Rad mehrfach über Felsen und schmale Pfade getragen werden musste, frage ich mich: Warum tut man das?

Oder das?

Oder dieses: „Die GDL fordert 3,2 Prozent höhere Entgelte und einen Corona-Bonus von 600 Euro für seine Mitglieder“, steht in der Zeitung. Wie wird man Mitglied beim Bonus? Warum merkt das niemand?

Dienstag: Nach dem aktuellen Bericht des Weltklimarats erscheint es fraglich, ob man sich wirklich noch Gedanken um die Altersvorsorge machen sollte. Persönlich sehe ich das relativ gelassen, mein bisheriges Leben verlief überwiegend in glücklichen Bahnen, außer der Erdanziehung frei von nennenswerten Belastungen, zudem muss man eigentlich, um dieses zumeist unnötige Wort mal zu gebrauchen, nicht viel älter als vierundfünfzig werden. Aber was ist mit all den Jüngeren, die noch alles vor sich haben?

„Der Planet schwebt in Lebensgefahr und mit ihm seine Bewohner“, sagte die Bundesumweltministerin. Liebe Frau Schulze, gerne wiederhole ich das für Sie: Der Erde geht das weitgehend am Südpol vorbei, was wir hier treiben, sie hat schon ganz andere Phasen überstanden und wird sich auch in einigen Milliarden Jahren noch drehen. Nur eben sehr wahrscheinlich demnächst ohne uns.

Mittwoch: Auch die Frage der richtigen Ernährung gewinnt in der aktuellen Debatte zunehmend an Bedeutung.

Während die Rufe nach Reduktion des Kohlendioxid-Ausstoßes eindringlicher werden, wird die weitere Vermehrung der Menschen als naturgegeben hingenommen. Wäre das nicht etwas, wo man auch mal ansetzen müsste: Kondome fürs Klima statt Brot für die Welt, oder ist das zu radikal gedacht? Aber vielleicht erledigt sich das ohnehin bald von selbst.

Donnerstag: Die Nacht hatte ich im Traum Gelegenheit, ein paar Sätze mit Max Goldt zu sprechen, anlässlich der Vorstellung seines neuen Buches. Er hörte sich mit freundlicher Geduld mein Geschleime an („Wie Sie mit der Sprache spielen … und dann diese genialen Überleitungen jedesmal … einfach großartig.“) Wenigstens verzichtete ich darauf, ihm mit Verweis auf dieses Blog mitzuteilen, dass ich auch gelegentlich was schreibe, ihm womöglich gar den Link auf einen Zettel zu schreiben, den er dann, nachdem er aus meinem Blickfeld verschwunden wäre, sofort in den nächsten Papierkorb entsorgt hätte, völlig zu recht.

Inseltag – das heißt: ein einzelner Urlaubstag ohne besonderen Anlass, einfach nur so für mich. Ich habe beschlossen, ab sofort jeden Monat, in den kein regulärer Urlaub fällt, einen Inseltag einzulegen. Für heute war ursprünglich eine weitere Wanderung durch die Wahner Heide geplant. Da dies die An- und Abreise mit der Deutschen Bahn erfordert hätte, was Herr Weselky und seine Bonusmitglieder momentan unterbinden, wurde spontan umgeplant. So fuhr ich morgens mit der unbestreikten Stadtbahn nach Rhöndorf, von wo aus ich eine Runde durch das Siebengebirge machte, die schon seit geraumer Zeit als „geplant“ in meiner Komoot-Liste stand. Bereits die ersten Kilometer den Großen Breiberg hinauf waren sehr anstrengend, ich schnaufte wie eine Güterzugdampflok der Baureihe 044, kurz bevor sie mit einem Dreitausend-Tonnen-Zug wegen Dampfmangels vor Dransfeld liegenblieb. Nach kurzer Pause, während der der innere Heizer einige Schippen Kohle nachgeworfen hatte, ging es weiter; in der Breiberghütte hinterließ ich schließlich im Hüttenbuch ein paar Zeilen.

Danach ging es deutlich unanstrengender weiter. Besonders idyllisch ist das Tretschbachtal:

Zurück in Rhöndorf die angemessene Belohnung:

Aus der Zeitung: „Menschen, die sich aus ganz persönlichen Gründen nicht impfen lassen wollen, aber nur über ein geringes Einkommen verfügen, werden mit dem Ende der Gratis-Tests sehr stark belastet. Für sie sind zusätzliche Kosten von zehn oder 20 Euro in der Woche eine kaum zu schulternde Belastung“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Ja. Das ist dann eben so. Und?

Freitag: „Ich muss eben meinen Sohn in die Kita werfen“, sagte einer von unterwegs in der Telefonkonferenz, woraus sich interessante Bilder ergeben.

Samstag: Finde den Fehler.

(General-Anzeiger)

Auch wenn jetzt Sommer ist – erwachsene Menschen, die barfuß durch die Innenstadt gehen, erscheinen mir eher etwas seltsam.

Andererseits – Mit jedem Tag nimmt meine Bereitschaft, mich über Dinge oder Menschen zu wundern oder gar aufzuregen, ein kleines bisschen ab.

Sonntag: Das waren die schönsten Sommerferien seit langem – alle anderen Hausbewohner waren auf Reisen: kein Getrampel von oben, kein Geschwätz von unten, keine Kochgeräusche und Kindergeschrei von nebenan. Jetzt, wo sie alle wieder da sind, wird es höchste Zeit für eigene Urlaubserwägungen.

(Beim Gehen gesehen / Nähe Bonn-Schwarzrheindorf)

Kommen Sie gut durch die neue Woche!

Woche 31/2021: Wenn ein Sachse „Workflow“ sagt

Montag: Ich möchte Sie nicht mit Details aus dem Werksalltag langweilen. Vielleicht kennen Sie auch das beglückende Gefühl, wenn der Schmerz nachlässt, etwa nachdem man mit dem Schienbein vor den Couchtisch geknallt ist oder sich – vornehmlich als Mann – die äußeren Genitalien in der Autotür geklemmt hat, kann ja alles passieren. Ähnlich beglückend fühlte es sich an, als am späteren Nachmittag der Bürorechner herunterfuhr.

Ein kleiner Ohrwurm gefällig? Bitte sehr: Heute vor fünfzig Jahren sangen Roy Black und Anita den Hit „Schön ist es, auf der Welt zu sein.“ Gern geschehen.

Dienstag: Wenn ein Sachse in einer Besprechung oder überhaupt „Workflow“ sagt, klingt das lustig.

Ich sollte aufhören, in jedem Porsche ein Arschlochauto zu sehen. Wenigstens könnte ich mir vielleicht abgewöhnen, es ihm jedesmal laut hinterherzurufen.

Heute gab es zwei Gewitter: eins am Nachmittag draußen, das andere abends am Küchentisch. Danach war die Luft vorerst gereinigt, sowohl nach dem ersten als auch dem zweiten, wobei letzteres noch ein wenig nachgrummelte.

Das Buch „Wer alles weiß, hat keine Ahnung“ von Horst Evers ausgelesen, hat mir gut gefallen. Wegen Stellen wie dieser:

„Der Freund meiner Tochter freut sich total, dass die Fitnessstudios wieder öffnen. Ich denke: Mein Leben ist ärmer, weil ich bei den Fitnessstudios vom Vermissen ausgeschlossen war.“

Als nächstes „Das Glück des Gehens“ von Shane O’Mara.

Mittwoch: Glück des Gehens am Morgen ins Werk – nur im Gehen ergeben sich oft Wahrnehmungen, die dem Auge des geräderten Verkehrsteilnehmers zumeist verborgen bleiben.

Im Übrigen ist es oft sehr einfach, meine persönliche Stimmung zu heben.

(Für das Plastikbesteck bitte ich ausdrücklich um Entschuldigung. Die Hoffnung, ab sofort wieder direkt in der Kantine von einem richtigen Teller essen zu dürfen, erfüllte sich leider nicht, stattdessen immer noch nur zum Mitnehmen, warum auch immer. Ab morgen stecke ich mir wieder Messer und Gabel ein, bevor ich zum Mahl aufbreche.)

Donnerstag: Meinem Desinteresse an Olympia (wie an Sportereignissen generell) verlieh ich schon gelegentlich Ausdruck, dennoch kann man dem als Zeitungsleser und Fernsehnachrichtenkucker nicht völlig entgehen, ist auch nicht schlimm, man kann währenddessen auf das Klo gehen und die Zeitungsseiten rasch überblättern. Was mir auffällt: Es scheint aus der Mode zu sein, für die Kameras und Pressefotos auf Goldmedaillen herumzubeißen, was mir immer schon ausgesprochen sinnlos erschien. Gilt das mittlerweile auch irgendwie als rassistisch, diskriminierend oder gesundheitsschädlich, oder weigern sich die Sportler einfach, weil sie selbst nicht erkennen, wozu das gut sein soll?

„Impfen ist ein patriotischer Akt“, sagt der Gesundheitsminister. Das wäre nun wirklich einer der letzten Gründe, die mich überzeugen könnten, wenn ich denn überzeugt werden müsste.

Freitag: Da es morgens stark regnete, fuhr ich mit der Bahn ins Werk. Die Stadtwerke weisen nun per Durchsage in Dauerschleife darauf hin, dass der Aufenthalt auf den Bahnsteigen nur im Falle von (Originalton) „Reiseabsichten“ zulässig ist, man möge die Haltestelle verlassen, wenn man nicht „auf einen Zug beziehungsweise eine Bahn“ wartet, wozu auch immer diese Differenzierung. Vielleicht aus Gendergründen? Und gilt die Fahrt ins Werk auch als Reise?

Der Arbeitstag begann mit einer Besprechung bereits um acht, in der alle durcheinander redeten. Wegen Chefteilnahme musste ich trotz tageszeitlich bedingten Desinteresses gewisse Aufmerksamkeit walten lassen. Es wurde dann dennoch ein recht angenehmer Tag.

Im Haus nebenan ist einer gestorben. Erst sechs Wochen später ist das den Hausbewohnern aufgefallen, wegen des Geruchs. Wie schlimm muss es sein, wenn einen niemand vermisst.

Samstag: Laut Zeitung sind zweiundsiebzig Prozent der Berufstätigen auch im Urlaub für Werksgedöns erreichbar. Da bin ich gerne Teil einer Minderheit, die nicht mal am Wochenende und außerhalb der Bürozeiten erreichbar ist.

Sonntag: „Es ist kein Privileg junger Menschen mehr, sich öffentlich danebenzubenehmen“, steht in der FAS. War es das jemals?

Beim Gehen gesehen:

Golgatha 2.0

Kommen Sie gut durch die Woche!

Woche 30/2021: Wie fährt man in Kopenhagen Rad?

Montag: Die erste Mail des Tages in meinem Eingang wurde am Samstag um 00:41 Uhr geschrieben, ihre inhaltliche Wichtigkeit eher mäßig bis gering, jedenfalls nichts, was am Wochenende geklärt werden müsste, was in diesem Fall auch nicht möglich gewesen wäre, da ich von Freitagnachmittag bis Montagmorgen keine Werkmails zur Kenntnis nehme. Offenbar hatte die Kollegin – keine Führungskraft – um die Zeit nichts besseres zu tun.

Als ich mittags am Froschteich hinter dem Mutterhaus eine Currywurst verzehrte, machte mich eine Frau auf vier augenscheinlich elternlose Entenküken aufmerksam, die sich piepsend durch den Schmodder auf der Teichoberfläche kämpften; sie hätte bereits die Feuerwehr alarmiert. Ich möchte nicht herzlos erscheinen, die Feuerwehr hätte ich indes wohl nicht gerufen. Zum einen nehme ich an, die hat im Moment wichtigeres zu tun als Familie Duck zu vereinen, zum anderen vertraue ich auf die Natur, die solche Fälle auf ihre Weise regelt: Schon bald hätte sich ein freundlicher Rabe um Tick, Tack, Trick und Track gekümmert. Wie es ausging, konnte ich wegen zeitlich begrenzter Mittagspause nicht bis zum Ende verfolgen.

Dienstag: In machen Momenten frage ich mich, ob ich das jetzt richtig gehört habe; je älter ich werde, desto häufiger. Heute früh etwa, kurz nach dem Aufwachen, als in der Radioreklame für ein Kraftfahrzeug dessen „weibliche Schiebetür“ angepriesen wurde, vorbehaltlich meines nachlassenden Hörvermögens. Abgesehen davon, dass eine Schiebetür natürlich weiblich ist, was denn sonst, so wie bei uns Qualität/Kundenservice/Currywurst/Wasauchimmer selbstverständlich großgeschrieben wird (außer von diesen notorischen kleinschreibern, die das für richtig/fortschrittlich/wasauchimmer halten, und deren texte ich deshalb konsequent nicht lese), nicht nur in Eigenlobzusammenhängen, wäre das Attribut „weiblich“ für eine Schiebetür schon sehr gewagt in Zeiten, da die Lufthansa ihre Gäste nicht länger mit „Damen und Herren“ ansprechen will, damit sich auch die 0,x Prozent Unentschiedenen mitgegrüßt fühlen.

Apropos weiblich: Olympia interessiert mich nicht sonderlich. Gleichwohl erlaube ich mir anzumerken, dass ich die Dienstkleidung von Beachvolleyballerinnen ausgesprochen entwürdigend für die Damen finde.

Mittwoch: In einer Mail an fünfzehn Personen wurde um kurze Bestätigung gebeten, die Einladung zu einem Termin erhalten zu haben. Immerhin zwei der Empfänger verursachten durch Wahl der Allen-antworten-Funktion den Versand von insgesamt achtundzwanzig völlig sinnlosen Mails. Ist ja zum Glück bezahlte Arbeitszeit.

In der Kantine gab es Schnitzel „Jäger*innen Art“. Da fängt das jetzt auch an. Ob auf dieselbe Weise auch das andere Schnitzel, das mit dem bösen Z, rehabilitiert werden kann, ist zu bezweifeln.

Nach dem Mittagessen kam mir im Park einer entgegen, bei dessen T-Shirt die Ärmel kurz unterhalb der Ellenbogen endeten. Also weder Lang- noch Kurzarm, eher Zukurzarm.

Erneut beklagte sich eine Leserbriefschreiberin im General-Anzeiger, weil sie, nachdem sie mit dem Fahrrad eine rote Ampel missachtet hatte, von der Polizei angehalten wurde und ein Bußgeld zahlen muss. Dazu schreibt die Dame: „Ich bin ei­ne le­bens­er­fah­re­ne Frau von 67 Jah­ren, kann ei­gen­stän­dig den­ken und bin durch­aus in der La­ge, ver­ant­wor­tungs­be­wusst zu ent­schei­den. […] Auch von un­se­rer Po­li­zei er­war­te ich, dass sie die Ein­hal­tung der Ge­set­ze mit Au­gen­maß und si­tua­ti­ons­ad­äquat über­wacht.“ Liebe Frau G, auch ich ignoriere beim Flanieren gelegentlich rotes Licht, manche Ampelschaltungen sind einfach unsinnig, ich ließ mich unlängst darüber aus. Doch käme ich niemals auf die absurde Idee, mich im Falle des Erwischtwerdens öffentlich darüber zu beklagen.

Donnerstag: Ich muss noch einmal auf die Wahlwerbung der Partei Volt zurück kommen. „Radfahren wie in Kopenhagen?“ plakatiert sie. Was bedeutet das? Wie fährt man in Kopenhagen Rad, was unterscheidet die dortige Radfahrweise von der hiesigen? Wahrscheinlich nichts – hier wie dort wird man, in der einen Hand das Datengerät, in der anderen den Kaffeebecher, unter Außerachtlassung von Regeln und Rücksicht über Gehwege und durch Fußgängerzonen rasen und rote Ampeln als unverbindliche Vorschläge interpretieren. Dafür soll man die wählen?

Freitag:Prozesskonformes Arbeiten ist für einige ein Fremdwort“, sagte eine in der Besprechung. Ich verkniff mir den Hinweis, dass das für alle ein Fremdwort ist.

Das Fremdwort für die Wolkenformation, die am Abend geboten wurde, müsste Cirrocumulus lauten, wenn ich nicht irre; auf jeden Fall war es schön anzusehen.

Samstag: In der Zeitung las ich erstmals das schöne Wort „Dernière“, also die letzte Aufführung, das Gegenteil von Premiere. Muss ich mir merken, wenn hier irgendwann das Licht ausgeht.

Für wen sonst demnächst das Licht ausgeht, ist noch nicht absehbar. Die aktuelle Debatte um die zunehmende Impfabstinenz jedenfalls ist für mich nicht nachvollziehbar. Beim besten Willen kann ich nicht erkennen, was an einer Impfpflicht falsch sein soll, egal ob „durch die Hintertür“ oder den Haupteingang.

Mitschrift aus der Abendunterhaltung: „Amöbe – das ist doch dieses Fahrzeug, das durchs Wasser und über Land fährt – Amöbienfahrzeug.“

Sonntag: Sie trinken gerne guten Wein und möchten gleichzeitig was Gutes für die durch die Flut ruinierten Winzer an der Ahr tun? Trinken für den guten Zweck? Dann bitte hier entlang.

Kommen Sie gut durch die Woche!