Der erste Arbeitstag…

…nach dem Urlaub. Sechs Uhr aufstehen, weil es sich bewährt hat, zwei Stunden früher im Büro zu sein, um ungestört die E-Mails sichten zu können. Nach zwei Wochen in T-Shirt und kurzer Hose wieder mit Jacke aus dem Haus gehen, der Herbst ist nahe. Die Laune ist auch eher herbstlich, nur ohne bunte Blätter. Die Bahn ist schon unangenehm voll ist, die Schulferien sind vorbei, schade nicht nur für Schüler und Lehrer. Das Bürogebäude mit leichtem Unbehagen betreten, als erster alleine im Büro, alles sieht noch so aus wie vor dem Urlaub, auch mein Name steht noch außen an der Tür, beruhigend irgendwie. Den Rechner anschalten, Kaffee holen, warten, bis der Rechner hochgefahren ist; im Kaffee liegt Trost, auch wenn er nicht sonderlich schmeckt.

Der spannende Augenblick, das Unbehagen steigt wie vor einem Zahnarztbesuch: Outlook starten. Zweihundert Mails, hab’s schon schlimmer erlebt. Zuerst die Mails vom Chef sichten, keine Imponderabilien dabei. Dann die anderen, viele sofort löschen, andere später lesen, einige in Aufgaben verschieben. Das Unbehagen klingt langsam ab. Kurz nach acht, Chef kommt rein, sichtlich gut gelaunt, fragt, wie der Urlaub war, wünscht guten Start. Erleichterung. Alle E-Mails gesichtet und sortiert, keine Katastrophen dabei. Erste Zigarette.

Um halb zehn überraschend Mitarbeiter-Feedback-Gespräch mit Chef und Teamleiter. Man ist zufrieden mit mir, na also; Anflug von Motivation. Zweite Zigarette.

Zwei Besprechungen, erfreulich kurz, dennoch lästig. Einige Aufgaben abarbeiten. Viel arbeiten zieht viel Arbeit nach sich, wer will das schon, daher: Feierabend. Morgen ist auch noch ein Tag, und übermorgen, und…

Nach Hause. In der Bahn einem letzten Kurzbehosten neidvoll auf die Beine starren.

Zu Hause. Der Urlaub ist vorbei, der Alltag hat mich wieder. Müde, aber erstaunlich gut gelaunt.

Gedanken zum Urlaubsende

Zwei Wochen Provence neigen sich dem Ende zu, nachher werden wir anfangen, unsere Sachen zu packen und kistenweise Wein in unser Auto schleppen, den wir hier gekauft haben, morgen früh fahren wir zurück nach Bonn mit der üblichen Schwere im Herzen. Dieses Mal fällt mir der Abschied besonders schwer, allein schon des Wetters wegen: Erlaubten uns hier Temperaturen um die dreißig Grad, die Tage in kurzer Hose und T-Shirt überwiegend draußen zu verbringen, so erwartet uns zu Hause Regenwetter um die fünfzehn Grad. Gut, seit den frühen Morgenstunden bläst der Mistral und bringt eine vorübergehende Abkühlung, als wolle er uns den Abschied erleichtern, und doch scheint die Sonne und das Licht ist sehr freundlich.

Und wieder klingt leise die Frage an: wäre es nicht schön, hier zu leben, für immer hier zu bleiben, so wie andere es bereits vor uns getan haben? Es gibt einiges, was dafür spricht: besseres Wetter, wobei es auch hier sehr kalte Winter und heftige Unwetter gibt, freundliche (und äußerst attraktive) Menschen, alles läuft scheinbar irgendwie entspannter ab als in Deutschland, guter Wein und gutes Essen, liebliche Landschaften, malerische Städte und Dörfer; die Aufzählung ließe sich lange fortsetzen.

Meine Antwort auf diese Frage ist ein klares Nein.

Urlaub ist ein vorübergehender Ausnahmezustand, zur Erholung, indem man räumlichen wie innerlichen Abstand sucht und findet vom heimischen Alltag, von der Arbeit und sonstigen Verpflichtungen, denen man teils freiwillig, teils gezwungen unterliegt. Genau dieser notwendige Ausnahmezustand ist ja gerade aufgehoben, wenn man hier auf Dauer lebt, denn auch hier muss man ja von irgendetwas leben und kann nicht seine Tage lesend und faulenzend auf der Terrasse verbringen, so wie es nur im Urlaub möglich ist. Es sei denn, eine plötzliche Erbschaft oder ein Lottogewinn oder die üppigen Tantiemen eines gelandeten Bestsellers schaffen die Unabhängigkeit von einem Arbeitgeber. Da ich meines Wissens nicht über reiche und dazu erbenlose Verwandte verfüge, nicht Lotto spiele und meine Schreibkünste sich in sehr überschaubaren Grenzen halten, besteht diesbezüglich keine „Gefahr“.

Und selbst wenn doch: der Alltag verlagerte sich dann vom scheinbar kalten, unfreundlichen und hektischen Deutschland ins zu recht viel gepriesene Südfrankreich. Irgendwann verlangt der Geist erneut nach einer Auszeit, einem Ausnahmezustand vom Alltag, das Spiel geht von vorne los.

Ja, die Städte und Dörfer hier mit ihren alten Natursteinhäusern, Straßencafés und Bistros unter alten Platanen, umgeben von einer wunderschönen Landschaft aus unbeschreiblichen Farben, darüber ein (meistens) strahlend blauer Himmel, dies alles gibt einem das Gefühl, an einem Ort zu sein, der schöner nicht sein kann. Und doch ist es nicht viel mehr als eine Fassade für gelungene zwei bis drei Wochen Urlaub; hier auf Dauer zu leben, ist für mich indes nahezu unvorstellbar, jedenfalls erwüchse daraus keine dauerhafte Steigerung meiner allgemeinen Lebenszufriedenheit.

Nicht zuletzt die Sprache: ich spreche (leider immer noch) nicht französisch, und selbst wenn ich es endlich lernte, was ich mir schon so oft vorgenommen habe, so könnte ich mich hier verständlich machen, mich mit den Menschen unterhalten, also Unterhaltung im Sinne einer Kommunikation, die über den Kauf eines Baguettes oder die Bestellung eines Bieres hinaus geht; dies jedoch, so gut ich es auch lernte, niemals so, wie ich mich daheim mit Freunden, Nachbarn, Kollegen und meiner Familie unterhalten kann, mit allen Feinheiten und allem Sprachwitz, welche nur die Muttersprache bietet. Und das wäre für mich eine erhebliche Einbuße an Lebensqualität!

Menschen wie Peter Mayle haben ihr Glück gefunden, indem sie dauerhaft in der Provence sesshaft geworden sind; für mich kommt das jedoch nicht in Frage. Gerne komme ich hierher, um den ein- bis dreiwöchigen Ausnahmezustand zu genießen, doch freue ich mich danach wieder auf mein Zuhause im schönen Bonn am Rhein. Auch dort gibt es warme Sommer und herrliche Orte, an denen man diese genießen kann; zudem eine wunderbare Wohnung, mitten in der Stadt und doch ruhig (von gelegentlichen nachbarschaftlichen Unruhephasen abgesehen, aber die gibt es in der Provence auch, vielleicht sogar schlimmer), im Winter mit Zentralheizung und einem Kaminofen. Zudem Menschen, die ich kenne, die ich mag, mit denen ich mich gerne umgebe, und: mit denen ich uneingeschränkt sprechen kann.

Fazit: Der Ausnahmezustand ist wunderschön, bei genauer Betrachtung ist der Regelzustand jedoch viel schöner!

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Quallenwanderung

Die Idee für nachfolgenden Text kam mir des Nachts zwischen eins und drei, als ich nicht einschlafen konnte, wobei unklar bleibt, was Ursache und was Wirkung war. Ich versichere jedoch, dass bei der Entstehung des Textes psychoaktive Substanzen keine Rolle gespielt haben.

Traten Quallenplagen in früheren Zeiten vor allem in Küstenregionen auf, so weitet sich das gehäufte Auftreten der schleimigen Zeitgenossen zunehmend auch auf innere Landesteile aus; Experten vermuten den Klimawandel und die zunehmende Verschmutzung der Meere als wesentliche Ursache hierfür. Für ihre Wanderung machen sich die Tiere hauptsächlich die Infrastruktur der Kanalisation zu nutze; mir selbst ist es bereits passiert, dass bei der morgendlichen Darmentleerung statt des gewohnten „Platsch“ ein gedämpftes „Pitsch“ meine Aufmerksamkeit nach unten lenkte, wer kennt es nicht, dieses Geräusch, wenn Kot auf Qualle fällt. Nur durch beherzte sofortige Betätigung der Spülung konnte ich schlimmeres verhindern.

Nicht unterschätzt werden darf die Gefahr für den Straßenverkehr. Stellt eine einzelne Qualle – abgesehen von der Schrecksekunde – noch keine ernste Gefährdung für Mensch und Maschine dar, lässt sie sich nach dem Auftreffen doch problemlos mit dem Scheibenwischer beseitigen, so ist das Gefahrenpotenzial größerer Gruppierungen erheblich, vor allem bei Dunkelheit. Erst kürzlich wieder geriet ein Autofahrer im Kreis Göttingen auf der Landstraße zwischen Kleinwiershausen und Settmarshausen in eine plötzlich aufgetretene Quallenbank, welche die Straße in eine Rutschbahn verwandelt hatte, sein Fahrzeug kam von der Straße ab und wurde erheblich beschädigt, zum Glück blieb es beim Blechschaden. Daher kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden: runter vom Gas, wenn das Verkehrszeichen 143q „Quallenwechsel“ und Hinweisschilder „Quallenwanderung“ aufgestellt sind.

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Doch darf man nicht verkennen, dass die Qualle auch ein nützliches und durchaus liebenswertes Wesen ist. Die letzte Qualle, die den Weg in die Kanalisation meiner Wohnung fand, eine Nordsee-Feuerqualle mit sehr schöner Zeichnung, spülte ich nicht achtlos weg, sondern gab ihr ein neues Zuhause in einem geräumigen Goldfischglas. Dort hielt sie es jedoch nicht lange aus und ließ nichts unversucht, das Glas zu verlassen und sich im Haushalt nützlich zu machen. Obgleich ihr Geschlecht nicht eindeutig zu bestimmen war, gab ich ihr den Namen Kalle*. Während sich Quallen in ihrem angestammten Lebensraum überwiegend von Plankton und Kleinlebewesen ernähren, bevorzugen die Landgänger Kerbtiere und Bodenbewohner aller Art. Seit Kalle bei uns wohnt, schwirren keine Fruchtfliegen mehr über der Obstschüssel, und Stechmücken im Schlafzimmer gehören der Vergangenheit an. Apropos Schlafzimmer: so sehr man seinen neuen Hausgenossen auch lieb gewonnen hat, eine Qualle gehört nicht ins Bett!

Kalle ist ein sehr geselliges und gelehriges Tier. Beschränkte er sich anfangs darauf, mit seinen brennenden Tentakeln den Nachbarhund zu ärgern, der unser Grundstück seitdem nicht mehr betreten hat, zeigt er sich inzwischen auch uns Menschen gegenüber sehr anhänglich. Es hat zwar etwas gedauert, bis wir ihm beigebracht haben, zur Begrüßung nicht die Tentakeln um unseren Hals zu legen, aber seitdem möchten wir ihn nicht mehr missen. Auch Feuergeben klappt inzwischen tadellos: sobald ich mir eine Zigarette in den Mund stecke, kommt Kalle und zündet sie an, mit Streichholz und Reibefläche ist er schon sehr geschickt, Feuerzeug übt er noch. Nachahmern sei dringend empfohlen, sämtliche Zündwaren gut zu verschließen, wenn Sie das Haus verlassen, da sonst unliebsame Überraschungen nicht ganz ausgeschlossen werden können.

Längst hat auch die gehobene Küche die kulinarischen Vorzüge der Qualle entdeckt. Ursprünglich ein Arme-Leute-Essen aus der Provence, gilt Confit de Médusé inzwischen als Delikatesse, und die Zubereitung ist denkbar einfach. Für sechs Personen benötigt man

1000 ml Wasser
3-4 Lorbeerblätter
5 Knoblauchzehen
10 Gramm Salz
eine Prise Pfeffer
frischen Thymian
frischen Rosmarin
Muskatnuss
50 Gramm Weizenmehl
eine Platte Gelantine
je nach Geschmack 25 – 50 ml trockenen Weißwein
zwei frische Quallen

Übrigens ist nahezu jede Qualle geeignet, bei der Zubereitung Spanischer Geleeren und ähnlich aggressiver Arten rate ich jedoch dringend zur Verwendung von Schutzhandschuhen. Auf südfranzösischen Wochenmärkten gehören Quallen schon seit vielen Jahren zum Standardangebot, hier bei uns ist man noch darauf angewiesen, was die Natur bzw. die Kanalisation bietet, im zweiteren Fall empfiehlt sich vor der Zubereitung eine gründliche Reinigung. Gut sortierte Lebensmittelmärkte bei uns bieten seit einiger Zeit Quallenmark aus der Dose an, von der Verwendung rate ich jedoch wegen der enthaltenen Konservierungsstoffe und Geschmacksverstärker ab.

Nun zur Zubereitung des Confit de Médusé:

Das Wasser aufkochen lassen, Lorbeerblätter, Knoblauch (unzerkleinert), Salz, Pfeffer und ca. ein Gramm geriebene Muskatnuss hinzu geben, die Menge des Thymians und des Rosmarins ist beliebig und ist eine Frage Ihres persönlichen Geschmacks. Das ganze etwa eine Stunde bei kleiner Flamme köcheln lassen, zwischendurch immer mal wieder umrühren. Nach einer Stunde den Sud vom Herd nehmen, durch ein Sieb streichen, die Gelatine hinzufügen, gut umrühren, Weißwein hinzugeben und das ganze erkalten lassen.

Da die Innereien einer Qualle, insbesondere die Tentakeln, aufgrund der darin enthaltenen Bitterstoffe für den Menschen ungenießbar sind, entfernt man diese; die übrig bleibende Galertglocke lässt sich jedoch bedenkenlos verwenden und gilt als äußerst vitaminreich. Diese legt man in einen Bräter, bestreut sie reichlich mit Mehl und schiebt sie bei 150 Grad in den vorgeheizten Backofen. Wegen der Geruchsentwicklung während des Backvorganges sollte die Dunstabzugshaube derweil auf höchster Stufe laufen. Die Backzeit beträgt eine Stunde, das Ergebnis ist geruchs- und geschmacksneutral und lässt sich bedenkenlos über den Hausmüll entsorgen.

Das erkaltete und gefestigte Confit in Scheiben schneiden, auf Schwarzbrot ist es eine Köstlichkeit gerade an kalten Tagen.

Apropos kalte Tage: Während sich die Landquallen anfangs regelmäßig gegen Herbst zurückzogen in wärmere Gefilde, wird zunehmend beobachtet, dass einzelne Exemplare bleiben wo sie sind, so wurden im Januar schon Quallen in Koblenz-Lützel, Dingolfing, Neustadt (Wied), Bielefeld-Großdornberg, Papenburg und Dortmund-Hörde gesichtet; Experten gehen inzwischen davon aus, dass künftig aufgrund der zunehmend milderen Winter immer mehr Quallen den mühsamen und gefährlichen Weg in den Süden meiden und und die kalte Jahreszeit in hiesigen Gefilden fristen werden. Die Tierfutterindustrie hat bereits reagiert, mittlerweile sind in einschlägigen Fachgeschäften Quallenknödel** erhältlich, die bei anhaltenden Temperaturen unter dem Gefrierpunkt bzw. geschlossener Schneedecke ausgelegt und -gehängt werden können, um den wässrigen Gesellen das Überleben zu erleichtern.

* Anmerkung des Verfassers: Jegliche Verbindung zu tatsächlich lebenden Personen dieses Namens weise ich entschieden von mir.
** Bereits Anfang der 1980er Jahre verwendete der großartige Loriot diesen Begriff, wenn auch freilich noch ins grostesk-lächerliche ziehend. Ähnlich dem Begriff „Migrationshintergrund“ wird der Quallenknödel schon sehr bald aus dem deutschen Sprachgebrauch nicht mehr wegzudenken sein und bei einem bekannten namhaften Buchstabenlegespiel mit einer hohen Punktzahl belohnt werden.

Gedanken über die Sprache

Die Sprache ist etwas wunderbares, ermöglicht sie uns doch in unvergleichlicher Weise durch Aneinanderreihung mannigfaltigster Wörter eine Art der Kommunikation, von der andere Spezies, zum Beispiel der gemeine Grottenolm, nur träumen können (so fern Grottenolme überhaupt träumen, ist das mal untersucht worden, wenn ja, warum?). Ich möchte sogar so weit gehen, zu behaupten, die Sprache ist eine Grundfeste der menschlichen Intelligenz, auch wenn das bei der Betrachtung von „Bauer sucht Frau“, „Deutschland sucht den Superstar“ und ähnlicher zivilisatorischer Randerscheinungen nicht auf Anhieb deutlich wird; ohne unsere Sprache säßen wir vermutlich noch auf Bäumen und hätten weder das Rad noch den Laubbläser erfunden.

Damit nicht genug: aus Sprache lassen sich ausgezeichnete Kunstwerke erschaffen, man denke nur an Goethe, Thomas Mann, Wilhelm Busch, Heinz Erhard und Mario Barth (finde den Fehler, Anm. d. Red.); nicht selten bietet das geschriebene wie gesprochene Wort kulturelle Hochgenüsse ähnlich einer Sinfonie oder Marianne Rosenberg.

So weit so gut.

Doch kann die Sprache statt des vorgenannten Genusses auch eine Belästigung darstellen. Beim Geschriebenen bewegt sich diese zumeist noch in erträglichen Grenzen: Nehmen Sie diesen Text, Sie können ihn getrost ignorieren, womit sich die Belästigung, welche von ihm ausgeht, minimiert. Anders hingegen die Sprache in ihrer ursprünglichen Form des gesprochenen Wortes, welches stets mit einer Geräuschentwicklung einher geht, der kaum zu entkommen ist.

Morgens in der Bahn: Mit einer der Tageszeit angemessenen Übellaunigkeit finde ich einen freien Sitzplatz und packe mein Buch aus, um nicht die Gesichter der Mitreisenden betrachten zu müssen. Nächste Haltestelle: Hauptbahnhof. Hier fallen sie ein, die Bahn wird zum Bersten voll, mir gegenüber nehmen zwei Personen Platz, ein Mann im Anzug und eine Frau im Kostüm, offenbar Kollegen, und nehmen sogleich das Gespräch auf über das Projekt, Zeitplan, Performance, Ressourcen, sich gegenseitig immer wieder mit „Okay“ und ähnlichem Verbalunrat bestätigend. Das ist schlimm.

Schlimmer ist, wenn statt der beiden unbekannten Personen plötzlich meine Kollegin Christine gegenübersitzt und das Gespräch sucht, und zwar mit mir. Damit kein Missverständnis entsteht: ich mag Christine sehr, sie ist ein herzensguter Mensch, sympathisch, stets gut gelaunt. Und genau das ist das Problem: ihre stets gute Laune bricht sich Bahn in zahlreichen Worten, welche sie ohne Rücksicht auf meine morgendliche Befindlichkeit auf mich niederprasseln lässt, und da ich ein höflicher Mensch bin, kann ich den verbalen Niederschlag nicht völlig unbeantwortet vorüberziehen lassen, wenigstens ein gelegentliches „Ja…“ oder „Hm…“ muss ich ihr schon gönnen, auch wenn mich um diese Zeit weder berufliche Dinge noch ihre Katze interessieren.

Ein weiterer Ort sprachlicher Belästigung ist der Aufzug. Da ich in einem Hochhaus arbeite, kann ich dem nicht entgehen. Die schlimmsten Zeitgenossen sind die, die meinen, im Aufzug witzig sein zu müssen, können sie sich doch ihres Publikums sicher sein, niemand kann der Kabine vorzeitig entkommen. So ringt man sich ein gequältes Lächeln ab und steigt bei nächster Gelegenheit aus, Treppensteigen soll ja angeblich gesund sein. Ich wünsche mir in Aufzügen eine Automatik, die augenblicklich ohrenbetäubende Rockmusik in Gang setzt, sobald jemand auch nur den Mund aufmacht.

Das alles ist natürlich nichts gegen Menschen, die gar kein Gegenüber aus Fleisch und Blut benötigen, um zu sprechen; die Mobiltelefonie macht es ihnen möglich, einen ganzen Eisenbahnwaggon zu unterhalten durch ein Gespräch mit einer Person, die sich gerade in einem anderen Erdteil befindet. Ein solcher Mensch ist unser Nachbar: auch bei geschlossenen Fenstern hört man ihn schon von weitem kommen, wenn er in die Straße einbiegt, sich dem Haus nähert, die Treppe im Hausflur hochgeht; man hört ihn noch plappern, wenn er längst seine Wohnungstür hinter sich geschlossen hat. Ich glaube, er kann nichts dafür, es ist einfach sein Schicksal, stets von einer Klangwolke umgeben zu sein.

Da sich die oben genannte Rockmusik-Automatik in Aufzügen wohl nicht durchsetzten wird, schlage ich eine andere Lösung vor: ein generelles Redeverbot an Orten, wo andere Menschen unschuldig gezwungen sind, mitzuhören, wie eben Busse, Bahnen und Aufzüge. Neben den bereits vorhandenen Verbotsschildern für den Verzehr von Speiseeis oder die Benutzung im Brandfalle könnte ein Symbol nach folgendem Muster die gesetzlich verankerte Sprachlosigkeit durchzusetzen helfen:

sprechverbot

Ich erkläre mich hiermit bereit, meine Designrechte an dem Symbol den maßgeblichen gesetzgebenden Stellen gegen ein geringes Honorar zur Verfügung zu stellen.

Besuch

(Aktualisiert 21.8.2010)

„Besuch ist etwas wunderbares, zum einen wenn er kommt, zum anderen, wenn er wieder geht.“ Ich weiß nicht, von wem dieser kluge Satz stammt, jedenfalls birgt er viel Wahrheit in sich, vor allem der zweite Teilsatz. Sagen Sie es bitte nicht weiter, aber im Grunde meines Herzens mag ich keinen Besuch, weder in aktiver noch in passiver Form, sprich, weder nehme ich anderer Leute Gastfreundschaft gerne länger in Anspruch, noch verfüge ich selbst über eine ausgeprägte solche.

Im Gegensatz zu meinem Nachbarn, der augenscheinlich an Einsamkeit verdorrte, hätte er nicht fast allabendlich Gäste um sich, genieße ich die Ungestörtheit innerhalb der eigenen vier Wände außerordentlich. Der eigene Kühlschrank, das eigene Bett, das eigene Klo; zudem niemand, den ich mit Speisen und Getränken versorgen oder mit dem ich Konversation halten muss zu Themen, die mich, sagen wir mal, nur mittelbar interessieren (Fußball, Haustiere, sein neues Auto, um nur einige zu nennen).

Dabei haben aktive Besuche gegenüber passiven einen Vorteil: Man kann gehen, wenn es reicht, meistens jedenfalls, wohingegen man dem Sitz- oder (je nach Anlass) Liegefleisch seines Gastes oft machtlos gegenüber steht / sitzt / liegt, so sehr man auch gähnt oder auffällig-unauffällig auf die Uhr schaut, woraus dann folgender Dialog erwachsen kann:

Ich: (auf die Uhr schauend, gähnend)
Gast: Musst du morgen früh raus?
Ich: Ja, gegen sechs.
Gast: hm… (eine bequemere Sitzposition einnehmend)
Ich: Noch ein Bier?
Gast: Gerne, eins geht wohl noch.
Ich: (siehe oben)

Besonders unlieb sind mir Übernachtungsbesuche: Als Gast kann ich eben nicht gehen, wenn es an der Zeit ist, gegen fremde Betten und Bäder habe ich eine natürliche Abneigung, und ich weiß nie, wie ich mich morgens verhalten soll, wenn ich schon wach bin und aufstehen möchte, vom Gastgeber aber noch kein Mucks zu vernehmen ist. – Schlimmer noch in der Rolle des Gastgebers: meine ganze Aufmerksamkeit muss ich anderen Menschen widmen, die sich in meiner Wohnung aufhalten und die meinen gewohnten Tages- und Nachtablauf durcheinander bringen.

Eine besonders perfide Erscheinung häuslicher Störung stellt der spontane, nicht angekündigte Besuch dar. Sonntagnachmittag, draußen ist es kalt, den ganzen Tag schon regnet es, die Stube ist warm, du hast es dir mit einem Buch oder einer DVD gemütlich gemacht, dazu eine Kanne Tee, alles ist gut. So lange, bis das Telefon klingelt und du den Fehler machst, dranzugehen. „Ich bin‘s, wollte nur hören ob du zu Hause bist, wir sind gerade in der Nähe und wollten fragen, ob wir gleich mal auf einen Sprung vorbeikommen können, in zehn Minuten sind wir da.“ Ehe du antworten oder gar protestieren kannst, ist das Gespräch beendet, keine fünf Minuten später klingelt es an der Tür, vor die steht dein Bruder nebst Gattin und den lieben Kleinen, zwei an der Zahl. Vielleicht rufen sie auch gar nicht erst an, sondern klingeln direkt, was du nicht ignorieren kannst, da sie längst das Licht in deiner Wohnung gesehen haben. Freude beteuernd legst du das Buch weg oder schaltest den Fernseher aus („Wir stören doch hoffentlich nicht?“ – „Aber nein, gar nicht…“) und widmest dich voll und ganz deinen lieben Gästen; das machst du so gut, dass sich der angekündigte „Sprung“ zu einem abendfüllenden Programm dehnt, so lange, bis die lieben Kleinen endlich müde und quengelig werden.

Nicht ohne Grund sind die Begriffe „Besuch“ und „Heimsuchung“ miteinander verwandt. Auch eine gewisse klangliche Ähnlichkeit zwischen „Besuch“ und „Vesuv“ ist nicht zu übersehen, überrollte dieser Vulkan doch im Jahre 79 nach Christi die Stadt Pompeji mit der Gewalt eines unangekündigten Verwandtschaftsbesuchs, der einem den Kühlschrank leer und die Haare vom Kopf frisst.

Sollten Sie einmal in der Nähe sein, scheuen Sie sich nicht, bei mir vorbeizuschauen. Nur anklingeln muss nicht unbedingt sein.