Woche 12: Latein am Ende

Montag: In anderen Unternehmen ist es längst üblich, nun auch bei uns. Heute fand die Abteilungsrunde, auch als „Stand Up Meeting“ bekannt, obwohl alle dabei sitzen, per Zoom mit bewegten Bildern statt. Es ist noch etwas ungewohnt und bedarf großer Beherrschung, währenddessen nicht mehr zu gähnen, in der Nase zu bohren oder sich genüsslich in entlegenen Körperregionen zu kratzen.

Dienstag: Am späteren Nachmittag kam es zu einer Skype-Besprechung (zum Glück ohne bewegte Bilder der Mitwirkenden), bei der fünfzehn Leute durcheinander redeten. Damit nicht genug: Gleichzeitig wurde ich in eine Paralleldiskussion einiger Teilnehmer – Verzeihung: Teilnehmeri‘ – per Chat verwickelt, ich hasse diese Mehrkanalkommunikation. Ignorieren oder aus dem Fenster springen waren wegen Chefteilnahme leider keine Optionen.

„In den meisten Kulturen gilt das plötzliche Springen aus einem Fenster als dezentes Zeichen, dass das Gespräch beendet ist.“ Wertvolle Tipps zur Gesprächsbeendigung hier.

Mittwoch: Nun also doch keine „Ruhetage“ zu Ostern, die für kommende Woche zunächst in Aussicht gestellt waren. Wie schade, über den freien Donnerstag hätte ich mich schon gefreut, gerade auch weil uns der Kalender in diesem Jahr die Feiertage 1. Mai, 3. Oktober, Weihnachten und (2022) Neujahr als zusätzliche arbeitsfreie Tage vorenthält. Auch wenn Zweck und Nutzen fraglich geblieben wären. Aber das gilt ja für Pfingsten und andere kirchliche Feiertage in ähnlicher Weise, da weiß auch kaum noch jemand, was die Christi‘ feiern und warum wir deswegen zu Hause bleiben dürfen.

Ich zähle mich nicht zu den Menschen, die immer und gerne auf die Politik schimpfen, zumal ich diesen Job nicht machen möchte. Und doch – zum ersten Mal, soweit ich mich zurück erinnern kann, habe ich Zweifel, dass die Damen und Herren noch wissen, was sie tun. Andererseits fand ich das deutliche, unverblümte Schuldbekenntnis der Kanzlerin für das Hin und Her bemerkenswert; an Ähnliches kann ich mich auch nicht erinnern.

Donnerstag: Wie jeden Donnerstag ging ich auch heute zu Fuß ins Werk, weil Gehen glücklich macht, ich wiederhole mich da, glaube ich. Auf dem Hinweg am Rhein entlang achtete ich mal wieder auf die zahlreichen Aufkleber an Laternenpfählen, die dort anzubringen manche Leute als richtig und wichtig erachten, auch das ist nichts Neues; neben den üblichen Aufrufen gegen Nazis und für Klimaschutz überwiegend eher rätselhafte Zeichen, Buchstabenkombinationen und Bildchen. Vier Botschaften blieben mir im Gedächtnis kleben, jedenfalls so lange, bis ich sie nach Ankunft im Werk notieren konnte. Die erste: „Ist das System relevant?“ Ein schönes Wortspiel und eine gute Frage, auch wenn im Unklaren bleibt, welches System gemeint ist. Das in Linkenkreisen gerne angeprangerte System an sich (was auch immer das sein soll) erscheint mir stets ein wenig zu pauschal. – Die zweite: „Ignoranz – Arroganz – Mensch“. Nicht verkehrt; Anwesende und Leseri‘ dieses Blog selbstverständlich ausgeschlossen. – Die dritte: „Unterkunft für 9 Personen gesucht.“ Neun Personen. In Bonn. Viel Erfolg. – Und die vierte: „Wer benötigt Nachhilfe in Latein?“ Eine berechtigte Frage in Zeiten, da viele mit ihrem Latein am Ende sind. Dementsprechend waren fast alle Kontaktdatenschnipsel abgerissen, vielleicht von der Politik.

(Man muss geduldig sein.)

Auf dem Rückweg schuf ich die Voraussetzung für die Verwirklichung eines Vorsatzes, den ich mir für dieses Jahr vorgenommen habe, auch wenn ich Vorsätzen für neue Jahre grundsätzlich wenig Bedeutung beimesse: Bevor der Einzelhandel ab kommender Woche womöglich wieder seine Pforten schließen muss, erstand ich neue Laufschuhe. Ab morgen wird dann nach viel zu langer Pause wieder gelaufen. Oder ab übermorgen. Oder … auf jeden Fall bald.

Freitag: Seit 2002 ist die Bundeswehr in Afghanistan, zahlreiche Soldaten wurden seitdem getötet oder körperlich wie seelisch schwer verletzt. Das ist unfassbar sinnlos – eher erlaubt der Papst die kirchliche Segnung homosexueller Satanisten, als dass es dort jemals zu Frieden mit den Taliban kommt, bitte sehen Sie mir meinen diesbezüglichen Pessimismus nach. Das ganze als „Mission“ zu bezeichnen, ist bösartig. Dennoch hat der deutsche Bundestag nun eine weitere Verlängerung des Mandats beschlossen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass auch dafür eines Tages jemand um Verzeihung bittet.

Nachdem der Geliebte abends völlig unbegründeten Unmut gegen Anwesende geäußert hatte, bekam er Unterstützung durch Siri, die ungefragt „Das sehe ich auch so“ hinzufügte. Irgendwann fliegt die hier raus, spätestens wenn herauskommt, dass uns Lausch- und Laberdosen wie Siri und Alexa doch permanent abhören. Auch hier ist mit Abbitten von Apple und Amazon eher nicht zu rechnen.

Samstag: Ich gestehe – die neuen Laufschuhe harren noch der Einweihung. Weder gestern (zu lange im Werk) noch heute (Unwohlsein aus hier nicht näher ausgeführten, dem Verfasser gleichwohl bekannten Gründen) lief ich, und morgen wegen Umstellung auf Sommerzeit voraussichtlich auch nicht, ich halte das für einen hinreichenden Grund. Aber ab Montag. Von da an jeden Mon- und Donnerstag, so der Plan. Ich werde berichten.

Der Geliebte war schon heute schlechtlaunig wegen der Stunde, die ihm die Sommerzeit morgen stiehlt. Zur Bekräftigung hat er bereits vormittags die meisten Uhren in der Wohnung umgestellt.

Im Haus gegenüber wird eine Wohnung ausgeräumt, weil der Bewohner, wie wir erfuhren, vor zwei Wochen gestorben ist (wohl nicht an oder mit Corona, was viele in diesen Zeiten sehr interessiert, obwohl es den Tod weder besser noch schlechter macht). Wir waren nicht befreundet, auch bekannt wäre übertrieben; dennoch reichte es oft für einen Gruß, ein Winken, manchmal einen kurzen Schwatz von Balkon zu Balkon. Lieber A, ich erhebe mein Glas auf dich!

Sonntag: In der Sonntagszeitung las ich erstmals das angeblich neue Wort „mütend“, die Vermengung von „müde“ und „wütend“; sicher können Sie sich vorstellen, in welchem Zusammenhang. Es könnte meinen aktiven Wortschatz durchaus bereichern, wobei ich die Variante „wüde“ einen Hauch eleganter fände, aber das ist wohl Geschmacksache. Als mögliche Anwendungsfälle fallen mir spontan ein: Ich bin wüde, immer wieder zu fragen, wann das von der EU in Aussicht gestellte Ende der halbjährlichen Zeitumstellung endlich kommt. Und wenn mir auf dem Gehweg zwei oder mehr Personen begegnen, womöglich mit Papp-Kaffeebecher und/oder displaystarrend, die es auch zum Zeitpunkt unserer Begegnung nicht für nötig halten, kurz zum Zwecke der Abstandswahrung auf das Nebeneinandergehen zu verzichten, dann bin ich todwüde, mich darüber aufzuregen.

Während des – selbstverständlich Abstand wahrenden und Menschen meidenden – Sonntagsspazierganges sah ich Blühendes …

… und Verblühtes:

Außerdem einen Satz mit erheblichem Interpretationsspielraum. Bitte beachten Sie auch die nachträgliche Korrektur.

Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche und, wenn wir uns vorher nicht mehr lesen, eierreiche Ostern!

Woche 11: Bitte fühlen Sie sich mitgedacht!

Montag: Also gut. Vielleicht ist das mit dem generischen Maskulinum ja doch gar nicht so völlig in Ordnung. Als Zeichen des guten Willens und der Bereitschaft, mich weiter zu entwickeln habe ich deshalb beschlossen, dieses Blog in gendergerechte Sprache zu überführen, jedenfalls probehalber und bis auf Weiteres, sagen wir, zunächst bis Ende April, dann sehen wir weiter. Nun erwarten Sie bitte kein Binnen-I, -Sternchen, -Unterstrich oder Doppelpunkt, und erst recht kein generisches Femininum; das alles empfinde ich nach wir vor als den Lesefluss hemmend und irritierend. Stattdessen verwende ich das von der Schriftstellerin Gitta Edelmann erdachte Gender-i, und damit es was Eigenes ist, ergänzt um ein »’« am Ende. Das irritiert das Auge beim Lesen nicht allzu sehr, beim Sprechen erfordert es keine Petra-Gerster-Pause, und es umfasst sämtliche Geschlechter. Das sieht dann so aus: das (Sg.) / die (Pl.) Lehreri‘, Kollegi‘, Mitarbeiteri‘, Chefi‘, Stahlträgeri‘, Spaghetti‘. (Finde den Fehler.) – Liebe Leseri‘, bitte fühlen Sie sich umfassend mitgedacht!

Der journalistische Synonymzwang hat eine (mir) neue Blüte hervorgebracht: In der Tageszeitung wird Schweden als „Abba-Nation“ bezeichnet. Zu ihrer Verteidigung sei erwähnt, dass es ein Artikel über den diesjährigen schwedischen ESC-Teilnehmer mit dem etwas seltsamen Namen „Tusse“ war. Oder Teilnehmeri‘? Wer weiß.

Die katholische Kirche hat von höchster Stelle, also natürlich nur im irdischen Sinne, die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare untersagt. Wer etwas anderes erwartet hat, glaubt wohl an Wunder und das Osterhasi‘. Segnete dieselbe Kirche nicht schon Kriegswaffen bis hin zur Atombombe? Um Gotti‘ Willen.

Dienstag: Nicht Gender-Sternchen, sondern „Corona-Schutzmasken mindern je nach Typ in unterschiedlicher Weise die Sprachverständlichkeit. Das hat eine Studie an der Technischen Hochschule Köln ergeben“, steht in der Zeitung. Wer hätte das gedacht.

Eine WhatsApp-Gruppe, der ich angehöre, lädt zu einem Zoom-Umtrunk ein. Da mich solche virtuellen Ersatz-Treffen nach wie vor sehr deprimieren, verzichte ich auf eine Teilnahme.

Mittwoch: Die Impfungen mit AstraZeneca wurden in Deutschland ausgesetzt, nachdem es nach 1,7 Millionen Impfungen zu drei Todesfällen kam, die möglicherweise auf den Impfstoff zurückzuführen sind. Das entspricht knapp 0,0002 Prozent. Zum Vergleich: Von den bislang 2,6 Millionen mutmaßlich ungeimpft Infizierten sind bislang rund 74.000 gestorben, das sind 2,8 Prozent. Warum genau darf das Zeug jetzt nicht gespritzt werden?

Am späteren Abend rief meine Mutter an, um uns zum „kleinen“ Hochzeitstag zu gratulieren, an den wir selbst mal wieder nicht gedacht hatten. (Vor drei Jahren wurde die „Eingetragene Lebenspartnerschaft“ amtlich und ohne große Feier und kirchlichen Segen in eine Ehe umgewandelt.)

„Erst auf Händen getragen, dann auf Kakteen gebettet.“ Der Geliebte hat es nicht leicht.

Apropos Hände: Vor ziemlich genau einem Jahr schüttelte ich zum letzten Mal welche. Man muss in allem auch das Gute sehen.

Donnerstag: Das Datengerät meldete den Geburtstag meines Onkels, der bereits vor ein paar Jahren gestorben ist. Da ich ihn sehr mochte, bringe ich es nicht übers Herz, den Kalendereintrag zu löschen. Das folgende Bild zeigt den Onkel (rechts) und den Neffen in den Siebzigerjahren, dazwischen sein Käfer, auf den er sehr stolz war, wie man vielleicht nicht nur an der farblichen Harmonie zwischen Wagen und T-Shirt erkennen kann.

Heute hatte ich einen sogenannten Inseltag, das heißt einen Urlaubstag zwischendurch ohne besonderes Vorhaben, einfach nur so. Da auch der Liebste nichts Wichtiges zu tun hatte, machten wir eine Ausfahrt in die Eifel mit Blick über den Laacher See.

Gelesen hier:

„Es gab nämlich eine Menge Leichen im Keller und wenn ich die komplett verschwiegen hätte, dann hätte mich das Leichengift noch in den nächsten 10 Jahren einholen können. Deshalb habe ich in der Erklärung alles offengelegt, aber für jede Leiche auch sofort eine gute Erklärung für einen natürlichen Tod mitgeliefert.“

Freitag: AstraZeneca darf nun wieder verabreicht werden. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Attila Hildmann oder das Querspinneri‘ Ihres Vertrauens.

Mitteilung des IT-Bereichs: Wegen Wartungsarbeiten kann es am Sonntagmorgen zwischen 2 und 4 Uhr zu kurzfristigen Ausfällen beim Zugriff auf die Mailpostfächer kommen. Irgendwas ist ja immer.

Samstag: Am frühen Nachmittag war ich kurz in der Stadt. (Ich weiß, von der Formulierung her ist das unsauber – auch jetzt, da ich dieses schreibe, bin ich in der Stadt, da ich dort wohne. Aus alter Gewohnheit, als Bett und Tisch noch in Bielefelder Vororten standen, gehe/fahre ich „in die Stadt“, wenn ich die Fußgängeri’zone meine. So wie der Geliebte „nach Bonn“ fährt, wenn er Bonn-Bad Godesberg in Richtung Bonn-Zentrum verlässt. Wobei das vielleicht noch etwas anderes ist: Die Godesbergeri‘ haben es auch noch zweiundfünfzig Jahren nicht verwunden, zu Bonn zu gehören, wohingegen ich mich in Stieghorst und Quelle [das gibt es wirklich, hat nichts mit Schickedanz zu tun] stets als Bielefelder fühlte.) Leichte Melancholie befiel mich: Trotz recht vieler Menschen auf den Straßen war es doch ganz anders als früher – Masken überall, viele Geschäfte geschlossen, vor anderen lange Schlangen, keine Gastronomie. Ich bin weit davon entfernt, zu fordern, sofort wieder alles zu öffnen, wie manche das für richtig halten, und doch frage ich mich, wie lange das so noch weiter geht. Uns geht es gut, keine Frage, wir leiden keinen Mangel. Manchmal indes, so wie heute, denke ich, so langsam könnte es doch mal gut sein. Aber das wird es noch lange nicht, im Gegenteil, in Kürze wird vermutlich alles wieder geschlossen, weil es nicht anders geht, weil die Zahlen wieder stark steigen. Man muss sich gedulden und das Beste daraus machen, zum Beispiel, aber nicht unbedingt, so:

(Gesehen heute in der Friedrichstraße)

Ob danach wirklich ALLES wieder so sein soll wie vorher, daran habe ich große Zweifel.

Randnotiz:* Während ich dieses notiere, höre ich Musik (unter anderem diese) über meine gute alte Stereoanlage, die schon meine Wohnung in Bielefeld-Quelle beschallte. Die mag ich sehr, weil sie Knöpfe und Regler hat für an/aus, laut/leise und einiges Anderes. Wenn meine Lieben hingegen Musik oder Radio hören wollen, diskutieren sie minutenlang mit einer unsichtbaren, schwerhörigen, begriffsstutzigen Dame namens Siri. Daran will und werde ich mich niemals gewöhnen.

* Fußnote zur Randnotiz: Vielleicht wohnt mir bisweilen eine gewisse Rückwärtsgewandtheit inne, gerade auch gegenüber der digitalen Welt. Dennoch frage ich, mal so unter uns Blogschreiberi‘: Wenn ein Blogbeitrag von mir in einem anderen erwähnt und verlinkt wird, ist es dann nicht das Mindeste, dass ich mich dort per Kommentar kurz dafür bedanke, oder ist das oldschool? Nur ein Gedanke.

Sonntag: Beim Zähneputzen morgens erfuhr ich beiläufig, dass die Sängerin dieses Liedes, das wohl fast jeder kennt, Ce Ce Peniston heißt. Ein kleiner Zotenteufel in mir zwingt mich, das Wort „Peniston“ in zwei Bestandteile zu zerlegen, diese sogleich in neuem Sinnzusammenhang wieder aneinander zu fügen und pubertär zu grinsen, ich kann da wirklich nichts für.

Gelesen:

„… belassen wir es dabei, dass ich mich an keinen Zeitpunkt in meinem Leben erinnern kann, da mir das, was mich umgab, nicht als mindestens seltsam, manchmal bizarr, gar absurd vorkam, auf jeden Fall einer Nachfrage wert.“

Terèzia Mora, Schriftstellerin, in der PSYCHOLOGIE HEUTE

Woche 10: Die Wissenschaft beruhigt / Sklavenerdbeeren und Cognac-Krabben

Montag: Das aktuell gültige Lockerungsrätsel bezeichnet Herr Söder als „Atmende Öffnungsmatrix“, darauf muss man erst mal kommen, ich bin wirklich beeindruckt und fände hierfür eine Auszeichnung angemessen.

Ein weiteres Steinchen im tristen Schotterbeet deutscher Sprachverdummung ist dagegen „click and meet“, das uns ab heute wieder in die Läden locken soll, jedenfalls bis zum nächsten Atemzug der söderschen Öffnungsmatrix.

Nachmittags rief der Kollege an, ein großer Freund des gesprochenen Wortes, um mir mitzuteilen, wir hätten morgen drei gemeinsame Termine und an allen nehme er voraussichtlich teil. Manchmal weiß ich auch nicht.

Ein gar wunderbares Wort ist übrigens „Lästling“, gelesen hier.

Für kommende Woche Donnerstag habe ich spontan einen Tag Urlaub eingetragen, ohne besonderen Plan und Zweck, in diesem Jahr ist ja von der Urlaubsplanung her alles offen. Jedenfalls hege ich für Donnerstag keine Click- und Meetabsichten.

Dienstag: Vergangene Nacht stand ich mal wieder ohne Hose und Schlüpfer, dafür in Anzugjacke in der Straßenbahn nach Bad Godesberg, zum Glück nur im Traum. Irgendwann habe ich mal gelesen, was das zu bedeuten hat, es ist mir aber entfallen.

Nach Lukaschenko, Bolsonaro und Trump wurde laut einer Zeitungsmeldung nun Assad positiv auf Corona getestet. Auch er weist nur leichte Symptome auf, dieses Virus ist einfach nicht gerecht, warum sollte es auch. Andererseits stellt vielleicht auch ein Virus gewisse menschliche Mindestanforderungen an seinen Wirt.

Mittwoch: Vormittags konnte ich konzentriert und von lästigen Besprechungen unbehelligt den Geschäften nachgehen. Merke: Zumeist ist es weder erforderlich noch sinnvoll, die Tätigkeit zu unterbrechen, nur weil einer anruft.

Überhaupt ist mir schriftliche Kommunikation tendenziell etwas lieber, auch wenn manche Nachricht rätselhaft ist.

Das rechte Hosenbein meiner Jeans weist auf dem Knie ein kleines Loch auf, warum auch immer; vielleicht ist die Qualität dieser bekannten US-amerikanischen Marke auch nicht mehr das, was sie mal war. Jedenfalls ist es schön, in einem Alter zu sein, wo es keine Option mehr ist, das Loch größer aufzuschneiden und die Hose mit Knielüftung weiter zu tragen.

Donnerstag: Heute vor zehn Jahren löste ein schweres Erdbeben in Japan einen Tsunami aus, der Tausende von Opfern forderte und das Atomkraftwerk von Fukushima zerstörte; kurz darauf wurde bei uns der Ausstieg aus der Atomkraft verkündet, Sie erinnern sich. Da im Zusammenhang mit dieser Katastrophe fast nur von den Folgen des GAU die Rede ist, sei auch noch einmal an die verheerende Flut erinnert.

Dass heute Mittag außerdem bei uns die Sirenen testweise aufheulten, war wohl eher Zufall. Unterdessen berichtete die Zeitung über die Beobachtung verstärkter vulkanischer Aktivitäten unter der Eifel; die Wissenschaft beruhigt, ein Ausbruch steht wohl nicht unmittelbar bevor. Da würden funktionierende Sirenen auch nicht viel nützen.

Was dem einen sein Ying und Yang, ist dem anderen sein Für und Wider.

Gesehen heute Morgen auf dem Weg ins Werk.

Abends kam es zu leichten Irritationen, nachdem der Liebste vom Einkauf Erdbeeren aus spanischer Sklavenhaltung mitgebracht hatte – obwohl er immer wieder völlig zu recht darauf hinweist, man solle Früchte und Gemüse möglichst nur dann essen, wenn sie gerade Saison haben und nicht um die halbe Welt transportiert wurden. Aber der Mensch ist nun mal ein vollkommen inkonsequentes Wesen, da schließe ich mich ausdrücklich mit ein. Im Übrigen, wo sie schon mal hier waren, schmeckten die Beeren ganz passabel.

Freitag: In einer Besprechung sagte ich versehentlich „ehrlicherweise“ und biss mir daraufhin sofort auf die Zunge. Es tut jetzt noch ein bisschen weh.

Man hört und liest nun viel von Selbsttests, erfreulicherweise nicht „Self Check“, das kommt vielleicht noch. Ob sich als Alternative in Skeptikerkreisen „Coronanie“ durchsetzen wird, erscheint eher unwahrscheinlich.

Apropos Skeptikerkreise: Diese Menschen statt als „Querdenker“ als „Quermeiner“ zu bezeichnen gefällt mir gut, gelesen hier.

Samstag: Der Rheinländer neigt gelegentlich zur derben Wortwahl, wie ich selbst aus eigener täglicher Erfahrung („Du Tuppes“ als eher harmlose Variante) weiß. Eine besondere Eigenart des Rheinischen ist ja, in dieser Sprache klingen selbst üble Beschimpfungen, für die der Außerrheinische eine Klage am Hals hätte, wie eine Neckerei unter Freunden. So auch hier:

(aus: „Bönnsche Geschichte und Geschichten“ von Josef Niesen)

Gespräch bei Tisch, gleichsam als Nachtrag zur donnerstäglichen Erdbeerdebatte: „Erbsen schmecken am besten direkt vom Strauch.“ – „Ja, genau wie Tomatensuppe.“

Sonntag: Auf dem Frühstückstisch stand Krabbensalat mit einer Cognac-Soße, was ein ganz klein wenig nach Dekadenz schimmerte. Im Übrigen neigen wir eher nicht zum Luxus. Das mit den Erdbeeren war ein bedauerlicher Ausrutscher.

Unterdessen große Heiterkeit beim Geliebten wegen eines Wellensittichs mit Suizidabsichten, was weiter auszuführen allerdings den Rahmen sprengen würde.

Von Wellensittich zu Wellerman: WDR 2 hat nun dieses an Strophen reiche Seemannslied für sich entdeckt. Der Ohrwurm schreibt es unter bösem Gelächter hundert mal mit quietschender Kreide auf den Frontallappen. Aber ich will und soll ja nicht immer über alles meckern.

Woche 9: Wird schon gutgehen

Montag: Ein Paketzustellfahrzeug heißt auf Niederländisch „bestelbusje“. Ist das nicht geradezu wunderbare Poesie? Wenn Sie es mehrfach laut aussprechen und nicht lächeln müssen, ist Ihnen nicht zu helfen.

Der Arbeitstag endete vergleichsweise poesiearm mit einer einstündigen Besprechung voller Wiederholungen, ohne erkennbares Ergebnis und Lächelgrund. Das ist nicht schlimm, meine Energie für sinnvolle Betätigungen war heute ohnehin begrenzt.

Dienstag: Ob sich der heute an einer Bushaltestelle gesehene Ausdruck gewisser Unzufriedenheit gegen den öffentlichen Personennahverkehr oder die Gesellschaft an sich richtet, war im Vorbeigehen nicht zu ergründen.

Ich hingegen bin sehr zufrieden mit dem neuen Haarschnitt, der seit heute Abend dank wiedererwecktem Friseurhandwerk mein Haupt ziert. Einen bildlichen Vorher-nachher-Vergleich erspare ich Ihnen. Wobei ich im Nachhinein erstaunt bin, wie voll der Salon war; allein in dem Raum, in dem ich behandelt wurde, waren fünf Frisierende mit Köpfen in ähnlicher Zahl beschäftigt, zwar mit Masken und Abstand, dennoch, ich weiß nicht … Wird schon gutgehen, Hauptsache, die Haare sind erstmal gelockendownt.

Mittwoch: Wird schon gutgehen denkt vielleicht auch der türkische Präsident Erdogan, der laut Zeitungsbericht einen „Aktionsplan für Menschenrechte“ in Aussicht gestellt hat. „Schön, schön“, dachte der böse Wolf, als er das las, und nahm noch einen Bissen von der Kreide. – Vielleicht lesen wir demnächst, Clemens Tönnies plane einen Runden Tisch für das Tierwohl, Andreas Scheuer eine Sympathie- und Kompetenzoffensive und Kardinal Woelki einen Reuegipfel.

Mit Kreide schrieb auch jemand „No future“ an eine Wand, jenen lange nicht mehr gelesenen, in den Achtzigern populären Ausdruck jugendlicher Resignation. Durch die Wahl des unbeständigen Schreibmittels wohnt der Anschrift eine zusätzliche Wahrheit inne.

Donnerstag: Vor knapp einem Jahr, kurz nachdem die herrschende Meinung umgeschlagen war von „Masken nützen nicht viel“ in „Wir haben nicht genug für alle“ wunderte ich mich erstmals über ein am Wegesrand liegendes Exemplar. Heute sind sie aus dem Straßenbild nicht mehr wegzudenken, alleine morgens auf dem Weg ins Werk sah ich mindestens ein Dutzend davon auf regennassem Pflaster, eine sogar noch in Folie originalverpackt. Warum ist das so, warum werfen Menschen die einfach in die Gegend wie Zigarettenstummel (was keineswegs besser ist)? Oder sind sie ihnen durch einen Windhauch unbemerkt aus dem Gesicht gefallen, zogen sie sie versehentlich mit dem Datengerät aus der Hosentasche? Oder ist es ein stummer, gleichwohl fragwürdiger Protest gegen die Maßnahmen?

Apropos Maßnahmen: Wenn ich es richtig verstanden habe, öffnen ab Montag unter anderem wieder die Flugschulen, jedenfalls so lange, bis auch die Zahlen wieder abheben. Normalität – Ein wenig fürchte ich den Tag, da alles wieder so werden könnte, wie wir es vorher für normal hielten.

„Kri­se ist ein pro­duk­ti­ver Zu­stand; man muss ihr nur den Bei­ge­schmack der Ka­ta­stro­phe neh­men“

Max Frisch

Ein wahrlich Aufsehen erregendes Ereignis meldete die Zeitung:

(General-Anzeiger Bonn)

Freitag: „Ich bin eher der Getriebene – was getan werden muss, muss getan werden“, sagte nicht der Geliebte, sondern einer in der Besprechung. Ich verzichtete darauf, die allgemeine Euphorie und Geschäftigkeit der Runde zu stören durch altkluge Bemerkungen wie „In der Ruhe liegt die Kraft“ oder „Vieles erledigt sich von selbst“.

Samstag: Meine bisherige Annahme, der letzte zu sein, der noch Musikkassetten besitzt und sie zudem mit einem noch nicht dem Elektroschrott zugeführten Abspielgerät regelmäßig hört, erfuhr eine erstaunliche Korrektur:

„Der Hype von heute ist der Müll von morgen, dachte ich mir, habe mich weder um Download- noch um Streamingportale gekümmert, habe alle meine Kassetten behalten und hatte keinerlei Stress mit Neukauf, Transferieren, Digitalisieren, Abonnieren, Hysterisieren.“

Wolfgang Pichler im Bonner General-Anzeiger

Ebenfalls im General-Anzeiger ist über den Pink-Floyd-Mann David Gilmour dieses zu lesen:

„Gilmour machte die Megalomanie des Sounds menschlich, seine melodiöse und unverkennbare Art zu spielen, gab der virtuosen Opulenz vieler Kompositionen etwas Menschliches.“

Das haben Feuilletonisten mit Weinexperten gemein: Manchmal geht es mit ihnen einfach durch. „Megalomanie“ bedeutet übrigens Größenwahn; ich habe es für Sie und mich im Duden nachgeschlagen. Der in dem Artikel beschriebene Auftritt 2011 in London ist übrigens äußerst sehens- und hörenswert, nehmen Sie sich die acht Minuten Zeit, es lohnt sich:

Sonntag: Ein Spaziergang durch die Stadt zeigt einmal mehr: Früher wurde Unrat (den einst das bestelbusje brachte) im Wald entsorgt. Heute legt man ihn in einen Karton, schreibt „zu verschenken“ dran und stellt ihn vor das Haus.

Ansonsten gesehen und für fotografierenswert befunden:

(In Bonn-Castel)
(Bonn-Nordstadt)

Gelesen: „Stayen Sie tuned“ schrieb einer, was den Sprachnerv ein klein wenig schmerzhaft zucken ließ und daher auf die Liste kommt.

Woche 8: Rhabarber und Hellbier

Montag: So langsam erscheinen harte Einschnitte unvermeidlich, da mir die Frisur täglich größere Ähnlichkeit mit Andreas Scheuer verleiht, was nun wirklich nicht erstrebenswert erscheint.

Auch nicht schön: „Das System läuft wieder performant“ teilte der IT-Bereich nach einer Störung mit. Laut Duden völlig korrekt, ansonsten … na ja. Meine persönliche Performanz ließ dagegen heute zu wünschen übrig, beziehungsweise da war Luft nach oben, wie Leute sagen, die auch „performant“ verwenden, oder vielleicht Andreas Scheuer.

„Mondgeruch“ bot mir das Datengerät zur Auswahl an, als ich „Montag“ eintippen wollte. Darüber muss ich nachdenken, daraus lässt sich was machen, wobei mir spontan nichts einfällt, aber die Woche ist jung. (Wenn Sie damit was anfangen können, bitte sehr, bedienen Sie sich gerne.)

Dienstag: Das Amt der Interventionsbeauftragten für Verdachtsfälle sexuellen Missbrauchs beim Erzbistum Berlin wird laut einer Zeitungsmeldung künftig von Birte Schneider ausgeübt. Birte Schneider, echt jetzt? Künftigen Folgen der heute-Show sehe ich mit noch größerer Freude entgegen.

Als ich mittags nach Currywurstverzehr bei Sonnenschein durch den Rheinauenpark spazierte, begegnete mir eine junge Frau mit Kinderwagen, die dieses in ihr Freisprechmikrofon sprach, jedenfalls nehme ich an, dass der Satz nicht an den Kinderwageninhalt gerichtet war: „Der Rückwärtsgang ist leichter manchmal.“ Als nicht besonders geschickter Autofahrer meide ich Rückwärtsfahren wie der Papst das Pornokino und bin froh, wenn ich dabei nichts und niemanden beschädige (vorwärts fahre ich auch nicht viel besser und lieber), doch finde ich den Satz in unserer vorwärtsgerichteten Welt, wo nur gilt, was nach Höher, Schneller, Weiter strebt, als Lebensweisheit durchaus bemerkenswert.

Mittwoch: Während der täglichen Lektüre des Pressespiegels fragte ein Kollege per Skypenachricht an, ob ich kurz Zeit hätte, danach erklärte er mir mündlich, dass er mir gleich eine Mail schreiben würde. Was solls, das ist alles bezahlte, ruhegehaltsfähige Arbeitszeit. („Ruhegehaltsfähig“ ist ein wunderschönes Wort, nicht wahr?)

Hätte ich Lust und die Fähigkeit zum Programmieren, entwickelte ich eine App, mit deren Hilfe sich öffentliche Toiletten finden lassen. Den Namen wüsste ich schon, ich würde sie „Scheißhouse“ nennen.

Donnerstag: Trotz allem ging auch heute die Sonne auf.

Unterdessen verleiht die Außengastronomie am Rhein unter Vorwegnahme der Tatsachen stumm der Hoffnung auf bessere Zeiten Ausdruck.

Früh dran waren diese Kameraden, deren stummen Genießens ungeachtet irgendwelcher Tatsachen ich mittags im Rheinauenpark Zeuge sein durfte:

Freitag: Kennen Sie noch „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann“, das wir als Kinder ohne Bedenken mit großer Freude spielten? So ganz bekomme ich Ziel und Inhalt des Spieles nicht mehr auf die Reihe. Zwei Gruppen standen sich im Abstand von etwa zehn Metern gegenüber, dann rief einer aus der einen Gruppe die oben genannte Frage, woraufhin die andere Gruppe rief: „Niemand!“ – „Und wenn er kommt?“ – „Dann laufen wir!“ Daraufhin liefen beide Gruppen aufeinander zu, was dann geschah weiß ich nicht mehr, es ging auf jeden Fall meistens unblutig aus. Dabei dachte jedenfalls niemand an die Männer in dunklen Anzügen, die auch heute noch gegen immense Bezahlung weltweit Angst und Schrecken verbreiten:

„Weltweit formieren die McKinsey-Alumnis eine Allianz aus 34.000 Personen in 120 Ländern. Fast fünf Prozent der Vorstandsmitglieder der 100 größten Unternehmen sind Meckis […] Der Übergang von einem intakten Netzwerk zu anrüchiger Kungelei ist fließend. Ebenso wie zur Seilschaft, die sich gegenseitig nach oben hievt und zur Not auch mal andere in den Abgrund tritt.“

Quelle: Handelsblatt

Siehe hierzu auch diesen vielfach unbeachteten Aufsatz.

Was spielen heutige Kinder eigentlich stattdessen? „Wer hat Angst vor de*r*m Metzger*in“? Aber vermutlich wäre das zu traumatisierend.

Samstag: Vergangene Woche zitierte ich aus der Sonntagszeitung Despektierlichkeiten über Werbung für ein bestimmtes Müsli-Produkt aus Schwaben. Von vergleichbarer Unerträglichkeit ist die Fernsehreklame für ein Katzenfutter, in der eine computeranimierte weiße Katze, untermalt von einem mit piepsiger Frauenstimme in hirnquälender Melodie intonierten „miau miau miau …“, eine als „Vitaldrink“ bezeichnete Suppe schleckt, die große Ähnlichkeit mit Erbrochenem nach Genuss von zu viel Rhabarber und Hellbier aufweist.

Doch gibt es auch seriöse Werbung – erstaunlich, was ein andersfarbiger Spazierstock zu bewirken vermag.

Von ziemlich schlechten Eltern dagegen „Deutschlands Hustenduo Nr. 1“ aus einer Reklame für Erkältungsmittel.

Gehört: „Molkerei auf der Bounty“. Vielleicht habe ich mich auch verhört.

Sonntag: Über das Schreiben schrieb ich vor mehreren Jahren dieses, kürzlich beim Sichten eines älteren Notizbuchs wiederentdeckt:

„Schreiben ist eine wunderbare Tätigkeit, erst recht dann, wenn es kein Ziel verfolgt. Ziel-, jedoch nicht sinnloses Schreiben. Nicht für Herzchen bei Twitter, Daumen hoch bei Facebook, lobende Kommentare im Blog, und nicht für einen Platz in der Bestsellerliste; nicht für eine Lesebühne und nicht für einen Sieg beim Poetry Slam. Einfach hinsetzen, den Stift zur Hand und die Worte fließen lassen: zwecklos und entspannend. Wörter, Sätze, Ideen, Gedanken, Texte, Aufsätze, Gedichte, Listen, Skizzen, Entwürfe, Zeichnungen, Bilder, Geheimes, Öffentliches, Lustiges, Ernstes, Trauriges, Erotisches, Groteskes, Absurdes, Alltägliches, Ausgedachtes – was auch immer: Hauptsache Schreiben.“

Zu „Mondgeruch“ ist mir dann doch nichts eingefallen.