Woche 17: Nicht ästhetisch unbedenklich, aber meistens sehenswert

Montag: Seit heute dürfen viele Geschäfte wieder öffnen und locken die Menschen in die Stadt. Ob das richtig oder falsch ist – man wird sehen. Vor dem Starbucks am Münsterplatz standen sie Schlange, immerhin im gebotenen Abstand. Obwohl ich mich aufgrund einer nicht zu erklärenden tiefen Abneigung nicht zur Zielgruppe der Kaffeekette gehörig fühle, hatte es doch etwas Tröstliches – solange Menschen bereit sind, für einen überteuerten Kaffee im Pappbecher Schlange zu stehen, kann die Not nicht allzu groß sein.

Auch mich zog es in die Fußgängerzone, gleich zweimal, weil ich beim ersten Mal das Portemonnaie vergessen hatte, man wird nicht jünger. Nicht jünger, sondern älter wurde auch der Liebste, der heute runden Geburtstag feiert. Na ja, vielleicht nicht feiert, aber hat. Ob sein Geschenk, ein bereits im Januar gebuchter dreitägiger Aufenthalt an der Mosel mit Weinverkostung Ende Mai eingelöst werden kann, ist fraglich, auch hier wird man sehen.

Warum heißt das eigentlich „runder Geburtstag“, wenn das doch immer eine gerade Zahl ist?

Dienstag: Aus dem aktuellen SPIEGEL:

„Wie will eine Kanz­le­rin, wie wol­len Prä­si­den­ten und Pre­mier­mi­nis­te­rin­nen, die gan­ze Völ­ker un­ter Haus­ar­rest stel­len kön­nen, den Bür­ge­rin­nen und Bür­gern künf­tig er­klä­ren, dass sie ein schnel­les Ver­bot von Plas­tik­tü­ten lei­der, lei­der nicht hin­be­kom­men?“

Mittwoch: „Weil Ihr Home jetzt mehr Office braucht“, wirbt ein Telekommunikationsanbieter. Ganz bestimmt nicht!

Die gute Nachricht des Tages: Die Kantine hat wieder geöffnet, natürlich nur zum Verzehr außer Haus. Immerhin besser als täglich Bütter- und Äpfelchen.

Auf dem Rückweg vom Werk kam mir ein Omnibus entgegen, dessen Zielanzeige „Cool unterwegs“ lautete. Vielleicht ein Fahrzeug mit Kimaanlage.

Donnerstag: Dank endlich wieder geöffneter Kantine eine warme Mahlzeit zum Mittag (Allgäuer Käsespätzle mit Röstzwiebeln), wenn auch nur zum Mitnehmen in einer unter Umweltaspekten fragwürdigen Aluschale (was immerhin den Arbeitsplatz des Liebsten stützt), aber ich habe sie unter freiem Himmel sehr genossen.

Zum ersten Mal trug ich eine Schutzmaske, wie sie nun im Werk außerhalb der Büros vorgeschrieben ist (was sich augenscheinlich noch nicht bei allen Kollegen herumgesprochen hat, denn in der Kantine sah ich mehrere Unmaskierte), nicht irgendeine, sondern eine vom Geliebten blau gefärbte, durchaus elegant, sofern dieses Attribut hier angebracht ist. Dennoch sehr gewöhnungsbedürftig, weil sofort die Brille beschlägt. Muss das so, oder bin ich nur zu blöd, die Maske richtig zu tragen?

„Ich freue mich sehr auf die neue Herausforderung“, lese ich in einer internen Mitteilung. Warum lösen solche Sätze bei mir sofortige Übelkeit aus?

Ein Kollege ließ uns während einer Skype-Konferenz wissen, er sitze in Unterhose vor dem Rechner. Immer wieder liest man von Videokonferenzen, in denen Kollegen freiwillig Einblicke in ihr privates Umfeld gewähren, was nicht in allen Fällen ästhetisch unbedenklich, aber meistens sehenswert sei. Ich bin dankbar, einem Arbeitgeber zu dienen, bei dem Videokonferenzen (noch?) nicht üblich sind, bislang besprechen wir uns ausschließlich ohne bewegte Bilder. Ich muss die meisten Fratzen auch nicht unbedingt sehen, andere Körperregionen schon gar nicht, von höchst seltenen Ausnahmen abgesehen.

Freitag: Hat Trump wirklich vorgeschlagen, den Infizierten Desinfektionsmittel zu spritzen, um der Virus zu töten, oder habe ich mich nur verhört? Vielleicht sollte man ihm stattdessen Entkalker verabreichen, das nützt ebenfalls nichts, schadet andererseits auch nicht.

Als ich mein Mittagessen (Fischstäbchen mit Kartoffeln und Remoulade) aus der Kantine abholte, klappte das mit der Maske schon besser, ohne beschlagene Brille, wobei ich nicht sagen könnte, was ich heute anders gemacht habe als gestern.

Samstag: Manchmal fällt es einem wie Schuppen aus den Haaren, wie Schmalz aus den Ohren, Tomaten von den Augen, ein Brett vom Kopf oder was auch immer irgendwo heraus- oder herabfallen kann, ich will da jetzt auch nicht zu sehr ins Detail gehen. 2008, das war das Jahr, als ich mit dem Bau meiner Modelleisenbahn begann und nebenbei viel Radio hörte, damals ertrug ich noch den Sender 1Live, erschien das Liedchen „Allein allein“ von Polarkreis 18. Damals wie heute kann ich nicht behaupten, es besonders zu mögen, auch wenn die Jungs recht dekorativ schienen; jedenfalls es gab eine Stelle jeweils in der Strophe, an der ich dachte: Das kenne ich, das haben die geklaut oder jedenfalls geliehen, hören Sie selbst, z.B. ab Minute 0:45:

Und, kommen Sie drauf? Ich nicht, seit nunmehr zwölf Jahren quälte es mich, wann immer ich es hörte. Bis es mir heute endlich einfiel, als mein Hirnradio während kurzen Spazierens dieses spielte:

Da ist es, ab 0:38. Erkennen Sie die Melodie?

Nicht nur die Länge männlicher Geschlechtsteile wird einschlägigen Witzen zufolge häufig von deren Trägern überschätzt. Betrachtet man die Menschen draußen, entsteht der Eindruck, auch ein Meter fünfzig sei viel weniger als bislang angenommen.

Sonntag: Wie ich der Sonntagszeitung entnehme, ist das Wort „Homeoffice“ keineswegs ein englischer Begriff, der das Arbeiten zu Hause bezeichnet. Vielmehr ist es Pseudoenglisch, wie „Handy“, also ein weiterer Beleg für unser Unvermögen oder fehlenden Willen, einen angemessenen deutschen Begriff für etwas zu Bezeichnendes uns auszudenken, als Weltgewandtheit verkleidete Faulheit. „Home Office“ gibt es im Englischen schon, es bedeutet Innenministerium. Wohl nur wenige denken morgens, wenn sie am Küchentisch den Rechner einschalten, an Horst Seehofer. Jedenfalls ist es niemandem zu wünschen. Auch kann es zu witzigen Irritationen führen, wenn man einem Engländer erklärt, man arbeite nun daheim.

Während des Sonntagsspaziergangs sah ich in Poppelsdorf dieses vergessene Plakat:

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Vielleicht lassen sie es auch bewusst hängen, als Erinnerung an eine vergangene Epoche.

Apropos vergangene Epoche: Noch was auf die Ohren gefällig? Die Rolling Stones haben was Neues, das spielen sie sogar auf Radio Nostalgie, wo sonst nur olle Kamellen zu hören sind. Gut, die Jüngsten sind die Herren ja auch nicht mehr.

Woche 16: Grün und Blüh

Montag: Immer noch Ostern. Erst gegen elf verließen wir das Schlafgemach, was nicht weiter schlimm war, da keine besonderen Aktivitäten anstanden und das Wetter gegenüber den letzten Tagen deutlich eingetrübt und abgekühlt war. Nach spätem Frühstück machte ich einen langen Spaziergang bis zur Siegmündung; den dortigen Auenwald mit hohen Pappeln und baumpilzbewachsenem Totholz empfinde ich nach wie vor als einen magischen Ort, vermutlich erwähnte ich das schon mal.

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Da das Wetter zwischenzeitlich wieder aufgeheitert war, zog es auch zahlreiche andere Menschen und ihre Hunde ins Grüne. Des Hundemögens weitgehend unverdächtig wurde ich von einem (natürlich unangeleinten) Exemplar angekläfft, das von seiner Besitzerin nur halbherzig zur Ordnung gerufen wurde, was meiner ohnehin geringen Sympathie für Hunde und Halter wenig förderlich war.

Gehört: „An welchem Fluss liegt nochmal Flensburg?“ – „An der Flönz.“ Worüber wohl nur Rheinländer lachen können.

Dienstag: Da heute kein Draußenwetter war, verbrachte ich längere Zeit auf meinem Lieblingsplatz im Glaserker über der Straße, wo man auch ohne zu frieren in der Sonne sitzen kann, wenn sie sich zeigt.

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Vielleicht können Sie sich mich in dem Stuhl sitzend denken, sehen können Sie mich dort nicht, da ich ja gerade das Foto mache. Nur die Quantenphysik kennt Teilchen, die sich gleichzeitig an verschiedenen Orten befinden, soweit ich das verstanden habe, in diesem Fall auf dem Stuhl und hinter der Kamera, sicher ist das jetzt stark vereinfacht dargestellt. Selbstverständlich hätte ich den Liebsten bitten können, mich in dem Stuhl zu fotografieren, doch wollte ich ihn nicht nur zum Zweck schnöder Selbstbespiegelung von seinem Lieblingsplatz, dem Sofa nebenan, treiben.

Ich las dort übrigens (nicht zum ersten Mal) das auf dem kleinen Tischchen liegende Buch „QQ“ von Max Goldt fertig, das mit einem wunderbaren Satz endet: „Immer schön ist es hingegen, wenn jemand endlich schweigt.“ In diesem Sinne schließe ich für heute.

Mittwoch: Zur Unzeit aufgestanden, jedenfalls für Urlaubsverhältnisse, weil ich um acht einen Zahnarzttermin hatte, nichts Schlimmes, die übliche regelmäßige Untersuchung des Esszimmers mit Reinigung. Den hatte ich schon vor Monaten vereinbart, als weder der Urlaub noch die Krise geplant waren. Es wäre ein Leichtes gewesen, den Termin zu verschieben, aber warum. Er brachte ein wenig Normalität in diese Zeiten, eine Redewendung, die mittlerweile unter vergleichbarer Abgedroschenheit leidet wie der allgegenwärtige Imperativ „Bleiben Sie gesund“.

Laut Zeitungsbericht sollen in den Formularen zur Steuererklärung künftig die Bezeichnungen „Ehemann“ und „Ehefrau“ durch „Person A“ und „Person B“ ersetzt werden, um auch gleichgeschlechtliche Paare genderkorrekt erfassen zu können. Dazu zürnt der FDP-Politiker Markus Herbrand: „Trotz des langen und in vielen Punkten erfolgreichen Weges zur Gleichberechtigung bestehen nach wie vor noch Ungerechtigkeiten bei der steuerlichen Gleichbehandlung. Es ist mir schleierhaft, warum die Bundesregierung so lange braucht, um längst überfällige Anpassungen diskriminierungsfreier Steuerformulare vorzunehmen“. Lieber Herr Herbrand, nun beruhigen Sie sich mal und lassen Sie das Finanzamt im Dorf, die Bundesregierung hat sich gerade um ein paar wichtigere Dinge zu kümmern. Mir ist das im Übrigen vollkommen wurscht, wie mich die Finanzverwaltung in ihren Formularen anredet, immer noch besser als von Ikea und anderen unerlaubt geduzt zu werden. Hauptsache ist doch, die Kohle kommt irgendwann.

Donnerstag: Morgens noch im Bett als erstes einen Friseurtermin für den 5. Mai reserviert. Ich bin gespannt, ob es diesmal klappt. Und wie ich bis dahin frisurtechnisch aussehe.

Nach dem Frühstück machten der Liebste und ich eine Autotour ins Ahrtal zum Weinerwerb. Dort war es schön wie immer: frühlingsgrüne Bäume, noch kahle Weinreben. Und doch mit all den geschlossenen Ausflugslokalen und Gaststätten ganz anders als sonst.

Auf dem Hinweg wurde im Radio darüber debattiert, ob nun Markus Söder oder Armin Laschet in der aktuellen Diskussion die bessere Figur abgebe, als ob das von Relevanz wäre, zumal im Moment niemand weiß, ob mehr oder weniger Lockerung der richtige Weg ist. Ja, auch ich hätte mir gewünscht, dass die Restaurants wieder öffnen dürfen, vielleicht mit Auflagen und Einschränkungen, aber wer bin ich, das zu beurteilen.

Apropos Essen: „Ein Tag ohne Kartoffelsalat ist kulinarisch betrachtet ein verlorener Tag“, lässt uns die Radiowerbung wissen. Ich mag durchaus gerne Kartoffelsalat, gerne an Heiß- oder Weißwurst, Backfisch, Frikadelle, gegrilltem Schweinesteak oder Wiener Schnitzel. Aber doch bitte nicht jeden Tag.

Spontaner Beschluss: Morgen werde ich wandern, alleine, den Rheinsteig von Bonn bis Königswinter, wenn mich nicht vorher die Kraft oder Lust oder beides verlässt. Ich werde berichten.

Freitag: Wie gestern beschlossen, wanderte ich heute die erste Etappe des Rheinsteigs. Jetzt tun mir die Füße weh und ich habe Muskelkater, aber das ist es allemal wert, es war wunderbar und weckte Appetit auf Fortsetzung. Statt der veranschlagten sieben Stunden benötigte ich nur sechs ein Viertel, nicht weil ich so ein toller Schnellwanderer bin, sondern weil die Schleife über den Geisberg wegen Forstarbeiten gesperrt war und ich deshalb eine (kürzere) Umleitung gehen musste. Ein detaillierter Bericht folgt, wenn ich dazu komme. Dann gibts auch Bilder, für diese Woche haben Sie hier genug Grün und Blüh gesehen.

Samstag: Die Zeitung berichtet eine halbe Seite lang über große Empörung im Bonner Stadtteil Hardtberg, wo die Stadt neue Ortsein- bzw. -ausgangsschilder aufgestellt hat. „Abenteuerlich“, „fassungslos“, „total wütend“, „So ein Unsinn“, so die Bürger; „Falsch und gar nicht witzig“, so die Zeitung. Worum es genau geht, will ich hier gar nicht erläutern, es ist völlig belanglos. Was mich immer wieder erstaunt: Worüber sich Menschen (nicht nur in diesen Zeiten) aufregen, und, noch mehr, dass die Zeitung darüber so breit berichtet und sogar kommentiert. Vielleicht als Kontrastprogramm zur täglichen Krisenberichterstattung?

Ich habe übrigens angefangen, „Der Schwarm“ von Frank Schätzling noch einmal zu lesen. So weit ich mich erinnere, geht es auf knapp tausend Seiten darum, wie die Natur sich auf geheinnisvolle, unheimliche Weise gegen den Menschen zur Wehr setzt, nachdem er jahrzehntelang ihre Zerstörung betrieben hat. Diese Lektüre erscheint mit in diesen Zeiten recht passend.

Sonntag: Der Sonntagsspaziergang fiel heute sehr kurz aus. Ich wollte ihn mit einem Gang zur Sankt-Marien-Kirche in der Inneren Nordstadt verbinden, wo bislang ein Häuschen aufgestellt war, in das man Kleidung, Hausrat und anderes bringen konnte, was zu schade zum Wegwerfen ist und was andere vielleicht noch gebrauchen können. Dorthin wollte ich eine gut erhaltene Deckenleuchte und ein paar Aufbewahrungsbehältnisse bringen, die durch Restrukturierungsmaßnahmen in unserer Küchenzeile überflüssig geworden sind. Es blieb beim Wollen, denn das Häuschen ist leider weg, vielleicht auch wegen der Seuche, ich weiß es nicht. Da ich mit dem Zeug nicht stundenlang durch die Gegend laufen wollte und kein Mensch bin, der anderen ungefragt Hausrat in den Hauseingang stellt (wie vom Geliebten später vorgeschlagen), bin ich wieder direkt nach Hause gegangen. Auch nicht schlimm, so hatte ich mehr Zeit, mich mit meinem neuen MacBook Air anzufreunden. Ich glaube, das wird eine innige Freundschaft.

Woche 15: In Zeiten des Konjunktivs

Montag: Es gibt Menschen mit bemerkenswerten Namen. Am vergangenen Wochenende sah ich in der Zeitung ein Interview mit einer Dame namens Ebba Herfs-Röttgen. Ich gebe zu, das Interview nicht gelesen zu haben, auch sonst kenne ich die Befragte nicht und erlaube mir daher nicht das geringste Urteil über ihre Kompetenzen und Kenntnisse. Vermutlich ist sie auf ihrem Fachgebiet brillant und gegenüber hingehaltenen Mikrofonen zu eloquenten Ausführungen in der Lage. Gleichwohl unterstelle ich, allein aufgrund des Namens haben ihre Worte mehr Gewicht als die etwa einer Mechthild Müller, die ich ebenfalls nicht kenne, weshalb ich mich auch hier von einer Beurteilung ihrer Stärken und Schwächen fernhalte. Auch Orte mit außergewöhnlichen Namen gibt es, denken Sie an 56368 Katzenelnbogen, 63589 Linsengericht oder 5121 Fucking (Österreich). Gelegentlich liest man auch Straßennamen, die einen „Na sowas“ wenigstens denken, wenn nicht gar ausrufen lassen: Wie ich heute erfuhr, gibt es in Bochum eine Straße mit dem Namen „Fröhliche Morgensonne“. Fröhlich. In Bochum.

Auf dem Rückweg vom Werk sah ich einen ansehnlichen, sommerlich gekleideten jungen Mann mit einem großen Surfbrett unter dem Arm in Richtung Rhein gehen. Seitdem spielt mein Hirnradio ununterbrochen Beach Boys. Das ist immerhin besser als Max Giesinger, wenngleich auch der durchaus sehenswert ist.

Dienstag: Ein WDR 2-Hörer fragte ernsthaft, ob man durch viel Trinken eine Corona-Infektion vermeiden kann, was erwartungsgemäß verneint wurde. Wie kommen die Leute nur auf sowas? Andererseits schade, angesichts unseres gut gefüllten Weinkellers.

Nachdem eine Skype-Konferenz fehlgeschlagen war, schrieb der Einladende per Mail an alle Teilnehmer: „Ich komme nicht rein.“ Antwort Teilnehmer 1 an alle: „Ich auch nicht.“ Teilnehmer 2: „Ich auch nicht.“ Teilnehmer 3: „Ich auch nicht.“ [usw.] Teilnehmer 8 verschickte endlich einen neuen Link, so fanden wir doch noch zueinander. Nach wie vor bin ich der Meinung, die unüberlegte Nutzung der Allen-antworten-Funktion in Mailprogrammen sollte ernste arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Mittwoch: Mittags wurde ich im Rheinauenpark Zeuge einer erschreckenden Missachtung des derzeit geltenden Abstandsgebotes.

Nachmittags wurde mir die unzweifelhafte Ehre zuteil, als unbedeutender Werksknecht einer Skype-Konferenz mit Vorstand und Bereichsleitern beizuwohnen. Dabei hatte es vermutlich nur technische Gründe, dass des Vorstandes Stimme als einzige mit leichtem Hall hinterlegt war, welcher gleichwohl eine gewisse göttliche Anmutung eindrucksvoll unterstrich.

Donnerstag: Die Zeitung lobt einen unbekannten Trompeter, der allabendlich die Nachbarschaft mit seinem Spiel erfreut. Ich bin es nicht, vielmehr ist sicher: Hielte ich meine beulige Tröte schallungedämpft aus dem Fenster, um Etüden in die Siedlung zu blasen, fiele das Lob deutlich schmalspuriger aus.

Freitag: Über den Karfreitag ist alles Wesentliche geschrieben, gemeint und gemalt. Zudem dürfte sich in diesem Jahr die allgemeine Empörung über kirchliche Vergnügungsverbote in Grenzen halten.

Die Tagesschau kommt nun aus dem Heimstudio.

Samstag: Grundsätzlich halte ich das Wort „eigentlich“ für überflüssig, aber in diesen vom Konjunktiv beherrschten Zeiten ist vieles anders. So wären wir ab heute eigentlich für eine Woche in Südfrankreich. Sind wir aber nicht. Schade. Mir bleibt somit nur, Trost in Bildern früherer Aufenthalte suchen, was auch unter Zuhilfenahme eines guten Côte-du-Rhone nur mit Mühe gelingt.

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Anknüpfend an den Eintrag vom Montag komme ich noch einmal auf bemerkenswerte Namen zurück. Für die heute-Nachrichten wurden Leute auf der Straße befragt, wie sie mit den Kontaktbeschränkungen zu Ostern (heißt das nun „Shutdown“ oder „Lockdown“?) zurecht kämen, womöglich mussten sie sich dazu gar die überaus dämliche Frage „Was macht das mit Ihnen?“ stellen lassen, ich weiß es nicht, da jeweils nur die Antworten gesendet wurden. Eine der Befragten, eine Dame reiferen Alters, erklärte sich unfroh darüber, während der Feiertage die Kinder und Enkel nicht sehen zu können; laut Einblendung hieß sie Undine Uhrig-Steckeweh, welch toller Name! Vermutlich dauerte sein korrektes Aufschreiben in den Notizblock des Reportes wegen mehrmalig erforderlicher Rückfragen („Wie die Uhr? – Mit h? – Schauen Sie mal: so richtig geschrieben?“ und so weiter) länger als die Befragung selbst.

Sonntag: Nun also Balkon statt Provence, was nur geringen Anlass zum Jammern und Bedauern bietet, immerhin habe ich meine Lieblingsmenschen um mich („Ich schlag dich tot“, sagt der Geliebte aus hier nicht näher zu erörternden Gründen), und der Himmel über Bonn ist fast so blau wie über Malaucène.

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Hier wie dort genieße ich es, die Zeit lesend im Liegestuhl zu verbringen, zum Beispiel in einem Zeitungsartikel über Gelassenheit in Krisen folgenden, dem Philosophen Seneca zugeschriebenen Satz: „Die Balance zwischen Muße und Aktion, gepaart mit frischer Luft und mäßigem Weingenuss, wirken Wunder.“ So gesehen mache ich wohl einiges richtig, jedenfalls bei zurückhaltender Interpretation von „Aktion“ und großzügiger Auslegung des Begriffes „mäßig“.

Nun also eine Woche Urlaub zu Hause. Ich bin mir sicher, es wird nicht langweilig. Und wenn mir gar nichts mehr einfällt, recherchiere ich den Unterschied zwischen „Shutdown“ und „Lockdown“.

Frohe Ostern!

 

 

Woche 14: Hinweise aus Friedenszeiten und funktionslose Damen am Bühnenrand

Montag: Nach zehn Jahren des Zwitscherns überdrüssig löschte ich vor gut einem Jahr mein Twitterkonto @PlanC_. Eher zufällig bemerkte ich nun, dass es unter einem neuen Betreiber wiedereröffnet wurde. Es kommt mir spanisch vor.

Zu meinen beruflichen Obliegenheiten gehört es, Verbesserungsvorschläge aus dem betrieblichen Vorschlagswesen zu begutachten. Heute musste ich wieder einen Vorschlag ablehnen, wobei ich versichere, der Name der Verfasserin war dafür nicht ausschlaggebend. Sie hieß P. Unfug.

Dienstag: „Nach 31 Jahren schafft die EU die Milchstraße ab“, lese ich in der Zeitung. Bei nochmaligem Lesen ging es doch nur um die Milchquote.

Kein Lesefehler: Zum ersten Mal lese ich „HomeOffice“, in dieser verunglückten Marketing-Schreibweise ohne Bindestrich oder wenigstens Leerzeichen. (Bindestriche erwarte ich ohnehin schon lange nicht mehr.) Irgendwann musste das ja kommen.

Nicht gelesen, sondern gehört: „Du vergleichst Äpfel mit Birnen.“ – „Obst ist Obst!“

Mittwoch: Aus einem Zeitungsbericht über den bekannten Virologen Christian Drosten, der mittlerweile den Medien mit wachsender Skepsis begegnet: „… und schließlich ist Drosten auch noch Direktor des Instituts für Virologie an der Berliner Charité. Von 2007 bis 2017 war er in gleicher Funktion auf dem Bonner Venusberg unterwegs.“ Wer hätte da kein Verständnis für seine Skepsis.

Zahlreiche Medienberichte enthalten heute übrigens den Hinweis „kein Aprilscherz“.

Donnerstag: Dieses Mal hat mich die Sommerzeit heftig getroffen: Morgens komme ich schlecht aus dem Bett, gegen 14 Uhr falle ich müde in ein tiefes Lustloch und spätestens um 20 Uhr fallen mir die Augen zu. Dabei habe ich noch die Worte eines gewissen Herrn Junker im Ohr, der da (ver)sprach: „Die Leute wollen das, und wir machen das“, gemeint war die Abschaffung der Zeitumstellung. Ob ich das noch vor meinem Ruhestand erleben werde?

Oder geregelte Arbeitstage mit mittäglichem Kantinenbesuch? Stattdessen aßen wir mit wenigen im Werk verbliebenen Kollegen zu Mittag auf dem immerhin sonnigen Bürobalkon, selbstverständlich im Stehen und unter Wahrung der gebotenen Abstände. Bei mir gabs mitgebrachte Bütterchen und Apfel, ein Kollege hatte sich überteuerte Maultaschen von einem fliegenden Händler geholt.

„Maultaschen gehen immer“, las ich auf einem Werbeplakat, als ich am späten Nachmittag kühlem Wind entgegen velocipedierte. Liebe Marketing-Kasper (oder, wenn euch das lieber ist: MarketingKasper), ich weiß nicht, wie ihr zu diesem Axiom gefunden habt, mir hingegen fielen, wenn ich mich ein wenig bemühte, zahlreiche Situationen ein, in denen Maultaschen gar nicht gehen. Hier eine kleine spontane Auswahl: beim Trompetensolo, in öffentlichen Verkehrsmitteln, während Besprechungen (soweit sie irgendwann nicht mehr nur auf telekommunikativem Wege erfolgen, sonst schon), im Theater, während einer Beerdigung (danach schon), beim Liebesspiel. Wobei, Liebesspiel, warum nicht …

Freitag: „Wir haben nur diesen einen Planeten“, sagt die Umweltministerin. Antwort des Universums: „Welch Glück.“

Noch einmal Marketing-Geschwätz: „Food ist unser Business“, las ich morgens auf dem Weg ins Werk an einem mich überholenden Lastwagen. Da verging mir sogleich der Appetit, nicht nur auf Maultaschen.

Der Sänger Bill Withers ist heute gestorben. Nicht, dass ich ein glühender Fan von ihm gewesen wäre, aber dieses Lied fand ich Ende der Achtziger aus hier nicht näher zu erörternden Gründen ziemlich gut:

(Durch die beiden zappelnden, ansonsten weitgehend funktionslosen Damen am linken Bühnenrand lassen Sie sich bitte nicht stören.)

Samstag: Heute Morgen gegen elf klang es aus der Stube: „Hey Siri, spiel Musik.“ – (Musik) – „Hey Siri, lauter.“ – (lautere Musik) – „Hey Siri, lauter.“ (noch lautere Musik) – „Hey Siri, noch lauter.“ – (ganz laute Musik. Das Telefon klingelt.) – „Hey Siri, leiser. – Hey Siri, leiser. – Hey Siri…“ Irgendwann drehe ich hier durch, und dieses Teil fliegt aus dem Fenster.

Irritierend: Während die Busse der Stadtwerke Bonn nur noch durch die hinteren Türen betreten und verlassen werden dürfen, um die Fahrer vor menschlichen Kontakten zu schützen, befinden sich an den hinteren Türen der Busse der Rhein-Sieg-Verkehrsgesellschaft nach wie vor die Hinweise aus Friedenszeiten, zum Einstieg ausschließlich die vordere Tür zu nutzen. Sind die Fahrer im Rhein-Sieg-Kreis resistenter?

Aus besseren Zeiten offenbar auch das folgende Bild in einer Werbeanzeige:

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Man darf die an der Pommesbude erstandene Currywurst noch an Ort und Stelle verputzen und muss keine Abstände zu anderen Personen halten. Dabei wäre der junge Sparkassenangestellte Gerrit W. (Mitte) wohl gerade froh über etwas Distanz: Der erste warme Tag des Jahres, soeben hat er seine Mittagspause begonnen, als dieser Typ mit der gelben Jacke, der ihn schon seit Tagen wegen seiner Aktionfonds nervt, auftaucht und ihn sogleich finanzthematisch vollquatscht, weshalb W. das Plakatgrinsen nur so halbwegs gelingt. Ich fühle mit ihm.

Auch Herr B ist müde.

Sonntag: Alle Jahre wieder … Für alle, die es sich in diesem Jahr aus gegebenem Anlass nicht persönlich anschauen können:

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Im Übrigen ein schöner Beweis, dass die Phrase „Danach wird nichts mehr sein wie es war“ Unfug ist.