Die Achtziger – Stürme der Jugend

Hier der zweite Teil meiner persönlichen Rückschau auf die Jahrzehnte. Nach den Siebzigern folgen die

Achtzigerjahre

Auch in den Achtzigern, vor allem der ersten Hälfte, galten wesentliche Teile meines Interesses der Eisenbahn. Die Bahnstrecke am Haus meiner Großeltern wurde bereits 1980 stillgelegt, wenig später die Gleise zwischen Göttingen und Dransfeld abgebaut. Aber es gab noch genug andere Strecken, nicht weit von meinem Elternhaus die Nebenbahn von Bielefeld nach Lemgo, der nun meine Aufmerksamkeit galt. Mein Freund U., genauso bahnverrückt, und ich lernten den Bundesbahner S. kennen, der im nahen Bahnhof Hillegossen als Fahrdienstleiter Dienst tat. Mit der Zeit freundeten wir uns mit ihm an, wir verbrachten oft ganze Nachmittage dort, duften in den Dienstraum, der dem niedrigen Bahnhofsgebäude vorgebaut war, was Bahnfremden normalerweise nicht gestattet war. Mehr als einmal erhielt S. deswegen einen Rüffel seines Chefs, wenn der aus Bielefeld zur regelmäßigen Dienstkontrolle erschien und wir nicht mehr rechtzeitig den Raum verlassen konnten.

Bahnhof Hillegossen, Blickrichtung Bielefeld

Wir durften sogar über die großen Hebel die Weichen und Signale bedienen, was für S. vermutlich ein Disziplinarverfahren nach sich gezogen hätte, wenn der Chef es mitbekommen hätte. Viel passieren konnte dabei nicht, durch uns wären wohl keine Züge entgleist oder zusammengestoßen, die alte Sicherungstechnik war sehr zu zuverlässig, außerdem achtete er darauf, dass wir alles richtig machten.

U. und ich bereisten viele Bahnstrecken, die von Bielefeld ausgehenden Nebenbahnen nach Lemgo, Osnabrück, Paderborn und Münster, aber auch Strecken weiter weg, vor allem wenn sie kurz vor der Stilllegung standen, einige auch am letzten Betriebstag vor der Betriebseinstellung; die Deutsche Bundesbahn legte in den Achtzigern sehr viele Strecken still. In den Sommerferien kauften wir uns ein Tramper-Monatsticket, mit dem man einen Monat lang innerhalb Deutschlands beliebig viel und weit mit der Bahn fahren konnte. Dabei bereisten wir so manche Strecke, die heute längst von der Karte verschwunden ist und deren Trasse allenfalls noch mit dem Fahrrad befahren werden kann.

Auch die Modelleisenbahn blieb eine meiner liebsten Beschäftigungen: In unserem Garten wuchs die L.G.B.-Bahn mit jedem Meter Gleis, den ich von meinem Taschengeld kaufen konnte, bis sie den Garten ganz umrundete, auch die Zahl der Loks und Wagen wuchs mit jedem Geburtstag und Weihnachten. Als mir mein Patenonkel zur Konfirmation den ersehnten Schienenbus schenkte, war alles andere um mich herum vergessen. Auf unserem Dachboden baute ich an einer großen HO-Bahn, die nach Fahrplan und Fahrdienstvorschrift der Bundesbahn fuhr, so wie wir es in Hillegossen gelernt hatten. Während des Bastelns lief im Radio auf WDR 2 die Sendung „Unterhaltung am Wochenende“, deren Höhepunkt stets die „Kleine Dachkammermusik“ von und mit Hermann Hoffmann war, der sämtliche Rollen – er selbst, seine Frau, Otto de Fries, Pankratius Schräuble, Herr Schlotterbeck und einige andere – sprach.

Schließlich wurde ich Mitglied im Verein Dampf-Kleinbahn Mühlenstroth, der bei Gütersloh eine schmalspurige Museumseisenbahn mit richtigen Dampfloks betrieb (und heute noch betreibt). Dort verbrachte ich jahrelang die meisten Wochenenden, arbeitete mich hoch vom Schaffner bis zum Lokführer. Selten war ich mehr mit Stolz erfüllt als an dem Tag, an dem ich zum ersten Mal eigenverantwortlich eine Dampflok fahren durfte, auch wenn die Dampfkleinbahn nicht viel mehr war als ein großer Schienenkreis um eine Gaststätte, vergleichbar meiner L.G.B.-Bahn, nur im Maßstab 1 : 1.

Der stolze Junglokführer auf seinem Stahlross

Bei aller Bahnbegeisterung entging mir nicht, dass es auch außerhalb des Schienenkreises Interessantes zu erleben und entdecken gab, zum Beispiel im körperlich-zwischenmenschlichen Sektor. So brach langsam die Stimme um eine Oktave nach unten, wie bei den anderen Jungs auch, außer dem bedauernswerten J., der bis zum Abitur kindlich piepste.

Zudem begannen an diversen Stellen Haare zu wachsen, zunächst nur spärlich und im Vergleich zu manchem Mitschüler spät, wie eigene Recherchen in Form diskreter Seitenblicke in der Umkleide vor und nach dem Sport und Schwimmunterricht ergaben. Ich hasste den Schulsport mit zunehmendem Alter immer mehr, vor allem Mannschaftssportarten, insbesondere dann, wenn zur Unterscheidung meine Mannschaft mit freiem Oberkörper spielte. Wiesen andere Jungs bereits beachtliche Muskeln und breite Schultern auf, blieb bei mir zunächst alles schmal und mager. Im zwölften Schuljahr lag die Sportstunde gar im Nachmittag, das hieß, nur für Volley- oder Basketball musste ich nachmittags nochmal los. Absurderweise konnte man – im Gegensatz zu Mathe, Deutsch und Englisch – Sport erst nach dem ersten Halbjahr des dreizehnten Schuljahres abwählen. Zu meiner letzten Sportstunde brachte ich Sekt mit und überreichte dem Sportlehrer, der eigentlich ganz in Ordnung war, einen selbstgeschriebenen Antisporttext:

(Entstanden 1986)

Als ich an dem Tag die Sporthalle verließ, schwor ich mir, nie wieder freiwillig eine zu betreten. (Erst Ende der Neunziger begann ich wieder freiwillig mit Sport, Laufen. Ohne Bälle und Sieg, dafür im Sommer manchmal mit freiem Oberkörper.)

Auch in meinem Gesicht wuchsen zunehmend Haare, die irgendwann so zottig abstanden, dass regelmäßige Rasuren unvermeidbar wurden. Nur den Flaum über der Oberlippe verschonte ich aus unerfindlichen Gründen lange Zeit. Wenn schon keine Bizeps, dann wenigstens einen Bart.

Erstmals entwickelte ich so etwas wie Eitelkeit, jedenfalls meine Frisur betreffend. Bis ungefähr sechzehn war sie mir egal, ich ließ es wachsen, und wenn ich mal zum Friseur ging, sagte ich „nicht so kurz“. So ging es nicht weiter: Ich ließ die Haare kürzer schneiden und versuchte, sie in eine Form zu bringen, wie ich es bei anderen bewunderte, leider zumeist ohne Erfolg, da sie aufgrund einer natürlichen Welle einen schwer zu brechenden eigenen Willen aufwiesen. Auch diverse Produkte wie Gel und Brisk führten nur selten zum gewünschten Ergebnis. Erste sehr viel später wuchs sich dieses Problem aus.

Vorher
Nachher

Ein weiteres körperliches Dauerhadern galt meinen Füßen, die aufgrund familiärer Vererbung sehr krumm und hässlich geraten waren, daher zeigte ich sie höchst ungern öffentlich, etwa in Schwimmbädern. Dass mein Bruder und die meisten Cousins und Cousinen ähnlich ausgestattet waren, tröstete mich nicht, wenn ich auf die makellosen Laufwerke meiner Mitschüler schaute. Zudem rochen sie sehr streng, was wohl daran lag, dass auch in den Achtzigern das tägliche Brausebad in unserem Haushalt noch unüblich war.

Weitere Möglichkeiten, die der eigene Körper bietet, kannte ich zunächst nur aus den begeisterten Berichten von Mitschüler F., mit dem ich kurz zuvor noch Fallgruben im Sandkasten gegraben hatte, und es dauerte noch etwas, bis auch ich selbst verstand, was er meinte. Er hatte nicht zu viel versprochen. Den erhöhten Verbrauch an Papiertaschentüchern versuchte ich so gut es ging vor den Eltern zu verbergen, ich weiß nicht, inwieweit es gelang.

Ab und zu kam es zu gegenseitigen Fummeleien mit anderen Jungs, was laut den Lebensberatungsseiten diverser Zeitschriften (Oma las die Freizeit-, Papa die Neue Revue; zur BRAVO hatte ich nur selten Zugang) in dem Alter ganz normal war und nichts zu bedeuten hatte bezüglich eventueller Präferenzen.

Auch das Verhältnis zum anderen Geschlecht hatte sich seit der Grundschulzeit gewandelt. Mehrere Jungs (einschließlich F.) hatten auf einmal eine Freundin, und auf den Feten tanzten sie mit den Mädchen, wenige Jahre zuvor noch gleichsam andere Wesen, Klammerblues zu El Lute von Boney M. Auch in mir erwachte gewisses Interesse, vielleicht nur halbherzig, mindestens die andere Hälfte schlug immer noch für die Bahn, und das war nicht gerade etwas, womit man zarte Bande knüpfen konnte, nahm ich an. Außerdem, welches Mädchen wollte schon mit so einem mageren Hänfling wie mir etwas anfangen. Es gab durchaus ein paar Mädchen, derer näherer Bekanntschaft ich nicht abgeneigt gewesen wäre – A., die Tochter des Pfarrers unserer Gemeinde, später S. von meiner Schule und ein paar andere, auch wenn ich im Ernstfall nicht gewusst hätte, wie ich Bahn und Beziehung hätte vereinbaren können.

Daher trank ich auf den Feten lieber Alkohol, und das nicht zu knapp. Ab der Oberstufe feierte an fast jedem Wochenende irgendwer, ein wesentlicher Inhalt dieser Feten war es, möglichst viel Bier, Apfelkorn und andere fruchthaltige Spirituosen aus dem Hause Berentzen zu verzehren. Oder wir trafen uns zu viert bei R., der schon eine eigene Wohnung im Haus seiner Eltern hatte, wo wir uns mit Fünfliter-Partyfässern und Sekt die Zeit vertrieben. Mehr als einmal konnte ich mich am nächsten Tag nicht mehr an alle Details erinnern, vor allem wie ich nach Hause gekommen bin, während ich mich im Halbstundentakt bis in den Nachmittag hinein erbrach. „Geysirtag“ nannte ich diese Tage, an denen ich mir fest vornahm, künftig weniger zu trinken. Bis zum nächsten Wochenende. Gerne waren wir auch zu Gast beim Griechen kurz vor Oldentrup, wo wir fast in die Familie integriert waren und wo es selten bei nur einem Bier und einem Ouzo blieb.

Mit siebzehn begann ich mit dem Rauchen. Allerdings nicht Zigaretten, sondern Zigarillos. Das erschien mir zum einen etwas extravaganter, zum anderen glaubte ich, da man sie nicht inhalierte, wären sie weniger gesundheitsschädlich. (Erst mit vierzig stieg ich auf Zigaretten um, dazu kommen wir in den Zweitausendern.) In den Achtzigern war es selbstverständlich, auch in Gaststätten und Restaurants zu rauchen, wobei meine Zigarillos die Luft erheblich verpesteten.

Ein eher dunkles Kapitel war die Tanzschule, zu der ich von meinen Eltern gedrängt wurde, weil fast alle Freunde auch dorthin gingen. Jeden Samstag. Ich hasste es aus tiefstem Herzen, hatte weder Lust, ein Mädchen zum Tanzen auffordern, noch konnte und wollte ich die zu erlernenden Tanzschritte und Bewegungsabfolgen verinnerlichen. Das muss ziemlich komisch ausgesehen haben. Nach dem Grundkurs war damit Schluss für mich, die Freunde machten noch weiter. Am Abend des Abschlussballs beschloss ich, nie wieder eine Tanzschule zu betreten, wenige Wochen später trat ich dem Dampfkleinbahnverein bei, der mich fortan samstags gut beschäftigte.

Und dann war da noch dieser gewisse Punkt, der immer wieder aufleuchtete, anfangs nur schwach. Etwas heller strahlte er, wenn ich in der Schule P. sah, zwei Jahrgangsstufen unter mir, von dem etwas ausging, das mich in seltsamer Weise faszinierte und nicht sein konnte, nicht sein durfte. Auch nachmittags nach der Schule, am Wochenende und in den Ferien ging er mir nicht aus dem Kopf. Was mochte er jetzt gerade tun? Hatte er eine Freundin? Welch unschöner Gedanke. Ich erhöhte meine Aktivität bei der Dampfkleinbahn.

Erst Jahre später, 1989, kam ich zu der Erkenntnis, dass meine Beziehung zum anderen Geschlecht allenfalls auf freundschaftlicher Basis fußen konnte, was weder Eltern noch Kollegen erfahren durften, am wenigsten mein Vater. Und noch viel später hatte ich zum ersten Mal einen Freund, das erzähle ich Ihnen in den Neunzigern.

Ich begann, regelmäßig Tagebuch zu schreiben, bis heute. Zur Vermeidung unerwünschter Mitleser brachte ich mir selbst die deutsche Schreib- oder Sütterlinschrift bei, mit Hilfe des Mathebuchs. Es gab dort im Kapitel Vektorrechnung eine Gegenüberstellung aller Buchstaben in deutscher und arabischer Schreibweise, weil Vektoren mit deutschen Buchstaben bezeichnet werden. Schon damals hatte ich keine Ahnung, wozu man Vektorrechnung braucht, aber das galt ja für das meiste, was man auf dem Gymnasium lernen musste.

Neben dem Tagebuch schrieb ich auch andere kürzere Texte, siehe oben den Sporttext, inspiriert durch die Lektüre von Ephraim Kishon. Zunächst schrieb ich sie mit der Hand vor, dann tippte ich sie mit der Schreibmaschine ab. Da es noch kein Internet und Blog gab, machte ich damit nichts weiter und gab die Schreiberei bald wieder für längere Zeit auf.

Auch in modischer Hinsicht vollzog ich Mitte der Achtziger einen Wandel: Statt Jeans nur noch Baumwollhosen mit Bundfalte, bevorzugt in schwarz oder grau, dazu überwiegend schwarze Jacken und weiße Turnschuhe. Später wurde die Oberbekleidung zeittypisch bunter: Die Fernsehserie „Miami Vice“ inspirierte uns, nun Jacket mit Schulterpolstern zu tragen, gerne auch in bunt kariert. Erst viel später kaufte ich mir erstmals wieder Jeans.

Mit siebzehn begann ich, das Führen eines Kraftfahrzeuges zu erlernen. Dabei legte ich kein großes Geschick an den Tag, auf dem Fahrersitz fühlte ich mich nicht besonders wohl, woran sich bis heute nicht viel geändert hat. Die Nachricht vom Tod meines ersten Fahrlehrers kam überraschend, wobei ich jeden mittelbaren oder unmittelbaren Zusammenhang mit meiner Fahrstunde, die wenige Stunden vor seinem Ableben stattgefunden hatte, ausschließe. Immerhin bestand ich die Führerscheinprüfung auf Anhieb, konnte mich jedoch nicht erinnern, jemals zuvor derart nervös gewesen zu sein wie am Tag der praktischen Prüfung. Und derart erleichtert, als mir der freundliche Herr vom TÜV den grauen Führerschein aushändigte, damals zurecht als „Lappen“ bezeichnet.

Führerscheinfoto

Die erste Praxis erfuhr ich mit dem Auto meiner Eltern, einem roten VW-Derby, der mit seinen sechzig PS ganz gut beschleunigte. Es dauerte einige Zeit, bis ich ihn alleine ohne väter- oder brüderliche Begleitung fahren durfte, von da an fuhr ich ihn sogar recht gerne. Ich mochte den Wagen sehr und es tat mir leid, als wir uns Jahre später trennten, weil er erheblich in die Jahre gekommen war und sein Motor nur noch widerwillig ansprang.

Mein roter Blitz

Nach dem Abitur, das ich ohne größere Anstrengung einigermaßen hinbekam, fiel ich in ein soziales Loch: Die Wege trennten sich, viele meiner Mitschüler und Freunde gingen zur Bundeswehr (die mir aufgrund glücklicher Umstände erspart blieb), machten Zivildienst oder verließen Bielefeld zum Studium oder zur Berufsausbildung. Und ich sah P. nicht mehr täglich, schlimmer: gar nicht mehr. Ab und zu, immer seltener gab noch mal einer eine Fete, wo man sich sah, aber das war nicht mehr dasselbe wie früher, weil die meisten über ihre Bundeswehrerlebnisse berichteten.

Im September nach dem Abitur begann ich die Ausbildung bei der Post. Mein Berufswunsch aufgrund eines schon frühen Sicherheitsbestrebens war Beamter, daher hatte ich mich zuvor bei mehreren Behörden beworben. Mein Wunsch-Arbeitgeber, die Bundesbahn, war leider nicht an einer Zusammenarbeit interessiert, daher freute ich mich sehr über die Zusage des anderen Staatsunternehmens, wenn auch zunächst nur in der mittleren Beamtenlaufbahn, durch mein Abitur hätte ich eigentlich Zugang zum gehobenen Dienst gehabt. Aber egal – ich fühlte mich bei der Post gut aufgehoben und identifizierte mich sehr mit dem Unternehmen: Die Dienstkleidung mit dem gelben Horn auf dem Ärmel trug ich gerne, und wenn ich irgendwo im kleinsten Dorf das gelbe, rot umrandete Behördenschild mit dem Bundesadler und dem Wort POST darunter sah, erfüllte es mich mit gewissem Stolz. Daran änderte sich nach bestandener Laufbahnprüfung nichts, trotz recht kargem Gehalt blieb ich Postler mit Leib und Seele.

Nicht nur in meiner kleinen, auch in der großen Welt fanden die Achtziger statt:

Helmut Kohl wurde Bundeskanzler und blieb es für sehr lange Zeit. So bestimmte er nicht nur die Richtlinien der Politik, sondern nahm im Laufe der Jahre an Körpervolumen erheblich zu, was ihm den despektierlichen Beinamen „Birne“ einbrachte. Auch sonst versorgte er viele Kabarettisten zuverlässig mit Material für ihre Bühnenprogramme.

Ende April 1986 explodierte in Tschernobyl ein Atomreaktor. Mit Wind und Wolken erreichte die Katastrophe bald auch uns: Vor dem Verzehr von Wild und Pilzen wurde abgeraten, und sobald ein paar Regentropfen fielen, suchten wir schnell einen Unterstand als Schutz vor der Gefahr, die wir weder sehen noch riechen konnten.

Atomare Gefahr drohte auch in Form von Raketen und Bomben, mit denen sich USA und UdSSR gegenseitig ihre militärische Stärke versicherten, die allgemeine Angst vor dem alles auslöschenden Atomkrieg wuchs. Zur gleichen Zeit starben durch sauren Regen aufgrund zunehmender Umweltverschmutzung immer mehr Bäume, das Wort „Waldsterben“ wurde zu einem der großen Themen der Zeit. Hieraus entstand eine breite Friedens- und Umweltbewegung mit zum Teil skurrilen Erscheinungsformen. Auch in meinem Freundes- und Bekanntenkreis kleideten sich Männer plötzlich in farbigen Latzhosen und ließen sich Haare und Bärte lang wachsen. Und die Partei „Die Grünen“ zog in den Bundestag ein.

Kurz vor Ende der Achtziger lösten sich die DDR und der Ostblock auf, im November 1989 fiel die Berliner Mauer und kurz darauf die innerdeutsche Grenze. Noch heute bekomme ich feuchte Augen, wenn ich die Fernsehbilder vom Abend der Maueröffnung sehe, die unfassbare Freude in den Gesichtern der Menschen, die von einem Tag auf den anderen frei waren und reisen durften, wann und wohin sie wollten. Dass diese Wende nicht nur die von Helmut Kohl in Aussicht gestellten „blühenden Landschaften“, sondern auch zahlreiche Verlierer vor allem im Osten mit sich brachte, wurde erst später deutlich.

Ein Rückblick auf die Achtziger erfordert zwingend eine Betrachtung der damaligen Musik, von der Neuen Deutschen Welle bis Modern Talking. Zahlreiche Musikkassetten wurden gefüllt während verschiedener Hitparaden im Radio, immer mit der Hand am Aufnahmeknopf des Kassettenrekorders, bis der blöde Moderator ins Lied reinquatschte. Hier eine unvollständige Aufzählung der für mich bedeutendsten Interpreten, deren Musik ich heute noch gerne höre: Electric Light Orchestra, Pet Shop Boys, Nik Kershaw, Tears For Fears, Wham, Madonna, Duran Duran, A-ha, Traveling Wilburys.

Weiterhin ein kurzer Rückblick auf das Fernsehprogramm: Neben dem schon erwähnten Miami Vice schauten wir Dallas, Falcon Crest, Denver Clan, Der Fahnder (meine erste Begegnung mit Altoids-Pfefferminzbonbons), Alf, und Formel Eins, wo erstmals Musikvideos zu sehen waren.

Zum Schluss sei noch ein Gegenstand besungen, der wohl wie kaum etwas anderes als Symbol für die Achtziger steht: Rubiks Cube, der Zauberwürfel. Jeder musste ihn haben, deshalb war das Original bald ausverkauft. Für manchen war er eher ein Zauderwürfel, weil er ohne Anleitung kaum zu ordnen war, ohne ihn zu zerlegen und nach Farben wieder zusammenzusetzen. Nachdem der SPIEGEL eine Anleitung veröffentlicht hatte, konnte auch ich ihn lösen, bald auch ohne Anleitung. Ob ich das heute auch noch kann, muss ich mal ausprobieren, er liegt noch hinter mir im Regal.

Woche 25/2022: Perfekter Service, unaufgeregter Regen und haarige Männerbeine

Montag: Der erste Tag der zweiten Urlaubswoche begann mit einem guten Frühstück. Wir sind in Beaune (Burgund) in einem sehr guten Hotel. Zu loben ist (neben den ausreichend dimensionierten Saftgläsern) die Frühstückszeit bis elf Uhr; vergangene Woche auf dem Schiff mussten wir bis neun am Platz sein, was täglich ein unurlaubshaftes Frühaufstehen erforderte. Daran gewöhnt, war ich auch heute bereits um sieben wach und hätte erforderlichenfalls aufstehen können. Mangels Erfordernis blieb ich liegen, schlief nochmal ein und träumte, ich führte ein Privatgespräch mit Angela Merkel. Sie war sehr sympathisch, wir verstanden uns bestens. Keine Sorge, es geht mir gut.

Nach dem Frühstück fuhren wir durch die Umgebung. Es ist immer noch heiß, wenngleich etwas weniger als die Tage zuvor.

Das Burgund ist bekannt für seinen Drogenanbau im höheren Preissegment.
La Rochepot
Chagny

Während der Fahrens sahen wir immer wieder regionaltypisch helle Rinder, die augenscheinlich zufrieden grasten oder sich im Schatten der Bäume niedergelassen hatten. Eigentlich hat es so ein Rind gut: Es sorgt sich nicht um morgen, Klima, Krieg und Corona, was ziehe ich an, hat stets zu fressen, und zu gegebener Zeit wird es nach letaler Entnahme zu Rumpsteak, Kotelett und anderen Leckereien verarbeitet, wohingegen wir nach Ende der Laufzeit nutzlos vergraben oder verbrannt, bestenfalls kompostiert werden.

Dienstag: Der Tag begann trübe und deutlich kühler. Morgens regnete es leicht, was uns nicht davon abhielt, (als einzige) das Frühstück beschirmt auf der Hotelterrasse einzunehmen. Wenn man hier ein gekochtes Ei essen möchte, bereitet man es sich selbst zu. Dazu steht ein Behälter mit kochendem Wasser bereit. Das rohe Ei legt man in eine farbig markierte Haltevorrichtung, die an den Behälterrand gehängt wird, auf dass wallendes Wasser das Ei garend umspüle. Zur Kontrolle der Kochzeit dienen Sanduhren mit drei, vier und fünf Minuten Rieseldauer. Die von mir gewählten vier Minuten erwiesen sich als zu kurz, nach dem Köpfen war das Ei innen noch sehr flüssig. Morgen versuche ich sechs Minuten nach Armbanduhr, vielleicht auch sieben, ich habe ja Zeit.

Pünktlich zum Mittag, als wir zu einer weiteren Tour in die Umgebung aufbrachen, brachen auch die Wolken auf und die Hitze kehrte zurück. Daher sah ich bei der Einkehr am Nachmittag in Nuits-Saint-Georges zunächst davon ab, einen Rosé zu bestellen.

Sonnenbrillen sind albern.

Mittwoch: Das Frühstücksei war perfekt. Seine Zubereitung indes mysteriös: Wie geplant hängte ich es in den Behälter mit kochendem Wasser, um es sieben Minuten später herauszuholen. Irgendwann brachte mir die Bedienung unaufgefordert ein gekochtes Ei an den Tisch. Ob es das von mir zuvor eingehängte war, weiß ich nicht, und woher sie von meinem Siebenminuteneiwunsch wusste blieb ihr Geheimnis. Wie auch immer – so geht perfekter Service.

Vormittags verließen wir Beaune mit Ziel Arbois im Jura, wo der Liebste Unterkunft außerhalb des Ortes gebucht hat. Uns wurde eine Suite zugewiesen mit einem Sprudelbecken für zwei Personen im Schlafzimmer, von dem wir aus Gründen der Ressourcenschonung jedoch keinen Gebrauch machten.

Allee bei Chaussin, etwas nachbearbeitet

Bei Ankunft gab es ein Gewitter, das in angemessenem Abstand an uns vorbeizog, wohingegen es in der Gegend um Beaune ziemlich heftig gewütet haben muss.

Das Hotel am nächsten Tag, ohne Gewitter

Direkt unter unserem Balkon rauscht ein kleiner Wasserfall. Inwieweit er die Nachtruhe beeinträchtigt, wird sich zeigen. Zur Not haben wir noch die Ohrstöpsel vom Schiff.

Donnerstag: Ohrstöpsel waren nicht erforderlich. Das Zimmer ist nach außen gut schallisoliert.

Vormittags, als die Sonne noch nicht allzu sehr stach, machten wir einen Rundgang durch die örtlichen Fluren, vorbei an einem weiteren Wasserfall. Nachmittags unternahmen wir eine Ausfahrt in die Umgebung mit Weinkauf. Auch hier im Jura gibt es gute Weine, wobei manche durch ihre Sherry-Note zunächst gewöhnungsbedürftig sind.

Bei Les Planches-près-Abois

Auf dem Rückweg machten wir Halt in einem Supermarkt, um uns einen Überblick über das lokale Schaumweinangebot zu verschaffen. Während des Schauens räumte ein offenbar gut gelaunter Angestellter Weinflaschen von einer Palette in die Regale, dabei pfiff er „Désormais“ von Charles Aznavour und verschaffte mir so für den Rest des Tages einen durchaus angenehmen Ohrwurm.

Jetzt, da ich dieses notiere, sitze ich auf dem Balkon, unter mir rauscht der Hauswasserfall, aus Südwesten grollt das nächste Gewitter heran. So könnte ich Tage, Wochen verbringen: sitzen, schauen, lesen, etwas schreiben. Gerne auch ohne Gewitter.

Freitag: Morgens regnete es. Als wollte das Wetter uns den Abschied zur Abreise leichter machen. Wobei ich Regen ja grundsätzlich mag, in Maßen, versteht sich, nicht in verheerenden Sturzfluten. Dieser war guter Regen, unaufgeregt fiel er senkrecht zu Boden, ohne Böen, Hagel, Blitz und Donner. Beim Frühstück hätte ich gerne noch länger zugeschaut, wie vor dem Fenster dicke Tropfen im Gewässer unterhalb des kleinen Wasserfalls Blasen schlugen. Aber wir mussten los, wenn es am schönsten ist, Sie wissen schon.

Unaufgeregter Regen

Der Regen blieb während der Fahrt ständiger Begleiter, mal als graue Front in der Ferne, mal waren wir mittendrin und zuckelten aus Sicherheitsgründen langsam hinter Lastwagen her, warum nicht, wir hatten es nicht eilig. Die Welt wäre wohl friedlicher, nähmen wir Menschen es gelassener hin, dass Dinge so lange dauern, wie sie eben dauern.

Aufgeregter Regen

Dann meldete das Auto auch noch Öldurst, der an der nächsten Raststätte gestillt wurde.

Samstag: Zu Hause ist es auch schön. Spätestens nach der ersten Nacht im eigenen Bett, der ersten Sitzung auf heimischer Brille wird dies immer wieder deutlich.

Besorgungen ließen mich die menschengefüllte Fußgängerzone aufsuchen. Im Vorbeigehen sah ich aus den Augenwinkeln einen jungen Mann am Straßenrand sitzen, vor sich drei Becher mit Schildern, die ich erst richtig wahrnahm, als ich schon dran vorbei war; die visuelle Wahrnehmung benötigte wohl ein paar Sekunden, bis sie in den zuständigen Hirnwindungen angekommen war. Auf den drei Schildern stand: „LSD“, „Bier“ und noch was anderes, vielleicht „Tabak“, ich wollte nicht nochmal zurück gehen. Auch weiß ich nicht, ob hierdurch die Spendenbereitschaft der Vorbeigehenden positiv beeinflusst wurde.

Im Übrigen habe ich den subjektiven Eindruck, der Anteil der Gehenden, die ihr Umfeld ausschließlich über das Display ihres Datengerätes wahrnehmen, ist nochmals angestiegen.

Sonntag: Unter der Überschrift „Das nervt uns im Sommer“ beklagt die Sonntagszeitung neben anderem behaarte Männerwaden in kurzen Hosen. »Shorts lassen erwachsene Männer wie Kinder wirken. Verschwitzte, behaarte Unterschenkel sind unappetitlich. Vor allem aber lassen sie jedwede Eleganz vermissen«, so der vermutlich männliche Verfasser, ganz klar ist das nicht erkennbar. Als Alternative rät er, einen langen Rock zu tragen. Mit Verlaub – das ist so ziemlich das Dümmste, was ich seit langem gelesen habe. Was ist lächerlicher, deprimierender anzusehen als rasierte Jungsbeine, womöglich noch tätowiert? Und über Männer in Röcken möchte ich mich lieber nicht äußern. Deshalb für alle, die es ähnlich sehen, dieses:

Archivbild aus dem vergangenen Jahr

Was wirklich nervt: Wenn man mich, wie jetzt geschehen, „Liebe:r Carsten“ anschreibt.

Auch aus der Sonntagszeitung:

F.A.S. vom 26.6.2022

Ich verstehe die Frage nicht.

Gesehen am Wegesrand während des Spaziergangs; wieder so etwas, wo ich gerne die Geschichte dahinter wüsste:

Bonn, Friedrichstraße

***

Das war es mal wieder mit dem Urlaub. Die Vorfreude auf die Werktätigkeit ab morgen hält sich in Grenzen, aber das kommt bestimmt noch. Kommen Sie gut durch die Woche!

Woche 24/2022: Hinsetzen und Köpfe runter

Montag: Bevor Sie zu lesen beginnen, klicken Sie bitte hier, ich erkläre Ihnen später, warum. Während des Lesens einfach laufen lassen…

Ein kleiner Nachtrag zu gestern, so ein Urlaub bringt den gewohnten Blogrythmus ganz durcheinander. Kurz nach dem Ablegen unseres Schiffes in Lyon begann das Abendessen. Beim Passieren des Musée des Confluences, ein sehr beeindruckendes Gebäude, vernahm ich am Tisch nebenan diesen Dialog: „Was ist denn das?“ – „Weiß ich nicht. Ich schau mal. (schaut im Datengerät) Ein Museum … Confluence. Was heißt denn das?“ – „Gesundheit.“

Das Musée des Confluences in Lyon

Nach dem Essen fuhren wir durch die Dämmung über die Saône in Richtung Tournus.

Vor Neuville-sur-Saône

Besonders gut schlief ich in der ersten Nacht an Bord nicht, so ein Schiff macht ja immer Geräusche. Daran muss ich mich noch gewöhnen. Wird schon.

Morgens erwachten wir nach nächtlicher Fahrt in Tournus, wo wir uns eine romanische Abtei anschauten. Am Mittag ging es weiter nach Chalon-sur-Saône, deshalb musste ich die Schreiberei unterbrechen und mich dem kuckenden Nichtstun hingeben.

Tournus, kurz nach dem Ablegen

Nach Ankunft in Chalon-sur-Saône besichtigten wir eine Kathedrale, somit ist mein Tagesbedarf an Kirchenkucken gedeckt. Außerdem kann man hier Platten kaufen, nur heute nicht, weil montags fast alle Geschäfte geschlossen sind.

Chalon-sur-Saône

Abends ging weiter nach …

Dienstag: … Trevaux, immer noch an der Saône, wo wir nach gut durchschlafener Nacht erwachten. Langsam gewöhne ich mich an die nächtlichen Schiffsgeräusche, auch dank der Ohrstöpsel, die uns die freundliche Rezeptionistin gegeben hat.

MS Annabelle am Anleger von Trevaux

Die Reiseleitung wünscht einen aufregenden Tag. Das muss nun wirklich nicht sein. Weiterhin das offizielle Ausflugsangebot ignorierend gingen wir nach dem Frühstück durch den Ort, wo wir uns, Sie ahnen es, eine (hier nicht ganz so) alte Kirche anschauten. Nicht weil wir so religiös wären, vielmehr weil der Liebste sich dafür in geschichtlicher wie (er-)baulicher Hinsicht interessiert. Seine Erläuterungen nehme ich stets mit Interesse zur Kenntnis, auch wenn ich mir nicht alle Details merken kann. Beeindruckend sind die Kirchen allemal, vor allem wenn man bedenkt, welche technischen Hilfsmittel einst bei ihrer Errichtung zur Verfügung standen.

Die Weiterfahrt am Abend führte durch Lyon, was sehr beeindruckend war.

„Only Lyon“ – nahezu genial.

Mittwoch: Nach angenehmer Nachtruhe standen wir vor der defekten Schleuse von Gervans, die wir bereits Stunden zuvor hätten passieren müssen, wie die Reiseleiterin per Durchsage erklärte. Zum Frühstück war die Schleusenschwäche offenbar behoben und mit mehrstündiger Verspätung ging es, ohne den vorgesehenen Halt in Le Pouzin, direkt weiter nach Viviers, wo statt eines längeren Aufenthaltes nur kurz die Landausflügler auf ihre Busse verteilt wurden, somit blieben örtliche Kirchen unbesichtigt. Ich stelle mir den Wirbel vor, den so eine schleusenstörungsbedingte Programmänderung für die Reiseleitung mit sich bringt: Busse umdisponieren, Telefonate, Erklärungen, Beschimpfungen, Tränen vielleicht. Die Stimmung an Bord blieb indessen fröhlich, und auf unsere Untätigkeit, die den weitgehenden Verzicht auf das angebotene Landausflugsprogramm mit einschließt, hatte die Änderung ohnehin keinen Einfluss.

Im Übrigen sind auch die Schleusenanlagen an der Rhone mit einem Höhenausgleich von bis zu zwanzig Metern sehr beeindruckend.

Schleuse Châteauneuf-du-Rhône, Richtung Süden
Schleuse bei Bollène, Richtung Norden

Ein gewisses Problem stellen die zahlreichen sehr niedrigen Brücken dar, die oft mit nur wenigen Zentimetern Abstand über das Deck fegen. Dadurch ist das obere, größere Sonnendeck die meiste Zeit gesperrt, das untere entsprechend belegt und unbeschirmt, dann heißt es „Hinsetzen und Köpfe runter“. Ich zeige Ihnen das mal:

Bei La Garde-Adhémar

Donnerstag: Südlicher Endpunkt der Reise war Tarascon, das wir in den frühen Morgenstunden erreichten, nach meinem Empfinden ein verkehrslauter, leicht schmuddeliger Ort. Der Legende nach ernährte sich hier einst ein in der Rhône wohnender Drache von Menschen, dem trotz aller Mühen nicht beizukommen war. Erst der Heiligen Martha gelang es mit Hilfe von Weihwasser, Rhônny (den Namen habe ich mir gerade ausgedacht) zu besiegen. Ihr zu Ehren wurde später – Sie ahnen es – eine Kirche erbaut (die wir uns selbstverständlich angeschaut haben), was mal wieder deutlich macht, die Menschen waren früher schon bekloppt, nur anders.

Die heutige Beklopptheit wird in einer Zeitungsmeldung deutlich, wonach in der Schweiz fünfundfünfzig Menschen mit zum Teil schweren Verbrennungen behandelt werden mussten, nachdem sie über glühende Kohlen gelaufen waren.

Es ist warm. Sehr warm. Während an Bord und in den Blogs ob der Hitze gestöhnt wird, dreht uns Herr Putin langsam den Gashahn zu. Dann wird es irgendwann kalt, daher warte ich noch mit Stöhnen.

In Frankreich wird wieder gewählt, wobei die Tierischen den sympathischsten Kandidaten haben.

Tarascon

Freitag: In der ersten Tageshälfte nahmen wir am für uns ersten und einzigen Busausflug teil Richtung Luberon mit Zwischenhalten in Gordes, Abbaye de Sénanque und Roussillon teil. Das erforderte ein zeitiges Aufstehen zur Unzeit, hat sich aber gelohnt.

Gordes
Abbaye de Sénanque (Pfeil)
Roussillon

In der Reisegruppe kam leichter Unmut auf, weil der besichtigte Lavendel nicht die farbliche Intensität aufwies, wie sie es von den Postkarten her kennen. Oder so, wie wir ihn vor etwa vier Jahren nördlich von Aurel antrafen:

Archivbild

Ansonsten lagen wir vor Avignon und sahen zugunsten eines Mittagsschlafes von einem Gang durch die Stadt ab, zumal wir sie aus früheren Urlauben bereits kennen und es viel zu heiß für Spaziergänge ist.

Hätte ich Talent zum Romaneschreiben, ließe ich einen vielleicht so beginnen: „Als er aus dem Mittagsschlaf erwachte, war die Welt zu einer anderen geworden.“ Leider habe ich keins. Stattdessen schaute ich nach dem Erwachen durch das Fenster unserer klimatisierten Kabine dem inzwischen aufgekommenen Mistral beim Föhnen zu.

Für den „Kapitän‘s – Cocktail“ (genauso geschrieben) am Abend empfiehlt die Reiseleitung Bekleidung in „leichter Eleganz“. Ich wählte Socken und Unterhose in gedeckten Farben.

Samstag: Aus dem Bordquiz: „Wer oder was brachte in früherer Zeit Kapitäne auf den richtigen Kurs? a) Erosschwestern, b) Amorcousinen, c) Sextanten“ – Humor, den ich mag.

Nach einem kurzen Zwischenhalt am Nachmittag in Vienne ging es weiter nach Lyon, wo die Reise am vergangenen Sonntag begann und heute am frühen Abend endete. Noch eine Übernachtung auf dem Schiff, morgen früh geht es von Bord.

Über die Mitreisenden kann ich nichts Böses schreiben. Wie erwartet lag der Altersdurchschnitt etwa im Herbst des Lebens, die völlige Abwesenheit von Kindern empfand ich persönlich als angenehm, man möge es mir verzeihen. Soweit ich es mitbekommen habe überwiegend verträgliche Menschen, keine Hobbynörgler und Berufsbeschwerdeführer. Gut, der eine erschien nicht so sympathisch, mit der anderen wechselte man lieber ein paar Worte, sofern man nicht wie ich eine grundsätzliche Abneigung gegen Gespräche mit fremden Menschen hat. Beim Frühstücksbüffet (mit ausreichend großen Saftgläsern) kein Gedränge, und trotz des brückenbedingt die meiste Zeit gesperrten Oberdecks fand sich auf dem vorderen Deck immer ein Platz, wenn man wollte.

Meine besondere Bewunderung gilt dem Servicepersonal an Bord. Überwiegend junge Leute aus Osteuropa, die uns von morgens bis abends bekochten, bedienten und das Zimmer reinigten, sich dabei Zeit für Details nahmen:

Das möchte ich zu Hause künftig auch so haben.

Trotz nicht perfekter Deutschkenntnisse fühlten wir uns von ihnen gut umsorgt. Was nehmen sie dabei auf sich: Sie sind wochen-, vielleicht monatelang an Bord, wohnen im Unterdeck in Doppelzimmern, haben zwischendurch keinen freien Tag, höchstens mal ein paar Stunden, wenn die Touristen mit Bussen ihre Landausflüge machen. Keine Zeit für sich alleine, für mich eine schreckliche Vorstellung; sie dürfen keinen schlechten Tag haben, wenn doch, dürfen sie es nicht zeigen. Wenn wir morgen früh das Schiff verlassen, bereiten sie schon wieder alles vor für die neuen Gäste, die nachmittags eintreffen. Und sie müssen sich ständig dieses Lied anhören, das ich Ihnen am Montag nahelegte, jedesmal, wenn das Schiff irgendwo ablegt. Aber vielleicht ist das so ähnlich wie wenn man an einer Bahnlinie wohnt: Irgendwann hat man sich daran gewöhnt und hört es nicht mehr. Das ist ihnen zu wünschen.

Sonntag: Am Morgen gingen wir planmäßig von Bord. Für Ausschiffungen ganz anderer Art stehen am Rhôneufer in Lyon Erleichterungsvorrichtungen für die Dame und den Herrn bereit.

Bitte nehmen Sie sich ein wenig Zeit, die Beschriftung der Damenzelle genauer zu betrachten.

Zurück fuhren wir über Land bis Beaune mit Zwischenhalten in Cluny, wo die Reste einer ehemals riesigen Abtei besichtigt wurden, und Paray-le-Monial, wo wir beinahe eine Kirche angesehen hätten, wenn sie nicht gerade in Verwendung gewesen wäre.

Auf dem weiteren Weg sprang dieser schöne Trafoturm ins Bild, der sogleich Eingang in meine Sammlung fand:

Bei Charmoy

Nach Ankunft in Beaune am späten Nachmittag holten wir als erstes die in der letzten Woche vergessene Kulturtasche ab, die das Hotel freundlicherweise aufbewahrt hatte. Alles wird gut.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche.

Woche 23/2022: Nur der Monobloc-Stuhl wird überleben

Montag: Alles Gute kommt von oben, auch und gerade zu Pfingsten. Heute bin ich zweimal nass geworden: Das erst Mal beim Frühstück auf dem Balkon; mein Vorschlag, es nach innen zu verlagern, wurde mit der Begründung „Das hört gleich auf“ abgelehnt.

Das zweite Mal, als ich ohne Schirm den Gang zum Altglascontainer mit einem längeren Spaziergang verband. Ich weiß, an Feiertagen soll man nichts in Altglascontainer werfen, jedoch ließ genussförderndes Treiben über das Pfingstwochenende den Gang heute unausweichlich erscheinen.

Den weiteren Nachmittag verbrachte ich schreibend auf dem Balkon, wo ich nur knapp einem feigen Anschlag von oben entging.

Dienstag: Wenn der Montag auf einen Dienstag fällt, ist die Arbeitsunlust oft besonders ausgeprägt.

„Schon gechattet, geteilt oder geliked?“, fragt eine werksinterne, mich duzende Seite. Ich bin zu alt für solchen Quatsch.

Ziemlich unerträglich finde ich auch diese gestellten Meeting-Fotos, zumeist in werblichen Zusammenhängen. Die Runde besteht zumeist aus einem jungen Mann mit Dreitagebart, einer mittelalten Frau mit strenger Pferdezopffrisur, einem grauhaarigen Mann im Anzug, einer Asiatin im Kostüm und einem Dunkelhäutigen im Polohemd. Entweder schauen alle auf ein Flipchart, an dem einer von ihnen eine wirre Grafik mit ansteigender Kurve präsentiert, oder sie schauen gemeinsam auf den Monitor eines aufgeklappten Rechners, auf den jemand zeigt. Das Unerträgliche daran ist dieses künstliche, zähnefletschende Plakatgrinsen, das sie alle aufgesetzt haben. Haben Sie jemals eine derartige Besprechungssituation erlebt? Ich wüsste gar nicht, wie ich mich da verhalten sollte.

Mittwoch: Eine größere Teams-Besprechung begann, da sich nicht alle kannten, mit einer Vorstellungsrunde. Die mir bis dahin unbekannte Einladerin eröffnete die Runde mit der Einladung „gerne per du“, der sich im Folgenden, vielleicht aus Überzeugung, vielleicht wegen Gruppenzwang, alle anschlossen. Bis auf einen. Sie ahnen vielleicht, wer. Es widerstrebt mir zunehmend, mich im beruflichen Umfeld mit Leuten zu duzen, mit denen ich zuvor nichts zu tun hatte, da bin ich altmodisch.

(Auch hier im Blog sieze ich die Leser konsequent, was allerdings als reines Kunstsiezen aus stilistischen Erwägungen zu verstehen ist, gleichsam das umgekehrte Äquivalent zum Seminar-Du. Sie dürfen mich gerne duzen, wenn es sein muss.)

Apropos altmodisch: Für wie bemerkenswert-originell halten sich eigentlich Leute, die Dinge als „Mainstream“ bezeichnen? Dies fragte ich mich beim abendlichen Bloglesen.

»Es sind immer auch die äußeren Umstände, die darüber entscheiden, ob jemand als normal gilt oder nicht«, schrieb Jörg Scheller in der aktuellen PSYCHOLOGIE HEUTE.

Donnerstag: Morgens wachte ich bereits gegen fünf auf und schlief nicht wieder ein. Kurz darauf setzte stärkerer Regen ein, dem zu lauschen sehr schön war. Er hörte rechtzeitig wieder auf, daher konnte später der Weg ins Werk und noch später wieder zurück trockenen Fußes erfolgen. Das war auch schön.

Komische Vögel am Wegesrand, nicht nur hier, sondern in identischer Form und anderen Farben auch an anderen Stellen. Weiß jemand, was es damit auf sich hat?
Ein Urlaubsvorfreude auslösender Anblick

Wie mir nachmittags das Fensterchen auf dem Bildschirm unten rechts anzeigte, versuchte einer, mich in eine laufende Teams-Besprechung zu holen. Neben der gestern beklagten Duznötigung empfinde ich es als ungehörig, jemanden ungefragt in eine diskutierende Runde zu ziehen und dann von ihm unvorbereitet Rede und Antwort zu erwarten. Denken Sie sich daher ein virtuelles Stinkefingerchen, während ich die Benachrichtigung zur Kenntnis nahm; selbstverständlich schlug ich die Einladung aus und widmete mich weiter der Lektüre des Pressespiegels.

Freitag: Heute wird ein allgegenwärtiger Designklassiker fünfzig Jahre alt: Herzlichen Glückwunsch, Monobloc-Stuhl!

Vermutlich wird es ihn auch noch in fünfzig Jahren geben, falls dann noch Sitzbedarf besteht.

Von der heutigen Wikipedia-Startseite über den Niedergang Grönländische Siedler vor etwa fünfhundert Jahren: »Wahr­schein­lich ist aus heuti­ger Sicht eine Kombi­nation verschie­dener ungüns­tiger Fakto­ren, deren Zusammen­wirken die dama­lige Gesell­schaft so destabi­lisierte, dass ihr Über­leben nach dem 15. Jahrhundert nicht mehr gesichert war.« Wer weiß, vielleicht trifft das dereinst auch für unsere Zivilisation zu. Nur der Monobloc-Stuhl wird überleben, mindestens als Mikroplastik in den Weltmeeren.

„Ich wünsche dir einen Urlaub“, schrieb der Kollege. Prägnanz durch Auslassung.

Samstag: Erster Urlaubstag. Am frühen Abend erreichten wir Beaune, unser Zwischenziel, und widmen uns auf der Hotelterrasse dem ersten Bier. Morgen fahren wir weiter nach Lyon, wo wir mit vielen anderen alten Leuten an Bord gehen werden, um eine Woche lang auf der Rhone zu kreuzen. Ich erhoffe mir dabei weitgehende Untätigkeit.

Sonntag: Es ist nicht zu übersehen – auch ich werde älter, somit vergesslicher. Heute vergaß ich im Hotel in Beaune vor Abreise meinen Kulturbeutel einzupacken. (Wer hat sich eigentlich dieses wunderbare Wort ausgedacht? Andererseits, wie sollte man es sonst nennen? Zahnbürstentasche?) Ansonsten verlief alles bestens, am Nachmittag erreichten wir mit einem Schlenker über Autun, augenscheinlich eine sehr schöne Stadt, Lyon, wo unser Schiff schon bereit stand und am Abend nach Redaktionsschluss mit Weinbegleitung ablegen wird. Einzelheiten folgen.

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Auch Ihnen eine angenehme Woche, ob im Urlaub oder nicht.

Woche 22/2022: Krabbeln und krabbeln lassen

Montag: Der Tag begann trübe und kühl, auf dem Fahrrad geradezu handschuhkühl; aber Handschuhe Ende Mai? Das wäre wie Dominosteine im Juli. Auch meine Stimmung war nicht gerade hell, ohne erkennbaren Grund: Weder war der Arbeitstag von nennenswerten Imponderabilien geprägt noch übermäßig lang, auch Zahl und Länge der Besprechungen lagen im Rahmen des Erträglichen.

„Ihr Computer muss heruntergefahren und neu gestartet werden“, lautete eine Meldung am Vormittag. Während er also fuhr, schaute ich aus dem Fenster und wünschte mir eine vergleichbare Funktion für das Hirn: einmal runter- und wieder rauffahren, schon ist die Arbeitslust wiederhergestellt. Aber ach.

Mittags im Park sah ich so etwas wie Kunst. Sie können gerne wie ich rätseln, was es darstellt. Vielleicht stellt es auch gar nichts da, es muss ja nicht immer alles eine Bedeutung haben, nicht wahr.

Dienstag: Vergangene Nacht träumte ich, mich mit dem Auto in einem engen unterirdischen Abwasserkanal festgefahren zu haben, wie auch immer ich dort hinein geraten sein mag; in Träumen geht es ja nicht immer logisch-nachvollziehbar zu. Es war so eng, dass sich die Türen nicht öffnen ließen, ich hatte keinen harten Gegenstand zur Hand, um Front- oder Heckscheibe einzuschlagen, Mobilempfang gab es nicht. Zum Essen hatte ich ein paar Kopfsalatblätter dabei, zum Trinken nichts. Während ich mich fragte, ob man mich hier finden würde, wachte ich auf. Selten habe ich mich so über das Schnarchen von der Nebenmatratze gefreut.

Taxifahrten im Kreis Olpe werden um zwanzig Prozent teurer, meldeten die Radionachrichten am Morgen. Auch das noch.

Unruhe in den Gängen, nachdem ein Gebot von der Werksleitung ausging, auf dass ein jeder sich nach Monaten der Heimarbeit ab sofort mindestens zweimal die Woche im Büro einfinden möge. Es kommen gar welche zu mir und wollen was. Daran muss ich mich nach zwei Jahren Ruhe in leeren Fluren erst wieder gewöhnen.

In der Zeitung las ich das Wort „Kuhmilchskepsis“ und freute mich ein weiteres Mal über die Wortbildungsmöglichkeiten unserer wunderbaren Sprache.

Mittwoch: Aus gegebenem Anlass habe ich mich heute Morgen als erstes aus einer WhatsApp-Gruppe abgemeldet, das fühlte sich sehr gut an. Die nächste Abmeldung folgt Anfang Juli, darauf freue ich mich auch schon.

Aus einer Art Laune heraus habe ich mir kürzlich ein Mastodon-Konto angelegt, merke indes bereits nach gut einer Woche: Das ist genauso unergiebig wie Twitter. Überhaupt Mastodon, wer hat sich diesen Namen ausgedacht? Das klingt wie ein hormonbasierter Kraftfutterzusatz für die Schweinezucht.

Donnerstag: Beim Ankleiden sah ich eine winzige Spinne auf der behemdeten Schulter krabbeln. Als grundsätzlich auch Achtbeinern gegenüber verträglicher Mensch kümmerte ich mich nicht weiter darum, krabbeln und krabbeln lassen. Wenig später beim ersten Morgenkaffee krabbelte sie an der Oberseite meines Tablets immer hin und her, als wollte sie auf sich aufmerksam machen. Regelmäßig glaube ich bei solchen Gelegenheiten, wahrscheinlich schrieb ich das bereits, das sind gestorbene Verwandte oder Bekannte, die in Tiergestalt einen Tag Erdenurlaub haben und mich besuchen. Leider geben sie sich nie zu erkennen, und wer möchte schon seinen eigenen Vater wegpusten oder gar zerdrücken. Kurz darauf fuhr sie gen Himmel, also nicht ganz, vielmehr kletterte sie an einem unsichtbaren Faden hinauf zur Küchenlampe über dem Tisch, woher auch immer der plötzlich kam; können kleine Spinnen gleichsam aus der Hüfte heraus meterlange Fäden in die Höhe schießen?

Die Zeitung berichtet, die Türkei möchte im Ausland nicht mehr Türkei genannt werden, schon gar nicht Turkey, weil das auf Englisch auch „Truthahn“ bedeutet, laut einem amerikanischen Wörterbuch gar „eine Person, der es an gesundem Verstand oder Urteilsvermögen mangelt“, „eine dumme Person“ oder „etwas, das fehlgeschlagen ist“, was hier mit Bezug auf den Obertürken und seine Politik unkommentiert bleibe. Stattdessen wünscht nämlicher, alle Welt sage und schreibe ab sofort ausschließlich „Türkiye“, auch dorten, wo ü ungebräuchlich ist. Warum nicht, Weißrussland hieß ja auch von heute auf morgen Belarus, Raider wurde zu Twix, Facebook zu Meta und Texaco zu – Moment, ich muss gerade nachschauen: DEA, hätten Sie es noch gewusst? – und keinen kratzt es. Nur soll Erdogan sich nachher nicht beschweren, sein Land werde ständig falsch geschrieben, vielleicht „Türkye“, „Türkyie“ oder so; als „Kubicki“ heißender weiß man, was da alles vorkommen kann, glauben Sie mir.

Der Sohn einer Bekannten wollte übrigens nicht länger Kevin heißen, kann man ja verstehen, deshalb nannte er sich fortan Vincent. Kurz darauf besang Sarah Connor die Unterleibsschwäche eines gleichnamigen Jungen, wenn er an Weibchen dachte. Das war wohl auch fehlgeschlagen.

Nachmittags flog ein Luftschiff übers Werk, nach wie vor freue ich mich jedesmal wie ein Kind darüber:

Auf dem Heimweg, donnerstagsüblich zu Fuß, gönnte ich mir einem spontanen Entschluss folgend den ersten Maibock des Jahres, ausnahmsweise erst im Juni.

Aus nicht näher darzulegenden Gründen stieß ich auf eine Seite mit sechsunddreißig Fragen für das erste Rendezvous, die man sich gegenseitig stelle, wenn es in amouröser oder wenigstens kopulativer Hinsicht zum Erfolg führen soll. Drei davon habe ich mir gemerkt: 1) Wenn du neunzig Jahre alt würdest und könntest dich entscheiden zwischen a) einem dauerhaft dreißig Jahre alten Körper mit alterndem Geist oder b) einem dreißig Jahre alten Geist mit alterndem Körper, wie würdest du dich entscheiden? (Das ist einfach: a. Lieber knackig jung und faltenfrei mit viel Lebenserfahrung als runzelig voller Sturm und Drang.) – 2) Wenn du wüsstest, dass du nur noch ein Jahr zu leben hast, was würdest du tun? (Mich den im Keller lagernden Châteauneuf-du-Pape-Weinen intensiver widmen.) – 3) Wenn dir eine Wahrsagerin zuverlässig etwas voraussagen sollte – was wäre das? (Das Datum, wenn für mich das Licht ausgeht; das würde die weiteren Planungen erheblich vereinfachen.)

Freitag: Mich befällt stets eine Mischung aus aggressiver Ungeduld und ungeduldiger Aggression, wenn in einer bereits begonnenen Besprechung Dinge für Zuspätkommende wiederholt werden.

Am Ende der Besprechung wünschte eine Teilnehmerin „den Herren fröhliches Pfingsteiersingen“. Ich habe mich nicht getraut, zu fragen.

»Keine Lust ist ein Killerargument«, schreibt Frau Anje, womit sie zweifellos recht hat.

Samstag: Der General-Anzeiger berichtet über Geschwindigkeitskontrollen der Polizei in Bonn und lässt in dem zweispaltigen Artikel Bürger Gerrit M. zu Worte kommen, der in den Messungen eine „rein willkürliche Einkommensquelle der Stadt“ sieht. Im Folgenden rechtfertigt sich die Polizei gar dafür, warum sie die Kontrollen durchführt. Ich verstehe das nicht. Wenn es nach mir ginge, müssten Verkehrsteilnehmer jederzeit und überall mit Geschwindigkeitskontrollen rechnen, mit weitaus höheren Bußgeldern bei Überschreitung als heute. Aber nach mir geht es ja nicht.

Aus einem anderen Artikel in derselben Zeitung: »26 Weltklima-Konferenzen haben nicht verhindert, dass der Ausstoß des wichtigsten Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) sinkt.«

Wenn es nach mir ginge, würden im Übrigen Frauen sich nicht die Haare in gängigen Bonbontönen färben, erst recht nicht in Verbindung mit Nasenmetallen und großflächigen Tätowierungen. Männer und alle anderen auch nicht.

Sonntag: „Was war nochmal Pfingsten: Haben sie da Jesus vom Kreuz abgenommen oder den Stein weggerollt? Oder das Meer geteilt?“ Alle Jahre wieder.

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Ich wünsche Ihnen schöne Restpfingsten, ob sie (es) glauben oder nicht, und eine angenehme Woche.