Woche 3: Lockendown

Montag: Die Rufe nach einer Pflicht zur Heimarbeit werden lauter. Dabei gibt es immer einen Grund, warum etwas nicht geht. In diesem Fall: Ich will nicht.

Morgens in der Zeitung eine Sprachperle:

„… in unserer Welt des vorzeitigen Nachrichtenergusses“

David Kriesel, Datenwissenschaftler, im General-Anzeiger

Die Frage der geschlechtsneutralen Ansprache und die Kritik am generischen Maskulinum führen immer wieder zu Diskuss- und Emotionen. Auch der Duden machte sich diesbezüglich in jüngster Zeit, je nach Betrachtungsweise, beliebt oder unbeliebt, beziehungsweise un*beliebt. Nachrichtensprechende sprechen einen Sternchensprung, wenn sie etwa „Nachrichtensprecher*innen“ sagen, und zunehmend liest man in Texten das generische Femininum statt der gewohnten allgemeinmännlichen Form, was ebenfalls nicht völlig unproblematisch ist. Wenn etwa ein Minister oder ein anderer in hingehaltene Mikrofone sagt: „Die Enten sind sicher“, müssen sich Erpel dann sorgen?

Dienstag: So langsam wird es frisurlich interessant, zumal der nächste Friseurbesuch in unbekannter Ferne liegt. Wie ich morgens beim Blick in den Spiegel feststellte, entwickelt sich der sogenannte Lockdown immer mehr zu einem Lockendown.

„Die Atmosphäre ist aufgewühlt“, sagte der Wettererklärer Sven Schwanke oder Karsten Plöger im WDR-Fernsehen, ich kann die immer noch nicht auseinander halten, im Gegensatz zu Özden Terli und Katja Horneffer im ZDF, die vergleichsweise gut zu unterscheiden sind. Doch nicht nur draußen toben die Turbulenzen, auch im trauten Heim war die Stimmung zeitweise bewölkt, was mich bereits beim ersten Morgenkaffee, lange vor der üblichen Sprechzeit, in ein klärendes Gespräch verwickelte, welches zumindest vorläufig zu einer Aufheiterung führte.

Weniger erbaulich dagegen die letzte Besprechung des Tages im Werk ab siebzehn Uhr, zu der ich nicht das Mindeste beitragen konnte, wofür ich andererseits nicht undankbar war, da mein Buchstabenbudget um diese Zeit üblicherweise längst aufgebraucht ist, heute erst recht, siehe oben. Da ich das bereits morgens ahnte, erwog ich, meine Teilnahme abzusagen, doch gemahnte mich der Liebste: „Das kannst du nicht machen, bei deinem Gehalt“, womit er nicht ganz unrecht hatte, daher ließ ich es stumm über mich ergehen.

Stumm bleibt auch der Radiowecker: „Dem Glücklichen schlägt keine Stund‘“, sagte er sich abends und kündigte dauerhaft seinen Dienst.

Mittwoch: In einer besonders sinnlosen Besprechung mutmaßten sieben Teilnehmer zwanzig Minuten lang über den Zweck und das Erfordernis eines IT-Systems, das augenscheinlich seit fünf Jahren nicht mehr genutzt wurde, während der achte, der die Antwort vermutlich weiß, unentschuldigt dem Gespräch fernblieb.

Fernbleiben muss ab sofort auch ein anderer, und zwar dem Weißen Haus, was aus historischen Gründen auch hier für die Nachwelt festgehalten sei:

(Der Spiegel Online)

„Was wir getan haben, ist in jeder Hinsicht erstaunlich“, sagte Trump zum Abschied. „Das waren unglaubliche vier Jahre.“ Damit hatte er zweifellos recht.

Zur Erinnerung auch dieses, vor gut vier Jahren schon einmal gezeigte:

(Archivbild aus Die Welt Kompakt 2016)

Unterdessen hat der Bonner Stadtrat wegweisende Entscheidungen getroffen:

(General-Anzeiger Bonn)

Eine Neuanschaffung alter Eisenbahnen, die keiner Zustimmung bedarf, auch bei mir:

Donnerstag: Wie die Werksverwaltung mitteilte, ist die Heizung wieder defekt. Vielleicht ist das auch ein subtiler Versuch, hartnäckige Heimarbeitsverweigerer wie mich auf dem kalten Weg umzustimmen.

Freitag: Nachdem zu Weihnachten 2004 der Tsunami in Südostasien Hunderttausende in Tod und Verderben gespült hatte, verzichteten die Radiosender in Deutschland darauf, „Die perfekte Welle“ von Wir sind Julisilbermondhelden oder wie die hießen zu spielen. Aus aktuellem Anlass rege ich an, in gleicher Weise mit „Auf das was da noch kommt“ von Lotte/Giesinger zu verfahren.

Samstag: Notwendige Be- und Entsorgungen verband ich mit einem kurzen Spaziergang an den Rhein. „Es gibt kein Corona, nur Politik“, rief ein Obdachloser, der sein Lager unter der Kennedybrücke aufgeschlagen hat, in einer Endlosschleife allen Vorbeigehenden zu. Als ob Politik ebenfalls eine Seuche wäre, der nur mit Impfung und Abstand beizukommen ist. Wenig später musste ich einer hinter mir gehenden jungen Frau beim Telefonieren zuhören, die von ihren Bekannten erzählte, die trotz Baby weiterhin in der WG wohnen und die Kleine auf eine fünfwöchige Backpackertour mitnahmen. Sie selbst überlege ebenfalls, die Pille abzusetzen, wisse aber noch nicht, was sie stattdessen tun solle. Was man halt so redet, wenn man unter sich ist und nicht damit rechnet, jemand könnte mithören und es anschließend aufschreiben. Eine unerfreuliche Begegnung anschließend erneut auf dem Verbindungsweg vom Rhein zum Augustusring. Der Weg ist der Länge nach durch eine sichtbare Kante in zwei ungleich breite Streifen aufgeteilt, Verkehrsschilder an beiden Enden weisen ihn eindeutig als kombinierten Fuß-/Radweg aus:

(Archivbild von April 2018)

Als ich auf dem schmaleren Streifen (links im Bild) nach oben ging, kam mir ein älterer Radfahrer entgegen gerast und beschimpfte mich unflätig als Trottel, weil ich seiner Ansicht nach auf dem Radweg ging. Was mich daran ärgerte, war nicht zuvörderst seine Beschimpfung – die Aufteilung des Weges ist wirklich etwas irreführend, vielleicht war der schmalere Streifen früher tatsächlich als Radweg ausgewiesen, und er hat das Schild nicht bemerkt, kann ja passieren. Am meisten ärgerte mich meine eigene Reaktion, deren verbale Unflätigkeit der seinen in nichts nachstand. Das war äußerst unsouverän von mir, wofür ich in aller Form um Entschuldigung bitte, wenn ich auch nicht genau weiß, wen. Den Radfahrer jedenfalls nicht, dieses A*loch.

Sonntag: Irgendwo las ich vor einigen Wochen eine Beschreibung des Buchs „Die Stille“ von Don DeLillo. Die Geschichte versprach Unterhaltungswert: In New York treffen sich fünf befreundete Personen, während weltweit die digitale Infrastruktur aus unbekannter Ursache dauerhaft zusammenbricht. „Ein Werk mit verblüffenden Parallelen zur aktuellen Situation in der Welt, ebenso hell- wie weitsichtig. DeLillos geschliffene Sprache, seine Vorstellungskraft und sein seismografisches Gespür machen »Die Stille« zu einem literarischen Ereignis“, preist der Verlag das zwanzig Euro teure, gerade mal hundertsechs Seiten dünne „Werk“ auf dem Rückumschlag an. Vielleicht ist mein eigenes seismografisches Gespür zu grob kalibriert, denn dieses literarische Ereignis, bestehend überwiegend aus geschwurbelten, schwer nachvollziehbaren Dia- und Monologen mit einer winzigen Prise Sex ohne jede Erotik, stieß bei mir vor allem auf gelangweilte Ratlosigkeit; selbst bei einem derart dünnen Buch kann man sich fragen: Wann ist es endlich vorbei? Sie können es sich bei Interesse gerne aus dem öffentlichen Bücherschrank vor dem Frankenbad abholen.

Endlich vorbei ist nun auch dieser Wochenrückblick. Ich wünsche Ihnen eine erfreuliche neue Woche.

Woche 2: Das Leben ist kein Schweigeorden

Montag: Vielleicht kennen Sie das auch – das Telefon tönt, die angezeigte Nummer lässt einen vollkommen überflüssigen Anruf erahnen. Sie gehen trotzdem dran, woraufhin der Anrufer Ihre Ahnung umgehend bestätigt, indem er den Inhalt einer Mail wiedergibt, die er Ihnen vor Stunden schrieb (und die zu lesen Sie noch keine Gelegenheit oder Lust hatten). Dennoch nimmt man diesen verdammten Anruf an, immer wieder. Vielleicht eine verhängnisvolle Mischung aus Höflichkeit und Versäumnisangst.

Völlig überflüssig auch solche Sätze, gelesen in einem Zeitungsartikel: „Es liegt in unserer DNA, auch in Zeiten einer globalen Krise zu liefern.“

Ein oft gehörter Satz in virtuellen Besprechungen: „Sorry, ich war noch gemutet.“ Manchmal eher schade, dass er oder sie es gemerkt hat.

Dienstag: Nach einem Tag reich an Besprechungen möchte ich nur noch hier sitzen. Am liebsten in Stille. Aber man kann nicht alles haben. Das Leben ist kein Schweigeorden.

Manchmal, wenn mir eine scheinbar einfache Frage, die ich unvorsichtigerweise stellte, in feinst verästelter Ausführlichkeit beantwortet wird, denke ich: Ein einfaches „isso“ hätte jetzt auch gereicht.

Mittwoch: „Keine Impfpflicht!“, rufen sie. Als ein Argument wird angeführt, dadurch könnten sich dringend benötigte Pflegekräfte zu einer anderen Berufswahl oder gar Kündigung veranlasst sehen. Hm … Kann es nicht sein, dass jene, die „total gerne was mit Menschen machen“, sich aber auf keinen Fall impfen lassen wollen, ohnehin besser was ganz anderes machen sollten? Vielleicht Ahnenforscher oder Leichenwäscher, das ist auch was mit Menschen, nur weniger ansteckend. Ich bin bestimmt kein glühender Verehrer des Ober-Bayern, aber an einer Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen kann ich nur wenig Verkehrtes erkennen.

Die Auszeichnung „Unwort des Jahres“ erfährt jährlich ein Begriff oder eine Redewendung, die etwa gegen Grundsätze der Menschenwürde oder Demokratie verstoßen, diskriminierend, euphemistisch, verschleiernd oder irreführend sind. In diesem Jahr hat es gleich zwei Wörter ereilt: „Rückführungspatenschaften“ (nie gehört) und „Corona-Diktatur“ (zu oft gehört). Schade, dass die „nukleare Teilhabe“ unberücksichtigt blieb.

Donnerstag: Morgens warnte die Frau im Radio vor „Gefahr durch überfrierende Glätte“. Seltsam eisige Stimmung auch abends daheim, wobei mir Schweigen nach einem weiteren besprechungsreichen Arbeitstag nicht völlig ungelegen kam. Warum haben die zu Jahresbeginn alle plötzlich so einen Redebedarf? Bleibt das jetzt so? „Wir müssen mehr miteinander reden“ erscheint mir zunehmend als eine zweifelhafte These.

Freitag: Ein weiteres unerträgliches Geräusch ist dieses „Jerusaleme“-Liedchen, das sie jetzt dauernd im Radio spielen. Auch mein innerer Ohrwurmmoderator hat es in seine Lieblingsliste aufgenommen und quält mich damit manchmal stundenlang.

Im Übrigen muss ich aufhören, alle, die mit Telefon am Ohr und/oder Kaffeebecher in der Hand durch die Gegend laufen, automatisch für Idioten zu halten.

Samstag: Die Dauer aller über WhatsApp erhaltenen Filmchen, von mir konsequent ignoriert, ergibt aneinandergereiht eine Zeitspanne, in der woanders Flughäfen geplant, genehmigt und errichtet werden.

Gelesen:

„… das Spröde am Niedersachsen wirkt sich sogar auf die Infektionszahlen aus. Im Norden befummeln sich die Leute nicht dauernd. Zwei Niedersachsen auf Armlänge, das geht schon in Richtung Sex.“

(Dietmar Wischmeyer im General-Anzeiger)

Er habe noch „Lücken im Tassenregal“, lässt der Geliebte wissen, was zumindest etwas freundlicher klingt als „nicht alle Tassen im Schrank“.

Sonntag: Gestern Abend hatte es auch bei uns zu schneien begonnen und der Schnee blieb – eher rheinlanduntypisch – zunächst liegen. Auch heute waren noch nennenswerte Spuren erkennbar, wenn auch im Schwinden begriffen, daher mussten die Kinder sich mit dem Schneemannbau beeilen, wobei für die meisten Exemplare, die ich während des sonntäglichen Flanierens sah, aufgrund der in den schmelzenden* Schnee eingeschlossenen Fremdpartikel eher die Bezeichnung „Schmutzmann“ angemessener erschien.

(Hier kann man der Physik bei der Arbeit zuschauen.)

Zum letzten Bild eine kleines Detail, das vermutlich nur ich selbst bemerkenswert finde. Es betrifft die schönen Laternen im Design der Fünfzigerjahre am Rheinufer. Vor einigen Jahren hatte man zu meinem Bedauern begonnen, sie gegen moderne Exemplare auszutauschen, siehe das Vergleichsbild vom Februar 2016:

Nun hat man sich offenbar wieder für die bisherigen Lampen entschieden. Ob sie noch auf irgendeinem städtischen Bauhof herumlagen oder im alten Stil neu angefertigt wurden, entzieht sich meiner Kenntnis.

Als am Spaziergang begeisterter Mensch freue ich mich über solches:

„Ich schaue da stets finster auf die Räder, aufs Ganze und nie auf die Insassen, welche ich verachte und zwar keineswegs persönlich, sondern rein grundsätzlich“, bekannte sein Spaziergänger,  „denn ich begreife nicht und werde niemals begreifen, dass es ein Vergnügen sein kann, so an allen Gebilden, Gegenständen, die unsere schöne Erde aufweist, vorüberzurasen, als wenn man toll geworden sei und rennen müsse, um nicht elend zu verzweifeln.“

(Robert Walser)

*) Hier stand zunächst „schmilzenden“, weil ich bislang annahm, die intransitive Form des Verbs wäre so korrekt („Der Schnee schmilzt“), wohingegen nur die transitive Form „schmelzen“ hieße („Die Sonne schmelzt das Eis“); ähnlich wie „gehangen“ und „gehängt“ beim Verb „hängen“. Doch die rote Mahnung der Textverarbeitung und anschließende Recherche belehren mich eines anderen. Wieder was gelernt.

Woche 1/2021: Strickjacke und warme Gedanken

Montag: Der erste Arbeitstag des Jahres bot keinen besonderen Grund zur Beanstandung, es war nur etwas kalt im Werk, vielleicht rechnete man nicht mit meiner baldigen Rückkehr. Ansonsten war es noch angenehm ruhig, bereits am Vormittag waren die Termine des Tages erledigt und ich konnte mich in Ruhe der Maillektüre widmen. Irgendwo las ich, irgendetwas sei „integraler Bestandteil der Fokusthemen“. Ach, wie wenig vermisste ich derartiges Wortgeklingel doch in der vergangenen Woche.

Zu Hause machten sich unterdessen drei fleißige Mitarbeiter des Landgerichts daran, mit schwerem Gerät den Sternenstaub vergangener Woche zu elimiminieren, der in die Gerichtseinfahrt diffundiert war. Laut glaubhafter Beschreibung einer Beobachterin legten sie dabei keine nennenswerte Geschicklichkeit an den Tag. So gelang es auch nach mehreren Anläufen nicht, über die kleine Rampe den Bordstein zu erklimmen.

(Liebe M, vielen Dank für das Bild und die Erlaubnis, es hier zu zeigen!)

Begrenzte Geschicklichkeit in der Wortwahl ist auch in nachfolgender Beschreibung eines Wanderwegs an der Sieg zu erkennen:

(Gelesen im General-Anzeiger Bonn)

Dienstag: Die neue Blogaktion von Aequitas et Veritas heißt „Momentaufnahme“. Alle zwei Wochen wird im virtuellen Raum eine persönliche Frage der Beantwortung anheim gestellt. Die aktuelle Frage lautet:

„Wagst du es vor dem Hintergrund der Erfahrungen von 2020 noch, für das neue Jahr Pläne zu schmieden, gute Vorsätze aufzustellen?“

Aus Gründen der Blogökonomie beantworte ich sie hier im Wochenrückblick, und zwar so: Selbstverständlich. Viererlei habe ich mir vorgenommen, erstens: Aufgrund des reduzierten Angebots in der Kantine wählte ich im vergangenen Jahr öfter als zuvor vegetarische Gerichte, dabei wurde ich immer wieder angenehm überrascht, daher werde ich das beibehalten. Vorausgesetzt, die Kantine muss nicht bald wieder komplett schließen. Zum zweiten werde ich weiterhin, wenn es eben möglich ist, also kein Sturm, Hagel oder Glatteis drohen, mit dem Fahrrad ins Werk fahren. Vorausgesetzt, ich darf weiterhin ins Büro und werde nicht zur Heimarbeit verpflichtet. Drittens möchte ich wieder regelmäßig laufen, mindestens einmal wöchentlich; sobald die Läden wieder geöffnet haben, damit ich neue Laufschuhe kaufen kann (nein, ich bestelle sie nicht, wie auch sonst nichts, beim großen A.) Als viertes habe ich vor, mindestens die zwei nächsten Etappen des Rheinsteigs zu erwandern. Was ich vorerst nicht plane, sind Urlaubsreisen; aus verschiedenen Gründen ist das im Moment nicht sinnvoll möglich.

Mittwoch: „Der Zweck eines Unternehmens ist es, seinen Kunden zu nutzen“, las ich in einer Mitteilung. Mein erster Gedanke: Müsste es nicht „nützen“ heißen? Aber nein, sagt der aktuelle Duden, beide Wörter bedeuten dasselbe, die ü-Form ist in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz gebräuchlicher. Nun gut. Dennoch erscheint mir der Satz verlogen: Wesentlicher Zweck eines jeden gewerblichen Unternehmens ist es, Gewinn anzuhäufen. Wenn es dabei den Kunden nutzt oder nützt, umso besser; sein ureigenster Zweck ist es nicht. Wer anderes behauptet, lügt. Keine Zweifel hegte ich, lautete der Satz stattdessen: „Der Zweck eines Unternehmens ist es, seine Kunden (und Mitarbeiter) auszunutzen.“

Donnerstag: Die Raumtemperatur im Büro lässt noch immer eine gewisse Behaglichkeit vermissen. Angeblich sind bereits Techniker mit der Heizung beschäftigt, bislang offenbar ohne fühlbaren Erfolg. Vielleicht befindet sich der Werksheizer auch noch im Weihnachtsurlaub. Da helfen bis auf Weiteres nur eine dicke Strickjacke und warme Gedanken, die sich im Büro indes eher selten einstellen.

Ansonsten ging ich heute zu Fuß ins Werk und zurück. Was auffiel, waren die vielen Menschen, die abends trotz dräuender Dunkelheit, Kälte und Nieselregen die Rheinpromenade bevölkerten, so viele wie sonst an einem sonnigen Sonntagnachmittag. Es würde mich nicht wundern, wenn auch dort bald Maskenpflicht herrscht.

Freitag: Ins Werk fuhr ich bei Schneeregen, wie im Lichtkegel der Fahrradlampe zu erkennen war. Hätte mir vor einem Jahr jemand bei vergleichbarem Wetter vorgeschlagen, doch mal mit dem Fahrrad statt der Bahn zu fahren, hätte ich mich wohl höflich nach seinem Geisteszustand erkundigt. Und obwohl bei Ankunft die Hosenbeine feucht und die Brille undurchsichtig vor Wassertropfen waren, erfreute ich mich freitäglich-angenehmer Stimmung. Erstaunlich, was alles geht und wie wenig es ausmacht, wenn man es einfach tut.

Auch musste ich im Büro nicht länger frieren, entweder waren die Heizungstechniker erfolgreich oder der Werksheizer hat nach frischer Kohlenlieferung seine Tätigkeit wieder aufgenommen. Zwischendurch öffnete ich sogar das Fenster kurz, undenkbar an den Tagen zuvor.

Liebe Kollegen, aus gegebenem Anlass vernehmet dieses: Wenn ihr mir eine Einladung zu einer Besprechung schickt, ohne darin das Thema wenigstens kurz zu umreißen, rechnet bitte nicht mit einer Zusage.

Zur Unterstützung der örtlichen Gastronomie holten wir uns abends etwas vom Lieblingsitaliener, was zuvor einen Blick in die Speisekarte erforderte: „Ich hätte gerne was mit Ei.“ – „Ich dachte du verträgst keine Eier.“ – „Nur deine nicht.“ Die Stimmung war ansonsten ausgezeichnet.

Keine Macht den Drogen. Gleichwohl ist es immer wieder ein schöner Moment, wenn sich am Freitagabend mit dem ersten Getränk die Leichtigkeit des Wochenendes einstellt.

Samstag: „CDU-Frauen wollen Laschet“, ist ein kurzer Artikel im General-Anzeiger überschrieben. Ich stelle mir dabei vor, wie sich eine Schar lüsterner Zahnarztgattinnen vor dem Düsseldorfer Präsidentenpalast versammelt und im Chor ruft: „Laschi, mach uns ein Kind!“

In derselben Zeitung ein lesenswerter Rückblick auf ein Jahr mit Corona und menschliche Verhaltensweisen. Kostprobe:

»Eine nationale Sache auf Tod und Leben. Wer ist zuständig? Das kommunale Gesundheits­amt! So ähnlich, wie wenn beim Einmarsch der Russen das Ordnungsamt kontrollieren soll, wie die Panzer geparkt sind. […] Man soll es nicht tun? Man darf es nicht tun? Es ist gemein gegen andere? Es ist lebensgefährlich? Is‘ mir egal, ich will aber! Also knubbeln sich Tausende an der Schinkenstraße und auf der Rodelpiste. […] Verstandeskrise. Stell dir vor, tausend Leute sterben, und ein Typ sagt in die Kamera: „Ich glaube die Zahlen nicht.“ Journalismuskrise: Der Typ hinter der Kamera sendet das auch noch zur Primetime.«

(Aus: „Das Es und das Wir“ von Wolfgang Pichler, erschienen im General-Anzeiger Bonn am 9. Januar 2021)

Sonntag: Kennen Sie das, wenn man ein störendes Geräusch erst in dem Moment bemerkt, da es verstummt? So geht es mir einem der Lufterfrischung dienenden Apparat, der seit geraumer Zeit Bestandteil der häuslichen Gerätelandschaft ist. Weil immer was in der Luft liegt, rauscht er je nach gemessenem Luftverschmutzungsgrad mal lauter, mal leiser vor ich hin. Anders bei Staubsauger, Wäschetrockner und Max Giesinger: Da tritt das Störempfinden unmittelbar ein.

Woche 53: Winterfeeling im Wertstoffhof

Montag: „Endlich ist dieses Jahr vorüber“, hört man sie nun sagen, als ob bereits ab Freitag alles wie zuvor wäre. Doch will ich nicht die Stimmung trüben. Freuen wir uns vielmehr, endlich wird auch bei uns geimpft was die Spritzen hergeben. Anlässlich dessen zwang mich die Tagesschau gestern Abend, achtmal schaudernd den Blick vom Fernseher abzuwenden, weil eine Nadel in einen meist runzeligen Oberarm getrieben wurde. Bei fünfzehn Minuten Sendezeit ergibt das durchschnittlich alle 1,9 Minuten bzw. 113 Sekunden einen Stich. Hoffen wir, dass es auch die Impfablehner überzeugt.

Dienstag: Offenbar haben die Leute „zwischen den Jahren“ nichts besseres zu tun, als in Scharen nach Winterberg und in die Eifel zu fahren, weil dort Schnee liegt. Viel mehr als Straßen und Parkplätze zu verstopfen können sie dort nicht machen – Skilifte, Hotels und Lokale sind bekanntlich geschlossen. Lange Schlangen laut Radiomeldung auch vor den örtlichen Wertstoffhöfen, weil viele die Entsorgung ihrer Abfälle offenbar mit einem Familienausflug verbinden. Vielleicht hoffen sie, zusammen mit dem alten Fernseher auch das alte Jahr symbolisch loszuwerden, kann man ja keinem verdenken.

Abfall zu produzieren ist nunmal wesentlicher Bestandteil menschlicher Natur. Um die übrige Natur ein klein wenig zu schonen, ersannen wir die Abfalltrennung in Wertstoffhöfen und bunten Tonnen, immerhin. Nicht alle verstehen das Prinzip, wie immer wieder festzustellen ist. Es bedarf schon erstaunlicher Phantasie, mehrere Liter nicht mehr benötigten (flüssigen) Tapetenkleisters als Verpackungsmüll zu deklarieren und in den dafür vorgesehenen Behälter zu füllen. Vielleicht wollte mir der Geliebte auch nur ein wenig Blogstoff liefern. Oder ich bin in diesen Dingen zu empfindlich, wird doch nur ein sehr geringer Anteil der Verpackungsabfälle wieder verwertet, wie ich kürzlich las, der Rest wird zusammen mit Haarschnitt, Hausstaub und Hundekot der Verbrennung zugeführt.

Auch der Liebste und ich verbanden heute die Abholung von Schaumwein im Ahrtal mit einer kleinen Ausfahrt durch die Eifel, indes unbeschneit.

(Beide Bilder entstanden am späten Nachmittag oberhalb von Mechernich-Wachendorf; das Ding da im Feld ist kein Futter- oder Raketensilo, sondern die Bruder-Klaus-Kapelle, ein recht eigenwilliger Sakralbau.)

Aus gegebenem Anlass: Werter Herr Saitenbacher, ich habe keinen Grund, an der hohen Qualität Ihrer Produkte zu zweifeln. Dennoch versichere ich Ihnen, niemals eins davon zu kaufen. Grund ist die wirklich unerträgliche Reklame dafür.

Mittwoch: Nur weil Weihnachten vorüber ist, heißt das nicht, der Paketbube hätte bei uns nichts mehr zu tun. Heute brachte er ein weiteres Glasgefäß unbekannter Zweckbestimmung für den Geliebten, der in letzter Zeit eine unerklärliche Sammelleidenschaft für Bleikristall entwickelt hat. In Anlehnung an Loriot ausgedrückt: Die Menschheit wird gerade von einem Virus hingerafft, aber wir haben Zuckerdosen und Milchkännchen.

Erkenntnis: Man muss nicht jeden Abend zwei Flaschen Wein trinken. Eine genügt auch.

Donnerstag: Am letzten Tag des Jahres wird traditionell der Jahresrückblick ins Tagebuch eingetragen.

Ob er nach Sattel schmeckt, fragte der Liebste abends bei Verkostung eines Bordeaux, den Experten als „ein önologisches Violinkonzert“ bezeichnen. Ich habe nicht die leiseste Idee, wie ein Sattel schmeckt, und Sie sehen mich in banger Hoffnung, das weder im neuen Jahr noch irgendwann danach erfahren zu müssen.

Freitag: Da das önologische Silvesterkonzert mehrere Zugaben erfuhr, verließ ich das Bett erst am späteren Mittag. Warum auch nicht, das neue Jahr ist nachmittags auch noch da.

„Das beste kommt noch“, las ich während des Ernüchterungsspaziergangs auf einem Zettel, den jemand hinter seiner Fensterscheibe befestigt hat. Das wollen wir doch hoffen. Es ist im Übrigen sehr ungewöhnlich, am Neujahrstag durch weitgehend saubere Straßen zu gehen. Nur vor unserer eigenen Hauseinfahrt liegt eine größere Ansammlung bunter, glitzernder Foliensterne auf der Straße, die dort nicht näher bezeichnete Personen in der Silvesternacht geräusch- und raucharm verstreut haben. Das ist einerseits eine Sauerei, andererseits hübscher anzusehen als die Glasscherben, Raketenabschussrampen, Böllerfetzen und Brechlachen der Vorjahre.

Samstag: Wie der Deutsche Wetterdienst mitteilte, verursacht Polarluft in höheren Lagen „ein brauchbares Winterfeeling“. Was auch immer das sein soll und wer es braucht. Vielleicht hält das die Leute davon ab, weiterhin massenhaft nach Winterberg und in die Eifel zu fahren, weil sie den Winter auch vor der Haustür feelen.

Wenn Sie in der Schule in Physik gut aufgepasst haben, wissen Sie vielleicht noch, was Diffusion ist. Sehr gut zu beobachten ist dieser Vorgang zurzeit in unserer Straße, wo die bunten Sterne durch Wind und Autoreifen langsam in entferntere Stadtteile diffundieren.

Auch Herr B geht gerne spazieren, und zwar mit offenen, offenbar nicht überwiegend auf ein Datengerät gerichteten Augen. „Es war, ich möchte mich da festlegen, der bisher beste Tag des Jahres“, enden seine Betrachtungen über den Neujahrstag.

Sonntag: Morgens gegen halb sechs aufgewacht und vermutlich nicht wieder eingeschlafen, dennoch durfte ich erst gegen zehn das Bett verlassen, bitte fragen Sie nicht. Wozu sollte ich auch an einem Sonntag früher aufstehen, der Carpe-Diem-Gedanke lässt sich auch im Liegen sinnierend gut verwirklichen. Wie ich mal gelesen habe, hat man Leute, die an häufiger Schlaflosigkeit litten, in einem Schlaflabor vermessen, und siehe da: Ohne es selbst zu merken, schlummerten sie wie ein Igel in seiner Winterhöhle. Deshalb schrieb ich eben „vermutlich“. Nur weil man etwas nicht bemerkt, bedeutet das nicht zwingend, dass es nicht stattfindet.

Vermutlich hat mein ermüdeter Körper in den vergangenen zehn Nächten genügend Schlaf getankt, irgendwann ist es damit auch mal gut. Morgen ist es damit ohnehin vorbei, wenn wieder die innere Werkssirene heult. Wenn es Ihnen ähnlich ergeht, wünsche ich uns einen angenehmen Start in die neue Arbeitswoche. Lassen Sie es ruhig angehen und sich nicht hetzen, das Jahr ist noch jung.

Was ich auch gelesen habe: Offenbar kann oder konnte man beim Bachmann-Wettbewerb den Ernst-Willner-Preis gewinnen. Auch ohne Kenntnis, wer Ernst Willner ist oder war und warum in seinem Namen Preise vergeben werden, finde ich das ganz wunderbar. (Damit sind alle Notizen der Woche in diesem Rückblick verwurstet, was ich auch ganz wunderbar finde.)