Woche 3: Lockendown

Montag: Die Rufe nach einer Pflicht zur Heimarbeit werden lauter. Dabei gibt es immer einen Grund, warum etwas nicht geht. In diesem Fall: Ich will nicht.

Morgens in der Zeitung eine Sprachperle:

„… in unserer Welt des vorzeitigen Nachrichtenergusses“

David Kriesel, Datenwissenschaftler, im General-Anzeiger

Die Frage der geschlechtsneutralen Ansprache und die Kritik am generischen Maskulinum führen immer wieder zu Diskuss- und Emotionen. Auch der Duden machte sich diesbezüglich in jüngster Zeit, je nach Betrachtungsweise, beliebt oder unbeliebt, beziehungsweise un*beliebt. Nachrichtensprechende sprechen einen Sternchensprung, wenn sie etwa „Nachrichtensprecher*innen“ sagen, und zunehmend liest man in Texten das generische Femininum statt der gewohnten allgemeinmännlichen Form, was ebenfalls nicht völlig unproblematisch ist. Wenn etwa ein Minister oder ein anderer in hingehaltene Mikrofone sagt: „Die Enten sind sicher“, müssen sich Erpel dann sorgen?

Dienstag: So langsam wird es frisurlich interessant, zumal der nächste Friseurbesuch in unbekannter Ferne liegt. Wie ich morgens beim Blick in den Spiegel feststellte, entwickelt sich der sogenannte Lockdown immer mehr zu einem Lockendown.

„Die Atmosphäre ist aufgewühlt“, sagte der Wettererklärer Sven Schwanke oder Karsten Plöger im WDR-Fernsehen, ich kann die immer noch nicht auseinander halten, im Gegensatz zu Özden Terli und Katja Horneffer im ZDF, die vergleichsweise gut zu unterscheiden sind. Doch nicht nur draußen toben die Turbulenzen, auch im trauten Heim war die Stimmung zeitweise bewölkt, was mich bereits beim ersten Morgenkaffee, lange vor der üblichen Sprechzeit, in ein klärendes Gespräch verwickelte, welches zumindest vorläufig zu einer Aufheiterung führte.

Weniger erbaulich dagegen die letzte Besprechung des Tages im Werk ab siebzehn Uhr, zu der ich nicht das Mindeste beitragen konnte, wofür ich andererseits nicht undankbar war, da mein Buchstabenbudget um diese Zeit üblicherweise längst aufgebraucht ist, heute erst recht, siehe oben. Da ich das bereits morgens ahnte, erwog ich, meine Teilnahme abzusagen, doch gemahnte mich der Liebste: „Das kannst du nicht machen, bei deinem Gehalt“, womit er nicht ganz unrecht hatte, daher ließ ich es stumm über mich ergehen.

Stumm bleibt auch der Radiowecker: „Dem Glücklichen schlägt keine Stund‘“, sagte er sich abends und kündigte dauerhaft seinen Dienst.

Mittwoch: In einer besonders sinnlosen Besprechung mutmaßten sieben Teilnehmer zwanzig Minuten lang über den Zweck und das Erfordernis eines IT-Systems, das augenscheinlich seit fünf Jahren nicht mehr genutzt wurde, während der achte, der die Antwort vermutlich weiß, unentschuldigt dem Gespräch fernblieb.

Fernbleiben muss ab sofort auch ein anderer, und zwar dem Weißen Haus, was aus historischen Gründen auch hier für die Nachwelt festgehalten sei:

(Der Spiegel Online)

„Was wir getan haben, ist in jeder Hinsicht erstaunlich“, sagte Trump zum Abschied. „Das waren unglaubliche vier Jahre.“ Damit hatte er zweifellos recht.

Zur Erinnerung auch dieses, vor gut vier Jahren schon einmal gezeigte:

(Archivbild aus Die Welt Kompakt 2016)

Unterdessen hat der Bonner Stadtrat wegweisende Entscheidungen getroffen:

(General-Anzeiger Bonn)

Eine Neuanschaffung alter Eisenbahnen, die keiner Zustimmung bedarf, auch bei mir:

Donnerstag: Wie die Werksverwaltung mitteilte, ist die Heizung wieder defekt. Vielleicht ist das auch ein subtiler Versuch, hartnäckige Heimarbeitsverweigerer wie mich auf dem kalten Weg umzustimmen.

Freitag: Nachdem zu Weihnachten 2004 der Tsunami in Südostasien Hunderttausende in Tod und Verderben gespült hatte, verzichteten die Radiosender in Deutschland darauf, „Die perfekte Welle“ von Wir sind Julisilbermondhelden oder wie die hießen zu spielen. Aus aktuellem Anlass rege ich an, in gleicher Weise mit „Auf das was da noch kommt“ von Lotte/Giesinger zu verfahren.

Samstag: Notwendige Be- und Entsorgungen verband ich mit einem kurzen Spaziergang an den Rhein. „Es gibt kein Corona, nur Politik“, rief ein Obdachloser, der sein Lager unter der Kennedybrücke aufgeschlagen hat, in einer Endlosschleife allen Vorbeigehenden zu. Als ob Politik ebenfalls eine Seuche wäre, der nur mit Impfung und Abstand beizukommen ist. Wenig später musste ich einer hinter mir gehenden jungen Frau beim Telefonieren zuhören, die von ihren Bekannten erzählte, die trotz Baby weiterhin in der WG wohnen und die Kleine auf eine fünfwöchige Backpackertour mitnahmen. Sie selbst überlege ebenfalls, die Pille abzusetzen, wisse aber noch nicht, was sie stattdessen tun solle. Was man halt so redet, wenn man unter sich ist und nicht damit rechnet, jemand könnte mithören und es anschließend aufschreiben. Eine unerfreuliche Begegnung anschließend erneut auf dem Verbindungsweg vom Rhein zum Augustusring. Der Weg ist der Länge nach durch eine sichtbare Kante in zwei ungleich breite Streifen aufgeteilt, Verkehrsschilder an beiden Enden weisen ihn eindeutig als kombinierten Fuß-/Radweg aus:

(Archivbild von April 2018)

Als ich auf dem schmaleren Streifen (links im Bild) nach oben ging, kam mir ein älterer Radfahrer entgegen gerast und beschimpfte mich unflätig als Trottel, weil ich seiner Ansicht nach auf dem Radweg ging. Was mich daran ärgerte, war nicht zuvörderst seine Beschimpfung – die Aufteilung des Weges ist wirklich etwas irreführend, vielleicht war der schmalere Streifen früher tatsächlich als Radweg ausgewiesen, und er hat das Schild nicht bemerkt, kann ja passieren. Am meisten ärgerte mich meine eigene Reaktion, deren verbale Unflätigkeit der seinen in nichts nachstand. Das war äußerst unsouverän von mir, wofür ich in aller Form um Entschuldigung bitte, wenn ich auch nicht genau weiß, wen. Den Radfahrer jedenfalls nicht, dieses A*loch.

Sonntag: Irgendwo las ich vor einigen Wochen eine Beschreibung des Buchs „Die Stille“ von Don DeLillo. Die Geschichte versprach Unterhaltungswert: In New York treffen sich fünf befreundete Personen, während weltweit die digitale Infrastruktur aus unbekannter Ursache dauerhaft zusammenbricht. „Ein Werk mit verblüffenden Parallelen zur aktuellen Situation in der Welt, ebenso hell- wie weitsichtig. DeLillos geschliffene Sprache, seine Vorstellungskraft und sein seismografisches Gespür machen »Die Stille« zu einem literarischen Ereignis“, preist der Verlag das zwanzig Euro teure, gerade mal hundertsechs Seiten dünne „Werk“ auf dem Rückumschlag an. Vielleicht ist mein eigenes seismografisches Gespür zu grob kalibriert, denn dieses literarische Ereignis, bestehend überwiegend aus geschwurbelten, schwer nachvollziehbaren Dia- und Monologen mit einer winzigen Prise Sex ohne jede Erotik, stieß bei mir vor allem auf gelangweilte Ratlosigkeit; selbst bei einem derart dünnen Buch kann man sich fragen: Wann ist es endlich vorbei? Sie können es sich bei Interesse gerne aus dem öffentlichen Bücherschrank vor dem Frankenbad abholen.

Endlich vorbei ist nun auch dieser Wochenrückblick. Ich wünsche Ihnen eine erfreuliche neue Woche.

Woche 38: Die Welt dreht sich trotzdem weiter

Montag: Nach dem Mittagessen verhinderte höllischer Lärm im Werksgarten einen gesunden Büroschlaf. Was wie ein besonders fieser Laubbläser klang, erwies sich als motorgetriebene Heckenschere, was es nicht besser machte. Bekommen diejenigen, die damit arbeiten, wohl Schmerzensgeld, oder wenigstens eine Erschwerniszulage?

Dennoch musste ich auf den Gesang des Laubbläsers nicht verzichten, das Heckengeschnetzelte musste ja anschließend zusammengepustet werden.

Dienstag: Bleiben wir im Büro, wo ich dieses las: »In Zukunft setzen wir für unsere Büromitarbeitenden auf eine noch bessere Balance zwischen mobilem Arbeiten und persönlichem Kontakt in einem innovativen Umfeld.« Als Büromitarbeitender mit tiefer Abneigung gegen Heimarbeit glaube ich in diesem Satz eine Bedrohung zu erkennen. Die Lebenserfahrung lehrt, wann immer in einer öffentlichen Verlautbarung oder Werbung die Worte „noch besser“ vorkommen, ist selten etwas Gutes zu erwarten.

Eine Bedrohung ganz anderer Art erfolgt zurzeit in einigen Regionen durch Orcas: Laut einem Zeitungsartikel greifen sie gezielt Ruder von Schiffen und Booten an, bis sie nicht mehr manövrierbar sind. So ähnlich fing das in „Der Schwarm“ von Schätzling auch an.

Als Radfahrer am meisten bedroht fühle ich mich übrigens durch andere Radfahrer, die unter Missachtung gängiger Anstands- und Verkehrsregeln und ohne zu kucken einfach drauflos fahren.

Mittwoch: Noch einmal das beliebte Thema gendergerechte Sprache. Die Ankündigung der Bundeswehr, diverse Dienstgrade künftig auch in weiblicher Form zu bezeichnen, wie „Generalin“, „Gefreitin“*, „Unteroffizierin“ oder „Oberstleutnantin“, inspirierte heute gleich fünf Leserbriefschreiber (darunter immerhin eine Frau) im General-Anzeiger zu ablehnenden Meinungsäußerungen. Ein wesentliches Argument: Die Bundeswehr habe ganz andere Probleme, die zuvörderst zu lösen wären. Das ist ein beliebter Einwand von Leuten, die gegen eine grundsätzlich gute Sache sind, meist beginnend „Die sollen doch erstmal …“ bzw. „Sollen die doch erstmal …“. Sehr beliebt auch bei Maßnahmen zu Klima- und Umweltschutz. Über das Wort „Vorständin“ zu weiblichen Vorstandsmitgliedern habe ich indes noch keine Empörungsäußerungen wahrgenommen, obwohl das mindestens genauso unsinnig ist.

* Müsste das nicht auch „die Gefreite“ heißen, oder bekommt das dann eine andere Bedeutung?

Donnerstag: Die Corona-App hat offenbar einen gewissen Unterhaltungswert, wie die Beobachtung eines Kollegen in Siegburg zeigt: Ein älteres Ehepaar wollte ein Restaurant aufsuchen. Während sie am Eingang wartete, ging er durch das Lokal, immer den Blick auf sein Datengerät gerichtet. Nachdem er seine Runde beendet hatte und wieder bei seiner Gattin war, sagte er: „Alles grün, kannst reinkommen.“

Die gute Nachricht zum Flüchtlingsdrama: 2015 wird sich ganz sicher nicht wiederholen.

Freitag: Manches nimmt man jahrelang als gegeben hin, ohne es zu hinterfragen. Wie die Altglascontainer in Werksnähe, an denen ich täglich vorbei komme. Erst heute früh, nach Jahren unbedachten Dranvorbeigehens, dämmerte mir: Warum stehen in einem reinen Büroviertel, fernab von Wohnbebauung, Altglascontainer, und das an gleich zwei Stellen mit wenigen hundert Metern Distanz dazwischen? Wer nutzt die? Oder gab es dort früher, als es noch Regierungsviertel und zudem üblich war, täglich ins Büro zu gehen, so viele Büro-Partys mit Schaumweinbegleitung?

Samstag: Mit dem Auto fuhren der Liebste und ich zu einem Kurzbesuch nach Bielefeld, wo meine Mutter westfälischen Pickert briet. Für Nichtwestfalen: Pickert ist eine Art Pfannkuchen aus geriebenen Kartoffeln, Mehl, Rosinen und Hefe, den man, möglichst warm aus der Pfanne, vor dem Verzehr mit Butter, Marmelade, Zuckerrübensirup oder grober Leberwurst bestreicht, möglich und (kein Scherz) ausgesprochen köstlich ist auch die Kombination von Leberwurst und Sirup. Abends fuhren wir wieder zurück, weil ich private Übernachtungen nach wie vor, unabhängig von irgendwelchen Seuchenlagen, als etwas erachte, das es unbedingt zu vermeiden gilt. „Samstagabend ist Kult“, sagte einer im Autoradio. Was Leute so daherreden, wenn man ihnen ein Mikrofon hinhält.

Sonntag: Die Unfruchtbarkeit von Männern scheint im Heterosexuellenmillieu ein großes Problem zu sein; letzte Woche war es Titelthema im SPIEGEL, heute berichtet die F.A.S. ausführlich dazu. Betroffene behaupten, die Feststellung habe sie getroffen wie der Tod eines nahen Angehörigen oder eine Krebsdiagnose, vor allem sehen sie ihre Männlichkeit arg ins Wanken geraten. Meine Herren, bitte sehen Sie mir meine antinatalistische Sichtweise nach, und es liegt mir wirklich fern, Sie vor den Kopf oder andere Körperregionen zu stoßen, aber angesichts von sieben Milliarden Menschen auf der Erde, mit weiterhin steigender Tendenz, fällt es mir schwer, die Dramatik darin zu erkennen. Auch wenn ausgerechnet Ihre wunderbaren Gene nicht weitergegeben werden, die Welt dreht sich trotzdem weiter.

Am Beueler Rheinufer stand nachmittags ein Doppeldeckerbus, auf dessen Oberdeck eine Kombo aufspielte. Wie ich einem verteilten Handzettel nach grobem Überfliegen entnahm, handelt es sich um eine Art Konzertreihe, die der Linderung derzeitiger kultureller Entbehrungen dient. Leider ist mir der Zettel auf dem Heimweg abhanden gekommen, daher kann ich nicht mit weiteren Informationen dazu dienen. Der geäußerten Bitte, Fotos oder Videos der Darbietung ins Netz zu stellen, komme ich selbstverständlich gerne nach.

Ansonsten waren in dieser Woche erfreulich: neue Schuhe, ein Spaziergang durch Bielefeld-Stieghorst, gedeckter Apfelkuchen, eine umfassende Einweisung in die neue Küchenordnung durch den Geliebten („Herd, heiß“ / „Heiß, Herd“).

Woche 28: Seltsame Botschaften

Montag: Zweite Urlaubswoche in der Provence. Der Liebste und die junge Nachbarshündin sind augenscheinlich in großer gegenseitiger Angetanheit verbunden. Es fehlt nicht mehr viel, und am Freitag fährt statt meiner das Tier mit zurück ins heimische Bonn. Die Irritationen an meinem Arbeitsplatz, wenn dann am Montag an meiner Stelle der Hund ins Büro kommt, könnte sich bald legen, wenn sie merken, dass sowohl der Unterhaltungswert als auch die Arbeitsergebnisse des Hundes meinen in nichts nachstehen.

KW28 - 1

„Na der Unterhaltungswert des Hundes dürfte wohl größer sein“, höre ich Sie nun denken. Danke dafür! Haben Sie nichts besseres zu tun? Haben Sie der EU schon mitgeteilt, was sie von der Zeitumstellung halten? Das geht hier: https://ec.europa.eu/eusurvey/runner/2018-summertime-arrangements?surveylanguage=DE

Von Zeitumstellung zur Zeitung, die ich dank moderner Technik auch hier lese: Dort steht heute, Klebstoffe werden teuer. Auch das noch.

Dienstag: Klebstoff guter Geschäftsbeziehungen ist der informelle Austausch im Rahmen guter Gastlichkeit. So brachten meine Verpflichtungen als Unternehmergattin heute ein Abendessen mit einem befreundeten Winzerpaar mit sich. Die Tischkommunikation erfolgte überwiegend auf französisch und etwas englisch. Während der mir angetraute Monsieur les Importateur die französische Sprache recht gut beherrscht, bin ich leider immer noch nicht dazu gekommen, sie mir in einer konversationsgeeigneten Weise anzueignen. Aber letztlich fühle ich mich in der Rolle des schweigenden Begleiters grundsätzlich recht wohl.

Mittwoch: Vergangene Nacht träume ich, ein unbekannter Mann klaute das Mobilgerät des Liebsten aus der Küche unserer Urlaubsunterkunft und verlässt das Haus. Auf der Straße knurrt ihn die Hündin der Nachbarin an. Ich denke: Lass das doch das Känguru machen. Aus dem Hund wird daraufhin das Känguru (das von Marc-Uwe Kling) mit roten Boxhandschuhen. Es sagt: „Bring das besser wieder zurück, Freundchen!“ Der Mann gehorcht.

Apropos gehorchen: Aufgrund scharfer Kritik einer Person, deren Gunst mir besonders am Herzen liegt, erkläre ich das in der vergangenen Woche erwähnte Experiment der Bartlosigkeit für beendet. Dunkle und graue Stoppeln zieren nun wieder wie ehedem mein Antlitz.

Donnerstag: Wie einer ganzseitigen Zeitungsanzeige zu entnehmen ist, heißt der Textilhändler SinnLeffers ab 1. August nur noch Sinn, Werbeslogan: „Das macht Sinn“. Andererseits: Da selbst die Lektoren von Schriftstellern wie Bodo Kirchhoff und Max Goldt, Autoren meiner Urlaubslektüre, es ihnen durchgehen lassen, wenn sie „meint“ anstelle von „bedeutet“ schreiben, scheine ich mich in manchen Dingen etwas anzustellen. „Sprache wandelt sich eben“, höre ich sie wieder raunen. Ja. Leider nicht immer zum Guten.

In Stuttgart wird es ab dem kommenden Jahr Fahrverbote für Dieselfahrzeuge geben. Ausnahmen sollen es unter anderem für entsprechend gekennzeichnete Oldtimer geben, also mit die größten Dreckschleudern überhaupt. Das macht weder Sinn, noch ergibt es einen.

Wo wir gerade bei Sinnen sind: Zu den schönsten Urlaubsmomenten zählen die Abendstunden mit dem Liebsten vor unserem Haus. Manches kann man sehen, aber nicht im Bild festhalten, etwa den im Kerzenlicht tanzenden Schatten des Roséglases an der Hauswand. Anderes kann man hören, aber nicht sehen, wie das Knistern und Knacken, wenn der Eiswürfel in den Rosé eintaucht. Oft liegt der Reiz ja gerade in dem, was man nicht sieht.

Herr Buddenbohm findet, es wird zu wenig über die kleinen alltäglichen Gescheh- und Erlebnisse gebloggt, „Blogsport“ nennt er das. Ich finde das auch.

Freitag: Rückfahrt nach Bonn. Es liegt mir fern, ganze Bevölkerungsgruppen zu bezichtigen. Dennoch erscheint die Vermutung nicht völlig abwegig, belgische Autofahrer betrachteten Straßenverkehrsregeln, insbesondere solche, die sich auf zulässige Höchstgeschwindigkeiten beziehen, maximal als Vorschlag.

„Fressen, fressen und vermehren: Darin besteht für den aus Nordamerika eingeschleppten Kalikokrebs der Sinn des Lebens“, schreibt der General-Anzeiger. Das ließe sich mühelos auf zahlreiche andere Lebewesen übertragen, einschließlich nicht weniger Exemplare der selbsternannten Krone der Schöpfung, wo dann noch Aufmerksamkeit, Gier und Machterhalt zu ergänzen wären. Wurde schon untersucht, ob sich der gepanzerte Geselle zum menschlichen Verzehr eignet? So weit ich mich erinnere, sind die Berliner da vor nicht allzu langer Zeit mit gutem Beispiel vorangegangenen.

Apropos Zeit: So wie zwei Wochen Urlaub immer viel zu schnell vergehen, so verstreichen auch zehn Autostunden rasch, wenn am Zielort jemand ist, auf den man sich sehr freut.

Samstag: Musikalische Verpflichtungen einer Sonder-Chorprobe erforderten schon am Vormittag meine Anwesenheit in Köln. Nach zwei Wochen Provence fällt es noch etwas schwer, die spröde Schönheit der Landschaft zwischen Bonn und Köln zu erkennen, aber das wird schon wieder.

Eine seltsame Botschaft gegenüber dem Bonner Hauptbahnhof bei Rückkunft:

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Manchmal denkt man ja: In dessen Haut möchte ich jetzt nicht stecken. Zum Beispiel in der desjenigen, der verantwortlich war für die Ausrüstung der Flugzeuge, die anlässlich des französischen Nationalfeiertags über Paris hinwegflogen, mit diesen farbigen Rauchschwaden, die sie hinter sich herziehen, um die „Trikolore“ an das Firmament zu malen. Vielleicht stand man unter Zeitdruck, oder blau war knapp, jedenfalls zog das äußere von drei Flugzeugen, welche einen blauen Streifen hätte zeichnen müssen, vor den Augen der Welt stattdessen einen roten hinter sich her, was der Trikolore einen eigenwilligen Anstrich verlieh.

Sonntag:  Ein fauler Tag auf dem Balkon als Urlaubsausklang ist wohl nicht das schlechteste. „Es gibt viele Beschwerlichkeiten, die die jahrzehntelange Existenz in einem Einweg-Bio-Zylinder unseren zarten Seelen aufbürdet. Aber als kohlenstoffbasiertes Wesen darf man auch nicht viel erwarten. Es ist ja mehr oder minder ein glücklicher Zufall, dass man wenigstens kein Diamant geworden ist, der sein Dasein am Ringfinger einer betrogenen Ehefrau fristen muss.“ Diese wunderbaren Zeilen schrieb Thomas Glavinic in der FAS zum Thema „Körper“.

Nachbemerkung: Frankreich ist nun Fußballweltmeister. So gesehen vielleicht gar nicht schlecht, zurück in Bonn zu sein.