Woche 34/2022: Kassenpatienten müssen draußen warten

Montag: Die Woche begann mit einer zweitägigen Dienstreise per Bahn nach Bad Breisig. Bereits in Bad Godesberg ging es nicht weiter, zunächst wurden in der Tür stehende Fahrgäste der Ursache bezichtigt, was eine entsprechende Unmutsäußerung des Triebfahrzeugführers nach sich zog. „Irgendwelche Bauern …“ murmelte daraufhin ein Reisender in Hör- und Sichtweite, öffnete die Flasche eines bekannten Kräuterschnapses aus Wolfenbüttel und nahm einen kräftigen Schluck, er hatte offenbar für derartige Situationen vorgesorgt. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, die Türen zu schließen, sah man den Fahrer nach hinten gehen, nach etwa zehn Minuten und behobener Türstörung kehrte er zurück und endlich ging es weiter. Dank zeitlich großzügiger Planung nahm ich es gelassen, auch ohne Kräutertrunkunterstützung.

„Nächster Halt Oberwinter, planmäßige Ankunft acht Uhr neun, heute acht Uhr neununddreißig“, verkündete eine künstliche Frauenstimme in diesem unerträglichen Werbeton, der Spuren von Lachen enthält und bei dem man sich stets sofort verarscht fühlt, verzeihen Sie den derben Ausdruck. Sie wissen vielleicht, was ich meine: „… statt zehn Euro neunundvierzig nur neun Euro achtundneunzig“; „Kauf zwei – zahl drei.“

Dienstag: Vergangenen Samstag habe ich einen etwas größeren Rucksack gekauft, den ich benötige, wenn ich demnächst ein paar Tage ins Allgäu fahre. Zwischen dem Bahnhof Martinszell und der Unterkunft in Niedersonthofen liegt ein Fußweg von knapp vier Kilometern, den ich ungern mit Rollkoffer oder Reisetasche in der Hand zurücklegen würde. Da ich auf Reisen stets nur das Nötigste mitnehme, was sich bestens bewährt hat, selten vermisste ich am Zielort etwas nicht Mitgenommenes, sollte die Größe ausreichen. Für zweitägige Dienstreisen ist er schon mal perfekt, wie ich feststelle; auch für viertägige Reisen sollte sich Platz für weitere Klamotten und Lektüre finden. Eine gute Investition.

Mittags während der Tagung erreiche mich eine schlechte Nachricht meine Mutter betreffend. Der Rest der Veranstaltung, zum Glück war sie kurz nach 14 Uhr vorbei, zog daraufhin weitgehend unbeachtet an mir vorbei, gedanklich war ich bereits in Bielefeld und dabei, die nächsten Tage und Wochen umzuplanen, einschließlich Verschiebung des Allgäuaufenthalts auf unbestimmte Zeit, was von den denkbaren Übeln das geringste gewesen wäre. Nach Rückkehr in Bonn rief die Mutter an, es ging ihr besser, so dramatisch wie es zunächst schien war es wohl nicht. Die damit einhergehende Erleichterung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich auf diese Situation, die irgendwann eintreten wird, ziemlich schlecht vorbereitet bin.

Laut Zeitung wurden gefälschte FDP-Plakate sichergestellt: „Kein Geld für ÖPNV? Sollen sie doch Porsche fahren.“ Der Staatsschutz ermittelt. Insbesondere, ob es sich wirklich um Fälschungen handelt.

Mittwoch: Kurze Dienstreise nach Porz-Wahn. Für Nicht-Rheinländer: Das ist kein Ausruf des Entsetzens, sondern ein Stadtteil von Köln. Während ich morgens im Siegburger Bahnhof auf die S-Bahn wartete, brauste ein Güterzug am Bahnsteig entlang. Schon erstaunlich, dass das noch möglich ist in Zeiten, da alles mehrfach abgesichert ist, um jegliche Schadensersatzforderungen abzuwehren.

Donnerstag: Inseltag. Da es zum Wandern zu warm war, verbrachte ich den Tag nach Rückkehr aus Porz-Wahn am Lieblingsplatz am Rhein im Schatten der Pappeln. Wobei Schatten übertrieben ist, allenfalls spendeten die Bäume noch Halbschatten, der Boden darunter war von trockenem Laub bedeckt wie Mitte Herbst, minütlich fielen weitere Blätter herab. Mehrfache Ortswechsel waren erforderlich, um einigermaßen unbesonnt zu liegen, da die Sonne stets nach kurzer Zeit wieder eine Lücke im Geäst fand.

Derweil fuhr auf dem Rheinuferweg hinter mir ein Radfahrer vorüber, aus seiner Lärmdose tönte der alte Rudi-Carrell-Hit „Wann wirds mal wieder richtig Sommer“. Ein fragwürdiger Humor.

Die Schiffe fahren rheinaufwärts ganz nah am Ufer, abwärts etwas weiter zur Flussmitte. Vielleicht schreibt das die Rheinschiffahrtsverkehrsordnung oder welche Regelung hier auch immer einschlägig ist für diese Stelle so vor, ich weiß es nicht. Wobei, manche fahren auch andersrum, also abwärts am Ufer und aufwärts mittig. Immerhin, noch fahren welche. Die Fahrgastschiffe sind nur schwach besetzt, niemand winkt. Es ist zu warm für jede überflüssige Aktivität. Ein Schwarm Düsenbarken* (auch als Jetski bekannt) zog lärmend Richtung Königswinter. Auch so eine fragwürdige Freizeitgestaltung.

*Das schöne Wort habe nicht ich mir ausgedacht, sondern der Postillion.

Ein Krankenwagen hielt an, ein Sanitäter stieg aus mit einem Käfig in der Hand, darin, soweit aus der Ferne erkennbar, eine Ente. Damit ging er runter zum Fluss und kehrte bald, nachdem er die Ente zu Wasser gelassen hatte, mit leerem Käfig zurück zum Rettungswagen und sie fuhren wieder ab, neuen Einsätzen entgegen.

Freitag: Die gestern getroffenen Sonnenschutzmaßnahmen waren offenbar unzureichend. Heute rötet ein leichter Sonnenbrand den geschundenen Körper.

Da die Heilung des am vorletzten Wochenende verletzten Ellenbogens nur langsam voranschreitet und optisch recht bizarr anmutet, suchte ich morgens eine Arztpraxis auf. „Sie sind Privatpatient? Dann dürfen sie dort im Wartezimmer Platz nehmen.“ Kassenpatienten müssen offenbar draußen warten.

Gehört in einer Besprechung: „Wir werden nicht alle unter einen Tisch kriegen.“

Gelesen in einer Mail: „Das müssen wir zeitnah auf eine Zeitleiste setzen.“ Bitte vorher das Zeitfenster putzen.

Auch gehört: „Du musst mit uns in einfacher Sprache sprechen.“ – „Mach ich doch, du A…loch.“ Liebe hält das aus.

Samstag: „Angst um Atomkatastrophe“ ist ein Zeitungsartikel übertitelt. Um?

Mit der Bahn nach Bielefeld zum Mutterbesuch. In ICE-Zügen mag ich gar nicht – neben den Nichtfensterplätzen, wo man statt nach draußen gegen eine graue Wand schaut – die bei anderen sehr begehrten, weil man daran so gut „arbeiten“ kann, Vierergruppen mit Tisch. Durch den Tisch fühle ich mich beengt und man muss aufpassen, nicht mit den Füßen des Gegenübers zu kollidieren. Sie dürfen gerne raten, welche Art von Platz mir das Bahnreservierungssystem zugewiesen hat.

Bei der Einfahrt in Köln fährt man nahe an Wohnhäusern vorbei. Dort saß auf einem Balkon ein älteres Paar und winkte dem Zug zu. Wenn die das bei jedem einfahrenden Zug tun, sind sie gut beschäftigt.

Nach Verlassen des Bielefelder Hauptbahnhofs hörte ich hinter mir eine Frau zu ihrer Begleiterin sagen: „Warum verbringen wir überhaupt einen Samstagnachmittag in Bielefeld?“ Das sind die wahren Fragen des Lebens.

Sonntag: Da morgen die nächste Dienstreise nach Celle ansteht und Bielefeld auf halber Strecke liegt, bot sich die Verlängerung des Mutterbesuches an. Der Sonntagsspaziergang führte daher durch Gefilde aus Jugendzeiten.

Unter anderem durch das Ehlentruper Holz, ein kleiner Wald in der Nähe des Elternhauses

Entgegen üblicher Gewohnheiten und innerer Überzeugung waren heute zwei dienstliche Telefongespräche erforderlich. Das war nicht schlimm, bedarf indes keiner baldigen Wiederholungen.

„Heute Morgen war so schönes Wetter, jetzt scheint schon wieder die Sonne“, sagte die Mutter am späten Nachmittag.

***

Ich wünsche Ihnen eine angenehme neue Woche mit kühlem Kopf.

Woche 33/2022: Knieleid und Konferenzgeschwätz

Montag: Heimarbeit ist großer Mist, mir ist völlig rätselhaft, warum so viele davon so begeistert sind. Heute ging es nicht anders: Mittags wurde ich abgeholt zu einer Dienstreise bis Mittwoch in Leipzig, da wäre es wenig sinnvoll gewesen, vorher noch ins Werk zu fahren.

Hinzu kam ein gewisses Wehleid wegen der am vergangenen Wochenende zugezogenen Wunden, die sich während der Fahrt in unterschiedlicher Weise bemerkbar machten. Es ist erstaunlich, wie sehr solch vergleichsweise harmlosen Wehwehchen auf das Gemüt drücken, das montags ohnehin in desolatem Zustand ist.

Kurz vor dem Ziel durchfuhren wir heftigen Regen, zum Glück ohne Hagel, Sturm und andere meteorologische Unwägbarkeiten, dafür mit so richtig viel Wasser, das kennt man inzwischen kaum noch. Auch die Temperatur sank vorübergehend auf knapp über zwanzig Grad herunter, so dass ich mir später beim Abendessen draußen ein Pullöverchen überzog. Wenn auch als einziger weit und breit, aber das störte mich nicht.

Auf dem Weg dorthin kam uns eine Gruppe Jugendlicher entgegen. Als wir uns auf Höhe eines Restaurants begegneten, wo, in Restaurants nicht unüblich, welche aßen, zeigte ein Mädel hinein und sprach zu den anderen: „Seht mal, die essen da!“ Geben die Sachsen ihnen Kindern nichts zu essen?

Dienstag: Trotz eines gewissen Hellhörigkeit des Hotels (der Zimmernachbar pfeift sich offenbar gerne ein Liedchen) und der unter dem Fenster deutlich vernehmbaren Straßenbahn schlief ich gut.

Blick aus dem straßenbahnumtosten Hotelzimmer

Erkenntnis aus Tag eins unserer Veranstaltung: Am besten präsentiert man nur aus „Folien“ (erstaunlich, dass das gut zwanzig Jahre nach dem Tageslichtprojektorzeitalter immer noch so heißt), die man selbst erstellt hat; alles andere gerät schnell zu Powerpoint-Karaoke. Es lief dennoch ganz gut. Nachmittags war ich kurz in der Apotheke, Pflaster nachkaufen. Mehr Leipzig brauchte ich heute nicht, auch wenn es zweifellos eine schöne Stadt ist.

Auch wenn die Schönheit der Stadt im Innenhof des Hotels nicht gar so deutlich wird
Hotelhumor

Gelesen hier: „Ich müsste umschulen, auf einen Job, bei dem man nicht denken muss. Man dürfte aber auch nichts anderes machen müssen, denn es ist alles zu anstrengend. Was macht man denn da, was wird man da?“ – Beamter, was sonst? (Ich darf das schreiben, ich bin einer und weiß deshalb, dass diese Art der Selbstpolemik jeglicher Grundlage entbehrt.)

Mittwoch: In unserem Hotel ist jeden Tag Nikolaustag, wenn der Gast es will. Als Zeichen, dass man zur Schonung der Umwelt auf die Zimmerreinigung verzichtet, stellt man nicht seine Schuhe vor die Tür, sondern hängt ein bereitliegendes Jutebeutelchen an die äußere Türklinke. Zur Belohnung wird vom Personal ein Äpfelchen und ein Müsliriegel hinein gelegt, die mir heute Morgen als Frühstück dienten, da ich Hotelfrühstücke bei Veranstaltungen wegen morgendlicher Gesprächsgefahr grundsätzlich meide. Eine kreative Form der Personaleinsparung (an jeder zweiten Klinke hing das Beutelchen), gleichsam für‘n Appel und‘n Ei Müsliriegel.

„Gesundheit/Gesundheit/sundheit/ndheit/heit/t!“ – Warum ich es auf Tagungen und in größeren Gruppen nach Möglichkeit vermeide, zu niesen.

Donnerstag: Die erste Fahrradfahrt ins Werk mit wunden Knien lief besser als gedacht. Dennoch freue ich mich darauf, wenn sie wieder heile sind. Geduld. Geduld ist ja nicht unbedingt des Fahrradfahrers erste Tugend, er wartet ungern, auf grünes Ampellicht etwa oder auf Vorfahrt habende andere Verkehrsteilnehmer. Ich hingegen war heute dankbar für jede Pause; auf dem Rückweg hielt ich vor einem Zebrastreifen, um zwei junge Damen passieren zu lassen. Das schienen sie von Radfahrern nicht gewohnt zu sein, sie schauten leicht irritiert und bedankten sich brav.

Mittags in der Kantine gab es Gnocchi. Das erinnerte mich an ein italienisches Lied, das wir mal im Chor sangen, als ich noch im Chor sang und das ich nicht besonders mochte. Dennoch – oder deshalb, man weiß es nicht – hielt es sich im Hirnradio bis in den Nachmittag hinein. Der Arbeitstag war dennoch recht zufriedenstellend, trotz Kartoffelnockenlied, Knieleid und viel Konferenzgeschwätz.

Abends während der heute-Nachrichten zuckte ich kurz, als der Sprecherin während eines Beitrags über das aktuelle Fischsterben in der Oder ein ungegendertes „Forscher“ entfuhr. So weit ist es schon.

Freitag: Wo Menschen zusammenleben, knirscht es bisweilen, dabei ist es ganz einfach: Vor dem Abfuhrtag holt jemand die Mülltonnen aus ihrer Nische und rollt sie an die Straße, nach der Leerung rollt sie jemand zurück. Grundsätzlich klappt das ganz gut in unserer Hausgemeinschaft. Es sei denn, ein Trottel parkt seinen Roller so dämlich, dass die Nische versperrt ist. Nach Rückkehr aus dem Werk war der Roller verschwunden und die Tonnen standen an ihrem Platz. Es fügt sich immer alles irgendwie.

Bitte denken Sie sich die Tonnen-Nische links vor dem Roller

Im Zusammenhang mit dem leerlaufenden Rhein zitiert die Zeitung einen Lehrstuhlinhaber für Aquatische Systembiologie. Aquatisch – welch herrlich blühende Rose im Wörtersee.

Abends erprobten wir das neue Restaurant am Hotel Kanzler, das erst am Vortag eröffnet wurde, also das Restaurant, nicht das Hotel. Trotz unvermeidbarer Verkehrsgeräusche im Außenbereich, es liegt direkt an der Bundesstraße 9, waren wir sehr zufrieden, daher kommen wir bestimmt wieder. Zurück gingen wir zu Fuß, hinsichtlich Knieweh unproblematisch. Auch der Geliebte, längeren Fußmärschen sonst eher unaufgeschlossen, hielt tapfer durch.

Samstag: Die Stadt Bonn teilt mit, es sei zu einem Verkehrsunfall „mit einem Radfahrenden“ gekommen. Wenn der Sinn des Genderns an seine natürlichen Grenzen stößt.

Abends besuchten wir das Parkfest in Bad Godesberg, wo der Karnevalsverein mit einem Bühnenprogramm und einem Bierstand vertreten war; Wiedersehen macht Freude, wie sich einmal mehr bewahrheitete. Am späteren Abend, als das Bühnenprogramm längst beendet war, wurde etwa eine halbe Stunde lang auf Wunsch mehrerer junger Bierstandbesucher Musik gespielt, die wohl in die Kategorie Mallorca/Ballermann fällt, so genau kenne ich mich da nicht aus, kann mir jedenfalls gut vorstellen, wie zweifelhaft mitgrölende Menschen dazu rotes Getränk durch lange Trinkhalme aus Putzeimern saugen, falls das noch üblich und erlaubt ist. Auch das umstrittene Layla-Lied war dabei, wobei das nach meinem Empfinden noch eines der eher erträglichen war. Immer wieder erstaunlich, an was viele Menschen Spaß haben.

Sonntag: Vom Ballermann nach Bayern – Lotelta war im Allgäu am Niedersonthofener See, also genau dort, wo auch ich Ende September ein paar Tage zu verbringen beabsichtige. Der Bericht verursachte mir größere Vorfreude, wofür ich sehr danke.

Zur Knieschonung verzichtete ich heute auf den Sonntagsspaziergang, las dafür die Sonntagszeitung etwas intensiver als sonst. Darin ein längerer Artikel über die verheerenden Auswirkungen des Schulsportes auf das seelische Wohlergehen nicht so sportbegabter Kinder und Jugendlicher, der mich innerlich „Genau so ist es!“ ausrufen ließ. Daraus:

»Wenn es schlecht läuft, wird der Unterricht als Demütigung und Bloßstellung erlebt. Wöchentliche Stunden, in denen Durchhaltevermögen nicht im Ausdauersport geprobt wird, sondern in der Fähigkeit, trotz Schmach die Aufgaben zu absolvieren. Dank Mannschaftssport und Leichtathletik schält sich heraus, welche Schülerinnen und Schüler nicht so ganz dazugehören.«

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Anscheinend hat sich daran bis heute nichts geändert, noch immer wird dieser Unsinn benotet.

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Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 32/2022: Der kleine Hippolyt möchte aus dem Bälleparadies abgeholt werden

Montag: „Ich liebe den Sommer, weil die Leute schon morgens gut gelaunt sind“, sagte in der Frühe eine Frau im Radio. Was für Leute kennt die? Mich offenbar nicht.

Der Sommer macht mich eher nervös, nicht nur aus klimatischen, vielmehr aus optisch-hormonellen Gründen.

Tennissocken sind wieder im Trend

Schlechtlaunig erschienen mir abends auf der Rückfahrt vom Werk die Verkehrsteilnehmer; da war ein Drängen, Hupen und Schimpfen auf den Straßen wie selten. Ein wenig sprang das auf mich über: Als ich nach der Heimkehr zu Fuß Brötchen für das Abendessen holte, bereitete es mir diffuse Freude, Radfahrern, die mir regelwidrig in der Fußgängerzone begegneten, bewusst nicht auszuweichen; das unausgesprochene „A…loch“ in ihrem Blick nahm ich befriedigt zur Kenntnis. Ansonsten bin ich meistens ganz verträglich.

Dienstag: Olivia Newton-John ist tot, dreiundsiebzig ist sie geworden. Ihr größter Hit für mich war „Xanadu“, den sie 1980 mit dem Electric Light Orchestra in die Radios brachte. Der Ohrwurm des Tages spielte indes dieses, etwas älter, auch schön.

Mittags in der Kantine gab es rheinischen Döppekuchen, allerdings nicht für mich. Da ich aufgrund einer Besprechung etwas später zum Essen ging, konnte ich nur zusehen, wie die letzte Portion bereits um kurz nach zwölf an den Kollegen vor mir ausgegeben wurde, anscheinend hatte man die Beliebtheit des Gerichtes unterschätzt. Kann passieren, zumal ich die Kantine heute so voll erlebte wie zuletzt in Vorseuchenzeiten. „Döppekuchen ist wahrscheinlich aus, ich frage mal in der Küche nach“, beschied mir die freundliche Bedienung und verschwand. Während ihrer Abwesenheit bildete sich hinter mir eine Schlange weiterer Döppekuchenhungriger. Sie kehrte zurück mit einer dampfend gefüllten Wanne, doch ach: „Döppekuchen ist aus, es gibt jetzt Kartoffelauflauf.“ Das missfiel dem Kollegen hinter mir, er zog empört ab ob der vergeudeten Warteminute mit Worten ähnlich „Das müssen Sie doch besser kommunizieren“, die Antwort „Ja ja …“ der Servierdame wird er nicht mehr gehört haben. Der Kartoffelauflauf schmeckte vorzüglich.

Gelesen in einer Mitteilung: »Fange nie an, aufzuhören, und höre nie auf, anzufangen.« Du liebe Güte. Kennen Sie das, wenn man sich am liebsten einen Blecheimer über den Kopf stülpen und so lange mit einem hölzernen Kochlöffel dagegen schlagen möchte, bis es aufhört?

Mittwoch: Morgens erlosch, wie regelmäßig in letzter Zeit, im Bad das Licht, während ich den alten müden Leib für den Tag herzurichten mich mühte. Grund ist die moderne Haustechnik, die in wundersamer Weise mit dem Datengerät des Liebsten vernetzt ist. Sobald er das Haus verlassen und eine gewisse Distanz erreicht hat, gehen bei uns die Lichter aus. Früher gab es fest in der Wand installierte Lichtschalter, im Haus meiner Großeltern waren das Bakelitschalter mit so einem Drehdings in der Mitte, die bei Betätigung laut „klack“ machten, später einfache Drucktaster. Eines war allen gemeinsam: Wenn man drehte oder drückte, gingen diesen Schaltern fest zugewiesene Lampe an oder aus. Ein größeres Wunder war, wenn man eine Lampe über zwei Schalter an unterschiedlichen Stellen beliebig an- oder ausschalten konnte, das nannte man Wechselschaltung; in Physik war das mal Unterrichtsgegenstand, ich könnte heute nicht mehr erklären, wie das funktioniert. Jedenfalls funktionierte es zuverlässig.

Lichtschalter haben wir heute auch noch an den Wänden, die fast so laut „klack“ machen wie ihre Bakelitahnen, allerdings ist völlig rätselhaft, was sie auslösen und wer das entscheidet. Mal gehen auf Knopfdruck die Lampen in der Küche an, mal im Flur, ein anderes Mal wechseln sie nur den Farbton von grellweiß nach schummriggrün. Manchmal passiert nichts, dann schimpft der Geliebte und der Liebste ist stundenlang mit irgendwelchen Apps beschäftigt. Ohnehin werden bei uns nur noch selten Schalter gedrückt, stattdessen sagt einer „Hey Siri – im Wohnzimmer Lampen aus“ oder „Hey Siri – alle Lampen an“, daraufhin sagt eine devote Frauenstimme irgendwas und im günstigsten Fall wird der Befehl ausgeführt. Manchmal auch nicht, dann sagt sie so etwas wie „Ich kann die Lampe im Bad nicht finden“ oder sowas, woraufhin wieder der eine schimpft und der andere sich den Apps widmet. Manchmal bin ich dessen schrecklich müde und wünsche mir die alten Klackschalter von Oma zurück. Bei Manufactum gibt es die noch, allerdings werden die sich wohl nicht mit des Liebsten Datengerät und Siri verstehen.

Donnerstag: Wie jeden Donnerstag ging ich zu Fuß ins Werk, davon hält mich auch Sommerglut nicht ab. Erstaunlich, wie viele Läufer auch bei solcher Hitze noch laufen. Warum tun die das? Weder macht es Spaß, noch ist es gesund. Aber das trifft auf vieles zu, was Menschen tun.

Auch sah ich Fahrradfahrer mit freiem Oberkörper. In hormoneller Hinsicht unbedenklich – meist sind ja diejenigen am wenigsten bekleidet, von denen man lieber weniger sehen würde.

Abends waren wir im Biergarten, von wo aus wir dem Mond beim Aufgehen zuschauten.

Leider verschwand er sogleich wieder hinter einer Wolke.

Freitag: Morgens im Radio: „Sei mein kleiner Säugling“ – einer der zahlreichen Liedtexte, die nur in Englisch möglich sind.

Etwas tiefsinniger klingt „Kein Grund zu bleiben ist der beste Grund zu gehen“, gesungen von Roland Kaiser, lautstark mitgesungen vom Geliebten. Es wird wohl nichts zu bedeuten haben.

Ich war beim Friseur. Einem spontanen Beschluss folgend ließ ich die Haare sommerlich kurz schneiden und bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden, auch wenn aufgrund einer gewissen altersbedingten Spärlichkeit je nach Lichtfall die Kopfhaut nun deutlicher zutage tritt.

Schwarz-weiß ist gnädig

Gelesen und notiert:

… man kann, dachte Frank, jemanden sympathisch finden und sich dennoch wünschen, dass er mal eine Weile wegbleibt.

Sven Regner / „Glitterschnitter“

Samstag: Aus nicht näher darzulegenden und im Übrigen nicht völlig nachvollziehbaren Gründen fiel ich letzte Nacht aus dem Bett; vorangegangener Alkoholgenuss kann als alleinige Ursache weitgehend ausgeschlossen werden. Ja, der Vorabend endete, wie die meisten Freitage, in der Weinbar des Vertrauens, doch hielt sich der Verzehr im Rahmen, soweit ich mich erinnere. Folgen des Bettsturzes sind eine nur leichte Schramme am linken Unterarm sowie, gravierender, eine Wunde am rechten Ellenbogen, die recht ordentlich blutete, ziemlich genau an der Stelle, mit der man gerne mal irgendwo anstößt, was sich nun jedes Mal mit einem „Aaaa-ja“ schmerzhaft bemerkbar macht.

Nachmittags fuhren der Liebste und ich nach Mayschoß im Ahrtal, wo die Zerstörungen nach der Flut im vergangenen Jahr noch allgegenwärtig sind. Während wir in Rech vor einer Baustellenampel warteten, blickten wir links auf die halb weggerissene Nepomukbrücke, die nun der berühmten Brücke von Avignon ähnlich mitten im Fuss endet, dahinter Häuser in unterschiedlichen Beschädigungs- und Wiederaufbaugraden sowie freie Flächen, wo einst Häuser standen. Auf der rechten Seite dagegen eine gut besuchte Schankwirtschaft, wo sich fröhliche Leute auf der Terrasse den Wein schmecken ließen. Das ist gut, das Leben muss weitergehen, auch wenn es im Ahrtal es wohl noch lange dauern wird, bis die Spuren der Katastrophe beseitigt sind. Wenn nicht vorher die nächste „Jahrhundertflut“ durch das Tal tobt. Davon heute keine Spur: Die Ahr war nicht viel mehr als ein friedlicher Bach, in dem Graureiher ihrem Tagwerk nachgingen, an menschliche Schicksalen ohnehin uninteressiert. Zweck unseres Ausflugs war übrigens der Besuch eines Weingutes, wo uns der gut gelaunte Winzer einiges probieren ließ, anschließend fanden mehrere Kartons den Weg in den Kofferraum. Das Leben muss weitergehen, auch mit vorübergehend lädiertem Ellenbogen.

Namenstag haben heute: Pontianus, Kassian, Hippolyt, Ludolf und Wigbert. „Der kleine Hippolyt möchte aus dem Bälleparadies abgeholt werden.“ (Oder die? Das?)

Sonntag: Auch der Rhein ist zurzeit weit entfernt von einer Jahrhundertflut, aber das wissen Sie als medienkompetenter Mensch wahrscheinlich längst.

Noch fahren Schiffe.

In der aktuellen PSYCHOLOGIE HEUTE fand ich übrigens das schöne Wort „Pornografiekompetenz“. Habe ich.

Anscheinend gibt es in Bonn eine Initiative zur Unsichtbarmachung von Stomkästen, mit sehenswerten Ergebnisse:

Kleine Anekdote am Rande: Keineswegs unsichtbar und auch nicht unsachgemäß abgestellt war der Elektroroller, über den ich nach Fertigen des letzten Bildes stolperte, woraufhin ich mich gründlich auf die Klappe legte. Immerhin nicht auf den bereits verwundeten Ellenbogen, dafür schlug ich mir beide Knie blutig wie ein Fünfjähriger beim Rollschuhlaufen. Also erstmal keine längeren Spaziergänge mehr.

Ansonsten gesehen:

Ich weiß ja nicht.

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Ich wünsche Ihnen (und mir) eine angenehme Woche ohne Stürze aller Art.

Woche 31/2022: Kunst kommt von komisch

Montag: »Anti dunkle Augenringe« las mein morgenmüdes Auge während des Zähneputzens auf der Tube eines Pflegeproduktes, das auf der Badablage der Furchenglättung harrt. Augenscheinlich wird es auch in den Marketingabteilungen zunehmend schwieriger, gutes Personal zu finden.

»Siegen ist echt hässlich« hat jemand an einen Lampenpfahl im Rheinauenpark geschrieben. Ob die südwestfälische Stadt gemeint ist oder der Vorgang des Gewinnens ist nicht erkennbar. Über die Schönheit der Stadt erlaube ich mir kein Urteil, da ich erst einmal dort war und sie mir weder als besonders schön noch unschön in Erinnerung geblieben ist. Ein Sieg hingegen kann, je nachdem, wer wen worin geschlagen hat, ganz schön hässlich sein.

Dienstag: Morgens beim Starten des Rechners (manche nennen es „hochfahren“, warum auch immer, so wie andere einen Grill grundsätzlich „anschmeißen“, ich schweife ab) startet auch automatisch Teams. Hier ist es wichtig, als erstes das grüne Häkchen gegen den roten Punkt zu ersetzen, denn grün zieht, wie Licht das Ungeziefer, Leute an.

Manchmal, ganz selten, heute Abend etwa, hätte ich größte Lust auf dieses „Ich geh mal Zigaretten holen“. Geht aber nicht, da ich seit drei Jahren nicht mehr rauche. Stattdessen holte ich Pizza und lieferte sie selbstverständlich ordnungsgemäß zu Hause ab.

Mittwoch: »Der Klimawandel könnte nach Ansicht von Experten im schlimmsten Fall zum Aussterben der Menschheit führen«, steht in der Zeitung. Was genau wäre daran so schlimm?

Nach dem Mittagessen hielt mich Hitze nicht von einem Spaziergang durch den Rheinauenpark ab, wo sich der Teich langsam wieder füllt.

Die ersten Gänse nehmen es dankbar zur Kenntnis.

»Ob ich das heute auch noch kann, muss ich mal ausprobieren, er liegt noch hinter mir im Regal.« So endete neulich mein Rückblick auf Achtzigerjahre, gemeint war der Zauberwürfel. Ich kam bislang noch nicht dazu, man hat ja ständig den Kopf voll mit unwichtigen anderen Dingen. Gestern erkundigte sich Thomas nach dem Stand, woraufhin ich mir den Würfen vornahm und ihn gründlich verdrehte. Nach zwei Anläufe war er wieder farbenrein. Manches verlernt man einfach nicht, und wenn es noch so unnütz ist. Wobei ich das Vorgehen nicht verbal beschreiben könnte, nur die groben Schritte: 1) Seitensteine der ersten Ebene positionieren und gegebenenfalls drehen, dann 2) die Ecksteine der ersten Ebene, 3) Seitensteine der mittleren Ebene, 4) Seitensteine und 5) Ecksteine der dritten Ebene. Wie man aber beispielsweise einen Eckstein der dritten Ebene umpositioniert oder dreht, kann ich zwar mit dem Würfel in der Hand tun, theoretisch beschreiben jedoch nicht. Wer es wissen möchte, findet es hier.

Danke der Nachfrage.

Donnerstag: In der Kantine gab es Sonnenblumenkern-Schnitzel vom Schweinerücken. Die zunächst vegane Anmutung bezog sich nur auf die Panade und hat nicht weiter gestört.

Mitschrift aus einer ansonsten in deutscher Sprache abgehaltenen Besprechung: „… damit wir on the same page sind … gehen wir straight forward … betrachten das out of the box … müssen zunächst den impact framen … Vielen Dank, challenge accepted.“ Manchmal glaube ich, die machen das nur, um mir Blognahrung zu geben.

Ansonsten war es wieder ein heißer Tag. Wie lange noch wird man Sonnenschein mit Wärme als „schönes Wetter“ bezeichnen?

Freitag: Gestern Abend gewitterte es, zunächst draußen leicht, später drinnen etwas heftiger. Dadurch war es heute nicht mehr so heiß, mittags fand ich es geradezu kühl, was bei meiner übersensibel eingestellten Gänsehautsteuerung aber nicht viel heißt. Auch die häusliche Stimmung war wieder entspannt; machmal hilft so ein Donnergrollen.

Aufgrund der angenehmen Temperatur lief ich abends eine Runde am Rhein entlang. Beziehungsweise an dem, was davon zur Zeit noch übrig ist.

Der Tag klang aus in der Weinbar des Vertrauens, wo gelacht wurde, als Frau Wirtin sich selbst als „Flaschenputtel“ bezeichnete.

Samstag: Ein Tag voller Annehmlichkeiten, Begegnungen und Getränke ohne nennenswerte Blogabilitäten. Und ein achter Jahrestag. Manchmal staunt man, wie schnell die Zeit vergeht und wie lange schon etwas funktioniert.

Sonntag: Morgens, als ich noch im Tuche lag, machte das Datengerät den Ton, den es immer macht, wenn sich der Status der Corona-Warn-App ändert. In diesem Fall von rot auf grün; die rote Meldung war, wenig verwunderlich, nach dem Besuch des Rolling-Stones-Konzert in der vergangenen Woche gekommen. Mittlerweile nehme ich diese Statusmeldungen, auch die bösen von grün auf rot, nur noch schulterzuckend zur Kenntnis, ehe es demnächst vielleicht wieder losgeht. (Der Ton ist übrigens derselbe, wie wenn mir bei Twitter jemand ein Herzchen schenken, jemand Neues folgen oder mich erwähnen würde. Aufgrund stark reduzierter Twitteraktivität und mangels Gefolge kommt das nicht mehr vor. Das ist nicht schlimm.)

„Man muss für sich herausfinden, was für einen gut ist“, hörte ich im Schankgarten einer Südstadt-Gaststätte, wo ich beim Sonntagsspaziergang kurz Einkehr hielt, jemanden sagen. Ein wahrer und wichtiger Satz; auf meiner persönlichen Liste des Gutseienden stehen Spaziergänge mit Einkehr ziemlich weit oben.

Ansonsten gesehen:

Kunst kommt von komisch
Eher zweifelhafter Humor in der Südstadt

Diese mittlerweile zahlreicher Städter Häupter bedeckenden Anglerhüte halte ich übrigens für einen modischen Irrtum.

Bin ich der einzige, der diese mit Fingern geformte Herzchengeste hochgradig dämlich findet?

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme neue Woche, kommen Sie gut durch das schöne Wetter.

Woche 30/2022: Eine wunderbare Verbindung

Montag: »Täglich droppen heiße Deals!«, verkündete morgens während der Fahrt ins Werk so ein nervös auf und ab rollierendes Reklamedings am Straßenrand; der korrekte Fachbegriff dafür ist mir nicht geläufig und im Übrigen auch egal. Inhaltlich warb es, soweit im Vorbeifahren erkennbar, für Erzeugnisse einer bekannten Qualitätsgastronomie. Wer denkt sich sowas aus, was mag es bedeuten?

Aus einem Zeitungsartikel über ein Paket, das den Empfänger nicht erreichte: »In dem Paket, das er erwartet, befindet sich ein Kfz-Ersatzteil, das er vor einer Operation, die bald anstehen könnte, noch unbedingt ausprobieren will.« Kraftstoffpumpe statt Herzschrittmacher?

Ein Leserbrief in der Tageszeitung befasst sich mit immer grelleren Inszenierungen von Hochzeiten und ähnlichen Anlässen »bei Insta­gram, dem narzisstischen Paradies der Nutzlosen.« Treffender kann man es kaum formulieren.

Keineswegs nutzlos sind Wespen, deshalb stehen sie unter Naturschutz. Dessen scheinen sie sich bewusst zu sein, anders ist nicht zu erklären, warum sie uns beim Abendessen auf dem Balkon terrorisieren, ohne Furcht, erschlagen zu werden.

Dienstag: Man soll einen Tag möglichst positiv beginnen. Deshalb trug ich morgens als erstes meine nächsten geplanten Urlaubstage in das Zeiterfassungssystem ein.

Etwa zehn Prozent meiner Arbeitszeit wendete ich heute dafür auf, Anliegen abzuwehren, für die ich mich in keiner Weise zuständig fühle. (Ich mag das Wort „zuständig“, weil es so schön behördenhaft-beamtenmäßig klingt.)

Abends war ich Laufen, da die Hinderungsgründe der letzten Wochen (schmerzendes Fußgelenk, Hitze, Unlust) nicht zutrafen; es lief sich trotz der Unterbrechung ganz gut. Anschließend belohnte ich mich mit einem Auslaufbier im an der Laufstrecke liegenden Lieblingsbiergarten. Da meine Lieben seit geraumer Zeit aus schwer nachvollziehbaren Gründen (ja, sie haben die Preise angezogen, wer hat das nicht?) keine Lust mehr haben, dorthin zu gehen, gehe ich eben alleine. Das ist nicht schlimm.

Mittwoch: Gestern wurde Mick Jagger neunundsiebzig Jahre alt. Der Liebste hatte bereits im April Geburtstag, freilich einen deutlich niedrigeren. Beides fand am Abend eine wunderbare Verbindung auf dem Konzert der Rolling Stones im Gelsenkirchener Fußballstadion, dessen Besuch wir dem Liebsten zum Geburtstag geschenkt hatten.

Bei Ankunft wurden alle Besucher einer Einlasskontrolle unterzogen, hierzu klopften Männer mit orangen Warnwesten die Einlass Begehrenden von oben bis unten ab (was für ein Job), meine dabei in der rechten Hand gehaltene Jacke blieb unterdessen unkontrolliert. Wenn bei Fußballspielen ähnlich liederlich kontrolliert wird, wäre das ein weiterer Grund, Stadien besser zu meiden.

Die allgemeine Stimmung war fröhlich-entspannt, was womöglich auch am höheren Altersdurchschnitt des Publikums lag; mancher von ihnen mag schon bei den ersten Konzerten der kaum gealterten Steine dabei gewesen sein.

Nicht die Stones, aber auch schon ziemlich alt

Zum Vorspiel trat Zuccero auf, auch nicht gerade ein Kleiner im Showgeschäft. Gleichwohl komme ich nicht umhin, Vorgruppen und dergleichen bei Konzerten für eher entbehrlich zu halten. Nachdem er unter freundlichem Applaus die Bühne verlassen hatte, wurden nach einer nicht allzu langen Umbaupause Bilder des kürzlich gestorbenen Charlie Watts auf den großen Monitoren eingeblendet. Dann ging es los. Was die drei Herren und ihre musikalischen Begleiter boten, war grandios. Sollte ich mein neunundsiebzigstes Lebensjahr erreichen, was weder sicher ist noch angestrebt wird, wünsche ich mir nur halb soviel Energie wie Mick Jagger heute; das wäre dann immer noch wesentlich mehr als ich jetzt mit Mitte fünfzig an manchen Tagen aufbringe.

Zwischen Vor- und Hauptspiel

Nach zwei Stunden verbeugten sich die Herren unter verdientem Applaustosen, dann strömten Tausende wie wir zu den Parkplätzen. Entsprechend und erwartbar lange dauerte es, bis wir auf der Autobahn waren. Gegen halb zwei lagen wir im Bett, immer noch begeistert und im Bewusstsein, etwas Großartiges erlebt zu haben, das sich für uns wohl nicht wiederholen wird.

Donnerstag: In Erwartung einer kurzen Nacht hatte ich für heute einen Inseltag, also einen Tag Urlaub eingelegt. Diesen nutzte ich für eine Wanderung über den Natursteig Sieg von Siegburg nach Hennef, selbstverständlich mit einer angemessenen Einkehr gegen Ende.

Kurz hinter Siegburg
Das S weist den Weg
Nördlich von Siegburg-Kaldauen
Man beachte das Fahrrad
Die Sieg bei Hennef

Freitag: Überall ist Klage zu vernehmen, unser Wohlstand sei in Gefahr. Was genau meinen sie? Immer mehr unnützes Zeug beim großen A bestellen zu können? Mir wären stattdessen einige Urlaubstage mehr im Jahr sehr willkommen, dafür wäre ich zum Verzicht bereit.

Auf der Rückfahrt aus dem Werk beschimpfte ich eine jüngere Frau, weil sie neben ihrem Fahrrad stehend den Schutzstreifen neben der Adenauerallee blockierte und telefonierte. Ansonsten war ich guter Stimmung.

Abends trugen meine Lieben den defekten Wäschetrockner runter und stellten ihn vor das Haus, auf dass er in der kommenden Woche vom örtlichen Entsorger abgeholt werde. Als wir nachts aus dem Weinlokal des Vertrauens zurückkehrten, war der Trockner verschwunden. Wir wünschen dem neuen Besitzer viel Freude damit. Vielleicht kann er ihn ja reparieren, das wäre auf jeden Fall besser als die vorgesehene Verschrottung.

Samstag: Große Teile meiner guten Laune bezog ich heute aus der Tatsache, an diesem Wochenende nirgendwo hin fahren zu müssen.

Sonntag: Gelesen:

Kinder sind toll? Mag sein. Ich finde Giraffen auch toll und habe dennoch keine im Garten stehen.

Nadine Pungs im SPIEGEL über das Recht, sich als Frau für Kinderlosigkeit zu entscheiden

Gesehen beim Spaziergang:

Bonn-Beuel
Beuel, Rheinnähe
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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche in guter Stimmung und mit ausreichend Energie.