Woche 8: Träume von Buchstabensuppe

Montag: Am Morgen sah ich auf dem Bahnsteig zwei etwa elfjährige Mädchen, augenscheinlich Zwillinge, zudem exakt gleich gekleidet, etwas, was man nur noch selten sieht. Wie lange mag es noch dauern, bis zwei identische Tätowierungen ihre Knöchel und Waden verunzieren?

Beim Holen des ersten Kaffees sah ich eine volle Flasche Jever Fun in der Kaffeeküche des Werkes. Welche Marketing-Spacken kamen wohl auf die Idee, ausgerechnet ein alkoholfreies Bier mit dem Attribut „Fun“ zu versehen?

„Wir müssen hier noch die Akronyme ziselieren“, sagt einer in einer Besprechung, was für mich so gar keinen Sinn ergibt, erst recht nicht, nachdem ich die Wörter im Duden nachgeschlagen habe. „Wir werden dazu ein kleines Übergangssystem bauen, geboren um zu sterben“, sagt ein anderer, was wesentlich mehr Sinn ergibt; in diesem Sinne sind wir letztlich alle kleine Übergangssysteme.

Unterdessen schlägt Verkehrsminister Scheuer vor, Pakete künftig per U-Bahn auszuliefern. Das ist toll: Dann gehen wir nicht nur zum Lachen in den Keller, sondern auch, um ein Paket in Empfang zu nehmen.

Laut Tageszeitung haben heute Namenstag:  Benignus, Bonosus, Evermod. Liest sich wie Scrabble nach drei Kästen Jever Fun.

Dienstag: Aus einer Reklame für Zigaretten: „Fashion Statement. Mit dem Oversized Model.“ Rauchen kann tödlich sein. Und Werbung kann wehtun.

Tagung in Bad Breisig. Vor mir sitzt einer mit Camp-David-Hemd. Für die kommende Nacht erwarte ich Träume von Buchstabensuppe.

Auch hier sollten die Marketing-Strategen vielleicht noch mal in sich gehen:

Lautes Gähnen in öffentlichen Verkehrsmitteln gehört auch zu den Dingen, die völlig zu unrecht unsanktioniert sind.

Mittwoch: Die Träume von Buchstabensuppe blieben aus; was ich stattdessen träumte, habe ich vergessen.

Nun kann man zu Camp-David-Hemden stehen, wie man will, wie so vieles auf Erden ist das Geschmackssache. Was allerdings mag im Leben des Menschen schiefgelaufen sein, der an der Tagung in einem Trainingsanzug im Design der Neunziger teilnahm? Karl Lagerfeld würde im Grabe rotieren. (Das mit den Neunzigern ist nur eine ungeprüfte Behauptung von mir. Jedenfalls so ein Teil aus einer anderen Zeit, mit dem die Generation Alda-Knöchelfrei nicht aus dem Haus gehen würde.)

„… wie man auf Neudeutsch sagt“, höre ich mehrfach in einem Vortrag, wobei das derart Beschriebene wie gewohnt weder neu noch deutsch ist.

Nicht Neu- sondern eher typisch Deutsch dieses: In den Bahnhöfen von Sinzig und Bad Breisig wurden die Bahnsteige erhöht, so dass der Reisende ebenerdig ein- und aussteigen kann. So weit, so löblich, nur: Vermutlich aus Kostengründen erfolgte die Erhöhung nicht auf voller Länge, an den Enden wurde über einige -zig Meter die ursprüngliche Höhe beibehalten. Macht ja nichts, ging ja vorher auch, denken Sie? Sie irren: Aufgrund irgendwelcher Eisenbahnbau- oder Betriebsvorschriften dürfen die niedrigeren Bereichen, also die mit der ursprünglichen, vor kurzem noch ausreichenden Höhe, nicht mehr genutzt werden. Stattdessen macht der Triebfahrzeugführer des Rhein-Express nun bei jedem Halt eine Durchsage, wonach aufgrund der verkürzten Bahnsteige die hinteren drei Türen nicht geöffnet werden können. Wenn man also ganz hinten steht und die Durchsage nicht durch den Kopfhörer gedrungen ist, hat man Pech gehabt und darf noch etwas weiter reisen.

Dazu passt ganz gut das Zitat von Kurt Tucholsky, das ich neulich las und notierte: „Wenn der Deutsche hinfällt, steht er nicht auf, sondern sieht sich um, wer schadensersatzpflichtig ist.“

Donnerstag: Dank karnevalistischer Aktivität gehöht nunmehr auch Flerzheim nicht länger zu den Orten, die ich trotz über zwanzig Jahren InBonn-Wohnens bislang allenfalls von den Zielanzeigen der Omnibusse her kannte. Ansonsten verliefen die drei Auftritte des Tages zufriedenstellend und ohne größere Schäden an Mensch und Trompete.

Im krassen Gegensatz zu Karneval und Spaß stehen die Ereignisse in Hanau, von denen ich erstmals während der Busfahrt nach Flerzheim erfuhr. Hierzu erlaube ich mir zu wiederholen, was ich schon vor einiger Zeit schrieb: Wir erleben gerade den doppelten Klimawandel. Einen meteorologischen, der die Welt aufheizt, und einen gesellschaftlichen, der sie bräunt. Ich weiß nicht, welchen wir mehr fürchten müssen.

Wenig Sorgen bereitet mir hingegen bislang das Coronavirus. Warum auch immer.

Freitag: „Keine Klärschlammverbrennung in Bonn aus Umweltgründen“, fordert eine örtliche Partei auf einem Plakat. Woanders demnach schon, weil die Umwelt dort weniger schützenswert ist?

Weil das alte ziemlich verschlissen war, kaufte nachmittags ich ein neues Armband für die Uhr mit DHL-Logo, die ich vor Jahren geschenkt bekam. Ich ließ es gleich im Laden austauschen, was wohl aufgrund der Bauart der Uhr ziemlich schwierig war und relativ lange dauerte. „Hoffentlich verstehen die von Logistik mehr“, sagte die Dame, als sie mir die Uhr zurück gab.

Bei Herrn Buddenbohm las ich zum ersten Mal das Wort „Erikativ“. Freu. Staun. Recherchier: Soweit ich mich erinnere, und das ist wirklich lange her, wurde mir in der Schule diese Wortart noch als Interjektion beigebracht.

Samstag: „Behörden sind fieberhaft mit einer Neubewertung der Rolle der Partei in Politik und Gesellschaft beschäftigt“, steht in der Zeitung. Es wäre besser, sie gingen das mit kühlem Kopf an.

Sonntag: Aus Zeitgründen bereits notiert am Samstagabend, somit eher eine vage Ahnung des Kommenden. Dieses kann (mindestens) zwei Ausprägungen haben. Erstens: Wir werden morgen um sechs Uhr aufstehen, um am Godesberger Zug teilzunehmen. Zweitens: Wegen Sturmtief Yulia wird der Zug, Achtung, Wortspiel: abgeblasen, früh aufstehen werden wir trotzdem, weil die Abblaseentscheidung erst um elf fallen soll. Ich werde berichten.

Nachtrag Sonntagabend: Nachdem sich Frau Yuilia zumindest in Bonn-Bad Godesberg von relativ sanfter Seite zeigte, konnte der Zug ziehen. Nach stundenlangem Trompetenspiel sind meine Lippen nunmehr erschlafft. Mit letzter Kraft nippen sie am Champagner.

Woche 7: Ein E-Boy ist kein elektrisches Gerät zur kurzfristigen Linderung spezieller Unterleibsbedürfnisse

Montag: Aus der aktuellen Ausgabe der PSYCHOLOGIE HEUTE:

„Den ganzen lieben Tag lang bestimmt die Macht des Negativen unsere Stimmung, hat bei unseren Entscheidungen das letzte Wort. Sie ist die treibende Kraft hinter den Nachrichten und prägt den öffentlichen Diskurs; Journalisten bedienen sich ihrer, Politiker, Marketingleute, Blogger, Social-Media-Nattern, Internettrolle und weiß der Kuckuck wem sonst noch an unserer Aufmerksamkeit und unseren Bildschirmen liegt.“

Ich bedanke mich ausdrücklich für den Begriff „Social-Media-Nattern“ und erkläre ihn hiermit für mein persönliches Wort des Tages, ach was: der Woche.

Schon seit einiger Zeit, ich berichtete bereits, glaube ich einen Trend bei jungen Männern zu beobachten, sich auch im Winterhalbjahr außerhalb sportlicher Betätigung in kurzen Hosen zu zeigen, also draußen, bei Wind und Wetter. Allein heute begegneten mir im Laufe des Tages gleich drei Exemplare. Sie werden ihre Gründe haben. Vielleicht ist das ja nur die logische Fortsetzung der seit längerem unabhängig von Geschlecht und Temperatur sich ausbreitenden Knöchelfrei-Mode. Oder der mit zunehmender Beliebtheit getragenen Hosen mit möglichst weit aufgerissenen Knien, wohingegen ich schon weitaus geringer beschädigte Textilien dem Hausmüll zuführe. Aber warum nicht, wenn man die entsprechenden Beine vorzuweisen hat.

In Deutschland gibt es übrigens 124 Fünfsterne-Hotels, wie ich auf dem Werbebildschirm in der U-Bahn-Haltestelle las. Somit wissen Sie das nun auch. Vielleicht sitzen Sie ja mal bei Günther Jauch und er fragt Sie genau das, und schon können Sie die Million einsacken.

Dienstag: Während schlafloser Momente in der vergangenen Nacht habe ich noch ein wenig darüber nachgedacht: Vielleicht ist das mit den kurzen Hosen ja auch eine Weiterentwicklung der E-Boy-Bewegung, über die ich am Wochenende las. Zur Erklärung: Ein E-Boy ist kein elektrisches Gerät zur kurzfristigen Linderung spezieller Unterleibsbedürfnisse, sondern, soweit ich das verstanden habe, ein sehr junger Mann, der mit einem besonders guten Aussehen (und ansonsten zumeist keinen weiteren besonderen Vorzügen und Fähigkeiten) ausgestattet ist und damit im Internet herumposiert.

Oder das ist so eine in Social-Media-Nattern-Kreisen sich ausbreitende Challenge wie vor einiger Zeit diese Eiskübelnummer, kann ja sein: Wer sich bei unter zehn Grad den kalten Wind durch das Beinhaar wehen lässt, setzt ein Zeichen gegen Paradont- oder Leberzirrhose oder sowas.

Oder das ist ein neuartiges Männlichkeitsdings. Vielleicht etabliert sich, neben bereits bestehenden dümmlichen Begriffen wie „Warmduscher“ oder „Schattenparker“ für nicht ganz so Harte, demnächst der „Hosenträger“.

Mittwoch: Einige weitere Vorschläge, falls nicht bereits in einschlägigen Verzeichnissen zu finden: Cola-Light-Besteller, Papiertaschentuchschnäuzer, Armbeugenhuster, BinnenI-Schreiber und Achselrasierer.

Donnerstag: Erstmalig las ich den Titel „Hallenfeldwebel“. Ohne dem Mann nahetreten zu wollen, zumal ich ihn nicht kenne: Das klingt ein wenig wie Taschenbillard.

„Ich habe keinen Zweifel daran, dass Künstliche Intelligenz reguliert werden muss. Firmen wie unsere können nicht einfach vielversprechende Technologien entwickeln und die Entscheidung, wie sie eingesetzt werden, dem Markt überlassen“, schreibt Sundar Pichai, Chef des Google-Mutterkonzerns Alphabet in einem Zeitungsartikel. Schon klar – Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen.

Freitag: Was ist im Zeitalter von Outlook so schwer daran, bevor man jemandem eine Besprechungsanfrage schickt, einen kurzen Blick in seinen Kalender zu werfen, ob er dann überhaupt Zeit hat?

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die „Allen-antworten“-Funktion in Mailprogrammen verboten gehört. Es wäre wirklich viel gewonnen, wenn sich Menschen vor Absenden einer Mail kurz Gedanken machen würden, wen sie in „Cc“ nehmen wollen und warum.

Samstag: Nachmittags nahm unser Musikcorps am Zoch in Graurheindorf teil.

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Während eines Liedes, bei dem ich mangels Trompetenerfordernis lediglich eine dekorative Funktion erfüllte, löste sich mein selbstgebastelter Halteriemen, woraufhin die Trompete heftig Kontakt aufnahm mit dem Asphalt der Estermannstraße, was dem Trichter eine charakteristische neue Form verlieh. Auf die Qualität meines Spielens hatten die Dellen keinen erkennbar negativen Einfluss, die war heute vorher schon einigermaßen miserabel.

Größerer Sachschaden entstand auch in Barlingerode Ost, dem betrieblichen Mittelpunkt meiner Modelleisenbahn. Nachdem sich das Sturmtief „Sabine“ Anfang der Woche in vielen Regionen, gemessen an den Ankündigungen, eher als laues Lüftchen erwiesen hatte, was anscheinend bei vielen Menschen eine irritierende Enttäuschung hervorrief, zog heute beim Lüften eine Böe über den Bahnhof hinweg und erfasste einen dort ungebremst abgestellten Güterwagen, der daraufhin in den Abgrund stürzte und Totalschaden erlitt. Wie eine Recherche bei E-Boy – Verzeihung: eBay ergab, ist auf die Schnelle leider kein gleichartiges Modell zu erwerben. (Falls Sie jemanden kennen, der sich von einem Exemplar des Roco-Modells 66065 trennen möchte, lassen Sie es mich bitte wissen. Vielen Dank.)

Am späteren Abend, nach gutem Essen und Trinken, stellte der Geliebte eine gar zauberhafte Verbindung her zwischen Augen- und Gaumenschmaus: „Ich mag ja gefüllte Tulpen. Am liebsten mit Nougat.“

Ansonsten lernte ich mit „Leibesfruchtpfleger“ eine neues Wort, für das ich allerdings in absehbarer Zeit persönlich nur wenig Verwendung sehe.

Sonntag: Welchen Schaden einmal die Leibesfrucht eines jungen Elternpaares nimmt, das mir heute auf dem Weg zum Brötchenkauf begegnete, ist nicht absehbar. Mama schob den Kinderwagen, der mutmaßliche Vater trottete displaystarrend hinterher, und auch das maximal dreijährige Kind im Wagen war bereits mit einem Datengerät beschäftigt. Früh übt sich, was ein Digitalsklave und eine Social-Media-Natter werden will.

Ansonsten findet sich das Wort „Dreißig“ in meinen Notizen dieser Woche, dem offenbar eine gewisse Bedeutung zukam, die mir leider entfallen ist. Früher, als es noch nicht als ekelig und abstoßend galt, Stofftaschentücher zu benutzen (was mich nicht davon abhält, es dennoch weiterhin mit großer Überzeugung zu tun), war es üblich, darin einen Knoten zu machen, wenn man irgendetwas nicht vergessen wollte; beim nächsten Schnäuzen zog man es aus der Tasche und wusste: „Richtig, ich muss ja noch gefüllte Tulpen kaufen und die Sexpuppe aus der Reinigung holen.“ Einmal erblickte ich den Knoten und wusste nicht mehr, an was er mich erinnern sollte. So ähnlich geht es mir jetzt auch. Was wollte ich über „Dreißig“ schreiben? Sollte es mir wieder einfallen, reiche ich es selbstverständlich nach.

Umweltsau

Ich bin eine Umweltsau, weil ich …

… Fleisch esse. Alle Bemühungen, es einzuschränken, waren bislang vergebens. Immerhin wähle ich mittlerweile in der Kantine ab und zu und somit öfter als früher ein vegetarisches Gericht, der Wille zur Besserung ist also erkennbar. Außerdem kann man von einem Tiger nicht erwarten, dass er Gras frisst.

… Nespresso trinke, mehr aus Gewohnheit denn Überzeugung, wobei der Kaffee schon ziemlich gut ist. Daran etwas zu ändern dürfte in diesem Haushalt schwer durchzusetzen sein. Ich kann es ja mal versuchen, wenn die aktuelle Maschine defekt wird; bislang wurden die mit großer Verlässlichkeit nach ein paar Jahren undicht.

… Dampflokomotiven toll finde und einen Verein unterstütze, der welche bewahrt und betreibt, wenn auch nur manchmal am Wochenende und ziemlich kleine. Trotzdem, auch die werden mit Kohle gefüttert.

… mir bislang wenig Mühe gebe, möglichst ohne Plastik auszukommen. Immerhin nehme ich beim Einkaufen schon lange keine Plastiktüten mehr.

… täglich dusche. Na ja, ob einmal wöchentlich Baden eine sinnvolle Alternative ist, darf bezweifelt werden.

… eine klassische Glühbirne in meiner Schreibtischlampe habe und die toll finde. Als der Verkauf von Glühbirnen zu Ende ging, habe ich mir sogar noch einen Vorrat angelegt.

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… schonmal eine kaputte Energiesparlampe im Hausmüll entsorgt habe und mir dabei vorkam wie ein Rebell.

… ich mich nur wohlfühle bei mindestens dreiundzwanzig Grad in der Wohnung.

Ich bin keine Umweltsau, weil ich …

… kaum Auto fahre, stattdessen Bahn und (ab und zu, wenn es nicht regnet und/oder kalt ist) Fahrrad.

… Flugreisen meide.

… auf Kreuzfahrten verzichte. Nicht nur aus Umweltgründen.

… Skiurlaub, womöglich mit Schnee aus der Kanone, absurd finde.

… keinen Kaffee aus Pappbechern trinke. Überhaupt gibt es keinen vernünftigen Grund, mit einem Kaffee durch die Gegend zu laufen.

… nicht sterbe, wenn eine Frage unbeantwortet bleibt, weil ich nicht sofort Google, Siri oder Bing frage.

… ich nicht (mehr) rauche und anschließend die Zigarettenkippen in die Gegend werfe.

… nur selten neue Klamotten kaufe, und wenn, dann im Laden und nicht im Netz.

… keine Kinder in die Welt setze. Mehr kann man als Einzelner wohl nicht tun.  (Sie dürfen mich wegen dieser These gerne beschimpfen.)

Weitere Optimierungen sind denkbar. So könnte ich Wasser sparen, indem ich mich des Morgenstrahles beim Duschen entledige. Das würde indes zu Diskussionen führen, die die um die Nespressomaschine in den Schatten stellten.

Im Übrigen bin ich überzeugt, ohne es zu wissen oder beweisen zu können, dass die viel bejubelten Elektroautos und -fahrräder ebenso wenig eine Lösung sind wie vegane Leberwurst. Elektroroller schon gar nicht.

Ansonsten fürchte ich, auch dafür dürfen Sie mich meinethalben beschimpfen, es ist bereits zu spät, um den Klimawandel noch aufzuhalten. Was indes kein Grund ist, es nicht mehr zu versuchen.

Woche 6: Irgendwas mit Alkohol

Montag: Wer am Montagmorgen gut gelaunt ist, schubst auch schlafende Enten in den Teich.

Was, das Deutsche Fernsehballett wird aufgelöst? Ich dachte, die hätten schon in den Siebzigern ihren letzten Auftritt gehabt, die Älteren unter Ihnen erinnern sich vielleicht, damals, als Peter Frankenfeld noch die Showtreppe herunter kam.

Dienstag: Ab heute für die nächsten 366 Tage entspricht die Zahl meiner Jahre der postalischen Leitregion, in der ich lebe. Kann ich mir jetzt auch nichts für kaufen, dennoch erwähnenswert. Mit diesem Wissen könnten Sie mir aufgrund meiner bei aller Bescheidenheit recht gut erhaltenen Fassade schmeicheln, indem Sie mich fragen, ob ich in Dortmund wohne. Bielefeld oder gar Lübeck wären indessen etwas übertrieben.

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Nachmittags in der Bahn saß mir ein junger Mann mit auffallend schmalem Kopf gegenüber, auf dem er einen riesigen Kopfhörer trug. Fast schien es, als hätte dieser den Kopf im Laufe der Zeit zusammengedrückt, oder ihn am in die Breite Wachsen gehindert.

Haribo streitet mit einem spanischen Süßwarenhersteller, weil er alkoholhaltige Gummibärchen verkauft. Ich finde die Idee grandios, allein schon weil man nach deren Verzehr die polizeiliche Frage „haben Sie was getrunken“ besten Gewissens verneinen kann.

Mittwoch: Warum haben Leute wie Friedrich Merz eigentlich einen Sprecher? Der kann doch selbst sprechen. Reine Wichtigtuerei, sowas.

Aus einem Artikel im General-Anzeiger über die Lesung der Autorin Judith Hermann in einem Bonner Gymnasium:

„Lesen bedeutet absolute Freiheit. Das Ansehen von Youtube-Videos macht dämlich, Lesen macht schlau. […] Ich hoffe, dass irgendwann die Stromapokalypse kommt und das alles nicht mehr funktioniert. Und alles, was dann übrig sein sollte, sollten ein Stift und Papier sein.“ Vermutlich würden viele gerade junge Menschen erst dann ihre eigentliche, sie umgebende Umwelt bemerken und mit ihr in Kontakt treten, so Hermann.

Gefällt mir.

Recht spontan legte ich heute einen freien „Inseltag“ ein, was mir ermöglichte, nach dem Frühstück dem Rhein beim Überlaufen zuzuschauen.

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Donnerstag: In der Kantine machte eine junge Frau an langem Arm ein Selfie von sich, ihrer Mitesserin und zwei Kohlrouladen. Lange sah ich nicht mehr etwas derart Deprimierendes.

Freitag: Verdursten Jugendliche eigentlich innerhalb weniger Stunden, wenn sie nicht alle paar Minuten an einer Wasserflasche nuckeln?

Passend zum Thema Trinken der folgende Kantinendialog: „Was machst du am Wochenende?“ – „Irgendwas mit Alkohol.“

Samstag: Ich bin weit davon entfernt, in das fragwürdige Lied über die Lügenpresse einzustimmen. Wenn indes in einem Fernsehinterview mitten im Satz des Befragten diese kurzen Schnitt-Überblendungen aufblitzen, werde ich immer ein klein wenig misstrauisch.

Sonntag: Die Ruhe vor dem Sturm ist heute wörtlich zu nehmen. Bis zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Zeilen am Nachmittag bläst das angekündigte Sturmtief „Sabine“ zumindest hier in Bonn noch recht verhalten, was mir den üblichen Sonntagsspaziergang ermöglichte.

Dabei gesehen an einem Laternenpfahl:

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Woche 5: Eher geringfügig

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Montag: Bei der Kaffeebereitung am Morgen versäumte ich mal wieder, in die Nespressomaschine eine frische Kapsel einzulegen. Das ist zwar gut für die Umwelt, dem Aroma hingegen wenig zuträglich. Ja ich weiß, Nespresso ist schlecht, von wegen Umweltsau und so. Und jetzt kommen Sie mir bitte nicht mit „denk an Greta“ oder einem ähnlich originellen Satz.

„Verkauf nicht dein Leben“, hat jemand an den Zugang zur Stadtbahn gesprüht, womit das Schicksal des Berufstätigen schon am frühen Morgen in erschreckend prägnanter Weise auf den Punkt gebracht ist. Ähnlich prägnant, wenn auch in gröberen Lettern, schreit den zum Werke Gefahrenen „KEIN BOCK AUF ARBEIT“ von der Tunnelwand aus an, gelesen, als die Bahn vor einem Halt zeigenden Signal stand. Vorstehendes gleichsam ergänzend wird der große Chef im Intranet zitiert: „Menschen brauchen Sinnhaftigkeit.“ Wer wollte das bezweifeln. Das waren dann aber auch genug Sinnsprüche für einen Montag.

Dienstag: Im Radio moderiert Jan-Malte Andresen. Ein schöner Name, wie ich finde. Wenn ich ihn höre, stelle ich mir Mutter Andresen vor, wie sie früher, als er noch klein war, rief: „Jan-Malte, räum endlich dein Zimmer auf!“ Seine Freunde und sein Partner (m/w/d) nennen ihn „Janni“. Nur wenn er mal wieder seinen knüsseligen Schlüpfer achtlos neben der Dusche liegen gelassen hat, dann heißt es: „Jan-Malte, ist das wirklich so schwierig?“ Zugegeben: Das alles ist meiner Phantasie entsprungen, ich kenne den Mann ja gar nicht. Woher soll ich etwa wissen, ob er Schlüpfer trägt. Hätte die Natur für mich einen Kinderwunsch vorgesehen und mich dazu mit einem Sohn ausgestattet, würde ich ihn vermutlich nicht Jan-Malte nennen. Dafür vielleicht Hector-Pascal, nur damit ich sagen kann, wenn er ungezogen ist: „Hector-Pascal, hör jetzt, sonst gibts Druck!“

Mittwoch: Projekt-Tagung in Bad Breisig. Selten sah ich so viel Powerpoint mit überflüssigen Bildchen und zu viel Text in viel zu kleiner Schrift. Doch blieb der Erkenntnisgewinn nicht ganz aus, etwa diese: „Ich kann den Braten erst teilen, wenn er auf dem Teller liegt“, hörte ich in einem Vortrag. Dafür hat sich die Anreise schon gelohnt.

„Damit bin ich fein.“ Warum sagen Menschen solche Sätze? Klar, weil sie das irgendwo gehört haben und gedankenlos nachplappern. Aber wer hat damit angefangen?

Abends während der Bahnfahrt nach Köln schrieb ich in mein Notizbuch, warum, oder eher: inwiefern ich eine Umweltsau bin, und warum/inwiefern nicht. Dazu hier demnächst mehr.

Donnerstag: Morgens auf dem Weg zum Werk ging vor mir eine Dame, die so sehr mit ihrem Datengerät beschäftigt war, dass sie beinahe über einen im Weg stehenden Elektroroller gestolpert wäre. So gerne es mir leid tut – ein schäbiges Lachen hätte ich im Fall des Falles wohl kaum unterdrücken können.

Freitag: Morgens erzählte mir der Geliebte von seinem Traum der vergangenen Nacht: „Wir haben dich weggetragen, du warst ganz hart. Auf dem Tisch in der Küche stand hinterher Champagner.“ Ich bin seitdem etwas in Sorge.

Der am Montag zitierte Schriftzug an der Stadtbahnhaltestelle wurde mittlerweile ergänzt um „sondern erlebe deinen Verkauf“. Mal sehen, ob da noch mehr kommt, Platz wäre vorhanden. Ich halte Sie auf dem Laufenden.

In einer Besprechung zum Thema Datengeräte spricht einer von einem „unmotivierten Warmstart“. Kenne ich, jeden Montag aufs Neue.

Samstag: „Der Ex und der Sex – Wie die beiden Päpste aneinandergerieten“, steht auf der Titelseite des SPIEGEL. Gell, da kommen verstörende Bilder auf.

Sonntag: In der Debatte um die mögliche Abschaffung von Ein- und Zweicent-Münzen bezeichnet der FDP-Politiker Otto Fricke laut FAS Bargeld als „geprägte Freiheit für den Einzelnen und gesellschaftlicher Kitt im Zwischenmenschlichen“. Gewissermaßen die liberal aufgeschäumte Variante dessen, was schon die Oma sagte: „Wer den Pfennig nicht ehrt …“ – Sie wissen schon.

Eher geringfügig war auch unser Auftritt bei der Karnevals-Massenveranstaltung „Bonn steht Kopp“.

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Man muss es schon gerne machen, um eine halbe Stunde für An- und Abfahrt und eine Dreiviertelstunde Wartezeit in einem positiven Verhältnis zu sehen gegenüber drei Minuten Auftritt. Aber was treibt man doch oft für einen Riesenaufwand, um ein paar Minuten Spaß zu haben, nicht wahr.

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