Woche 42/2021: Umsorgte umgestürzte Bäume

Montag: Nie ist das nächste Wochenende so fern wie am Montagmorgen. Doch ließ das Radio bereits in der Frühe meine Mundwinkel nach oben zucken, als es „Sternenhimmel“ von Hubert Kah spielte. Nie werde ich deren legendären Auftritt in der ZDF-Hitparade mit Dieter Thomas Heck vergessen, nachdem auch dort die „Neue Deutsche Welle“ hineingeschwappt war, mit der das Hitparadenpublikum, bislang seriöse Schlager-Interpreten wie Peter Alexander, Chris Roberts, Jürgen Marcus, Vicky Leandros, Lena Valaitis, Gottlieb Wendehals und Cindy & Bert gewöhnt, noch sichtlich fremdelte. Am Ende waren gar Buh-Rufe zu vernehmen.

Nicht minder zuckten die Mundwinkel, als ich in einer Präsentation über neue Mitarbeiterausweise anstatt des bis zur Ermüdung gebrauchten Platzhalters „Max Mustermann“ den Namen „Mix Mistermann“ las. Kennen Sie noch das alte Kinderlied mit den drei Chinesen und dem Kontrabass, das heute in Kitas wegen vermeintlicher Diskriminierung und kultureller Aneignung vermutlich nicht mehr gesungen wird? (Ja, nach dessen Logik müsste er „Mistirminn“ heißen.)

Dienstag: Es ist immer erfreulich, wenn man seine eigene fachliche Kompetenz wertgeschätzt sieht. „Ich rufe Sie an, weil sie Ahnung haben“, sagte der Kollege, der im Übrigen sehr nett ist und nicht zur Schleimerei neigt, was ihm bei mir mangels Macht und Einfluss auch nicht viel nützen würde. In diesem Fall hatte ich leider wirklich nur eine ungefähre Ahnung.

An der Kompetenz der WordPress-Algorithmen zu zweifeln erscheint indes nicht unbegründet:

Spontane Idee für ein Kinderbuch: Veganus, die kleine grüne Fliegenfalle, die keine Insekten mochte.

Auch Mundwinkel hebend: „Der Krug-Champagner hat nichts mit Manfred Krug zu tun, oder?“ – „Stell dich nicht so dusselig an“! – Die häusliche Stimmung ist ganz gut.

Mittwoch: „Die Bierversorgung ist gesichert“, steht in der Zeitung. Also alles halb so schlimm. Merke:

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Gesichert ist auch der Inseltag nächste Woche: „Ihr Antrag auf Abwesenheit wurde genehmigt“, schreibt mir das Zeiterfassungssystem. Einen Antrag auf Abwesenheit sollte es für alle Lebenslagen im privaten wie beruflichen Umfeld geben, etwa für lästige Besprechungen, unerwünschte Einladungen, Umzugshilfeersuchen oder Weihnachten.

Donnerstag: Sturm Ignatz (oder Hendrik, die Experten sind sich uneins) bläst uns einen durch Stadt und Land. Gibt es eigentlich einen Begriff für die Angst, von einem umstürzenden Baukran erschlagen zu werden?

„Entdecke wie es weitergeht“, las ich an einem zu mietenden Kleinwagen. Da hatte der Werbephrasengenerator offenbar einen schlechten Tag.

Augenscheinlich ist es vielen, gerade Jüngeren, nicht möglich, eine Strecke von A nach B zurückzulegen, ungeachtet der Entfernung und der Art der Fortbewegung, ohne dabei auf das Datengerät zu schauen oder zu telefonieren; das ist nichts Neues und keiner weiteren Zeile wert. Am frühen Abend wurde ich Zeuge, wie sich ein Motorrollerfahrer, nachdem die Ampel ergrünt war, im Anfahren die Unterseite des Mobiltelefons an die Seite seines Helmes hielt. Was mag er, außer dem satten Knattern des Zweitakters, wohl gehört haben?

Gerhard Richter ist laut Zeitungsbericht der weltweit wichtigster Künstler. Was bedeutet das? Wichtig wodurch und für wen oder was? Und was macht Herrn Richter wichtiger als etwa Vicky Leandros oder Mix Mistermann? Oder Bier?

Endlich: »Diese Formulierung für Hunde ist des General-Anzeigers nicht würdig. „Hunde“ wäre die umgangssprachliche Formulierung gewesen. Auch Tieren gebührt Respekt«, schreibt Ute G in einem Leserbrief. (Siehe dazu den Eintrag von vergangener Woche Montag.)

Freitag: „Auch in der Region sorgte das Sturmtief für umgestürzte Bäume“, schreibt die Zeitung. Dem sei entgegnet: Eine Mutter sorgt für ihre Kinder. Die Stadtwerke sorgen für Wasser und Strom. Der Papst sorgt für das Seelenheil, kleiner Scherz. Andreas Scheuer sorgt für das bayrische Straßennetz, kein Scherz. Aber wie soll ein Sturmtief für irgendwen oder -was sorgen? Und was haben die umsorgten umgestürzten Bäume davon? Ach das sagt man halt so? Mag sein, aber muss man es auch schreiben?

Samstag: Was neues von ABBA. Immer wieder schön und zweifellos mindestens so wichtig wie Gerhard Richter.

Der Zusammenhang zwischen Woke und Weck wird in einem Bonner Biomarkt veranschaulicht.

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Sonntag: Ja, es gibt immer was zu tun. Das bedeutet noch lange nicht, dass man immer was tun muss.

Das Wort zum Sonntag fand ich an einem Lampenmast:

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche mit möglichst gehobenen Mundwinkeln!

Woche 41/2021: Wenn man sonst nichts zu besorgen hat

Montag: „Diese Köter sind Kult“ übertitelte die Zeitung einen Artikel über Lassie und weitere durch Film, Funk und Fernsehen bekannt gewordene Hunde. Ich freue mich schon auf die empörten Leserbriefe.

In den Fernsehnachrichten äußerte sich zu den aktuellen Ereignissen in Österreich ein Politikwissenschaftler mit dem Namen Filzmeier. Manches kann man sich nicht schöner ausdenken.

Dienstag: Seit Tagen sind meine Lippen spröde. Dabei ist es eher unwahrscheinlich, dass ich mir den Mund fusselig geredet habe.

Unterdessen beschenkt uns wieder der Herbst mit seinen Früchten. Besonders seltsame Exemplare von ungefährer Tennisballgröße wirft in diesen Tagen ein Baum im Rheinauenpark ab. Da möchte man dann vielleicht doch lieber von einer stacheligen Kastanienfrucht getroffen werden. Auch sieht man besser davon ab, drauf- oder gegenzutreten.

Mittwoch: Es gibt keine Eisbären mehr in Wuppertal, meldete das Radio am Morgen. Da haben wir es: Wer jetzt noch am Klimawandel zweifelt, glaubt auch, oberstes Ziel von Facebook und Amazon sei es, das Leben der Menschen zu verbessern. Mal abgesehen von den Herren Zuckerberg und Bezos, deren Leben zumindest erheblich bereichert worden sind. Mein Leben ist auch ohne vorgenannte Datensauger ganz zufriedenstellend: Der Facebook-Anschluss ist lange gelöscht, das Instagram-Konto seit Jahren deaktiviert und Whatsapp nutze ich nur noch, bis es gesperrt wird, weil ich mich seit Monaten weigere, irgendeiner Änderung zuzustimmen. Bei Amazon bestelle ich aufgrund einer tiefen, schon ins Irrationale tendierenden Abscheu nichts, niemals. Lieber zahle ich ein paar Euro mehr. Und was es nur bei Amazon gibt, das gibt es für mich nicht, das ist dann eben so.

Das gibt es nicht, war auch mein erster Gedanke, als ich wenig später im Radio hörte, heute sei Welttag des übergewichtigen Tieres. Die ehemaligen Wuppertaler Eisbären dürften sich nicht mitgemeint fühlen.

Was es derzeit auch nicht gibt, sind Farbfilme. Sie sind weiträumig ausverkauft, weil die Jugend laut Zeitung zunehmend Gefallen an der Analogfotografie findet. So langsam komme ich nicht mehr mit. Vielleicht sollte ich meine alte Polaroid-Kamera mal zum Verkauf anbieten. Falls Sie interessiert sind, lassen Sie es mich wissen.

Donnerstag: Nicht wenige Menschen, überwiegend Männer, vermute ich, ohne es belegen zu können, legen Wert auf eine bestimmte Buchstabenkombination in ihrem Autokennzeichen, also die beiden Buchstaben in der Mitte. Beliebt sind die Initialen des eigenen Namens, andere versuchen sich in Humor, etwa der Bielefelder (BI) mit den Buchstaben „ER“, der Rhein-Sieg-Kreisler (SU) mit „CK“ und „FF“ oder der Koblenzer (KO) mit „TZ“ oder „HL“. Der Bonner (BN) hat da weniger Möglichkeiten. Mancher soll gar schon vor Gericht gezogen sein, um die Zuteilung seines Wunschkennzeichens zu erstreiten, warum auch nicht, wenn man sonst nichts zu besorgen hat. Eines ist jedoch stadt- und kreisübergreifend regelmäßig zu beobachten: ein bestimmtes Audi-Modell mit „TT“ im Nummernschild, sehr gerne in Verbindung mit einer nur einstelligen Ziffer. Was sagt das über den Charakter des Halters aus?

Kein Urteil erlaube ich mir über den Charakter desjenigen, der in einer Mail schrieb: „Dann mache ich mich mal zielorientiert auf die Suche.“ Ja wie denn sonst?

Freitag: In Köln und Bonn wird derzeit öffentlich kontrovers darüber diskutiert, ob Freitags der Muezzin von den örtlichen Moscheen zum Gebet aufrufen darf. Gemäß einer Umfrage lehnen das drei Viertel der Befragten ab. Öffentlichen Schallereignissen aller Art grundsätzlich eher ablehnend begegnend bin auch ich nicht dafür. Genauso wenig wie für das sonn- und feiertägliche Glockengeläut der Christen.

Was ich auch nicht hören möchte: Im Radio sagte eine „Arbeitnehmende“. Schöne Grüße aus der Genderhölle.

„Weniger haben, mehr sein“, hat jemand an eine Wand geschrieben. In der Tat kann man manchmal froh sein, was man alles nicht hat. Zum Beispiel spröde Lippen oder einen Kultköter. (Die am Montag erwarteten Leserbriefe sind übrigens ausgeblieben.)

Samstag: „Friedrich Merz setzt erste Ausrufezeichen“, steht in der Zeitung. Vielleicht als Kontrast zur noch amtierenden Bundeskanzlerin, die sechzehn Jahre lang weitgehend ohne dieses Satzzeichen auskam. Auch wenn ich sie nie gewählt habe – vielleicht wird man ihre unaufgeregte Art des Regierens demnächst vermissen.

Sonntag: Auch in Bonn-Beuel leuchtet der Herbst in seinen Farben.

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Kommen Sie gut und möglichst zielorientiert durch die neue Woche!

Woche 40/2021: Mail an Saskia Esken

Montag: „Ich bin mal afk“ schrieben während einer Zoom-Zusammenkunft gleich zwei Kollegen in den Chat. „afk?“ Nie zuvor gelesen. Vielleicht „auf Klo“? Aber nein: „away from keybord“, auf gut-westfälisch: wech vonne Tasten, wie eine kurze Recherche ergab, also womöglich durchaus dem Drängen der Peristaltik folgend. Wieder was gelernt, was ich nie wissen wollte.

Mittags nach dem Kantinenbesuch, während einer Runde durch den Rheinauenpark, sah ich einen Mitarbeiter der städtischen Entsorgungsbetriebe, der mit seinem kommunalorangen Fahrzeug und in ebendieser Farbe gekleidet die Abfallbehälter im Park leerte. Dabei dachte ich daran, was ich den ganzen Tag so am Schreibtisch mache und fragte mich, warum die Leute mit den wichtigsten Berufen oft am schlechtesten bezahlt werden.

Dienstag: Lobte ich nicht kürzlich erst den Sender WDR 4? Ein wenig davon muss ich zurücknehmen: Morgens während des Brausebades spielten sie Giesingers Jammern von der frustrierten tanzende Mutter. Leider zur Unzeit, ich stand gerade im Schaum und konnte nicht korrigierend eingreifen.

In einer Wochenmail las ich das schöne Wort „Schallereignis“, wobei das vorstehend genannte eines der eher unschönen Art war.

Bei Aufbruch zur Kantine im Mutterhaus stand ein Grillwagen vor dem Werkstor, ich entschied mich spontan um und erstand dort eine Currywurst mit Pommes, die ich in der Cafeteria unseres Nebengebäudes zu mir nahm, beziehungsweise dem Bereich, der davon übrig geblieben ist: einige Tische und Stühle, wohingegen der Verkaufstresen seit etwa achtzehn Monaten verwaist ist, Sie wissen schon warum. Obwohl inzwischen wieder einige Kollegen von der Heimarbeit in die Büros zurückgekehrt sind, saß und aß ich dort alleine, was ich grundsätzlich nicht als unangenehm empfinde. Notiz an mich: Nächstes Mal so setzen, dass nicht jeder, der zufällig vorbeigeht, sich verpflichtet fühlt, „guten Appetit“ zu rufen.

Mittwoch: Völlig egal, wie lange es noch bis Weihnachten ist – wenn es bei Rewe Nougat-Marzipan-Baumstämme gibt, werden die gekauft. Basta.

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Nachmittags wollte ich eine Mail an Saskia Esken schreiben. Nicht Tipps zu den anstehenden Sondierungsgesprächen, sondern was dienstliches. Erst als Outlook den Namen nicht im werksinternen Adressbuch fand, bemerkte ich, dass die anzuschreiben beabsichtigte Kollegin zwar Saskia, jedoch nicht Esken heißt, auch mit E am Anfang, aber eben ganz anders. Die machen einen aber auch langsam verrückt.

Donnerstag: Bei allem, was man tut und denkt, sollte man stets auch das Ende im Blick haben.

„Lebt eigentlich die Hildegard von Bingen noch?“ – „Die ist 1179 gestorben.“ – „Quatsch, die hat doch Schmuck für QVC gemacht.“ Was hier abends so gesprochen wird.

Freitag: Der Tag begann im Nebel, verlief ansonsten in erfreulicher Weise, indes ohne notierenswerte Ereignisse und Beobachtungen, und endete in der Gastronomie, die wir weitgehend unbenebelt wieder verließen. Wozu hat man eigentlich so ein schönes Impfzertifikat, wenn das nirgendwo überprüft wird?

Samstag: Morgens wurde ich zur Unzeit geweckt, weil Bauarbeiter gegen acht begannen, den Gehweg vor unserem Haus mit schwerem Gerät aufzureißen, auf dass die Siedlung demnächst an die Glasfaser angeschlossen ist und meine notierten Quisquilien noch schneller in des Netzes Weiten gelangen.

Nach dem Frühstück machten der Liebste und ich einen Ausflug an die Mosel, um unsere Weinvorräte zu ergänzen, die zwar bei weitem nicht erschöpft sind, aber man weiß ja nie. „Die A3 ist mit dichtem Verkehr unterwegs“, war im Autoradio zu hören.

Gewissermaßen die Kehrseite des Weingenusses ist der Gang zum Altglascontainer. Nach Rückkehr von der Mosel sah ich auf dem Weg dorthin einen Maler vor seiner Staffelei stehend seiner Kunst nachgehen. Als Motiv hatte er nicht den Rhein, das Siebengebirge oder etwas anderes ortstypisch im Bild Festzuhaltendes gewählt, sondern ausgerechnet das Stadthaus, jenen wenig pittoresken Betonfelsen in der Bonner Innenstadt, der in naher Zukunft entweder saniert oder, mit etwas Glück, abgerissen wird; und zwar ausgerechnet die besonders hässliche Rückseite mit der Parkhausausfahrt. Im Nachhinein ärgere ich mich ein wenig über mein westfälisches Unvermögen, fremde Leute anzusprechen und ihn zu fragen, wo das fertige Bild anschließend zu besichtigen ist, ich könnte mir vorstellen, dass das Ergebnis durchaus hypsch anzusehen ist.

Das Stadthaus in günstigem Licht betrachtet

Sonntag: Heute war wieder einer der zahlreichen „letzten warmen Tage des Jahres“, wie sie immer sagen, wenn die Sonne noch einmal scheint und das Thermometer steigen lässt. Mal sehen, wie viele noch folgen. Und verkaufsoffener Sonntag in Bonn, für die, die sowas brauchen.

Und wieder ging der Nobelpreis an mir vorbei. Dann nächstes Jahr vielleicht.

Woche 39/2021: Impflust durch die Vordertür

Montag: Auch der erste Arbeitstag nach einer erholsamen Urlaubswoche war schon wieder reich an Besprechungsterminen. Eine der Runden bestand ausschließlich aus Teilnehmern, die zum anstehenden Thema jeweils maximal über Halbwissen verfügten, die Einladende und den Chronisten eingeschlossen, wobei sich die einzelnen Wissensfragmente leider nicht zu einem Ganzen fügten. Deshalb wurde nach vierzig Minuten, als jeder seine vagen Vermutungen zum Problem und seiner Lösung geäußert hatte, manche auch mehrfach, beschlossen, zu einer neuen Besprechung mit Wissenden einzuladen. Besser ist das.

Doch klage ich nicht, das ist alles ruhegehaltsfähig, und jeder vergangene Tag, ja jede Stunde bringt mich dem an manchen Tagen besonders herbeigesehnten „wohlverdienten“ Ruhestand ein kleines Stückchen näher.

Dem baldigen Ruhestand strebt auch dieses Jahr entgegen. Ob wohlverdient, mag ein jeder für sich entscheiden.

Dienstag: Mittags in der Kantine stand vor mir eine Frau, die unentwegt, auch während sie bedient wurde, mit Kabel in den Ohren auf ihr Datengerät fixiert war. Dem Mann hinter dem Tresen bedeutete sie unterdessen ihren Wunsch „zum Mitnehmen“; zu diesem Zweck hält die Kantine verschließbare Mehrwegbehälter ähnlich dem klassischen Tupper-Produkt vor. Als der Kantinist sich zunächst schwertat mit dem Deckel, bot sie an, das Gefäß selbst zu verschließen, was ich gerne gesehen hätte mit dem Gerät in der Hand. Er schaffte es dann aber doch. Merke: Wer beim Mittagessen telefoniert, hat seine Arbeit nicht im Griff.

Kennen Sie diese Tage, an denen man jemandem, den man an den meisten anderen Tagen ganz gerne hat, am liebsten in den Hin… den hinteren Süden treten möchte? So ein Tag war heute. Erst ab 19:46 Uhr hellte sich die Stimmung wieder auf.

Mittwoch: „Das ist ein richtiges Autofahrlied – wenn der anfängt zu trommeln, muss ich immer auf dem Lenkrad mittrommeln“, sagte morgens der Mann im Radio. Ich fahre zum Glück nur noch selten Auto; ein Autofahrlied zeichnet sich für mich indessen vor allem dadurch aus, dass ich dabei mit hinreichender Textsicherheit laut mitsinge. Als ich noch täglich fuhr, zu der Zeit steckte man Musikkassetten in einen Schlitz, besaß ich mehrere Kassetten mit der Rückenbeschriftung „Zum Mitsingen“. Das vermisse ich ein kleines bisschen auf der täglichen Radfahrt.

Heute betrat ich zum ersten Mal nach achtzehn Monaten wieder ein Hotel, wo eine Präsenzveranstaltung abgehalten wurde, so richtig mit (für mein Empfinden zu vielen) anderen Menschen in einem (f. m. E. zu engen) Besprechungsraum. Das habe ich überhaupt nicht vermisst. Immerhin gab es danach eine Wiedersehensfeier mit desinfizierenden Getränken.

Donnerstag: (Der nachfolgende Satz ist für Menschen mit Gendersprechbedürfnis nicht geeignet.) Auf dem Fußweg ins Werk hätte ich zwei Fahrradfahrer anschreien können: Die eine, weil sie mich beim Überqueren der Kreuzung fast umgefahren hätte, den anderen, weil er mich auf dem Fußweg von hinten anklingele. Aber ach, wem hilft es.

Manches hat man schon häufig fotografiert. Dennoch tut man es immer wieder. Weil es schön ist und nichts kostet.

Kurz vor Ankunft im Werk sah ich ein Eichhörnchen die Straße überqueren, ordnungsgemäß über den Zebrastreifen. Offenbar nahm es die Verkehrsregeln ernster als die vorgenannten Radfahrer.

Freitag: Oktober nun. „Die Heizperiode beginnt heute“, hieß es morgens im Radio, als ob der Kalender alleinige Entscheidungsbefugnis über unser Temperaturempfinden hätte. Dessen ungeachtet fuhr ich heute erstmals mit dickerer Jacke*, Schal und Handschuhen ins Werk. Nicht so die Schulkinder, die morgens auf ihren Rädern vor mir an der Ampel warteten, in kurzen Hosen und T-Shirts, als ob morgen die Sommerferien begönnen. Da zog ich den Reißverschluss der Jacke reflexartig noch ein paar Zähne höher. Warum lassen Eltern sie so aus dem Haus? Oder gibt es mittlerweile kälteabweisende Sprays, mit denen sie ihre Brut morgens einsprühen?

* für die unsere Vorfahren einst das wunderschöne Wort „Übergangsjacke“ ersannen

Die Kastanien im Rheinauenpark lassen wieder ihre stacheligen Früchte auf die Wege fallen, wo sie zerplatzen und ihre braunglänzend furnierten Kerne freigeben, auf dass der mittägliche Flaneur sie vor sich her trete. Nur einige Rosenblüten strahlen noch, als hätten sie das Wort Heizperiode noch nie gehört, wohingegen der Wegweiser zum Bootsverleih seine Bestimmung für die kommenden Monate vorläufig eingebüßt hat. – Ich liebe den Herbst, aber das erwähnte ich wohl schon.

Abends wurde in einer Bonner Gaststätte nach nur geringer Alkoholeinnahme eine neue Weichtier-Spezies entdeckt: die Fiesmuschel.

Samstag: Impflust durch die Vordertür – in der Bonner Innenstadt stand ein Impfbus, davor eine lange Schlange Impfwilliger. Anscheinend besteht doch noch etwas Hoffnung.

In Itzehoe befindet sich laut Zeitungsbericht eine 96-jährige Frau in Untersuchungshaft, derer sie sich zuvor vergeblich durch Flucht zu entziehen versucht hatte. Die Dame ist als damalige Sekretärin in einem Konzentrationslager der Beihilfe zum Mord angeklagt. Ich bin bestimmt kein Anhänger der Irgendwannmussesauchmalgutsein-Idee, dennoch frage ich mich in diesem Fall: Muss das sein? Als Sekretärin wird sie wohl kaum todbringende Entscheidungen getroffen haben. Aber was weiß ich schon.

Sonntag: Beim Spaziergang sah ich einige Damen das Schaufenster eines Geschäfts in der Innenstadt weihnachtlich dekorieren, einschließlich Tannenbaum mit Lichterkette. Das ist wieder Zimt auf die Sterne der Spätsommerspekulatius-Empörten.

Wer auch immer Bundeskanzler wird – er wird all die aktuellen Probleme nicht lösen können, weil dazu etwas erforderlich wäre, was es nicht gibt: die Bereitschaft der Bürger, auf Dinge wie Ungeimpftsein, Urlaubsreisen, freie Fahrt und geschotterte Vorgärten zu verzichten. Warum also wollen manche unbedingt Kanzler werden? Wohl kaum der Bezahlung wegen, da kann man woanders wesentlich mehr Geld mit wesentlich weniger Ärger bekommen. Warum also? Was passiert eigentlich, wenn das irgendwann keiner mehr machen will? Wird das dann per Los bestimmt?

Eine Woche danach