Woche 17: Hundekotaufnahmepflicht und Einsatzfrikadellenverbot

Montag: Ich bin Fußgänger aus Leidenschaft. Doch oh weh, glaubt man der derzeitigen aufgeregten Diskussion, könnte es damit bald vorbei sein, wenn, wie vom Verkehrsminister vorgesehen, auch Elektroroller Gehwege nutzen dürfen und uns alle platt fahren. So schlimm wird es schon nicht werden, jedenfalls nicht schlimmer als heute, ignorieren doch jetzt schon zahlreiche Radfahrer – und auch Fußgänger – die jeweilige Zweckbestimmung von Rad- und Fußwegen, da fallen ein paar Roller nicht ins Gewicht. Es ist wohl eine menschliche, vielleicht auch typisch deutsche Eigenschaft, in allem sofort das Katastrophenpotential zu erkennen, von der ich mich selbst nicht ausnehme.

Meine Freude am Flanieren werde ich mir nicht nehmen lassen. Mein heutiger Ostermontagsspaziergang führe durch die Friedrichstraße, wo ein Schaufenster rätselhaft beschriftet ist:

Was will die dreifache, unglaublich echte Mama dem potentiellen Konsumenten sagen? Macht der Erwerb roter Hosen und Jacken „massiv glücklich“? Was soll das überhaupt sein, ist massiv glücklich ein erstrebenswerter Zustand?

Weiter ging es an den Rhein, wo der Blauregen blüht (extra für dich, lieber C), und bald auch die Kastanien:

In der Inneren Nordstadt schmücken wunderschöne Quallen einen Stromkasten, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte:

Sowas entgeht dem Rad- und Rollerfahrer. Das sieht nur der Fußgänger.

Dienstag: Der erste Arbeitstag nach dem Urlaub gestaltete sich weitgehend frei von Imponderabilien. Bei Hirschhausen las ich die Tage, eine Stunde Fernsehen verkürze das Leben um zwanzig Minuten. Wenn das stimmt, wie lebensverkürzend muss dann ein achtstündiger Arbeitstag vor einem Computerbildschirm sein? Müsste ich dann nicht längst Sendeschluss haben? „Sendeschluss“, auch so ein Wort, welches die Jüngeren nicht mehr kennen dürften.

Mittwoch: „Vielen Dank für Ihre Bereitschaft an der Teilnahme zu unserer Befragung. Leider gehören Sie nicht zu unserer gesuchten Zielgruppe. Wir wünschen Ihnen dennoch einen schönen Tag/Abend.“ Das war das endgültig letzte Mal, dass ich an einer Befragung teilnehme oder irgendwas bewerte.

Donnerstag: Auf dem Weg ins Werk konnte ich durch geschicktes Ausweichen gerade noch Schlimmeres verhindern, als mir von rechts eine Schnecke in den Weg huschte.

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Vielleicht nach einer ähnlichen Situation mit einem für die Schnecke wesentlich ungünstigeren Ausgang dichtete einst Eugen Roth:

„Ein Mensch zertritt die Schnecke achtlos.

Die Schnecke ist dagegen machtlos.

Zu spät erst kann sie, im Zerknacken,

den Menschen beim Gewissen packen.“

Nicht verhindern konnte ich, mir während einer Besprechung diese gehörten Sätze zu notieren:

„Der Käse ist gelutscht.“

„Da sind wir blindflugmäßig unterwegs.“

Während einer Vorstellungsrunde unserer Abteilung mit dem neuen Chefchef frage ich mich, warum die Kollegen sich veranlasst sehen, Auskunft zu geben über Privates wie Familienstand und Kinderzahl. „Polyamorphes Beziehungsgeflecht, mit einem inzwischen stillgelegten Staubsaugerroboter“ hätte die Runde unnötig in die Länge gezogen, deshalb verzichtete ich darauf.

Freitag: Anlässlich der bevorstehenden Europawahl säumen unzählige Plakate der antretenden Parteien mit beliebig austauschbaren (aufgrund eines Vertippers schrieb ich zunächst „ausrauschbaren“, was auch gepasst hätte) Parolen die Straßenränder. Die ÖDP wirbt mit „Weniger Wachstum ist mehr Zukunft“. Seit Stunden denke ich darüber nach, was „mehr Zukunft“ sein soll, komme aber zu keinem Ergebnis.

Samstag: Es hätte ein schöner Tag mit Freunden im Ahrtal werden können: Morgens mit der Bahn bis Mayschoß, dann bis Dernau wandern, wo der Tag bei einer gemeinsamen Einkehr ausklingen sollte, zwischendurch immer wieder Rast bei den Ständen der örtlichen Winzer. Kurz vor Dernau, an einer besonders schmalen und ungesicherten Stelle des Rotweinwanderwegs, geschah das Unglück: Zwei Teilnehmer unserer Gruppe stürzten den steilen Hang hinab, -zig Meter, vielleicht hundert, ich weiß es nicht, ungebremst durch Büsche, Bäume oder Reben. Dieser Vorfall löste in mir, zeitlich verzögert, als die Verunglückten schon wieder auf den Beinen waren, eine emotionale Reaktion aus, wie ich sie seit Jahrzehnten nicht mehr hatte und daher kaum noch für möglich hielt. Nicht dass ich gerne öfter weinen würde, der Anlass ist ja selten erfreulich, aber in gewisser Weise doch beruhigend, dass es noch funktioniert. Am Ende waren es aber wohl Freudentränen, denn die beiden überstanden den Sturz ohne Knochenbrüche oder Schlimmeres. Daher kam es am Abend doch noch zur gemeinsamen Einkehr, wenn auch in gedrückterer Stimmung als geplant.

Liebe M, lieber S, alles Gute euch!

Sonntag: Florentin Schumacher plädiert in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung für eine „Hundekotaufnahmepflicht“ in Deutschland, ein wunderbares Wort. Ein anderes wunderbares Wort ist „Einsatzfrikadellenverbot“, welches in Polizeikreisen gebräuchlich ist, wie ich gestern auf der Wanderung erfuhr. Mangels Verwendungsgelegenheit wird es wohl keine Aufnahme in meinen aktiven Wortschatz finden. Eigentlich schade.

In Beuel macht man sich Gedanken zum Umweltschutz, ohne übertriebene Rücksicht auf Rechtschreibung und Bäume:

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Vielleicht wäre ein „Baumschilderschraubenverbot“ eine angemessene Forderung.

In der Nordstadt setzt man sich unterdessen subtil-kritisch mit Fragen zur gesunden Ernährung auseinander:

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Ihnen eine angenehme neue Woche ohne Katastrophen und Tränen, dafür mit viel Zukunft und massivem Glück!

 

Woche 16: Wertschätzung durch konsequenten Spuckverzicht

Montag: Ein gewisser Stephan beklagt in der Zeitung, der Flohmarkt in den Rheinauen sei zu kommerziell geworden. Darauf muss man erstmal kommen.

Ansonsten ein angenehm ereignisloser Urlaubstag mit Ausflug durch nördliche Provence und Drôme mit zwei Besuchen bei Winzern, wo die Gläser nicht trocken blieben.

Dienstag: Laut Zeitungsbericht hat ein schwäbischer Landwirt seine Gattin mit Gülle getötet. Freundlicherweise erspart der Artikel unappetitliche Details, wie etwa die gewählte Darreichungsform.

Aus der Berichterstattung über den Brand der Pariser Kathedrale Notre-Dame: „Ein fürchterlicher Brand“ (die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo auf Twitter); „Notre-Dame von Paris den Flammen ausgeliefert. Emotion einer ganzen Nation“ (Emanuel Macron auf Twitter); „Notre-Dame von Paris ist Notre-Dame von ganz Europa“ (Donald Tusk auf Twitter); „Es tut weh, diese schrecklichen Bilder der brennenden Notre-Dame zu sehen.“ (Steffen Seibert auf Twitter); „Es gibt wahrscheinlich keine andere Kathedrale wie diese auf der Welt“ (Donald Trump, vermutlich auf Twitter); „Ich kann es nicht fassen“ (eine ältere, mit den Tränen ringende Dame auf der Straße). Rätselhaft-mysteriös dagegen die Feststellung eines unbekannten Mannes in der Menge nach Erlöschen der Flammen: „Das ist ein schlechtes Zeichen. Das Feuer hat nun nichts mehr, womit es sich füttern kann. Es ist alles aus.“ Immerhin verzichtet die Zeitung auf die sonst übliche Chronik der schönsten Kirchenbrände der letzen hundert Jahre.

Weitere Meldung: Heidi Klum färbt Ostereier. „In einem weiteren Video hängen mehrere fantasievoll bemalte Eier an Fäden befestigt von der Decke. Zwei davon ähneln Klum und ihrem Verlobten Tom Kaulitz (29)“, so die Zeitung.

Dessen ungeachtet besuchten wir an diesem trüben Tag die Weinmesse découvertes en Vallée du Rhône in Tain l’Hermitage. Genau genommen ist eine Weinmesse nichts anderes als ein großer, gesellschaftlich weitgehend akzeptierter Drogenumschlagplatz.

Trotz Urlaubs hier eine Leseempfehlung aus dem Werkswahnsinn mit hohem Wiedererkennungseffekt.

Mittwoch: Tag zwei der Weinmesse, heute im Papstpalast zu Avignon. In zwei Sälen reihen sich Stand an Stand, wo sachkundige Besucher die Erzeugnisse der südlichen Côte du Rhône verkosten. Dazu machen sie sich Notizen, vielleicht „samtig perlend im Abgang“, „Anmutung von Rosenkohlsud mit einem Hauch von grünem Spargel“, „Ananasaroma mit einer leichten Note von grüner Kokosnuss“ oder „Duft gelber Kakteenblüten“, bevor sie das Probierte in bereitstehende Behälter speien. Ich hingegen nehme meine Rolle als Importeursgattin sehr ernst und erweise den Winzern, die sich bei der Herstellung der Weine große Mühe gaben, die gebotene Wertschätzung durch konsequenten Spuckverzicht.

Donnerstag: Präsident Macron soll ein Gesetz annulliert haben, wonach es verboten ist, den Luftraum über dem Ort Châteauneuf-du-Pape mit einer fliegenden Untertasse zu passieren. Urlaubsbedingt fehlen mir zurzeit die Möglichkeiten, Wahrheitsgehalt und Hintergründe zu recherchieren. Da ich diese Information vom Liebsten erhielt, besteht indes kein Grund, daran zu zweifeln. Das bleibt nicht ohne Folgen: In der vergangenen Nacht träumte ich, als Briefzusteller der Post meine Tätigkeit in einer fliegenden Untertasse wahrzunehmen. Allerdings in Lemgo, nicht in Châteauneuf-du-Pape, dort ist es ja verboten.

Freitag: Vor einem Geldautomaten sehe ich junge Eltern mit Kinderwagen, Papa und Mama an Arm und Bein großflächig tätowiert. Wie lange mag es dauern, bis sich auch das Kind über seine erste Tätowierung freuen darf?

Samstag: In Frankreich ist eine normale Schachtel Zigaretten mit acht Euro fünfzig nicht nur besonders teuer, sondern im einheitlichen Gruftschwarz mit dem vorgeschrieben Spaßverderbebild auch ziemlich hässlich.

Zwei weitere von vielen guten Gründen, die letzte Zigarette zur letzten Zigarette zu erklären, bevor mein Körper mir diese Entscheidung abnimmt. Also: Schluss damit. Das gilt ab sofort. Unverzüglich.

Sonntag: Die Christen feiern das Osterfest. In Frankreich bringt üblicherweise nicht ein Hase die Eier, sondern, etwas plausibler, ein Huhn.

Wobei auch hier Fragen offen bleiben: Wie hat das Tier seine Füße durch die Eierschale bekommen, ohne sie zu beschädigen? Warum schlüpft es bereits mit einem Kamm aus dem Ei? Vor allem: Warum liegt da Stroh rum? Ich weiß, mein Sinn für dekorative Elemente ist nicht besonders ausgeprägt.

Nach einer Woche Provence fahren wir zurück ins Rheinland, wo es auch ganz schön ist, wenn auch nicht überall so anichtskartenhaft-pittoresk. Immerhin, auch bei uns blühen bald Flieder und Kastanien. Und Rapsfelder, die in der Provence eher selten sind. Die sollen sich mal nicht zu viel einbilden auf ihren Lavendel.

Woche 15: Unterwegs

Montag: „Matinee der Bewegung“ lese ich auf einem Plakat im württembergischen Langenau, wo die Geschäfte meine Anwesenheit bis Mittwoch erfordern. Die Anreise mit der Bahn verlief pünktlich, angenehm und ohne nennenswerte Vorkommnisse, sieht man einmal von der umgekehrten Wagenreihung des ICE in Frankfurt ab, welche, wenn man wie ich auf den ersten (beziehungsweise letzten) Wagen gebucht ist, ebenfalls zu einer Matinee der Bewegung wird.

Im Hotelzimmer haben sie so Duftstäbchen in einer Verdunstungsflüssigkeit aufgestellt, welche das Zimmer in einen schweren, süßlichen, insgesamt unangenehmen Geruch hüllen. Zum Zwecke des Verduftens öffne ich das Fenster und stelle die Flasche auf den Flur. Als ich abends vom Essen mit den Kollegen zurück kehre, duftet der ganze Flur. Das Zimmer leider auch immer noch. Anscheinend ist jede Faser darin nachhaltig von dem Duftstoff getränkt. Selbst verbotenes Rauchen hilft nicht.

Dienstag: Das Speisenangebot des Hotels wirft Fragen auf.

Im Hotelzimmer ist eine elektrische Glocke an der Wand angebracht, wie wir sie früher im Hausflur meines Elternhauses hatten, damals, als Telefone noch Eigentum der Deutschen Bundespost waren und nur von dieser installiert werden durften. Bei jedem eingehenden Anruf erzeugte dieser Klangkörper einen höllischen Lärm.

Welchen Zweck diese Glocke in meinem Zimmer erfüllt, kann ich nur mutmaßen. Vielleicht warnt sie bei Feueralarm. Somit würden alle Gäste, die nicht durch Flammen und Rauch umkommen, wenigstens zu Tode erschreckt.

Mittwoch: Auf das Hotelfrühstück verzichtet. Zum einen wegen morgentypischer Appetitlosigkeit, zum anderen ertrage ich es nicht, so früh eine größere Anzahl Menschen um mich zu haben, die ein Mindestmaß an Kommunikation erwarten.

Wer mir ungefragt Bilder seines Hundes vor die Nase hält, hat meine Gunst schon verspielt. Kollegin C zeigte mir hingegen auf der Rückfahrt aus Langenau gunsterhaltend ein Bild des Teichfroschs, der in ihrem Gartenteich wohnt. Ein Prachtbursche.

Unglaublich: Manche Leute sind zu doof, im ICE ihren reservieren Sitzplatz einzunehmen. Erst versuchen sie, andere vom Platz zu scheuchen, weil sie sich in der Platznummer vertan haben, dann, nachdem sie ihren Fehler bemerkt haben, nehmen sie dennoch den falschen Platz ein, weil sie die angebrachte Nummer dem falschen Sessel zuordnen, von welchem sie schließlich – zu recht – durch den rechtmäßigen Inhaber vertrieben werden. Solch ein Trottel war heute ich. Das ist aber auch kompliziert in diesen neuen Zügen!

Donnerstag: Es kommt nicht häufig vor, dass ich die Lektüre eines Buches bereits im ersten Drittel abbreche. Möglicherweise kam es gar noch nie vor. Nun aber: „Ich war jung und hatte das Geld – Meine liebsten Jugendkulturen aus den wilden Neunzigern“ von Sebastian Lehmann, auf welches ich durch eine wohlwollende Buchbesprechung in der Tageszeitung aufmerksam wurde. Es möchte witzig sein, ist es aber nicht. Auch der augenscheinlich von Marc-Uwe Kling autorisierte „Witzig“-Sticker auf dem Titel ändert daran nichts. Bei Bedarf können Sie es sich gerne in den nächsten Tagen aus einem der öffentlichen Bücherschränke in Bonn abholen.

Stattdessen während der Stadtbahnfahrten nun: „Jeder lügt so gut er kann“ von Harald Martenstein. Viel besser und mit besten Aussichten, bis zum Ende gelesen zu werden und danach dauerhaften Platz in meinem Bücherregal zu finden.

Freitag: Amazon zeichnet Dialoge zwischen Alexa und ihren Kunden auf, wie jetzt berichtet wird. Der öffentliche Aufschrei bleibt aus, was wenig verwunderlich ist, wohl nur unbeirrbare An-den-Osterhasen-Glauber nahmen bislang an, diese Gespräche würden die Stube, in der Alexa auf der Anrichte steht, nicht verlassen.

Auch ich zeichnete am kühlen Morgen auf dem Weg zur Bahn einen Dialog auf, oder jedenfalls einen kleinen Fetzen daraus: „… wirklisch kalt, das macht voll aggro.“ Besonders aggressiv wirkte der junge Mann, der das sagte, allerdings nicht, vielmehr wandelte er liebevoll Hand in Hand mit seiner Freundin.

Der Rheinländer feiert bekanntlich gerne, auch bei niedrigen Temperaturen. Heute beispielsweise wird in der zurzeit kirschblütenschwangeren Bonner „Altstadt“ die diesjährige Inbetriebnahme eines Straßen-Zierbrunnens begossen. Ein Anlass, der den Ostwestfalen oder Niedersachsen maximal eine Augenbraue leicht anheben ließe; der Bonner hingegen begrüßt den wiedererwachten Wasserstrahl (Pfeil) mit Freibier und Musik.

Samstag: Vergangene Nacht träumte ich von der künftigen Verkehrssituation in und um Bonn nach Start der bevorstehenden Brückensanierung im Norden und tektonischer Erdplattenverschiebung. Einer sagte: „Dann bewegt sich jeder Fabrikschornstein mit einer höheren Reisegeschwindigkeit als Sie morgens mit dem Auto zur Arbeit.“ Auf solche Sätze muss man am wachen Tag erstmal kommen.

Sonntag: Im französischen Radiosender Nostalgi spielen sie „More than I can bear“ von Matt Bianco, allerdings in einer verkürzten Version ohne das wunderbare Trompetensolo. Das ist so wie Mon Cherie ohne Piemontkirsche oder Die Simpsons ohne Bart. Darum hier die vollständige Fassung:

Apropos ohne Bart: Seit heute bin ich wieder ohne Gesichtsbehaarung (beziehungsweise ohne Gesichtsbehaarung unterwegs, wie einige mir bekannte Menschen sagen würden), und das soll jetzt erstmal so bleiben, auch wenn das Spiegelbild noch etwas ungewohnt ist.

Woche 14: Haken dran

Montag: Trotz Zeitumstellung gab es schon Montage, nicht gering an der Zahl, an denen meine Laune schlechter und meine Mühe, morgens des Tuches Behaglichkeit zu verlassen, größer waren. Auch von Aprilscherzen wurde ich bis zu dem Zeitpunkt, da ich diese Zeilen niederschreibe, verschont. Wobei – an manchen Tagen, wenn wieder irgendeine zweifelhafte Entscheidung bekannt gegeben wurde, wünschte ich schon sehr, jemand käme ins Büro gelaufen, „April, April“ rufend.

„Stallhaltung“, „Stallhaltung plus“, „Außenklima“, „Premium“ – der Lebensmittelhandel vergibt nun Haltungsnoten für das Schlachtvieh, wobei „Außenklima“ bedeutet, dass ab und zu das Fenster geöffnet wird. Warum nicht, wenn es dem Tierwohl dient. Vielleicht gibt es das irgendwann auch für Büroarbeitsplätze?

Dienstag: Auf Tagung in Bad Breisig, ein Ort von stellenweise liebenswert-kitschigem Mittelrheincharme. Nicht kitschig, sondern albern hingegen sind Sätze wie „Check mal bitte die Ownership“ und „Da sind wir noch kleinteilig unterwegs“, die zu lesen und hören ein gewisses, an Perversität grenzendes Vergnügen bietet. Manchmal allerdings denke ich, ich bin zu alt für solchen Quatsch.

Im Raum Frankfurt sagt man übrigens „Das geht auf deinen Nacken“, wenn man jemanden auffordert, die nächste Runde zu übernehmen.

Mittwoch: Nachdem ich mich am Vorabend als stark am Glas erwies, gestaltet sich der zweite Tag der Veranstaltung ein wenig anstrengend, nicht zuletzt auch wegen Powerpoint mit viel Text in kleiner Schrift. Wesentlich größer die Beschriftung des Hemdes meines Vordermanns. Wenn Powerpoint die Pest der Kommunikation ist, dann gewährt Camp David einen Blick in den textilen Abgrund.

Donnerstag: Auf dem Flur begegnet mir Kollegin B, eine im Übrigen sehr liebe Kollegin, mit einer violetten Tupperdose in der Hand (vielleicht war das Gefäß auch von einem anderen Hersteller, nur komme ich gerade nicht auf den passenden Oberbegriff, Frischhaltedose oder so). Passend dazu trägt sie eine Strickjacke in sehr ähnlicher Farbe. Wegen solcher Details bewundere ich manche Frauen sehr.

Der Liebste ist seit heute Apple-Watch-Besitzer. Jedes Mal, wenn er ein neues Produkt des Obstbauers mit dem angebissenen Apfel gekauft hat, erinnert er an einen kleinen Jungen, der was Neues von Lego bekommen hat und es nun eifrig zusammenbaut: „Kuck mal! Kuck mal!“

Freitag: Eines der letzten Abenteuer unserer Zeit ist bekanntlich eine Reise mit der Bahn. So auch heute: Wegen einer größeren Störung in Düsseldorf wurde mein Zug nach Dortmund umgeleitet über mir bislang unbekannte Strecken. Erschreckend bis faszinierend, welchen Verfall es abseits der gewohnten Gleise gibt. Das bekommt man ja normalerweise gar nicht mit. Da die Reise privater Natur war und mich kein Termin drückte, genoss ich die Fahrt trotz am Ende einstündiger Verspätung sehr.

In Dortmund besichtigte ich übrigens einige sehr schön gestaltete Modelleisenbahnanlagen, wie nachstehendes Photo verdeutlichen mag.

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Samstag: Man muss Gesundheitsminister Spahn und den SPD-Experten Karl Lauterbach, sie wissen schon, der mit der Fliege, nicht für besonders mögenswert halten, ihre geplante Neuregelung zur Organspende finde ich indes gut. Meinethalben darf nach meinem Ableben alles weiterverwendet werden, auch wenn am Ende nur Seele und Füße übrig bleiben. Die wird niemand haben wollen.

Auch bin ich für die allgemeine Impfpflicht. Lisa-Marie und Finn-Luca werden den kleinen Stich schon ohne größere Traumatisierung überleben, vielleicht finden sie es sogar cool, oder wie auch immer die das heute nennen. Zudem sind sie dann schon vorbereitet auf die Nadel, wenn sie sich später Botox spritzen oder die Waden und Unterarme tätowieren lassen.

„Mit fünfzig denkst du über alles nach, aber wo bleibt der Spaß?“, höre ich in einer Radioreklame, ohne sagen zu können, welches Produkt beworben wurde. Lieber junger Freund und Werbefuzzi: Ich bin nun zweiundfünfzig, und glaube mir, in früheren Jahren dachte ich mehr nach als heute, über Fragen, die heute zum Glück größtenteils beantwortet sind – über Selbstzweifel, Unwägbarkeiten der Zukunft, berufliche Entwicklung, Beziehungsglück. Überall „Haken dran“, oder „Check“, wie ihr in eurer spätjugendlichen Selbstherrlichkeit wohl sagen würdet. Und Spaß – den habe ich noch immer genug, wenn auch vermutlich anders als ihr. Also kommt mir nicht mit so einem Mist.

Die neue Uhr gemahnt den Liebsten regelmäßig, sich vom Sofa zu erheben und sich zu bewegen, und er gehorcht. Das sollte ich mal wagen.

Sonntag: „Psychologen berichten seit Langem von Sonntagsdepressionen. Manche Leute können sich demnach an diesem Tag nicht entspannen, weil sie ständig daran denken müssen, dass ab morgen wieder eine neue, womöglich anstrengende Arbeitswoche bevorsteht“, schreibt Christian Baron in einem älteren, sehr lesenswerten Artikel über das Erwerbsleben, auf den ich durch das Blog Red Skies over Paradise aufmerksam wurde, vielen Dank dafür.

In der Inneren Nordstadt von Bonn geht es nun wieder richtig los, blühende Bäume locken nach Selfies gierende Menschen.

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Für bestimmte Motive stehen sie gar Schlange:

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Dabei gibt es etwas außerhalb ebenfalls schöne Kirschbäume zu bewundern, ganz ohne Leute darunter. Nur eben nicht so rosa.

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Woche 13: Tatsächlich

Montag: Manche Menschen sind auf Anhieb unsympathisch, denken Sie nur an J. R. Ewing oder Alexander Dobrindt. Heute Vormittag im Aufzug: Ein junger Mann um die dreißig, nach hinten geschmierte Haare, weißes Hemd mit Manschettenknöpfen, Kopfhörer im Ohr, unbedingte Strebsamkeit im Blick. Grußlos betrat er die Kabine, den strebsamen Blick auf sein Datengerät gerichtet, ohne Gruß verließ er sie wieder, wobei ich einräume, auch meinerseits keine Veranlassung für einen Gruß gesehen zu haben; vielleicht wollte ich sein geschäftiges Tun nicht unterbrechen, vielleicht war es etwas anderes, das meine Lippen einem „Guten Tag“ oder einfachem „Hallo“ verschlossen hielt. Dabei ist er vielleicht ein liebevoller Vater, oder er spendet regelmäßig größere Summen an Bedürftige, wer weiß, man sieht den Leuten so etwas ja nicht an.

Gegen Abend komme ich in Cottbus an, wo die Geschäfte bis Mittwoch meine Anwesenheit erfordern. Vom ersten Eindruck her ist mir die Stadt ebenfalls nicht sonderlich sympathisch, aber das kann ja noch werden.

Dienstag: Frau Marie schreibt wieder schön über den Wahnsinn im Werk: „Arbeit dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht.“

Die Litfaßsäulendichte in Deutschland nimmt laut einem Zeitungsbericht ab, ein hierzu befragter Experte befürchtet gar „das Ende vom Stadtbild, wie wir es kennen“. Hm. Also ich könnte auf die Dinger verzichten, vermissen würde ich sie eher nicht. Im Übrigen stünde so mancher Stadt eine Änderung ihres Bildes gut zu Gesicht, wobei es hierzu wohl mehr bedarf als einer Reduzierung der beweinten Reklametürmchen.

Mittwoch: Ob Vorstehendes auch auf Cottbus zutrifft, enthalte ich mich zu beurteilen. Der Nachteil von Tagungen ist ja oft, dass man vom Tagungsort wenig bis gar nichts mitbekommt.

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Auch über die Schönheit von Calau erlaube ich mir kein Urteil. Nach eigenem Bekunden erfreut es sich jedenfalls bester Gesundheit, wie ich auf der Rückfahrt sehe. Im örtlichen Bahnhof steht ein ausgemusterter Eisenbahnwaggon mit der Aufschrift „Herzlich Willkommen in Calau, kerngesunde Kleinstadt mit Witz“, wobei das letzte Wort besonders hervorgehoben ist, als wollte man hinzufügen „Verstehste, zwinker zwinker, Witz, Calau, Kalauer!“ Da fand ich das Motto, welches sich die Stadt Bielefeld 2014 zum achthundertjährigen Bestehen gab, deutlich witziger: „Gibts ja gar nicht.“

Im Regionalexpress von Cottbus nach Leipzig hörte ich einen jungen Mann zu seiner Begleiterin sagen: „Sowas solltest du haben, weil es einfach doof ist, sowas nicht zu haben.“ Das fand ich auch ohne Kenntnis des Zusammenhangs recht witzig, weshalb ich es Ihnen nicht vorenthalte.

Nicht witzig, eher schlampig der folgende Satz, der heute im General-Anzeiger zu lesen ist: „Während einer zwölftägigen Kreuzfahrt entlang der norwegischen Westküste war die „Viking Sky“ am Samstagnachmittag aufgrund von Problemen mit seinen Motoren in dem Küstengebiet Hustadvika in Seenot geraten.“ Das Küstengebiet hatte Probleme mit den Motoren?

Ich möchte die Betrachtung dieses Tages nicht beenden, ohne mich bei der Deutschen Bahn zu bedanken, welche mich sehr angenehm und bequem von Cottbus nach Bonn beförderte, zwar nicht ganz pünktlich, jedoch mit einer Verspätung, die sich mit einer Viertelstunde im Rahmen des Erträglichen hielt. Das sollte man auch mal erwähnen, nicht immer nur draufhauen.

Donnerstag: „Glyphosat ist und bleibt sicher“, sagt der Bayer-Chef. „Unsere Mitarbeiter sind unsere höchstes Gut“, lese ich in einer internen Mitteilung. Kommt bald eine Erklärung des Papstes, die Erde sei doch eine Scheibe?

Freitag: Ein neuer Stern funkelt am jede Besprechung überspannenden Floskelfirmament, im Sternbild des Füllwortes, gleich neben „quasi“, „irgendwie“ und „genau“: „tatsächlich“. Kaum noch ein Besprecher kann darauf verzichten, es tatsächlich in ungefähr jeden dritten Satz einzuflechten.

(Schon um zwanzig nach sechs, also etwa eine halbe Stunde vor der üblichen Zeit und eine halbe Stunde, nachdem mich der Blasenwecker des Müssens gemahnt hatte, trieb es mich heute – putzmunter – aus dem Bett, um vorstehendes zu notieren. Manchmal wundert man sich über sich selbst.)

„Zuvor hatte die Airline am Morgen bereits erklärt, seine Flugzeuge bis auf Weiteres am Boden zu lassen“, steht in der Zeitung. Ist das wirklich so schwierig?

Nachtrag zu Mittwoch: Auch in Bonn ist man nur mäßig witzig.

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Samstag: An diesem sonnigen Tag sah ich nicht nur den ersten Schmetterling des Jahres, sondern hörte auch erstmalig das Wort „Klabusterbeeren“, welches ich aus Gründen der Rücksichtnahme nicht näher erläutere; es steht Ihnen natürlich frei, es zu recherchieren.

Ein Jugendlicher in der Bahn zu seinen Leuten: „Isch kann misch mit meinen eigenen Haaren nicht mehr ernst nehmen, Alter.“ Junger Freund, möchte man entgegnen, deine Frisur ist nun wirklich nicht dein hervorstechendes Manko.

In Essen fuhr ein Mann eine Stunde lang mit hoher Geschwindigkeit durch einen Kreisverkehr, verfolgt von Polizei und einem Hubschrauber, steht in der Zeitung. Das muss sehr lustig ausgesehen haben. Vielleicht stammt der Bericht auch aus der Feder eines Journalisten-Azubis, der vor einem Kinderkarussell stand.

Sonntag: Ein mir nicht näher bekannter Marc fragt per Mail an, ob ich Lust hätte, einen bezahlten Artikel über Sportwetten zu schreiben. Lieber Marc, nein, habe ich nicht. Dieses Blog dient ausschließlich meinem privaten Freizeitvergnügen, der Lust am Schreiben, Beobachten und Bemerken. Der einzige Lohn sind gelegentliche Gefällt-mir-Bekundungen und Kommentare meiner Leser, hingegen verfolgt es keine finanziellen Interessen. Deshalb rufe ich auch nicht zu „Blogspenden“ und ähnlichem Quatsch auf. Dennoch Danke der Nachfrage. Vielleicht schreibe ich tatsächlich mal was über Sportwetten, dann aber ohne Vergütung und Verlinkung. Allerdings fällt mir im Moment nichts zu dem Thema ein.

Anlass zur Bemerkung bietet ein Spaziergang durch die Bonner Innere Nordstadt. In Heer- und Breite Straße stehen die inzwischen weltberühmten Zierkirschbäume kurz vor der Blüte. Schon jetzt posieren zahlreiche mit Selfie-Stangen bewaffnete Menschen unter den noch geschlossenen Knospen. Das lässt Schlimmes erwarten für die kommenden Tage, wenn die Bäume wirklich blühen. Ich werde berichten.