Der perfekte Tag

Es stand in der Zeitung: Ein deutscher und ein amerikanischer Forscher haben ermittelt, wie sich ein perfekter Tag zusammensetzen müsste, um höchste Lebenszufriedenheit zu erlangen. Hierfür wurden 909 berufstätige Frauen befragt, doch soll sich das Ergebnis grundsätzlich auch auf das männliche Geschlecht übertragen lassen, wie eine Ergänzungsstudie ergab.

Hier nun das Ergebnis: Der perfekte Tag besteht aus
33 Minuten Pendeln,
36 Minuten Arbeiten,
46 Minuten Schlafen,
46 Minuten Kinderbetreuung,
47 Minuten Hausarbeit,
48 Minuten Zeit am Computer,
50 Minuten Kochen,
55 Minuten Fernsehen,
56 Minuten Einkaufen,
57 Minuten Telefonieren,
68 Minuten Sport,
73 Minuten Beten / Meditieren,
74 Minuten Essen,
78 Minuten Entspannen / Nichtstun,
82 Minuten Freunde treffen und
106 Minuten „romantische“ Zeit mit dem Partner.

Hieraus ergeben sich Fragen.

Erstens: Wie kann man mit 46 Minuten Schlaf glücklich sein? Mir genügen acht Stunden kaum.

Zweitens: Welcher 36-Minuten-Job ermöglicht es, 56 Minuten lang einkaufen zu gehen? Auch als „Dame“ im sehr speziellen Sinne nur schwer vorstellbar.

Drittens: Wie kann ein Tag perfekt sein, der nur zu 74 Minuten aus Essen besteht? Ein gemütliches Frühstück nach erholsamem Schlaf, ein gutes Mittagessen, ein schönes Abendessen im Restaurant erfordern zusammen mindestens fünf Stunden, dafür verzichte ich gerne auf Kinderbetreuung, Hausarbeit, Fernsehen und Telefonieren. Und Pendeln.

Schließlich: Die obige Auflistung ergibt zusammen 955 Minuten. Was macht der Mensch in den übrigen 485 Minuten, die an den täglich zur Verfügung stehenden 24 Stunden fehlen? Das sind gut acht Stunden! Spazieren gehen? Ist in 68 Minuten Sport enthalten. Pornos schauen? Ist mit 48 Minuten Zeit am Computer abgedeckt. Auch mit Schuhgeschäften (Damen) und Auto waschen (Herren) lassen sich keine acht Stunden täglich füllen, wobei ich nicht behaupte, dass das nicht möglich wäre, es gibt ja auch Menschen, die mit Begeisterung aus Streichhölzern den Kölner Dom in Originalgröße nachbauen oder bei Subway ein belegtes Brot bestellen.

Aufgrund empirischer Beobachtungen stelle ich folgende These auf: Die verbleibenden acht Stunden und fünf Minuten teilen sich auf in
133 Minuten Warten, auf die Bahn, den Aufzug, den Partner, dass er das Klo freigibt, in der Schlange bei McDonald‘s oder auf die SMS von DHL, dass das Amazon-Paket endlich in der Packstation liegt;
235 Minuten auf das Smartphone starren, davon allein 58 Minuten untätig das Warterädchen betrachtend;
56 Minuten dem Partner völlig unromantisch auf die Nerven gehen und schließlich
61 Minuten lang völlig sinnlose Blogtexte schreiben.

Perfekt.

Perforiert

Die Perforation der Menschheit begann vor mehreren Jahrtausenden. Waren es anfangs Schmuckstücke aus Holz, Knochen, Stein, Perlmutt oder anderen Materialien links und rechts des Steppenpfades, welche sich die Ureinwohner aus religiösen, (spi-)rituellen, ästhetischen oder was weiß ich was für Gründen durch Ohren, Nasenflügel, Lippen oder Genitalien trieben, so wurden nach Einzug der Zivilisation schon ganze Coladosen in eingeborenen Ohrläppchen gesichtet, hoffentlich waren sie zuvor geleert worden.

Meine frühesten Begegnungen mit Piercings waren die Ohrringe diverser Tanten: Klunker und künstliche Perlen, die an kurzen Kettchen baumelten, oder wellensittigschaukelartige Reifen, die fast bis zur Schulter der jeweiligen Dame reichten. Nachdem ich erfahren hatte, dass man dafür richtige Löcher in die Ohren sticht, konnte ich nächtelang nicht schlafen, und wenn doch, träumte ich von glühenden Nägeln und Mamas Nähmaschine.

Später, in der Schule, trugen dann auch Jungs Ohrschmuck, meistens einen kleinen dezenten Ring oder einen Knopf ähnlich wie meine Steifftiere, nur ohne diese kleine gelbe Fahne; als Junge trug man nur einen, wobei es dem Vernehmen nach darauf ankam, welches Ohr durchbohrt war – links war ,normal‘, rechts schwul, vielleicht war es auch umgekehrt. Manche trugen beidseitig, was auch immer das zu bedeuten hatte. Insgeheim bewunderte ich diese Jungs, hätte mir auch gerne so ein Dings stechen lassen, traute mich aber nicht in Erwartung elterlicher Ermahnung, außerdem fühlte ich mich nicht cool genug für so etwas verwegenes.

Erst später, im gesetzten Alter von dreißig, längst war ich dem elterlichen Haushalt entfleucht, suchte ich auf Überreden einer guten Freundin mit ebendieser einen örtlichen Ohrlochstecher auf, klack, tat gar nicht weh, und schon hatte ich einen Knopf im Ohr, welcher beim nächsten Elternbesuch das erwartete „Was hast DU denn da??“ hervorrief, ernste Sanktionen waren indes nicht mehr zu befürchten. Meine Teddy-Cool-Phase währte nicht lang, keine fünf Jahre später war das Teil wieder raus, inzwischen dürfte das Löchlein zugewachsen sein, nur wenn man ganz genau hinschaut, kann man es noch erahnen.

Gehe ich heute durch die Stadt, so stelle ich fest, dass sich die Jungs zunehmend wieder den vorgenannten Ureinwohnern exotischer Regionen annähern: nicht mehr dezente Ring- und Knöpflein zieren das adoleszente Ohrläppchen, sondern massive Ösen mit einem Durchmesser von bis zu einem Zentimeter umschmiegt das zarte Fleisch. Das wirft Fragen auf.

Erstens: Warum? Gut, so eine Ohr-Öse mag praktisch sein. So kann man darin bequem eine Zigarette oder einen Kugelschreiber aufbewahren und hat die Hände frei für Bierflasche und Smartphone. Auch kann man Kleiderbügel darein hängen, sollte man mal in eine Umkleidekabine ohne Wandhaken geraten. Weitere Vorteile erschließen sich nicht auf Anhieb.

Zweitens: Wie macht man solche Löcher? Mit dem einfachen Klack-Gerät meiner spätjugendlichen Erfahrung ist es da wohl nicht getan; wie also, um alles in der Welt? Nimmt man dafür einen Aktenlocher oder eine Stanze, und wenn ja, mit oder ohne Vollnarkose? Seitdem ich darüber nachdenke, schlafe ich wieder schlechter, schrecke nachts schreiend und nass geschwitzt hoch aus Träumen von lodernden Schmiedeessen, Locheisen, schwerer Hämmer, glühenden Zangen und sadistisch lachenden Folterknechten.

In der Reife meiner Jahre erkenne ich, dass die mir von der Natur gegebenen Löcher und sonstigen Körperöffnungen ausreichen, um damit im Leben einigermaßen klar zu kommen. Sicher scheint indes, dass der Mensch sich auch in tausend Jahren noch freiwillig durchbohrt, um etwas hindurchzustecken, so fern er dann noch auf Erden wandelt. Ganz sicher ist jedoch: solange es Menschen gibt, wird es Arschlöcher geben.

Frühwerke: Es lebe der Sport

Mit dem Schreiben kürzerer Texte begann ich 1985, also im zarten Alter von achtzehn Jahren. Vorbild und Quelle der Inspiration waren damals die Geschichten von Ephrahim Kishon, dessen Bücher ich liebte. Doch bereits ein Jahr später hörte ich wieder damit auf; den genauen Grund weiß ich heute nicht mehr, vermutlich Zeitmangel wegen des beginnenden Berufslebens oder neue Interessen. Neulich übergab mir meine Mutter eine Mappe („brauchst du das noch oder kann das weg?“), die sie beim Aufräumen irgendwo zwischen Fotoalben und alten Schulbüchern gefunden hatte: die Texte meiner ersten Schaffensphase!

Nach erster Sichtung stelle ich fest: so schlecht war ich damals gar nicht. Da ich noch keinen Rechner besaß (die Jüngeren unter Ihnen können sich das vermutlich nicht vorstellen), schrieb ich die Texte handschriftlich vor und tippte sie dann mit Schreibmaschine ab (für die Jüngeren: eine Schreibmaschine ist eine Art Laptop, das nur Word in Times New Roman Courier kann, allerdings wesentlich lauter, dafür gab es Modelle, die ganz ohne Strom auskamen).

Hier nun eine Kostprobe meines damaligen Schaffens. Schon in jungen Jahren war mir der (Schul-)Sport zutiefst verhasst, aber da erzähle ich denjenigen, die hier ab und zu mal reinschauen, ja nichts Neues. Den nachfolgenden Text schrieb ich hasserfüllt gegen Ende der „Dreizehneins“, als ich Sport endlich abwählen durfte (Deutsch und Mathe ging schon vorher, so viel zu unserem Schulsystem). So brachte ich zur letzten Sportstunde nicht nur eine Flasche Sekt mit, sondern auch eine Kopie dieses Textes und überreichte ihn Herrn F., unserem Sportlehrer. Ich weiß nicht, ob er ihn gelesen hat, jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, dass er danach noch ein Wort mit mir gesprochen hat.

Bitte sehen Sie mir nach, dass ich den Text nicht durch Abtippen in ein zeitgemäßes Format gebracht habe, sondern nur die Originale gescannt habe.

Voila, hier nun die Bekenntnisse eines Sportgeschädigten. Zum Lesen bitte anklicken. Viel Vergnügen!

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Über Meinungsfreiheit

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten […]“, so steht es im Artikel 5 Absatz 1 unseres Grundgesetzes. Das ist gut und richtig. Doch gibt es anscheinend nicht wenige Zeitgenossen, die in dem Recht zur Meinungsäußerung gleichsam eine Pflicht erkennen: In Leserbriefen werden die Nebeneinkünfte des SPD-Kanzlerkandidaten oder das Unkraut im Stadtpark kommentiert; taucht in der Fußgängerzone ein Kamerateam des WDR oder von RTL auf, stürzen sie sich darauf, um ihre Ansichten zu Urheberecht oder Zölibat in die Welt zu bringen (ich selbst mache seit jeher einen großen Bogen um Fernsehleute in Fußgängerzonen), und kein Internetforum, in welchem auf einen Beitrag etwa über die Preiserhöhung der Post nicht seitenlang Kommentare folgen, die spätestens nach dem dreizehnten Eintrag absolut gar nichts mehr mit dem Ursprungsbeitrag zu tun haben – Stille Post 2.0 gewissermaßen.

Ich frage mich: wen interessiert das? Wer will wirklich wissen, welche Meinung wildfremde Menschen zu einem bestimmten Thema haben? Die Leserbriefe in der Tageszeitung überblättere ich genau so schnell wie den Sportteil, und Diskussionen in Internetforen finde ich so spannend wie einer Kohlmeise beim Kacken zuzuschauen.

Kein Zweifel, die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, nicht umsonst an prominenter Stelle in unserer Verfassung geschützt. Für mich bedeutet Meinungsfreiheit aber auch die Freiheit von einer Meinung, mit anderen Worten: ich muss nicht zu allem und jedem eine eigene Meinung haben. So ist es mir egal, ob jüdische und muslimische Jungs beschnitten werden dürfen, und ,Bundesligatabelle‘ ist für mich nur ein Wort wie ,Kompostbeschleuniger‘ – ich habe eine ungefähre Vorstellung, was es bezeichnet, jedoch fehlt mir jedes Interesse, mich damit zu befassen.

Selbstverständlich gibt es viele Themen, zu denen auch ich eine Meinung habe, doch nehme ich mir gerne die Freiheit, diese für mich zu behalten. Die vorstehenden Zeilen zum Beispiel sind nichts weiter als eine persönliche Meinungsäußerung meinerseits. Wenn Sie ähnlicher oder anderer Meinung sind, scheuen Sie sich bitte nicht, einen Kommentar zu hinterlassen!

Da bläst er

Jede Jahreszeit erfreut das menschliche Ohr mit den ihr eigenen Klängen: im Winter tönt es „In der Weihnachtsbäckerei“ aus den Glühweinbuden örtlicher Weihnachtsmärkte, im Frühling lassen uns, triebgetrieben, die gefiederten Freunde ab fünf Uhr in der Frühe nicht länger im Bett verweilen, im Sommer erfüllt chlorschwangeres Kindergeschrei aus dem Freibad die Luft, und der Herbst bietet einen ganz besonderen akustischen Genuss. Von weitem klingt es wie eine Mischung aus Kettensägenmassaker, überfriesiertem Mofa und startendem Düsenflugzeug, bis man ihn vor sich hat, von seinem mit Hörschutz gewappneten Bediener stolz geschwungen: den Laubbläser.

Er ist ein echter Segen für die zivilisierte Menschheit. Mussten unsere Vorväter und -mütter das Laub noch mit Rechen und Besen zusammenfegen, um es, in Säcke gepackt, mühsam zu entsorgen, so blasen wir es heute ohne Kraftanstrengung großflächig in Nachbars Garten. Die damit einhergehenden Hörschäden nehmen wir dafür gerne in Kauf, die heutige Welt ist ohnehin zu laut.

Hätte es in meiner Kindheit schon Laubbläser gegeben, wäre die Liste meiner künftigen Berufswünsche sicher um einen Eintrag länger gewesen. Wobei, wie ist hier eigentlich die genaue Berufsbezeichnung? Blattwerkliquidator, Floralimmissionstechniker, Laub-Bläser, Laubbläserbläser? Oder fällt er unter Terrorist?

Die Verwendungsmöglichkeiten des Laubbläsers sind mannigfach. Ursprünglich aus Südhessen kommend, erfreut sich die Mannschaftssportart Laubball immer größerer Beliebtheit: Zwei Mannschaften aus jeweils sieben Spielern, jeder Spieler mit einem Laubbläser ausgestattet, treiben eine Styroporkugel vor sich her mit dem Ziel, sie in das gegnerische Tor zu pusten. Das Herunterreißen eines gegnerischen Hörschutzes gilt dabei als schweres Foul und wird mit Platzverweis geahndet.

Ein zeitgenössischer Komponist, dessen Name mir momentan entfallen ist, arbeitet dem Vernehmen nach bereits seit geraumer Zeit an einer Herbstsinfonie für Orchester, Klavier, Chor und Laubbläser, die Uraufführung soll am 20. Dezember sein, dem Vorabend des Weltuntergangs.

Auch ich habe den Laubbläser inzwischen für des Heimes Pflege lieb gewonnen. Mühte ich mich früher mit dem Staubsauger ab, so bedarf es heute nur weniger Handgriffe, bis Wollmäuse, Brotkrümel und ähnlicher Unrat unter Schränken, Sofa und Bett ihren Platz gefunden haben. Dass mich die Nachbarn seitdem nicht mehr grüßen, erscheint auf den ersten Blick bedauerlich, doch nehme ich dies als Kollateralumstand gerne in Kauf. Ihre Beschimpfungen höre ich schon lange nicht mehr.