Woche 7: Wir werden langsam dünnhäutiger

Montag: Morgens unterstrich heftiger Gegenwind meine Unlust, ins Werk zu radeln, die nur mittelbar auf den heutigen Konjunktiv-Rosenmontag zurückzuführen war. Eine generelle Unlust zeigten auch diverse digitalen Geräte, die meinen Tag begleiteten, angefangen morgens das Radio im Bad, das mehr zwischenspeicherte denn spielte, was bei dem Programm („Schreiben Sie uns Ihre Meinung auf Facebook, rufen Sie uns an unter … Hörer Mike aus Wuppertal findet, dass …“) nicht so schlimm ist, nur ist man es kaum noch gewohnt, nicht beschallt zu werden. Auch der Rechner im Büro lief sehr langsam und ließ sich Zeit beim Laden einer jeden Seite, die Skype-Verbindung brach mehrfach zusammen, was nicht immer ein Nachteil war.

Gegen Mittag setzte Regen ein, die angekündigte Glätte blieb erfreulicherweise aus, daher konnte ich mir ohne Zwischenfälle was aus der Kantine holen, heute sogar mit roter Götterspeise zum Nachtisch, die gab es lange nicht. Oft liegt das Glück gerade in diesen kleinen Dingen.

In der Zeitung war über „Impf-Vordrängler“ zu lesen, vielleicht ein Kandidat für das Wort oder Unwort des Jahres, oder ein zeitgemäßer Nachfolger für den inzwischen reichlich abgenutzten Warmduscher.

Ein anderes interessantes Wort ist „Urgroßtochter“, als welche in derselben Zeitung eine gewisse Paris Hilton bezeichnet wurde. Darf man aus Gründen der sprachlichen Korrektheit nicht mehr „Urenkelin“ sagen oder schreiben?

Dienstag: Erster Nachtrag zu gestern: Der Miniatur-Rosenmontagszug im Hänneschen-Theater zu Köln war wirklich anrührend schön.

Zweiter Nachtrag: Gestern Abend beim Zähneputzen spielten sie im Radio dieses Lied, das mir seitdem ziemlich hörenswert erscheint und daher als mehrstündiger Ohrwurm herzlich willkommen ist (ganz im Gegensatz zu dem schrecklichen, gleichwohl sehr beliebten „Jerusaleme“, dem zurzeit leider kaum zu entkommen ist).

Der Arbeitstag bestand im Wesentlichen aus einer durchaus angenehmen Abteilungstagung, aus gegebenem Anlass nur am Bildschirm. Abends gab es ein gemeinsames virtuelles Koch-Event. Ich würde meine Kollegen wirklich gerne wiedersehen, nach getaner Arbeit gut zusammen essen und ein paar Gläser leeren, quatschen und lachen, ein abschließendes Abendglas an der Hotelbar, das alles fehlt mir sehr. Sie auf einem kleinen Bildschirm in der heimischen Küche um mich zu haben, finde ich indessen äußerst deprimierend. Daher sah ich von einer Teilnahme ab; ich bitte um Verständnis.

Eine Frage, die ich mir schon oft stellte und vermutlich auch schon hier aufschrieb, stellt sich auch Kurt Kister in seiner wöchentlichen Kolumne in der Süddeutschen Zeitung:

„Unerwartet verstorben“, wie es so schön heißt, wobei man sich fragt, woher die unheimliche Karriere des Verbs „versterben“ rührt, das eigentlich nur „sterben“ heißen sollte, auch weil man die Vorsilbe „ver-“ nicht braucht, um tot zu sein.

Ich freue mich immer wieder, wenn ich nicht der einzige bin, dem sowas auffällt.

Mittwoch: Nur auf Bildschirmen fand in diesem Jahr auch der politische Aschermittwoch der Parteien statt, was dessen generelle Überflüssigkeit noch einmal unterstreicht.

Nach der Eiseskälte vergangener Woche wird es langsam Frühling. Erstmals in diesem Jahr nahm ich das Mittagessen unter freiem Himmel hinter dem Mutterhaus ein, und die Singstarkrähe von gegenüber beschrie abends bei geöffnetem Fenster die Siedlung. Nur der Rheinauenpark ist noch nicht völlig vom Eise befreit.

Donnerstag: Vergangene Nacht träumte ich von Markus Söder, was genau, ist nicht mehr zu rekonstruieren, vielleicht besser so. Ansonsten schlief ich zufriedenstellend.

Abends war die häusliche Stimmung ohne erkennbaren Grund trübe, erst war der Eine übellaunig, dann der Andere, ein Zustand, den ich nur schwer ertrage. Da ich mich daran unschuldig wähnte, nahm ich es hin und spielte mit der Eisenbahn. Das mag infantil klingen, entspannt mich aber sehr; andere geben sich Ballerspielen hin oder besaufen sich. Wir werden langsam alle dünnhäutiger.

Was mich zu einem spontanen Verslein inspirierte: „Ich glaube, bald / es heftig knallt.“

Freitag: Hier erhalten Sie interessante Einblicke in den Arbeitsalltag eines Human Identity Brand Synergist.

„Wer ist die verrückteste Person in deinem Leben?“, fragt Franco Bollo. Ohne lange zu überlegen könnte ich dieses Frage spontan beantworten, doch werde ich mich hüten, am zurzeit recht dünnen Faden des häuslichen Friedens unnötig zu zerren.

Samstag: Laut Zeitung haben heute diejenigen Namenstag, die Korona heißen. Das dürfte wohl zurzeit so ziemlich der einzige Lichtblick in ihrem Leben sein.

Wegen des akuten Frühlingseinbruchs verband ich den Gang zum Altglascontainer mit einem Spaziergang. Am Straßenrand parkte ein Golf II, so einer wie ich ihn früher fuhr, mit H-Kennzeichen. Abgesehen von der Fragwürdigkeit, Halter so alter Karren Steuererleichterungen zu gewähren: Was sagt das über mein Alter aus? Bekomme ich demnächst auch so ein H verpasst, und wenn ja, wohin?

Sonntag: Ich sehe Licht / es knallt noch nicht.

Es geht auch ohne Knallerei – gesehen im Vorbeigehen:

Gelesen – am 9. März 1931 entschied der Disziplinarhof zu Leipzig:

„Die Betätigung eines Beamten für die Nationalsozialistische Arbeiterpartei (NSDAP) ist ein Dienstvergehen, da sie den Umsturz der bestehenden Staatsordnung im Wege der Gewalt beabsichtigt.“

Quelle: EISENBAHN-KURIER

Das hat dann so viel auch nicht genützt.

Auch gelesen – über Werbung:

»Es gibt Werbung, die einen todsicher davon abhält, das beworbene Produkt zu kaufen. Bei manchen löst etwa die Radiowerbung für ein Müsli, die mit einem schwäbelnden „Woisch Karle“ beginnt, Mordphantasien aus.«

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Sie wissen sicher, welches Produkt gemeint ist.

Woche 6: Alaafchen und Zuversicht durch zuweilen sittenlose Eskalation

Montag: Wegen Glättegefahr erwog ich morgens Heimarbeit. Doch da das häusliche WLAN mal wieder schwächelte, bleib mir nichts anderes übrig als den Weg ins Werk zu wagen. Die Glätte erwies sich als weitgehend harmlos, daher vielen Dank, liebes WLAN, dass du mich vor einem Tag Heimarbeit bewahrt hast.

Mittags war ich zu einem Brainstorm-Lunch geladen, um die Use Cases zu checken. Da war mir der Appetit kurz vergangen, er kehrte jedoch bald zurück.

Vor der Kantine wurde ich Zeuge, wie ein Mitglied der obersten Werksleitung gegen die geltende Corona-Einbahnregelung verstieß und auch den Hinweis des Sicherheitsmannes unbeachtet ließ. Da ich den Kollegen bislang als nicht allzu testosteronpolternd empfunden habe im Vergleich zu anderen in ähnlicher Position, war ich einigermaßen überrascht bis enttäuscht. Vorbild geht anders.

Von Vorbild zu Stadtbild: „Der Stadtteil Freimann galt anders als das benachbarte Schwabing bislang eher als zersiedelt und wurde unter anderem von der Kläranlage und zwei Müllbergen dominiert“, schreibt der General-Anzeiger über München-Freimann, das Kennern auch als früherer Standort eines Ellok-Ausbesserungswerkes der Deutschen Bundesbahn bekannt ist, was der Schönheit des Stadtbildes vermutlich auch nicht sehr zuträglich war.

Mundwinkelhebend folgende Artikelüberschrift in derselben Zeitung: „Nach Unfall steht Esel in Schieflage“. Ehe nun Empörungsbekundungen von Peta meinen Posteingang fluten: Es ging dabei nicht um einen lebenden Esel mit Fell und Ohren, sondern eine Statue in Bonn-Duisdorf, die von einem Auto gerammt wurde.

Dienstag: „Briefmarken könnten teuer werden“, steht in der Presse. Das ist Unfug: Die Achtzigcentmarke wird voraussichtlich auch in zehn Jahren und darüber hinaus noch achtzig Cent kosten.

Gelesen hier:

„Wie es wohl gewesen wäre, ein Leben als Malerin zu führen? Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit würde meine finanzielle Situation heute grundlegend anders aussehen. […] Dass Malen mich heute glücklich macht, heißt ja auch nicht, dass das immer so gewesen wäre. Es wird schon so passen wie es ist.“

Tausche Malen gegen Schreiben, und es passt auch für mich.

Mittwoch: Als ich abends mit dem Fahrrad an einer roten Ampel wartete, überquerte vor mir ein junger Mann mit modegerecht eingerissenen Hosenbeinen die Straße, in der einen Hand eine Zigarette, die andere mit Telefon am Ohr, also in der klassischen Weise, wie wir Alten noch telefonieren, statt mit flach vor dem Gesicht gehaltenen Gerät. Er spuckte auf die Straße und redete in dieser speziellen Weise, für die mir gerade kein passender Begriff einfällt, bestimmt gibt es einen, dieses proletenhaft-hohle Böse-Jungs-Gelaber mit vielen „Sch“-Lauten, das diejenigen, die so sprechen, oft wesentlich dümmer erscheinen lässt als sie womöglich sind, vielleicht wissen Sie, was ich meine. (Für den Gebrauch von „sch“ statt korrekt „ch“, wie „Milschgesischt“ oder „Isch gehe Küsche“, las ich vor längerem mal einen Fachbegriff, leider ist er mir entfallen.) Und also sprach er dieses ins Telefon: „Wir brauchen escht keine Beziehung zu führen, wenn du …“, mehr verstand ich nicht. Warum ich das hier erwähne: Korrekt benutzte er „brauchen“ in Verbindung mit „zu“, vielleicht wurde ihm das als Kind beigebracht: „Wer ,brauchen‘ nicht mit ,zu‘ gebraucht, braucht ,brauchen‘ gar nicht zu gebrauchen.“ Ganz so dumm wie er klang war er offenbar nicht.

Der Kölner Rosenmontagszug findet in diesem Jahr aus gegebenem Anlass im Hänneschen-Puppentheater statt. Auf die Frage, ob er das Theater kenne, antwortete der Geliebte: „Klar, das habe ich hier auch, mit zwei ziemlich alten Püppschen“ (da war es wieder, wobei zu seiner Ehrenrettung geschrieben sei, er ist keiner der oben beschriebenen Spacken, sondern Rheinländer). In solchen Momenten frage ich mich, warum wir den immer noch nicht rausgeworfen haben.

Donnerstag: Weil es schön ist, ging ich zu Fuß ins Werk. Auf dem Markplatz hörte ich einen Händler, der seinen Stand aufbaute, „Viva Colonia“ singen, wobei sein Gesang nicht besonders närrisch klang, eher trotzig. Erst da fiel mir wieder ein: Heute wäre Weiberfastnacht gewesen. Der Weg führte am mittlerweile wieder etwas abgeschwollenen Rhein entlang, wo die Spuren des Hochwassers noch deutlich zu erkennen waren.

Zwei Nilgänse schauten vom Ufer aus auf den kalt dahinfließenden Strom und schnatterten leise miteinander, vielleicht dieses: „Wären wir doch mit den Anderen in den Süden geflogen, aber nein, du wolltest ja dieses Jahr unbedingt hier bleiben, »Nein, es kommt kein Winter mehr«, ha ha ha, hätte ich doch bloß nicht auf dich gehört.“ – „Ach halt den Schnabel.“

Doch will ich Erfreuliches nicht unerwähnt lassen: Nachdem die Politik gestern beschlossen hat, dass Friseure zum ersten März wieder öffnen dürfen, habe ich heute einen Termin beim Salon meines Vertrauens vereinbart, der auch bestätigt wurde. Bemerkenswert: Friseure müssen schließen, aber Jaques Weindepot ist geöffnet. Immerhin – wenigstens kann man sich seine aus der Form geratene Frisur schön saufen.

Dieses allgemeine Geschrei nach einem „deutlichen Signal“, das die Politik vermissen lasse, finde ich übrigens unerträglich. Wer kann denn heute verbindlich voraussagen, wie das mit dem Virus und seinen Mutationen in den nächsten Wochen weitergeht? Wie groß wäre das Geschrei, wenn es anders kommt, die Läden und Schulen länger geschlossen bleiben müssen als in Aussicht gestellt? Immerhin, für alle Signalvermisser habe ich hier was:

Freitag: Mittags gab es aus der Kantine Lahmacun, diese lose in einen Teigfladen gewickelten Gemüse- und Fleischspezereien mit einer Soße, auch bekannt als Türkische Pizza. Zum Wohlgeschmack gesellte sich stille Bewunderung für Leute, die imstande sind, so etwas mit Würde und ohne größere Verschmutzung des näheren Umfeldes zu verzehren.

Jedesmal, wenn ich den Leiter des Paul-Ehrlich-Instituts im Fernsehen sehe, denke ich: Den hätte Loriot nicht besser sich ausdenken und verkörpern können.

Samstag: Gerade in diesen Zeiten ist Zuversicht wichtig. Deshalb freute ich mich über die ersten blühenden Schneeglöckchen am Wegesrand, deren vielstimmig-stummes Glockenspiel zu läuten schien: „Sorget euch nicht, sehet, es geht weiter.“

Nicht gar so sehr mit Zuversicht gesegnet scheint einer, der dieses sprühte:

Übrigens wurden nebenan die Liste und die Chronik des Wahnsinns ein wenig fortgeschrieben.

Sonntag: Heute wäre der Karnevalszug in Bad Godesberg. Aufgrund des Konjunktivs stattdessen hier ein Züglein in Barlingerode Ost. Alaafchen!

Laut PSYCHOLOGIE HEUTE steht das griechische Substantiv „Kefi“ für „die gelegentliche – manche sagen unerlässliche – Befreiung von stumpfsinniger Routine und sozialer Konvention“ durch mannigfache sinnliche, körperliche, zuweilen sittenlose Eskalation. Kefi alaaf!

Zum Schluss noch was auf die Ohren:

Ansonsten in dieser Woche gehört: „In der Not frisst der Teufel Hafer“ – „zwischen Himmel und Henkel“

Woche 5: Wenn Frau Hahlweg genervt die Augen verdreht

Montag: „Denk dran, dass du Fasty Slim nutzt, um das komplette Fett-Verbrennungs-Erlebnis zu erreichen“, schreibt mir das Spam in ungelenken Worten. Klingt eher nach einer spontanen Fritteusenentzündung.

Eher ungelenk auch der folgende Übergang von Fritteuse zu Friseuse beziehungsweise Frisur (wobei man, glaube ich, Friseuse nicht sagen darf, weil das gleichsam herabsetzend oder beleidigend ist, gerade jetzt, da die Damen ihr Handwerk nicht ausüben dürfen):

Eine wirklich seltsamen Frisur hat Norbert Lehmann, der Sportansager bei heute, nicht nur jetzt in diesen haarschnittlosen Notzeiten, sondern generell, vorher schon. Ich wüsste wirklich gerne, was die beiden Sprecher nach der Sendung miteinander reden, wenn das Bild noch da und der Ton schon aus ist, während sie ihre gelben Zettel ordnen. (Wofür brauchen sie die eigentlich noch? Oder haben sie die aus Tradition, weil ein Nachrichtensprecher nunmal Zettel vor sich zu liegen hat, um die teure, rundfunkgebührenfinanzierte Theke oder wie dieses Studiomöbel heißt zu rechtfertigen, oder damit sie etwas befummeln können, wenn sie während des Nachrichtensprechens nicht wissen, wohin mit den Händen?) Norbert Lehmann traue ich da einige Unflätigkeiten in Richtung der Damen Gerster oder Hahlweg zu, in der Art wie der Bürgermeister zu Hedwig gegen Ende von Loriots „Papa ante Portas“, Sie kennen die Szene vielleicht. Aber das ist natürlich nur eine ganz persönliche, durch nichts belegte Vermutung. Obwohl ich manchmal zu erkennen glaube, wie Frau Hahlweg genervt die Augen verdreht.

Dienstag: „Sie sind jetzt Referent. Viel Spaß mit Ihrem neuen Status“, schreibt mir Skype. Schon als Schüler konnte ich Referaten nur wenig Vergnügliches abgewinnen, nicht als Zuhörer und noch viel weniger als Referent.

Wenig abgewinnen kann ich auch Avocados, dieser pastenartig-weichen Frucht zweifelhaften Geschmackes, die heute zu Mittag Bestandteil eines gemischten Salats war, den man aus Gründen der Bedeutungssteigerung als „Tossed Salad“ anbot.

Erfreulich dagegen der Projekt-Kelch, der heute an mir vorbeiging und in der Nachbarabteilung wesentlich besser aufgehoben ist.

Mittwoch: Vergangene Nacht befand ich mich im Traum in einer Situation, deren Schilderung mir höchst bloggerabel erschien, nur hatte ich gerade keine Gelegenheit dazu. Daher machte ich mich auf die Suche nach einem Notizblock und einem Stift, um sie für später aufzuschreiben, fand sie aber nicht. Nach dem Aufwachen war die Erinnerung an den konkreten Inhalt der Situation leider erloschen, da hätten auch geträumte Notizen nichts genützt. Es sei denn, ich hätte sie während des Träumens in Echt niedergeschrieben; Schlafschreiben in Analogie zum Schlafwandeln, ich weiß nicht, ob so etwas möglich ist und ob dabei etwas herauskommt, was am nächsten Tag noch les- und nachvollziehbar ist. Aber das weiß man bei diesem Blog auch nicht immer.

Wenig überraschend wurde laut Zeitungsbericht das unsägliche Wort „Lockdown“ zum Anglizismus des Jahres 2020 gekürt. Das hiermit befasste Gremium hat sich zur Mission gemacht, jedes Jahr einen englischen Begriff zu wählen, der „den positiven Beitrag des Englischen zum deutschen Wortschatz“ besonders verkörpert. Welch contradiction in terms.

Ein wirklich dämlicher Anglizismus ist „It-Piece“. Als solches bezeichnet die Süddeutsche Zeitung Thermoskannen, die sich in diesen Zeiten bei den zahlreicher werdenden Spaziergängern angeblich größter Beliebtheit erfreuen.

Schön dagegen finde ich als Entgegnung, wenn Ihnen mal wieder jemand ins Wort fällt: „Willkommen in meinem Satz“. Gelesen hier.

Donnerstag: Wieder ein Jahr älter, wobei die Zahl wesentlich bedrohlicher klingt als sie sich anfühlt, auch das Spiegelbild am Morgen war, abgesehen von den üblichen, tageszeitlich bedingten Knitterungen, zufriedenstellend. Das ist ja überhaupt das Schöne am Altern: Es geschieht langsam, man selbst bemerkt es kaum, bis auf gewisse Beeinträchtigungen der Sinnesorgane, allen voran Augen und Ohren, was gerade bei letzteren nicht unbedingt immer ein Nachteil ist, wenn man nicht mehr alles hört, was andere so von sich geben.

Auch wenn ich Geburtstagen schon lange keine große Bedeutung mehr beimesse, so freue ich mich doch über jede Gratulation in Wort und Schrift. Andererseits nehme ich es niemandem übel, wenn er heute nicht gratuliert, weil er einfach nicht daran gedacht hat, das passiert mir auch oft, trotz elektronischer Erinnerung, man wird ja heute ständig und überall an irgendwas erinnert. Ein bis zwei Tage später freue ich mich auch noch. Wenn danach auch nichts kommt, darf er allerdings damit rechnen, aus meiner Gratulationsliste gestrichen zu werden.

Ein schöner und wahrer Satz: „Für Glücksgedanken ist man nie zu alt“, schrieb mir zur Feier des Tages die Nachbarin, die mir – ergänzend zu Wort und Schrift – diesen wunderbaren Kuchen rübergebracht hat; nochmals vielen Dank dafür, liebe M!

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Freitag: „Ich freue mich total auf die Arbeit“, sagte die neue Kollegin. Die Freude ist ganz ihrerseits.

„Träume werden Stahl“, las ich auf dem Lieferwagen einer Schlosserei vor dem Werk. Das kennt wohl jeder Jüngling, wenn morgens nach dem Aufwachen … lassen wir das mal so stehen.

Nicht nur Jüng-, auch viele Ältlinge mögen in zustimmendes Nicken geraten, wenn sie lesen, was auf einem fahrbaren Burgerbräterstand stand: „Liebe geht durch den Wagen“.

Samstag: Haben Sie jemals vom unversöhnlichen Streit zwischen sogenannten One– und Two-Spacern gehört? Ich auch nicht. Bis heute, da mir der General-Anzeiger diesbezüglich die Augen geöffnet hat. Es geht dabei um die Frage, ob die Trennung von Sätzen jeweils durch ein oder zwei Leerzeichen zu erfolgen hat. Zweiteres habe ich noch nie gesehen. Jedenfalls ist es mir noch nie aufgefallen. Obwohl das eigentlich nicht zu übersehen ist. Sieht komisch aus, finden Sie nicht? (Ich kann es Ihnen hier leider nicht zeigen, weil WordPress den Doppel-Space augenscheinlich nicht akzeptiert.) Hiermit bekenne ich mich zum One-Spacer, trotz Anglizismusvermeidungsgebot, allerdings wüsste ich keine sinnvolle Übersetzung; „Ein-Leerzeichner“ erscheint wenig akzeptabel.

Ein Ärgernis ganz anderer Art sieht Frau Anje in Menschen, die anderer Leute Namen unbeabsichtigt, aber regelmäßig falsch aussprechen. Das kenne ich von meinem eigenen Nachnamen, der einfach genauso ausgesprochen wie geschrieben wird, dennoch glauben manche, ihm einen scheinbar polnischen oder sonstwie fremden Klang verleihen zu müssen: „Kubitzki“, „Kubitschi“ oder noch schlimmer. Ich nehme das niemandem übel, auch nicht beim zweiten oder dritten Mal. Danach sollte er es aber schon endlich begriffen haben. Ähnlich gleichmütig nehme ich es zur Kenntnis, wenn ich in Mails mit „Karsten“ angeschrieben werde, obwohl sich meine Eltern vor geraumer Zeit für die Schreibweise mit C am Anfang entschieden hatten. (Mein älterer Bruder wollte übrigens, dass ich Rainer heiße, mit a statt e an zweiter Stelle, aber das ist eine andere Geschichte). Nicht selten auch von Leuten, die mich schon sehr lange kennen und es nicht zuletzt durch meine Mailsignatur eigentlich wissen sollten.

Sonntag: Während Norddeutschland in Schnee und Eis versinkt, erlaubte das Bonner Wetter bei nur sehr leichtem Nieselregen und Temperaturen über dem Gefrierpunkt einen längeren Spaziergang mit Blick über den derzeit etwas ausufernden Rhein.

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Auf dem Rückweg ließ dieses Plakat die Motivklingel meines Datengerätes anschlagen:

Es ist in zweifacher Hinsicht historisch: Die angekündigte Messe wird aus bekanntem Grund nicht stattgefunden haben, und die Godesberger Stadthalle gilt seit geraumer Zeit als einsturzgefährdet.

Woche 4: Kartoffelpüree, Kopfhörer, Kratzspuren und Kulturkanzelei – ich schreibe nur

Montag: Eine gute Idee sollte nicht daran scheitern, dass keiner sie hatte, das gilt auch und gerade für kulinarische Innovationen. Auch behaupte niemand, ich sei nicht offen für Neues. Heute aus der Kantine: vegetarische Currywurst an Kartoffelpüree mit einem Hauch weißer Schokolade darin. Schmeckte gar nicht mal so gut.

Nicht gegessen, sondern Gelesen:

„Einen Kraken würde ich als Bild jetzt nicht verwenden. Wir sind eher der liebe Elefant, der überall seinen Rüssel reinsteckt und schnuppert.“

(Nein, nicht Jeff Bezos oder Mark Zuckerberg, sondern ein gewisser Gero Furchheim, Präsident des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel, in einem Welt-Interview)

Dienstag: Interessant, welche Gerüche bisweilen unter so einer Maske entstehen.

„Ich glaube, dass der Handschlag zurückkommt“, sagte die niedersächsische Gesundheitsministerin gegenüber einer Zeitung. Das erscheint mir unglücklich, gerade als Politiker sollte man bestrebt sein, Zuversicht zu verbreiten, anstatt düstere Zukunftsbilder zu malen.

Mittwoch: Ich bekam einen Präsentationsentwurf zugesandt mit dem Begleittext, das sei ein „Strawman“. Auch die Recherche nach der Wortbedeutung hinterließ mich in diesem Zusammenhang einigermaßen ratlos. Ich habe nichts gegen solche Formulierungen. Sonst würde ich es benutzen.

„Natur und Berge so oft es die Verpflichtungen erlauben“, las ich bei Frau Kraulquappe. Ich erwähne das nicht, weil es ein besonders bemerkenswerter Satz wäre, einer, bei dem man denkt: Genau, so ist es, besser kann man es nicht auf den Punkt bringen, warum bin ich nicht selbst darauf gekommen, Sie kennen das vielleicht; eher ein Wald- und Wiesensatz, nicht verkehrt, doch ohne größere Aussicht, auch in einigen Jahren noch bis zur völligen Abnutzung zitiert zu werden wie etwa „Die Hoffnung stirbt zuletzt“. Streng genommen ist es ohne Prädikat nicht mal ein richtiger Satz. Warum ich ihn dennoch wiedergebe: Während ich ihn las, sagte der Liebste „… das liegt in der Natur der Sache …“, wobei das Wort „Natur“ in exakt derselben Sekunde fiel, in der ich ebendieses im oben zitierten Satz las. Das war fast ein bisschen unheimlich.

Donnerstag: Als notorischer, fahrradfahrender Heimarbeitsverweigerer hatte ich an diesem durchgängig verregneten Tag gleich zweimal die Gelegenheit, die Eignung der Winter- als Regenjacke zu erproben. Erkenntnis: bedingte bis gar keine Eignung, wohingegen die Regenhose das Wasser zuverlässig zu den Füßen ableitete. Notiz an mich: Im Büro stets ein Handtuch sowie ein Paar Schuhe und Socken bereit halten.

Aus akustischen Gründen hat mir der Liebste bereits jetzt mein Geburtstagsgeschenk überreicht, das mir per definitionem erst kommende Woche zustünde. Es handelt sich um einen wunderbaren Kopfhörer, der sämtliche Außengeräusche nahezu eliminiert. Désormais können Staubsauger, Wäschetrockner, Lufterfrischer und andere häusliche Geräuschquellen meine Feierabendlaune nicht mehr trüben, was dem Erhalt des familiären Friedens sehr dienlich ist.

Freitag: „Die sind mir etwas zu gechillt unterwegs“, hörte ich in einer Besprechung. Seitdem weist mein Schreibtisch neue Kratz- und Bissspuren auf.

Zu den Sätzen, die ebenfalls geeignet sind, Aggressionen zu erzeugen, gehören auch solche aus der Reihe „Ich sage/frage/meine nur“, womöglich gewürzt mit „wie gesagt“.

Wenn man Murks gebaut hat, der den Kunden enttäuscht, hilft am besten eine schonungslos offene Kommunikation, um Vertrauen zurückzugewinnen. Ein besonders gelungenes Beispiel klingt so: „Qualitätserwartungen auf Marktseite und tatsächliche Leistungsfähigkeit des Produktes sind nicht synchronisiert.“

Samstag: Nach allem, was ich bislang über dieses Clubhouse gelesen habe, ist es wohl das nächste große Ding, das ich nicht brauche.

Abends hatten wir Appetit auf was vom Griechen unseres Vertrauens. Da überhaupt nicht einzusehen ist, warum er wegen unserer Bequemlichkeit Provision an den bekannten Speisesklavendienst entrichten sollte, schon gar nicht in diesen Zeiten, holte ich es trotz Schneetreibens gerne selbst mit dem Fahrrad ab. Das Bifteki war vorzüglich. Wie immer war es so viel, dass wir auch morgen noch was davon haben.

Sonntag: Vormittags verfolgten wir beim Frühstück eine Veranstaltung des Karnevalsvereins, die wie so vieles in diesen Zeiten nur auf dem Bildschirm besuchbar war. Zum Trost wurde „Heile, heile Gänsje“ gespielt, der alte Karnevalsschlager von Ernst Neger. Undenkbar, dass dieses Lied heute eine ähnliche Popularität erführe wie damals nach dem Krieg, allein schon wegen des Namens des Vortragenden. Entweder würde man ihn zur Umbenennung drängen, oder Lied und Künstler fielen der heute um sich greifenden Kulturkanzelei zum Opfer.