Woche 8: Gold für die Quote und Steuererhöhung für Fußball

Montag: „Heute ist ein komischer Tag“, sagte die Dame an der Kasse in der Kantine, womit sie sicher recht hat. Ist nicht jeder Tag auf seine Weise komisch? Im Rewe beispielsweise wirbt eine Tafel für die „Aktion Biotonne Deutschland“. Wenn das nicht komisch ist, weiß ich es auch nicht. – Am Nachmittag rauchte ich meine vorläufig letzte Zigarette, wobei dem Wort „vorläufig“ keine überzogene Bedeutung beizumessen ist, sagen wir also: bis Mittwoch, oder vielleicht Freitag. Man soll sich herausfordernde, gleichwohl erreichbare Ziele setzen.

Dienstag: „Heutzutage sind Tattoos Ergebnis freier Willensentscheidung“, steht in der PSYCHOLOGIE HEUTE. Angesichts manch tätowierter Wade gewinnt da die Idee Auftrieb, der freie menschliche Wille könnte doch nur eine Illusion sein.

Mittwoch: Im allgemeinen Geschrei um die verzögerte Fertigstellung der Bonner Beethoven-Halle ist mit Hallenkrise ein neues Wort geboren. Die vorläufige Kostenschätzung liegt nun bei 79 Millionen Euro, Tendenz steigend. – Am Abend gab es Alkohol aus dienstlicher Veranlassung, was zu einer absehbaren Unterbrechung der Tabakabstinenz führte, siehe Montag. Nein, es gibt keinen freien Willen.

Donnerstag: Da denkt man, bekloppter kann es nicht werden, und dann fordert Donald Trump ernsthaft die Bewaffnung von Lehrern.

Freitag: „In der freien Natur grunzen Eber, um Rivalen zu vertreiben. Im sicheren Stall grunzen Schweine weniger, weil sie bedroht werden, sondern aus grundsätzlicher Unzufriedenheit, und daher kommt die Vorstellung, dass Grunzen ziemlich unwichtig und sinnlos sei. Menschen grunzen ebenfalls in ihren Verschlägen, jammern in der Kaffeeküche oder murren und meckern im Pendlerzug nach Hause.“ (Tiffany Watt Smith, „Das Buch der Gefühle“, zum Stichwort „Mitarbeiterfrust“)

Samstag: „Viele in den Medien lieben Schulmassaker. Nicht die Tragödie, aber die Einschaltquoten. Weinende weiße Mütter sind Gold für die Quote“, so Dana Loesch, Sprecherin der National Rifle Association (NRA). Wo wir gerade bei Wahnsinn aus Amerika sind: Die Ankündigung einer gewissen, mir gänzlich unbekannten Kylie Jenner auf Twitter, künftig Snapchat nicht mehr zu nutzen, lässt den Kurs der Snap-Aktie um sechs Prozent fallen.

Sonntag: Es ist kalt, aber das macht nichts: Im Ofen brennt das Feuer, ich muss heute nicht mehr raus und habe meine beiden Lieblingsmenschen um mich.

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Unterdessen erwägt laut einem Zeitungsbericht die Stadt Kaiserslautern, die Vergnügungssteuer zu erhöhen, um ihren örtlichen Fußballverein vor dem Untergang zu bewahren. Verrückter wird es diese Woche hoffentlich nicht mehr.

Ameisen wird es wohl immer geben

Zunehmend wächst in mir eine diffus-ablehnende, leicht wie Hass schimmernde Haltung gegenüber den modern-menschlichen Gewohnheiten, mit einem Kaffeebecher durch die Gegend zu laufen, ständig auf das Telefon zu schauen oder ohne Not in der Öffentlichkeit zu telefonieren, oder jeden Mist ohne weiter nachzudenken bei Amazon zu bestellen. Keine Frage, und sei sie noch so unwichtig, bleibt heute unbeantwortet, weil irgendwer immer sofort Siri oder Google befragt. Ständig erreichen uns Filmchen, Bilder und Sprüche, die wir lustig oder niedlich finden sollen, dazu hält uns ständig irgendwer ungefragt ein Display vor die Nase und sagt „kuck mal“. An manchen Tagen liegt meine größte Leistung darin, meine Verachtung gegenüber diesen Dingen nicht allzu deutlich werden zu lassen.

Dabei tun mir diese Menschen nichts, auch stören sie mich eigentlich nicht, nicht einmal mehr die Telefonierer, im Gegenteil, liefern doch gerade sie mir immer wieder Stoff für meine niedergeschriebenen Alltagsbeobachtungen, wenn sie in der Bahn solche Sätze sagen wie „Der ist zwar gerade erst verheiratet, aber das heißt ja gar nix“ oder „Da kaufe ich nicht, die laufen mir werbetechnisch zu oft über den Weg“, oder „Samstag kann ich nicht, die bin ich geburtstagstechnisch unterwegs“. Ich selbst vermeide es, wenn immer möglich, in Anwesenheit Fremder zu telefonieren. Abgesehen davon, dass ich ohnehin kein Freund des Ferngespräches bin: Nicht etwa, um andere nicht zu belästigen, sondern vielmehr, weil ich es nicht ertrage, wenn sie mir dabei zuhören. Man selbst merkt es ja oft erst als letzter, wenn man dummes Zeug redet.

„Die ideale Welt ist menschenleer“, so war neulich im SPIEGEL zu lesen. Das mag, nicht zuletzt angesichts der oben genannten Gewohnheiten, stimmen; die Frage ist dann nur: ideal für wen? Ameisen? Feldhamster? Kleine Hufeisennasen? Seeanemonen? Miesmuscheln? Sind wir denen nicht bereits heute vollkommen egal? Eins immerhin ist klar: Für jeden von uns ist das Todesurteil bereits gefällt, so gesund, abstinent, vegan, nachhaltig oder politisch korrekt wir uns auch durch unser Leben bewegen.

Ich glaube übrigens nicht, dass die Menschheit durch einen Atomkrieg ausgelöscht wird. Vielmehr erscheint mir hierbei das Zusammenspiel mehrerer Faktoren als Ursache wahrscheinlich. Erstens: Wir werden krank, weil es keine saubere Luft zum Atmen mehr gibt. (Hauptsache, der Autoindustrie geht es gut, denken Sie nur an die Arbeitsplätze.) Zweitens: Es wird nicht mehr genug Trinkwasser geben. (Hauptsache, Obstplantagen in Wüstengebieten werden bewässert, damit wir das ganze Jahr frische Erdbeeren essen können.) Drittens: Die Stromversorgung wird zusammenbrechen, weil der Bedarf an Elektrizität immer mehr steigt. (Hauptsache, der Digitalisierungswahnsinn wird nicht aufgehalten, auf dass wir auch weiterhin streamen, chatten, posten und unsere Zimmerbeleuchtung, Klospülung und Heizung per App bedienen können.) Hinzu kommen Religionen, Größenwahn, Gier und Werbung.

Vielleicht entsteht auch ein extrem resistentes Virus, das sich rasend schnell weltweit über die Luft verbreitet und verhindert, dass menschliche Eizellen und Spermien zueinander finden. Schon nach wenigen Monaten werden keine Kinder mehr geboren, so sehr die Menschen auch dagegen anvögeln. Nach spätestens zwanzig Jahren bricht das Chaos aus, weil es zunächst nicht mehr genug, später gar keine Ärzte, Pflegekräfte, Polizisten, Bauern und Arbeitskräfte in Kraftwerken und anderen Versorgungsbetrieben mehr gibt. Atomkraftwerke und andere Industrieanlagen explodieren reihenweise, weil niemand mehr da ist, der sie wartet. Globalisierung, Multi Kulti, Digitalisierung, Märkte, Wachstum und Flexibilität sind dann nur noch bedeutungslose Begriffe aus einer vergangenen Zeit.

Etwa hundert Jahre später verschwindet der letzte Mensch von der Bildfläche. Keine tausend Jahre später sind die meisten unserer Spuren von Sand, Wasser, Eis und Pflanzen verdeckt, und die Erde kann in aller Ruhe weiter ihre – nach menschlichem Ermessen – unendlichen Bahnen um die Sonne ziehen. Jedenfalls so lange, bis sich eine neue, vom Wahnsinn getriebene Spezies bildet, oder aus den Tiefen des Alls angeflogen kommt und die Erde besiedelt, weil auf ihrem eigenen Planeten Maschinen, Roboter und Algorithmen die Macht übernommen haben. Ameisen wird es dann hier wie dort vielleicht immer noch geben.

DAS wäre mal Stoff für einen Thriller, den ich lesen oder notfalls sogar streamen würde.

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(Übrigens lese ich gerade QualityLand von Marc-Uwe Kling. Digitalskeptikern sehr zu empfehlen.)

Woche 7: Fisch muss schwimmen

Montag: „Der Flughafen ist sehr gut unterwegs, was den freiwilligen Lärmschutz angeht“, wird NRW-Verkehrsminister Wüst in einem Zeitungsinterview zitiert. Ich persönlich finde die Vorstellung eines von Haus zu Haus ziehenden, Prospektmaterial für Schallschutzfenster austeilenden Flughafens auch am Rosenmontag recht verstörend.

Dienstag: Ist es nicht, also nur mal rein sprachlich betrachtet, Unsinn, jemandem gute Besserung zu wünschen? Was wäre das Gegenteil: schlechte Besserung? schlechte Verschlimmerung? Vor allem soll es doch schnell gehen. Schnelle Besserung sagt indes niemand. Schön- und Korrektheit gehen eben nicht immer Hand in Hand. Hauptsache, die Genesung tritt irgendwann ein, egal ob gut, schnell oder wie auch immer.

Mittwoch: Politischer Aschermittwoch = Kasperletheater für Große

Donnerstag: Die nach herrschender Meinung unerfindlichen Wege des Herrn führten mich heute zunächst in eine Zahnarztpraxis, danach in eine Besprechung. Der Zahnarzttermin war ohne Frage das kleinere Übel. – Unterdessen Entsetzen in Bonn: Nach neuesten Erkenntnissen wird die Beethoven-Halle auf keinen Fall bis zum Jubiläumsjahr 2020 fertig, und teurer wird es (natürlich) auch mal wieder.

Freitag: Es gab Fisch. Wie bestimmte, humorbegabte Kreise nicht müde werden zu betonen, muss Fisch schwimmen.

Samstag: Rückblickend auf den vorangegangenen Abend befürworte ich eine gesetzliche Regelung zum maximalen Füllstand von Weingläsern, verbunden mit strengen Kontrollen und empfindlich Sanktionen bei Überschreitung.

Sonntag: Der Begriff Muzak war mir bis heute unbekannt. Er bezeichnet dieses entfernt an Musik erinnernde Geräusch, welches unter anderem in Supermärkten, Aufzügen, Telefonwarteschleifen und Pornofilmen zu hören ist mit dem Ziel, uns einzulullen, zu animieren oder unsere Körpergeräusche zu übertönen. Zitat FAS: »Überall wird man bedudelt, so dass es kaum wundert, wenn die Generation der „Digital Natives“ ihre bekloppten Kopfhörer gar nicht mehr abnimmt.«

Woche 6: Kanapee statt Karneval

Montag: Aufgrund einer akuten körperlichen Indisponiertheit, in welcher zarter besaitete Gemüter vielleicht eine letal endende Männergrippe sehen, fehlt mir heute die Kraft, mich über irgendetwas zu wundern. Außer vielleicht über meine persönliche Fehleinschätzung, es dennoch für angebracht gehalten zu haben, die geplante Dienstreise nach Celle anzutreten.

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Dienstag: Laut einem Zeitungsbericht ist die Deutschen Real Estate Funds (DREF) auf Mikro Living spezialisiert. Ich hoffe, es ist nur eine kleine Bildungslücke, wenn ich diesen Begriff nie zuvor las oder hörte. Derselben Zeitung ist zu entnehmen, dass Josef Ackermann zufrieden auf seine Zeit als Chef der Deutschen Bank zurück blickt. Alles andere wäre auch sehr verwunderlich. Mikro Living war seins jedenfalls nicht. – Abends Pfefferminztee statt Spätburgunder, und Tischgespräche, die an mir vorbeigehen. Kennen Sie das, wenn sie sich sagen, während ein Wörtersee auf Sie hernieder prasselt: Hätte ich doch bloß nicht gefragt.

Mittwoch: Das Lengenfelder Viadukt, eine Eisenbahnbrücke in Nordthüringen, durfte wegen Baufälligkeit bis 1992 nur noch in Schrittgeschwindigkeit befahren werden, danach wurde die Strecke stillgelegt. Eine ähnliche Brückensituation findet sich seit Sonntag in meinem rechten Oberkiefer vor, nur hoffe ich, dass meine Stilllegung noch nicht ansteht.

Donnerstag: Zurück in Bonn, Urlaub bis Dienstag. Leider hält die am Montag beschriebene Indisponiertheit unvermindert an. Daher oxidiere ich den Tag auf dem Sofa herum, statt mit den anderen Karneval zu feiern. So egal mir das vor wenigen Jahren noch gewesen wäre, so sehr schmerzt es mich jetzt. Sobald im Fernsehen oder irgendwo draußen et Trömmelsche jeht, schießen mir Tränen in die Augen.

Freitag: Der Arzt meint, es müsste bald überstanden sein. Wenn nicht: siehe Mittwoch, letzter Satz. Unterdessen zerlegt sich die SPD kurz vor dem Ziel durch Postenquerelen. Wir erinnern uns: Der Koalitionsvertrag sollte bis Karneval stehen, um den Jecken nicht so viel Angriffsfläche für Spott zu bieten. Und jetzt das. Dennoch würde mich nicht wundern, wenn Martin Schulz demnächst verlauten lässt, zufrieden auf seine Zeit als Parteivorsitzender zurückzublicken. Politiker und Manager sind so.

Samstag: Geträumt von einem Comic-Heft, das der Bundesverband der Rasierklingenhersteller herausgegeben hat, um bereits Jugendliche dazu zu verleiten, sich die Achseln zu rasieren. Titel des Heftes: „Axel H muss weg“.

Sonntag: Sollte ich dieser Woche etwas Positives abgewinnen, dann vielleicht dieses: Wer nie krank wird, weiß nicht, wie es sich anfühlt, wieder gesund zu werden. Und am Ende ist der Godesberger Zoch doch nicht ohne mich losgegangen. Fastelovend zosamme!

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Woche 5: Eine Bahnreise und ein Brückenschaden

Montag: Fünf ist Trümpf – heute vor fünfundzwanzig Jahren führte die Deutsche Bundespost die fünfstellige Postleitzahl ein. Der von manchen zuvor befürchtete Untergang der westlichen Zivilisation ist bislang nicht eingetreten, jedenfalls nicht aufgrund der Postleitzahl (von Vorgenannten aufgrund ihrer pessimistischer Erwartungen auch gerne als „Postleidzahl“ bezeichnet). Dass hingegen nicht aller guten Dinge drei sind, zeigt ein Fall aus Pinneberg: Die dortige Kreisverwaltung gestattete kürzlich zum Zwecke der Familienzusammenführung der Zweitfrau eines syrischen Flüchtlings die Einreise nach Deutschland. Skandal. Die sozialen Hetzwerke schäumen vor Empörung, ein Kommentator des Bonner General-Anzeigers sieht den Vorfall auf einer Qualitätsstufe mit Rauschgiftschmuggel. Polygamie in Deutschland, das geht gar nicht. – Warum eigentlich nicht? Wenn schon Ehe für alle, dann richtig!

Dienstag: Eine Bahnreise von Bonn nach Dresden dauert alles in allem ungefähr doppelt so lange wie der Flug, ist jedoch mindestens zehnmal schöner.

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Mittwoch: „Edition Team / No. 25-01-Reg. Brand – Follow the unique route.“ Was auf Hemden von Camp David halt so draufsteht.

Donnerstag: Notiz an mich: Ein Hase ist kein Kater, und umgekehrt. (Das müssen Sie jetzt nicht verstehen.)

Freitag: An die menschliche Fehleinschätzung, es für angemessen zu halten, sich während einer längeren Zugfahrt der Schuhe zu entledigen, sind wir hinreichend gewöhnt. Für mich neu war bis heute, dass es Menschen gibt, die dergleichen auch in Besprechungen tun, was meiner zugegebenermaßen unmaßgeblichen Ansicht nach nicht einmal durch den Freitagnachmittag zu rechtfertigen ist.

Samstag: Offenbar verlor in der Nacht jemand eine weiße Kommode auf dem Gehweg gegenüber dem Nachbarhaus. Ich bin nun gespannt, ob sich jemand ihrer erbarmt oder ob sich bald weiterer Hausrat hinzugesellt.

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In gehobener Gastronomie wurde ich abends Zeuge gepflegter Konversation am Nebentisch: „Wenn ich weiter so viel saufe, habe ich noch acht Jahre zu leben.“ – „Das ist viel.“

Sonntag: Natürlich freue auch ich mich über Glückwunschbekundungen am Geburtstag. Aber das ist doch kein Grund, vor elf Uhr das Telefon schellen zu lassen! Ansonsten verbrachte ich aufgrund eines Brückeneinsturzes mehrere Stunden in einer zahnärztlichen Notfallpraxis, was mich an ein Gedicht von Heinz Erhardt erinnerte: „Die alten Zähne wurden schlecht / und man begann, sie auszureißen / Die neuen kamen gerade recht / um mit ihnen ins Gras zu beißen.“