BEGEDER ruft auf zum "Rosenmontagspaziergang"

Kaum wurde der rheinische Karneval zum Weltkulturerbe erklärt, schon macht ausgerechnet die Kultusministerkonferenz (KMK) in Berlin deutlich, dass es sich hierbei um eine ernste Angelegenheit handelt. So teilte sie ihren Bonner Mitarbeitern mit, der Rosenmontag sei ab sofort kein per se arbeitsfreier Tag mehr. Wie nicht anders zu erwarten, folgte dieser Weisung eine Empörungswelle der Betroffenen, auch die anderen Bonner Bundesbehörden schauen bereits mit aschermittwöchlich-sorgenvoller Miene in Richtung Bundesinnenminister, könnten sie doch ebenfalls in den Strudel hauptstädtisch-neidischen Unfrohsinns hineingezogen werden.

Ein Sprecher der ‚Arbeitsgemeinschaft der Personalräte der obersten Bundesbehörden‘ betonte gegenüber dem General-Anzeiger, beim Feiern lerne sich die Belegschaft auch anders kennen: „Manches geht nachher einfacher.“ Wir wollen aus Gründen des Anstandes nicht hinterfragen, was genau er damit meint.

„Diese Entwicklung ist bedenklich und könnte einen Stein ins Rollen bringen. Rosenmontag ist im Rheinland ein Feiertag, wenn auch kein gesetzlicher“, so zitiert die Zeitung Festausschusspräsidentin Marlies Stockhorst. Der Untergang des Rheinlandes steht unmittelbar bevor. Wie aus ungewöhnlich gut informierten Kreisen zu erfahren war, haben einige KMK-Mitarbeiter bereits die Initiative BEGEDER („Beamte gegen Entkarnevalisierung des Rheinlandes“) gegründet und für Montag, den 16. Februar, nach Dienstschluss zu einem „Rosenmontagsspaziergang“ aufgerufen. Die Polizei rechnet daher für diesen Tag mit erheblichen Verkehrsbehinderungen, auch Wurfgeschosse, Konfettikanonen und Lärmbelästigungen können nicht ausgeschlossen werden. Daher rät sie, die Bereiche Innenstadt und Innere Nordstadt möglichst zu meiden, bis BonnOrange die Straßen geräumt hat; der genaue Weg des Spaziergangs wird noch bekanntgegeben.

Von der Bildung einer Gegenbewegung ist bislang nichts bekannt. Auch die Mitarbeiter von Post, Telekom und Postbank, ebenfalls ehemalige Behörden, sowie weiterer Bonner Unternehmen begegnen dem amtlichen Aufschrei mit einem Schulterzucken, zumal für sie schon vor Jahren die Arbeitsbefreiung nicht nur an Rosenmontag, sondern auch Heiligabend und Silvester aufgehoben worden ist. Viele von ihnen wollen jedoch am 16. Februar Urlaub nehmen, um sich den BEGEDER-Spaziergang anzuschauen. Mit einer Teilnahme der Initiative „Abendland antwortet auf Feierverbot“ (ALAAF), die sich aus der Mitte einiger Ministerien gebildet hat, ist indes aufgrund innerer Zerstrittenheit nicht zu rechnen. Daher ist laut Polizei mit gewalttätigen Ausschreitungen – abgesehen von wenigen alkoholbedingten persönlichen Ausfällen – nicht zu rechnen. Oder wie der Rheinländer sagt: Et hätt noch emmer joot jejange.

(Auch veröffentlicht in gekürzter, nicht ganz so alberner Version bei bundesstadt.com)

Das Ende ist nahe

Die Welt im Januar 2015. Menschen stehen Schlange, um eine Zeitschrift zu erwerben, deren Sprache sie nicht verstehen, weil sie in der Schule damals lieber Latein statt Französisch gewählt oder das Gelernte längst vergessen haben. Andere fühlen sich durch diese Zeitschrift, die auch sie nicht verstehen, verhöhnt und zünden deswegen Kirchen und Kneipen an. Die übrigen schauen auf RTL einer Gruppe Bekloppter bei zweifelhaften Spielchen im australischen Dschungel zu.

Als Gott der HERR dies sah, erkannte er, dass die Sache mit der Arche damals wohl seine größte Fehlentscheidung gewesen war. Eine Lösung musste her. Doch welche? Überschwemmungen zeigten nur noch örtlich begrenzte Wirkungen; Pest, AIDS und Ebola scheiterten am medizinischen Fortschritt der Menschheit. Vielleicht ein Atomkrieg? Doch würde dieser Gottes Schöpfung vollständig verheeren, einschließlich allen Gewächses und Gewürmes, welches da sprießt und kreucht, ein jedes nach seiner Art.

Da fiel dem HERRN das Internet ein, damit müsste sich was machen lassen. Und also bestellte er zwölf IT-Experten ein und sprach: „Sehet, die Menschheit ist wahnsinnig geworden. So gehet hin, sie zu zerstören. Und diesmal keine Überlebenden bitte, das tue ich mir nicht noch einmal an!“ So schlossen sich die zwölf Experten in ihre Cloud ein und machten sich nach dem Kick Off Meeting an die Arbeit. Sie erstellten die erforderlichen Dokumente, welche da hießen: Business Case, IT-Budgetantrag, Anforderungsdokumentation, System Requirement Statement, Phase Gate 1 bis 34 nach dem zertifizierten KOMPLEX-Vorgehen, Sicherheitskonzept und Datenschutzanalyse. Ferner mussten noch ein Entwicklungs- und ein Wartungsdienstleister ausgewählt sowie ein kostenpflichtiger User Support Helpdesk* eingerichtet werden.

Bald aber waren die Experten so sehr mit sich selbst beschäftigt und im Kompetenzgerangel zerstritten, dass das Projekt schließlich aus Budgetgründen eingestellt wurde. Als Gott sah, dass er dem menschlichen Wahnsinn nichts mehr entgegenzusetzen hatte, weinte er bitterlich sieben Tage und sieben Nächte lang. Dann schaltete er den Fernseher ein, kuckte IBES, und er sah: Das Ende war nahe. Da lächelte der HERR.

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* 54 Cent je Minute aus dem Festnetz der Deutschen Telekom, aus Mobilfunknetzen können höhere Entgelte anfallen.

Gratwanderung

Eher zufällig wurde ich auf das Projekt *.txt im Blog Neon|Wilderness aufmerksam. Ein wenig erinnert es an die Schulzeit, als der Deutschlehrer ein Thema an die Tafel schrieb, zum Beispiel „Mein peinlichstes Nahtoderlebnis“ oder „Warum mich mein Schutzengel mittlerweile hasst und ich trotzdem so weiter mache“, und wir dann bis zur nächsten Deutschstunde Zeit hatten, darüber einen Aufsatz zu schreiben, Sie erinnern sich: Einleitung, Hauptteil, Schluss. So ähnlich ist *.txt auch, nur gibt Dominik, der Initiator, nicht ein Thema vor, sondern nur ein Wort, und die Teilnehmer haben nicht nur einen oder zwei Tage Zeit, darum einen Aufsatz zu spinnen, sondern sage und schreibe drei Wochen. Und benotet wird das ganze am Ende (hoffentlich) auch nicht. 

 

„Das ist doch reizend“, dachte ich mir und meldete mich spontan an. Mit Spannung erwartete ich also das Wort, welches für den 7. Januar angekündigt war, und also kam es und lautete: „Gratwanderung“. Gratwanderung? Hm – daraus sollte sich was machen lassen, so mein erster Gedanke, aber was? Eine spontane Idee hatte ich nicht, also erstmal gedanklich ablegen und auf Inspiration hoffen, drei Wochen sind eine lange Zeit. 

 

Dann kamen plötzlich noch am selben Tag die schrecklichen Meldungen aus Paris, wo wahnsinnige Islamisten auf perfide Weise deutlich machten: auch im einundzwanzigsten Jahrhundert, auch in unserer „freien westlichen Welt“ ist die Wahrnehmung der Meinungsfreiheit, erst recht wenn sie in Form von Satire daher kommt, immer noch riskant. (Mehr möchte und werde ich nicht dazu schreiben, weil erstens dazu bereits sehr viel geschrieben wurde und zweitens von Leuten, die das viel besser können.)

 

Doch muss man gar nicht den Wahnsinn des Terrors vor Augen haben, es genügt schon ein Blick in die Arbeitswelt. Große Konzerne rühmen sich, das Wohl ihrer Mitarbeiter als eines der wichtigsten Unternehmensziele hinzustellen, bezeichnen sie gar gerne als ihr „Aushängeschild“ (was nicht selten bedeutet, dass sie sie im Regen stehen lassen), predigen den offenen Dialog zwischen Führung und Fußvolk. Die Wahrheit sieht oft anders aus: Wie weit kann ich beim jährlichen Mitarbeitergespräch gehen, wie offen kann ich dem Chef seine – nennen wir es mal – Optimierungspotentiale aufzeigen, ohne berufliche Nachteile befürchten zu müssen? Haben wir es nicht schon erlebt, dass allzu offene Kollegen in Ungnade fielen und plötzlich aus an den Haaren herbeigezogenen Gründen die Abteilung oder gar das Unternehmen verließen?

 

Oder nehmen wir die Partnerschaft. Soll ich dem Partner ständig vorhalten, was mir an ihm nicht passt, etwa dass er „ständig“ seine Hose irgendwo rumliegen lässt, „schon wieder“ denn Müll nicht mit runter genommen hat oder hinter meinem Rücken mit meinem Auto zum Cruising fährt? Möchte ich riskieren, dass der Haussegen dauerhaft schief hängt wegen Dingen, die an sich ziemlich unwichtig sind?

 

Auch wenn es vielleicht bequem oder gar feige ist: Manchmal ist es besser, die Klappe zu halten und die Dinge hinzunehmen, wie sie sind. Das gilt ausdrücklich nicht für die Ereignisse in Paris!

 

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Nachtrag: Auf schmalem Grat wandeln auch Frisöre, die diese Bilder ins Fenster hängen, um für ihr Handwerk zu werben – bleibt doch oft unklar, ob die Frisur der dort abgebildeten Person den Zustand vor oder nach der angebotenen Dienstleistung darstellt. Da nützt es dann auch nichts, dass Frisöre können, was nur Frisöre können.

Tragisch

Drei junge Männer rasen des Nachts in mitgebrachten Kinderschlitten die Winterberger Bobbahn hinunter. Sie verlieren die Kontrolle, prallen schließlich gegen einen zufällig am Ende der Bahn abgestellten Traktor, verunglücken dabei schwer, einer tödlich.

Übermütige Jugendliche klettern auf abgestellte Güterwaggons, unterschätzen die tödliche Gefahr, welche von den 15.000 Volt in der Oberleitung ausgeht, kommen ihr zu nahe – ein Blitz, ein Knall, schwere Verbrennungen, meistens mit Todesfolge.

Das ist schlimm. Immer wieder ist dann in den Medien von „tragischen“ Unglücken zu hören und lesen. Doch was bedeutet eigentlich tragisch? Schauen wir in den Duden:

„auf verhängnisvolle Weise eintretend und schicksalhaft in den Untergang führend und daher menschliche Erschütterung auslösend“

Verhängnisvoll und schicksalhaft – also fremdgesteuert, vom Betroffenen weder zu beeinflussen noch zu vermeiden. Tragisch sind also zum Beispiel Zugunglücke wie das von Eschede, Flugzeugabstürze durch Blitzschlag, Vulkanausbrüche, Erdbeben oder der zufällige Aufenthalt in der Nähe einer von Terroristen gezündeten Bombe. (Morgens durch Herbert Grönemeyer im Radiowecker aufzuwachen, ist zwar auch verhängnisvoll und erschütternd, aber nicht besonders tragisch.)

Niemand zwang indes die Jungs, die Bobbahn hinunter zu fahren oder auf Güterwagen zu klettern – außer vielleicht ihr Testosteron. Möge mich der Schlag mit mindestens 15.000 Volt treffen, sollte in den Windungen meines Hirns ein Gedanke wohnen, der da ätzt „geschieht ihnen recht“ oder ähnliches. Doch bei allem Respekt und Mitgefühl für die Betroffenen und ihre Angehörigen: Das war nicht tragisch, das war einfach nur dumm. Meine menschliche Erschütterung hält sich daher in Grenzen.

Keineswegs wunderte es mich, würden jetzt Stimmen laut, die zur Vorbeugung gegen solche Ereignisse deutliche Warnhinweise auf Güterwagen* und vor Bobbahnen fordern. So wie auf Pappkaffeebechern vor möglicher Verbrühungsgefahr durch heißen Inhalt gewarnt wird, oder Anfang der Neunzigerjahre allen Ernstes gefordert wurde, in Mecklenburg-Vorpommern alle Alleebäume zu fällen, weil die dortigen Autofahrer aufgrund noch ungewohnter PS-Stärke westlicher Kraftfahrzeuge dieselben reihenweise vor den Baum setzten mit oft tödlichem Ausgang, also für die Fahrzeuginsassen, seltener für den Baum. Derartige Ansinnen sind nicht tragisch, eher schon fast komisch.

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* Schon seit Anbeginn der elektrischen Zugförderung sind auf Eisenbahnfahrzeugen im oberen Bereich Blitzsymbole als Warnung angebracht für kraft ihrer Tätigkeit befugte Eisenbahner, das Fahrzeug zu besteigen. Für besoffene Jugendliche reichen die anscheinend nicht aus.