Tragisch

Drei junge Männer rasen des Nachts in mitgebrachten Kinderschlitten die Winterberger Bobbahn hinunter. Sie verlieren die Kontrolle, prallen schließlich gegen einen zufällig am Ende der Bahn abgestellten Traktor, verunglücken dabei schwer, einer tödlich.

Übermütige Jugendliche klettern auf abgestellte Güterwaggons, unterschätzen die tödliche Gefahr, welche von den 15.000 Volt in der Oberleitung ausgeht, kommen ihr zu nahe – ein Blitz, ein Knall, schwere Verbrennungen, meistens mit Todesfolge.

Das ist schlimm. Immer wieder ist dann in den Medien von „tragischen“ Unglücken zu hören und lesen. Doch was bedeutet eigentlich tragisch? Schauen wir in den Duden:

„auf verhängnisvolle Weise eintretend und schicksalhaft in den Untergang führend und daher menschliche Erschütterung auslösend“

Verhängnisvoll und schicksalhaft – also fremdgesteuert, vom Betroffenen weder zu beeinflussen noch zu vermeiden. Tragisch sind also zum Beispiel Zugunglücke wie das von Eschede, Flugzeugabstürze durch Blitzschlag, Vulkanausbrüche, Erdbeben oder der zufällige Aufenthalt in der Nähe einer von Terroristen gezündeten Bombe. (Morgens durch Herbert Grönemeyer im Radiowecker aufzuwachen, ist zwar auch verhängnisvoll und erschütternd, aber nicht besonders tragisch.)

Niemand zwang indes die Jungs, die Bobbahn hinunter zu fahren oder auf Güterwagen zu klettern – außer vielleicht ihr Testosteron. Möge mich der Schlag mit mindestens 15.000 Volt treffen, sollte in den Windungen meines Hirns ein Gedanke wohnen, der da ätzt „geschieht ihnen recht“ oder ähnliches. Doch bei allem Respekt und Mitgefühl für die Betroffenen und ihre Angehörigen: Das war nicht tragisch, das war einfach nur dumm. Meine menschliche Erschütterung hält sich daher in Grenzen.

Keineswegs wunderte es mich, würden jetzt Stimmen laut, die zur Vorbeugung gegen solche Ereignisse deutliche Warnhinweise auf Güterwagen* und vor Bobbahnen fordern. So wie auf Pappkaffeebechern vor möglicher Verbrühungsgefahr durch heißen Inhalt gewarnt wird, oder Anfang der Neunzigerjahre allen Ernstes gefordert wurde, in Mecklenburg-Vorpommern alle Alleebäume zu fällen, weil die dortigen Autofahrer aufgrund noch ungewohnter PS-Stärke westlicher Kraftfahrzeuge dieselben reihenweise vor den Baum setzten mit oft tödlichem Ausgang, also für die Fahrzeuginsassen, seltener für den Baum. Derartige Ansinnen sind nicht tragisch, eher schon fast komisch.

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* Schon seit Anbeginn der elektrischen Zugförderung sind auf Eisenbahnfahrzeugen im oberen Bereich Blitzsymbole als Warnung angebracht für kraft ihrer Tätigkeit befugte Eisenbahner, das Fahrzeug zu besteigen. Für besoffene Jugendliche reichen die anscheinend nicht aus.

Ein Gedanke zu “Tragisch

  1. Sabine Januar 7, 2015 / 16:10

    Mal wieder ein guter Kommentar! Ich bin bestimmt auch kein unsensibler Mensch und heule gerne mal bei einem gefühlvollen Film, aber hier bin ich zum größten Teil Deiner Meinung. Ich finde es tragisch für die Angehörigen aber mal ehrlich: Wer lesen kann ist klar im Vorteil und ja! dumm! Sieht man mal wieder wie viel Gehirn vom Menschen genutzt wird.
    Grüßchen

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