Gedanken zur Wiedergeburt

Gestern war Totensonntag, der Tag an dem der Weihnachtsmarkt geschlossen bleibt, auf dass Glühwein und Eierpunsch die Menschen nicht davon ablenken, der Endlichkeit allen menschlichen Strebens zu gedenken. Als nur noch rudimentär religiöser Mensch hege ich gewisse Zweifel an der Verheißung des ewigen Lebens, was bei meinem Lebenswandel vermutlich ohnehin nur einen längeren Aufenthalt in einem großen Kessel voller siedendem Öl bedeutete. Insofern erscheint es mir nicht völlig unwahrscheinlich, dass nach dem letzten Atemzug für immer die Lichter erlöschen; den Rest erledigen Würmer und Mikroben oder das Krematorium – Asche zu Asche, Staub zu Staub.

Sollte es mir jedoch vergönnt sein, nach meinem hoffentlich noch fernen Ableben erneut das Licht der Welt zu erblicken, so wüsste ich schon, als was ich es mir wünschte, wobei ich nicht weiß, ob man sich das aussuchen kann. Vielleicht kann man sich ja auf einem himmlischen Amt in eine Liste der freien Stellen auf Erden eintragen, vielleicht wird man auch einfach zugeteilt. So etwas erzählen sie einem ja nicht im Religions- oder Konfirmandenunterricht. Nein, nicht als Millionär, Pop- oder Pornostar, oder als majestetisch über Berg und Tal dahingleitender Adler. Mir genügte ein Dasein als Schwarzer Kellerpilz. Dieser lebt als dunkler Schimmelbelag in den Gewölben alter Weinkeller, wo er von den Winzern sehr geschätzt und keineswegs bekämpft wird, da er einen positiven Einfluss auf das Raumklima und dadurch das Entstehen edler Tropfen nimmt. Ich bräuchte nicht ins Büro zu fahren, mich nicht um sexuelle oder sonstige Abenteuer bemühen, stattdessen klebte ich still an meiner Kellerdecke und ernährte mich von den alkoholischen Ausdünstungen der Fässer. Gut, vom oben erwähnten Licht der Welt sähe ich nicht viel, doch das erscheint mir akzeptabel.

Ab und zu lauschte ich den Worten des Winzers, wenn er Besuchern etwas von Bouquet, Abgang und Aromen von dunklen Früchten und modrigem Leder erzählt, während sie ihm mit zustimmendem Nicken andächtig lauschen. Oder er sagt Sätze wie diesen:
„Für diesen Tropfen wünscht man sich einen Hals wie eine Giraffe, mit einer Wendeltreppe darinnen mit ausgetretenen Stufen, so dass sich Pfützen darin bilden.“

Ja, so ein Leben könnte mir gefallen. Und bis es so weit ist, genieße ich den Wein ganz profan aus einem Glas, beziehungsweise den Glühwein aus einem kitschigen Becher.

Mir fehlen die passenden Worte

Gerne schriebe ich was kluges über die Folgen der unfassbaren Ereignisse in Paris am vergangenen Freitagabend. Über meine Fassungslosigkeit. Über die Ahnung, dass sich ähnliches jederzeit wiederholen kann, überall, auch hier in Bonn, wo vor drei Jahren nur deshalb nichts passierte, weil die Bombe am Hauptbahnhof wegen Konstruktionsfehlern nicht hochging. Über das wiedererwachte Unbehagen, aus dem Haus zu gehen, morgens mit der Stadtbahn zur Arbeit zu fahren und abends zurück, oder mit dem Zug nach Köln; den bald beginnenden Weihnachtsmarkt zu besuchen, demnächst Karnevalszüge, oder im Sommer den Kölner Christopher Street Day – welch prädestinierte Ziele für Verrückte!

Jetzt erst recht, heißt es, wir dürfen uns von der Angst vor Terror nicht einschüchtern lassen, denn genau dann hätten die Wahnsinnigen ihr Ziel erreicht. Ja, das stimmt wohl, jedoch für einen Menschen wie mich, mit großem Talent zum Katastrophisieren, leichter gesagt als getan.

Darüber würde ich gerne was schreiben, aber ich fürchte, mir fehlen dazu die passenden Worte.

Zu warm

tulpenfeld - 1Wir schreiben November 2015. Die Sonne lässt die letzten Blätter, welche noch nicht abgeworfen und von emsigen Laubbläsern verweht wurden, gelb und rötlich leuchten. Die Tagestemperatur hält sich seit Tagen um die achtzehn Grad, morgens singt wieder die Amsel, Straßencafés sind gut besucht, auch die Eisdielenbesitzer sind noch nicht in den Süden abgezogen, nachdem sie die Scheiben ihres Lokals sorgsam mit buntem Eispackpapier zugeklebt haben. Dicke Jacken wurden zurück in die Schränke gehängt*, hier und da wagen sich gar einige in kurzer Hose auf die Straße. Der Sommer will anscheinend noch nicht in den Winterschlaf treten.

Und was machen die Menschen? Sie jammern. „Viel zu warm“, ist überall zu hören, im Kaufhof wird gar die Inbetriebnahme der Klimaanlage gefordert. Ein weiterer Mosaikstein meines mit jedem Jahr deutlicher werdenden Bildes: Die Menschen sind bekloppt.

Damit ist es bald vorbei, dann bläst Tief „Carsten“ den Sommer weg, auch dann werden sie jammern: zu trübe, zu kalt, zu windig, zu nass. Bekloppt und in hohem Maße unangemessen finde ich es übrigens auch, einem Tief den Namen „Carsten“ zu geben, aus Gründen, welche darzulegen ich gar nicht einsehe.

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* gehängt, nicht gehangen. Dazu irgendwann mal mehr.

Der Ohrwurm nimmt wenig Rücksicht auf die Befindlichkeiten seines Wirts

Seit es Menschen gibt, verwenden Sie viel Energie darauf, sich gegenseitig auf die Nerven zu gehen, ich glaube ich schrieb es schon mal. Dabei sind die Möglichkeiten zahlreich wie Bahnschwellen zwischen Kempten (Allgäu) und Karow (Meckl.), zum Beispiel in Form von tätlichen, olfaktorischen oder akustischen Angriffen, vor allem letztere; die Welt wäre zweifellos eine bessere ohne des Menschen Neigung zu permanenter unangemessener Geräuschentwicklung. Oder durch hirnloses Herumstehen in der Eingangstür der Stadtbahn, selbstverständlich auf der Bahnsteigseite. Sollte ich einmal so jemandem – rein versehentlich, versteht sich – beim Aussteigen auf den Fuß treten, so hat er/sie keinen Ausdruck der Entschuldigung von mir zu erwarten, maximal ein gemurmeltes „Trottel“.

Andere gefallen sich darin, bescheuerte Wörter zu benutzen wie „Moinsen“ – so musste ich am Wochenende zweimal im Netz lesen: einmal zur Eröffnung eines Blogartikels, zum anderen als Einleitung eines Forenbeitrags. Über den Inhalt der beiden Beiträge vermag ich nichts zu sagen, vergällte mir die vorstehend genannte Eröffnung doch die weitere Lektüre. „Moinsen“ – was bitte schön soll das darstellen? Vielleicht der Sohn des norddeutschen Grußes? Jedenfalls vermutlich ein Ableger derselben Wortfamilie wie „Hallöchen“ und „Okidoki“.

Ein anderes Wort, dessen Bedeutung sich nicht ohne weiteres erschließt, welches indes wohl nur die deutsche Sprache hervorzubringen vermag, ist „Familienfachschleiferei“, gestern gelesen auf einem in unserem Briefkasten vorgefundenen Handzettel. Morgen werde ich dort anrufen und fragen, ob man auch Wortfamilien schleift, also nicht im Sinne von schärfen, sondern eher so, wie vor Jahrhunderten Burgen und Städte geschleift* wurden, als der Denkmalschutz noch als Samenkorn im kargen Nährboden kriegerischer Auseinandersetzungen vor sich hin dörrte.

Auch auf keinen Fall mehr hören möchte ich – ich erwähnte es jüngst – den Song „Oft gefragt“ von AnnenMayKantereit. Leider nimmt mein ansonsten geschätzter Lieblings-Radiosender darauf keine Rücksicht, vielmehr feiern sie die Kölner Kapelle als DIE Neuentdeckung des Jahres. Seitdem krächzt mein Ohrwurm stundenlang „Zuhaaaause…“, auch er nimmt wenig Rücksicht auf die Befindlichkeiten seines Wirtes.

Ebenfalls wenig Rücksicht nahmen am Wochenende marodierende Vollidioten im Halloween-Wahn, die möglicherweise erst am Samstagmorgen inspiriert wurden von der Klage eines Busfahrers im Radio. Dieser prangerte Jugendliche an, die unschuldigen Linienbussen an der Haltestelle auflauerten, um dann, sobald die Türen auf sind, rohe Eier hinein zu werfen. Es ist nicht auszuschließen, dass jener kurze Beitrag zahlreichen Burschen mit dem Gedanken „gute Idee“ den Weg zum Kühlschrank wies. Im hier beklagten Fall war jedoch nicht ein Linienbus Opfer des Eieranschlags, sondern die Fensterscheibe unseres Wohnzimmers: Am Sonntag, als Kehrfahrzeuge längst die Nacht aufgesaugt hatten, klebten gelbe Schlieren und Eierschalsplitter daran. Doch wohnt dem Ereignis nur geringe Dramatik inne, Gewinner des Zusammenpralls blieb eindeutig die Scheibe, wenn auch leicht besudelt. Den Rest besorgt die Natur mit Regen und der einem Ei innewohnenden biologische Abbaubarkeit durch Mikroorganismen, oder die menschliche Ungeduld gegenüber natürlichen Vorgängen, gepaart mit dem Unbehagen gegenüber besudelten Fenstern und dem daraus resultierenden Putzdrang.

Zum Glück ereignen sich solch unerfreuliche Dinge bislang nur selten in unserer Straße, insofern fühle ich mich hier nach wie vor sehr zuhause. – Verdammt…!

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* jawohl, es heißt hier geschleift und nicht geschliffen. Im Sinne einer nachhaltigen architektonischen Umgestaltung z.B. eines Bauwerks durch Plattmachen wird das Verb regelmäßig gebeugt, im Gegensatz zum unregelmäßigen Gebrauch beim Schärfen eines Messers. Selbstverständlich kann man auch ein Messer regelmäßig schleifen, jedoch hat man danach nur noch wenig Freude daran.

Nur ein Detail am Straßenrand

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In diesem Herbst fallen nicht nur, wie jedes Jahr, die Blätter von den Bäumen, sondern auch die letzten Gaslaternen in der Bonner Südstadt. Die ersten mit Gas betriebenen Straßenlaternen sollen um 1850 die Stadt erleuchtet haben, bereits ab 1899 kam die elektrische Beleuchtung auf. Seit vielen Jahren ersetzen die Stadtwerke die alten Gasleuchten durch optisch gleichartige elektrische Laternen, teilweise werden sie getauscht, teilweise die vorhandenen auf elektrischen Betrieb umgerüstet. Das mag man bedauern, andererseits ist dieser Schritt verständlich, liegen doch die Betriebs- und Unterhaltungskosten der Gaslaternen weit über denen ihrer elektrischen Kolleginnen. Insofern ist es bemerkenswert, dass die letzten Exemplare ihrer Art bis heute überlebt haben.

Zurzeit werden die Laternen in der Niebuhrstraße ersetzt, den letzen in der Diezstraße neben der Elisabethkirche soll bis zum Jahresende das Gas abgedreht werden. Mit ihrem charakteristischen harten, gelblich-weißen Licht verschwindet damit ein ganz kleines bisschen des typischen Südstadt-Flair, aber das dürfte wohl zu verschmerzen sein.

(Sehen Sie, jetzt haben Sie wieder was gelernt.)

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Auch veröffentlicht bei Bundesstadt.com

Wenn die Zahlung der Rundfunkgebühr nicht ganz so weh tut

Es liegt mir fern, für irgendein Unternehmen Werbung zu machen, auch nicht für eine öffentlich-rechtliche Medienanstalt. Doch fragte man mich nach meinem Lieblings-Radiosender, so lautete meine Antwort: WDR 2. Jedenfalls hier zu Hause und dort, wo seine Wellen das Radiogerät erreichen (jetzt kommen Sie mir bitte nicht mit Internet-Radio). In Frankreich hingegen ist es eindeutig Radio Nostalgie, da stört mich nicht mal die Werbung, weil ich das Geplapper nicht verstehe und es außerdem irgendwie zum Urlaub dazu gehört.

WDR 1 mochte ich auch, vor allem wegen Musiksendungen wie der „Flipp-Zeit“, und empfand seine zwanghafte Verjüngung zu 1Live in den Neunzigern als Verschlechterung. Mittlerweile ertrage ich 1Live fast gar nicht mehr, vor allem dann nicht, wenn sie witzig sein wollen („Lukas’ Tagebuch“ – Gähn…) und die Stellen, an denen der gequälte Hörer den Witz bemerken soll, mit einem überflüssigen Geräusch markieren; das gilt allerdings auch für andere Sender, insbesondere SWR 3, der sich hier im Rheinland aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen allgemein großer Beliebtheit erfreut.

Zurück zu WDR 2. Er war schon in meiner geraume Zeit zurückliegenden Jugend Begleiter meiner einst liebsten Freizeitbeschäftigung, dem Basteln an der Modelleisenbahn auf dem Dachboden. Als Medium diente ein uraltes, riesengroßes Röhrenradio, das ich von irgendwem „geerbt“ hatte und das nach dem Einschalten immer knapp eine Minute brauchte, bis was zu hören war. Höhepunkt meiner Woche war die Sendung „Unterhaltung am Wochenende“ samstags ab vier, eine Mischung aus Humor (heute heißt das wohl Comedy) und Musik; Krone dieses Höhepunkts wiederum war die „Kleine Dachkammermusik“ mit Hermann Hoffmann, Otto de Vries, Pankratius Schräuble, Herrn Schlotterbeck und vielen anderen, alle gesprochen von Hermann Hoffmann daselbst. Kennt heute vermutlich kaum noch einer.

Stunden verbrachte ich vor dem Radio, wenn „Mal Sandocks Hitparade“ oder die „Schlagerrallye“ mit Wolfgang Roth lief, die Aufnahmetaste des Kassettenrekorders im Anschlag, für die Generation mp3 heute kaum vorstellbar.

Was ich an WDR 2 immer sehr schätzte und bis heute schätze, war und ist die Musikauswahl, eine Mischung aus alten Sachen der Achtziger („meine“ Zeit) bis hin zu Aktuellem, wobei ich bei den meisten alten die Titel und Interpreten spontan nennen könnte, was mir bei den aktuellen nur selten gelingt. Doch kein Licht ohne Schatten – im Repertoire von WDR 2 halten sich einige Songs, teilweise über viele Jahre, die ich nicht mehr hören kann und will. Hier meine persönliche Anti-Hitparade, völlig subjektiv und unvollständig:

1 – Huey Lewis And The News: Hip To Be Square

2 – Mr. Mister: Kyrie

3 – Des’ree: Life

4 – Sunrise Avenue: You can never be ready (grauenvoll!)

5 – Revolverheld: Lass uns gehen

6 – Michael Bublé: It’s A Beautiful Day

7 – Of Monsters And Men: Little Talks

8 – James Blunt: Postcards

9 – Bruno Mars: Locked Out Of Heaven

10 – The Goo Goo Dolls: Give a little bit (völlig überflüssige Kopie des ansonsten schönen Supertramp-Hits)

11 – AnnenMayKantereit – Oft gefragt (ganz neu, ganz schlimm)

Listete ich hingegen alle Songs auf, über die ich mich jedes Mal freue, wenn sie gespielt werden, fiele die Reihe wesentlich länger aus. Daher erspare ich Ihnen das. Manchmal werde ich sogar angenehm überrascht, wie vor ein paar Jahren, als sie für mehrere Wochen das großartige Lied A New South Wales von The Alarm im Programm hatten; bis dahin war ich der festen Überzeugung, der einzige Mensch zu sein, der das überhaupt kennt. Das sind dann diese Momente, in denen die Zahlung der Rundfunkgebühr nicht ganz so weh tut.

(Apropos Zahlung: Dieser Aufsatz ist fünf Euro wert.)