Woche 49/2022: Einigermaßen wunschlos glücklich

Montag: Vergangene Nacht träumte ich bunt in zahlreichen, häufig wechselnden Szenen. Wie wenn man durch die verschiedenen Fernsehsender zappt, nur eben nicht selbst sondern durch fremde Hand, man gleichsam gezappt wird. (Im Englischen bedeutet to zap übrigens abknallen oder jemandem eine vor den Latz knallen; da ich das nicht wusste, habe ich es eben kurz nachgeschaut. Weiß der Himmel, wie es dazu kam, dass dieses Wort im Deutschen für das sinnlose Durchschalten durch die Fernsehsender benutzt wird.) Eine Traumszene ist mir erinnerlich geblieben, obwohl sie vermutlich genauso wenig Sinn ergab wie die vergessenen: In einer Abteilungsbesprechung präsentierte ein junger Kollege mithilfe einer umfangreichen Powerpointpräsentation eine absolute Marginalie als die große, von ihm erdachte Innovation, wofür er von allen Anwesenden ebenso umfangreich gelobt wurde. Dass die gelobte Marginalie keineswegs neu war, wusste nur ich, behielt es aber für mich. Nach der Besprechung nahm mich die neue Chefin, die äußerlich große Ähnlichkeit aufwies mit der amtierenden Entwicklungsministerin, deren Name mir momentan entfallen ist, beiseite und teilte mir mit, sie würde sich freuen, auch von mir mal derartiges präsentiert zu bekommen. Danach gingen wir, die Chefin und ich, durch die Fußgängerzone, bis ich sie schließlich im Gewühl verlor. Mehr weiß ich nicht mehr. Reicht auch.

Kein Traum, sondern Realität: In der Nacht hatte es geschneit. Stellenweise blieb der Schnee bis in den frühen Nachmittag liegen, was für Bonn und das südliche Rheinland ungewöhnlich ist.

Mittags bei nur kurzem Gang durch den Park

Im Büro ist es mit maximal neunzehn Grad weiterhin nicht warm, dank zusätzlicher Fleecejacke indes erträglich. Nachmittags fiel mir während der Zubereitung eines Tees ein Reim über Weihnachtsunlust ein. Leider versäumte ich es anschließend, ihn zu notieren, daher ist er mir entfallen. Sollte er mir wieder einfallen, werden Sie die ersten sein, die ihn lesen.

Abends aßen wir bei ortsüblichem Regen Brat- und Currywurst auf dem Weihnachtsmarkt. Dabei wurde mir fast mein Schlüsselbund geklaut, jedenfalls vermisste ich es auf dem Rückweg in der Jackentasche. Ich hatte es aber nur zu Hause vergessen, wo es nach Rückkehr an seinem angestammten Haken hing. Die sich bei solchen Gelegenheiten einstellende Erleichterung ist ungefähr so angenehm wie der Moment, wenn der Schmerz nachlässt, nachdem man sich den Kopf gestoßen hat. Oder eine vor den Latz geknallt bekommen hat. Oder einen Tritt in die Marginalien.

Dienstag: Nikolaustag. Ich wurde beschenkt und etwas beschämt. Seit Jahren versuche ich meine Lieben davon zu überzeugen, uns zu Weihnachten nichts mehr zu schenken, weil wir alles haben und nichts brauchen. Ich gebe zu, das ist ein wenig vorgeschoben. Die Wahrheit ist: Mir fehlen die Ideen und ich bin etwas bequem, darüber nachzudenken, a) was ich schenken kann, worüber sie sich wirklich freuen, also keine Unterhosen oder Staubsaugerbeutel, und b) was ich mir selbst wünschen soll; in materieller Hinsicht und auch sonst bin ich einigermaßen wunschlos glücklich. Heute früh nun bog sich die Küchentischplatte fast vor Nikolausgaben, wohingegen ich mit leeren Händen auftrat. Ohne jede Frage freue ich mich über jedes einzelne davon, und doch frage ich mich: Wohin soll das führen? Ich habe mit jedenfalls fest vorgenommen, nicht einzusteigen in dieses Geschenkewettrüsten. Daher, meine Lieben, erwartet bitte auch im kommenden Jahr von mir nichts zu Nikolaus, bitte nehmt es mir nicht übel. Ich mag euch auch ohne Geschenke. Sehr sogar. Mal mehr, mal noch mehr; und nur ganz selten etwas weniger.

Der heutige Inhalt des Werks-Adventskalenders. Wenig überraschend, jedoch nicht zu beanstanden. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ist er längst entkleidet und verzehrt.

Durch ein von mir geschätztes und regelmäßig gelesenes Blog wurde ich aufmerksam auf einen anderen Blogtext, den ich heute mit Interesse und gelegentlichem Kopfnicken las. Bis zu dieser Stelle: »… noch vor wenigen Jahren wären weite Teile der Bevölkerung fein damit gewesen, …« – Ab „fein … gewesen“ musste ich die Lektüre leider abbrechen. Schade.

Schon wieder las ich entgegen jeder Gewohnheit im Sportteil der Zeitung und fand dieses:

(General-Anzeiger Bonn)

Mittwoch: Zu den Unarten der Bürokommunikation zähle ich, mir einen langen Mailverlauf weiterzuleiten mit der lapidaren Frage, ob ich helfen könnte, voraussetzend, ich würde mir den ganzen Verlauf durchlesen, um zu verstehen, um was es überhaupt geht, anstatt das Anliegen kurz zusammenzufassen. Weiterhin schätze ich es nicht, das erwähnte ich schon, wenn man mich spontan und unvorbereitet in eine Teams-Besprechung hineinzieht und ebenso spontan von mir eine fundierte Auskunft erwartet.

Beides widerfuhr mir heute Morgen bereits vor neun Uhr, also zu einer Zeit, in der meine Bereitschaft zu verbaler Kommunikation gering ist. Im ersten Fall schrieb ich ebenso lapidar zurück „Um was geht es?“, woraufhin die Fragestellerin umgehend anrief und mir erklärte, das stünde doch weiter unten. Nach einer angemessenen Unmutsäußerung meinerseits konnte ich dann, um Freundlichkeit bemüht, helfen. Spontane Besprechungsnötigungen hingegen ignoriere ich grundsätzlich, es sei denn, es ist der Chef oder es könnte wichtig sein, wobei Chefanliegen selbstverständlich immer wichtig sind. Heute vermutete ich aufgrund aktueller Ereignisse Wichtigkeit und nahm das Gespräch an. Es stellte sich dann als völlig unwichtig und durch einfache Weiterleitung einer (kurzen) Mail wesentlich effizienter zu lösen heraus, was mich zu einer weiteren Unmutsäußerung veranlasste.

Nachmittags nahm ich an einem Workshop mit persönlicher Anwesenheit teil. Weitere Teilnehmer waren unter anderen ein Lead Solution Engineer, ein Senior Solution Consultant und eine Senior Strategic Account Executive, deren Wortschatz ebenfalls jede Menge bedeutend scheinender englischer Begriffe enthielt. Meine tiefe Abneigung gegen Gruppenarbeit, die ich schon seit der Schulzeit hege, wurde erneut bestätigt. Auch hierüber äußerte ich in der abschließenden Feedback-Runde mein Missfallen.

Dass ich auf der Rückfahrt vom Werk mit dem Fahrrad nass geregnet wurde, wirkte sich indessen kaum negativ auf das Wohlbefinden aus. Spätestens als zum Abendessen Glühwein gereicht wurde war aller Unmut verflogen.

Donnerstag: Bei WordPress, dem Vermieter dieses Blogs, gibt es etwas Neues. Vielleicht ist es auch gar nicht neu, jedenfalls ist es mir erst kürzlich aufgefallen: Eine Frage des Tages, hier „Daily Prompt“ genannt. Das finde ich gut, gerade für Tage, an denen mir nichts einfällt. Die heutige Frage lautet: »Siehst du manchmal wildlebende Tiere?« Ja, natürlich, in des Wortes wahrster Bedeutung. Heute früh auf dem Weg ins Werk wieder. Wobei, da es noch dunkel war, hörte ich sie mehr: Durcheinander keckernde Raben oder Krähen oder beides in den Baumwipfeln gegenüber am Beueler Rheinufer. Immer wieder flogen sie in Formationen über den Fluss und ließen sich im nächsten Baum nieder, wo sie weiter keckerten und krähten. Das war ganz schön wild. Wie schon berichtet sehe ich regelmäßig vom Büro aus Halsbandsittiche und Eichhörnchen, mittags im Park Wildgänse und ab und zu ein Nutria. Wilder wird es selten.

»Post erwägt Zwei-Klassen-Gesellschaft« übertitelt die Zeitung einen kurzen Artikel über die Erwägungen der Post, künftig neben Briefen, die am nächsten Tag ankommen sollen (ja ja ich weiß), solche anzubieten, die gegen ein geringeres Entgelt etwas später im heimischen Briefschlitz landen dürfen; also nichts, was im Zeitalter der überwiegend elektronischen Kommunikation noch Empörung hervorrufen oder gar zu einer gesellschaftlichen Zweiteilung führen sollte. Wieder einmal frage ich mich, was die Journalisten-Azubis heute beigebracht bekommen.

Eine Anzeige für den verkaufsoffenen Sonntag in Bonn ist überschrieben mit »Stöbern, shoppen und schlemmen«, drei Wörter, gegen die ich eine unerklärliche Abneigung hege. „Schlendern“ und „(Eis) schlecken“ fallen auch in diese Kategorie. Schlafen hingegen nicht, und so verabschiede ich mich für heute ins Bett.

Freitag: „Mutti, Mutti, er hat gar nicht gebohrt“ lautete die Kernaussage einer Fernsehreklame für ein Zahnpflegeprodukt in den Siebzigern, die mir erinnerlich geblieben ist. Ob man in fünfzig Jahren noch eine Werbung für ein Mittel gegen Reizüberflutung im Gedärm zitieren wird, darf bezweifelt werden. Nur die Seitenbacher-Reklame wird die Menschen voraussichtlich auch in hundert Jahren noch terrorisieren, vorausgesetzt, es gibt dann noch Reklame und Zielgruppen. Wie kam ich jetzt darauf: Auch mein Zahnarzt hat heute Morgen nicht gebohrt, nur gereinigt und poliert. Somit ist das Kauwerkzeug für die Weihnachtstage gerüstet.

Aus hier nicht näher dargelegten Gründen schaute ich nach Rückkehr aus dem Werk nach Hotels in der näheren Umgebung, verwarf den zugrunde liegenden Gedanken jedoch auf unbestimmte Zeit.

Abends waren wir im Malente-Theater am neuen Standort in Pützchen. Wie immer haben wir gelacht, etwa über dieses: Was steht auf dem Grabstein eines Bäckers? Der Ofen ist aus. Am Ende sangen wir gemeinsam „Last Christmas“. Ein Besuch ist dennoch sehr zu empfehlen.

Samstag: Vor ein oder zwei Wochen berichtete die Tageszeitung über ein Gänseessen, das ein Bonner Karnevalsverein, soweit ich mich erinnere die Beueler Stadtsoldaten, für Obdachlose veranstaltet hatte. Während ich einmal mehr die Frage stelle, warum in einem Land wie unserem überhaupt Menschen auf der Straße leben müssen, äußert sich Frau Dr. Angelika B. hierzu in einem wirklich dummen Leserbrief an den General-Anzeiger, der nach Ausführungen über Gänsewohl und -herkunft so endet: »Ein Festessen auf pflanzlicher Basis könnte für alle – auch für Bonner ohne Zuhause – ein Leckerbissen sein. Vielleicht im nächsten Jahr, der Umwelt und den Gänsen zuliebe.«

Es müssen nicht immer Katzenbabys sein – gesehen heute in einem Tierbedarfshandel in der Bonner Nordstadt

Sonntag: An einem Garagentor sah ich beim Spaziergang einen freundlichen Hinweis an den Nutzer der Remise:

Bemerkenswert daran ist, der Zettel klebte auch schon vor zwei Wochen, als ich dort lang ging. Entweder hat der Adressat die Garage länger nicht benutzt, oder er verfügt über eine beneidenswerte Dickfälligkeit.

***

Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 46/2022: Wenn man sich wohlfühlt und Schweinefutterzusatzstoff als Zufluchtsort

Montag: Gewundert, mal wieder, über Kollegen, die ohne Not sonntags Mails schreiben.

Nach Feierabend suchte ich ein namhaftes Kaufhaus in der Bonner Innenstadt auf. Dort ist nun ein Teil der Rolltreppen außer Betrieb genommen worden, zur Energieersparnis, wie große, direkt vor den stehenden Treppen angebrachte Tafeln verkünden. Deswegen sind die stehenden Stufen nicht zugänglich, die Treppen somit auch als Nichtrolltreppen unbenutzbar. Stattdessen ist der Konsument, je nachdem, von welcher Seite er kommt, genötigt, nach Ankunft in der nächsten Etage eine Runde durch die Abteilung zu gehen, um per noch rollender Treppe ins nächste Stockwerk zu gelangen. Als Gernegeher beanstande ich das nicht, vielmehr frage ich mich, warum man überhaupt nur per Rolltreppe ins nächste Stockwerk gelangt, warum gibt es nicht auch ganz normale Treppen? Vermutlich gibt es die, irgendwo versteckt, wo man sie nicht auf Anhieb findet. Ich bin der Meinung, für Menschen ohne körperliche Einschränkungen oder unhandliche Traglasten gibt es keinen vernünftigen Grund, überhaupt eine Rolltreppe zu benutzen; Aufzüge erst ab fünf Stockwerken.

Dienstag: Erstmals kam es zu einem persönlichen Treffen mit Leuten eines IT-Dienstleisters, mit denen ich seit fast zwei Jahren gut und gerne zusammenarbeite und die ich bislang zwar regelmäßig, aber nur virtuell traf, und von denen ich zumindest teilweise nicht einmal wusste, wie sie aussehen, da sich kamerabegleitete Teams-Besprechungen bei uns erst langsam durchzusetzen beginnen, was ich bislang nicht vermisste. Das persönliche Treffen war sehr angenehm, wenngleich mir dabei deutlich wurde, wie wenig ich auch größere nicht-virtuelle Besprechungsrunden, bis März 2020 alltäglich, vermiss(t)e.

Abends aßen wir gemeinsam in einem vietnamesischen Restaurant, in dem ich bislang nicht gewesen war und das aufzusuchen ich mich ohne diese Einladung so bald auch nicht veranlasst gesehen hätte, manchmal hat man unerklärliche Vorbehalte gegenüber Unbekanntem. Das Essen war sehr gut, nicht zuletzt auch wegen der auf meinen Wunsch hin unterlassenen Korianderbeigabe. Mir ist völlig unerklärlich, wie man Koriander mögen kann. Ähnlich muss es schmecken, wenn man sich Seife über das Essen raspelt.

Mittwoch: Donald Trump hat (auf seinem Anwesen, wie berichtet wird) verkündet, demnächst wieder als Präsidentschaftskandidat antreten zu beabsichtigen. Als ob die Welt gerade nicht genug Krisen zu verkraften hätte.

Auf dem Rückweg zu Fuß vom Werk schnappte ich Gesprächsfetzen auf: „Das ist schon ganz nice“ und „Da hat man dann seinen eigenen space.“ Vielleicht ist das der Grund, warum junge Menschen heute kaum noch ohne Kopfhörer in der Öffentlichkeit anzutreffen sind, womöglich mögen sie den Unfug, den ihre Altersgenossen so von sich geben, einfach nicht hören. Beziehungsweise Altersgenossinnen, in diesem Falle war beides gesprochen von jungen Frauen. Sicher Zufall, es liegt mir fern, anzunehmen oder gar zu unterstellen, vor allem junge Frauen redeten dummes Zeug. Auch dieser Satz kam von einer jungen Frau: „Ich glaube, man bringt die beste Leistung, wenn man sich wohlfühlt.“ Wer wollte dem widersprechen.

Apropos wohlfühlen: Die Glühweinbude am Rheinpavillon hat nun wieder abends geöffnet. Das ist sehr erfreulich.

Besonders nice mit einem Hauch Amaretto

Nach Rückkehr musste ich mir von meinen Lieben anhören, ich röche wie ein Weihnachtsmarkt. Das war es wert.

Donnerstag: Heute legte ich mal wieder einen Inseltag ein, also einen anlasslos freien Tag zwischendurch. Warum ich diese Tage nicht auf einen Freitag oder Montag lege, werde ich gelegentlich gefragt. Nun: Ich mag diese Inseln im Fluss der Werktätigkeit. Die Arbeitswoche bis Mittwoch ist dadurch angenehm kurz, und am Freitag naht das Wochenende. Wohingegen sich die Rückkehr nach einem verlängerten Wochenende oft besonders mühsam anlässt. Darum Inseltage. Diesen nutzte ich für eine Wanderung durch die Wahner Heide südöstlich von Köln, die schon länger im Geplant-Ordner bei Komoot angelegt war. Das Wetter zeigte sich gnädig, nur ein paar wenige Regentropfen verlangten für kurze Zeit nach einer Kapuze, ansonsten blieb es trocken und mild.

Sehen Sie:

Bei Rösrath, kurz nach Betreten der Heide

Ebenfalls bei Rösrath

Vor Altenrath

Hinter Altenrath

Bei Lohmar

Vor Troisdorf. Im Vordergrund etwas verblühte Heide, also das namensgebende Kraut.

Während der Bahnfahrt nach Köln hörte ich eine Frau zu ihrem Begleiter sagen: „Ich finde das echt schwer, den Überblick zu behalten mit dem ganzen ab den Sechzigerjahren.“ Ich habe nicht genau mitbekommen, um was es ging; als 1967 Geborener stimme ich ihr jedenfalls uneingeschränkt zu.

Freitag: Manchmal, wenn ich Präsentationen anderer Bereiche sehe, bin ich froh, mit welchen Themen ich mich nicht beschäftigen muss.

Heute eröffnete der Bonner Weihnachtsmarkt. Unser Besuch am Abend fühlte sich unwirklich an, was nicht nur an den Männern in kurzen Hosen lag, die ich dort sah. Wie in besseren Zeiten strömten Menschen in großer Zahl durch die Budengassen und labten sich an Bratwurst, Backfisch und Warmgetränken. Erstmals wieder ohne Corona-Beschränkungen wie Masken, Impf-/Testnachweis und Abstände, als wäre es vorbei. Ich kritisiere das nicht, auch für mich hat die Seuche mittlerweile ihre Bedrohlichkeit weitgehend eingebüßt. Wenngleich mir bewusst ist, dass ich mich jederzeit erneut infizieren kann, nächstes Mal vielleicht mit langfristigen Folgen. Doch scheint mir die Gefahr zurzeit nicht größer, als während der Radfahrt ins Werk von einem Auto angefahren zu werden oder, wenn ich zu Fuß gehe, von einem irren Radfahrer, der während des Rasens durch die Fußgängerzone seine Aufmerksamkeit statt dem Fahrweg lieber dem Datengerät widmet.

Ist das wirklich so schwer?

Samstag: Im Rheinauenpark, durch den ich gelegentlich nach dem Mittagessen eine kleine Runde drehe, fand heute ein „Trauermarsch für die Nutrias“ statt, steht in der Zeitung. Damit will eine Initiative gegen das Abschießen der Tiere protestieren, die sich dort in den letzten Jahren mangels natürlicher Feinden stark vermehren und zunehmend aggressiv-futterfordernd gegenüber Parkbesuchern auftreten, wie mir meine Kollegin aus eigener Erfahrung bestätigte. Statt letaler Entnahme solle man sie sterilisieren, so die Forderung der Trauernden. Wie schön, wenn man keine anderen Probleme hat.

Ich werde alt. Das wurde mir mittags wieder auf dem Weihnachtsmarkt deutlich, wo ich einen bestimmten Stand suchte, den wir am Vorabend gesehen hatten, um auf Geheiß des Geliebten Trinkgefäße zu kaufen. Erst nach mehreren erfolglosen Runden über den Münsterplatz, wo ich mich mit den bereits um diese Tageszeit zahlreichen Besuchern im Tempo eines Gletschers durch die Gänge treiben ließ, fiel mir ein, dass sich der Stand in der Vivatsgasse befindet, wo ich ihn – immerhin – sofort fand und die Bierkrüge erstand.

Zahlreich auch die Kraniche, die nachmittags auf dem Weg Richtung Süden über das Haus zogen.

Nur eine von mehreren Formationen

Sonntag: Über Twitter wollte ich eigentlich nichts mehr schreiben. Einmal noch: Viele beklagen nun dessen Übernahme durch Elon Musk, der dort seitdem wütet und alles aus den Angeln zu heben im Begriff ist. Sie sehen sich dadurch aus ihrer digitalen Heimat vertrieben und beabsichtigen, Twitter zu verlassen oder haben es bereits getan. Als Zufluchtsort wird Mastodon genannt, was für mich weiterhin wie ein Schweinefutterzusatzstoff klingt.

Auch ich fühlte mich einst bei Twitter sehr wohl. Zehn Jahre lang, von 2009 bis 2019, betrieb ich dort einigermaßen – nun ja: erfolgreich ein Konto, hatte zeitweise mehr als tausend Follower. Mit der Zeit schwand die Freude daran, an meinem zehnten Jahrestag löschte ich das Konto. Die Gründe dafür habe ich hier und dort dargelegt. Doch bereits im August 2020 verspürte ich erneut Lust, wieder dabei zu sein, und legte mir einen neuen Anschluss zu. Was ich vorfand, war ein anderes Twitter als das, in dem ich mich früher so wohlgefühlt hatte. Zahlreiche derer, mit denen ich in gegenseitigem Gefolge verbunden war, fand ich wieder und folge ihnen erneut. Nur finde ich keinen Anschluss mehr: Fast keiner von ihnen folgt zurück, und wenn ich was schreibe, bleibt es ohne jede Resonanz. Wie ein Junge, der am Rand steht und den anderen beim Ballspielen zusieht, aber nicht mitspielen darf. Ein schlechtes Beispiel – ich verabscheue Sportarten mit Bällen. Besser dieses: Vielleicht kennen Sie die Szene von und mit Loriot, wo ein älterer Herr an einem Festessen teilnimmt und versucht, mit seinen Tischnachbarn ins Gespräch zu kommen, die sich untereinander bestens unterhalten, ihn jedoch beharrlich ignorieren. – Ich beklage das keineswegs im Sinne von „Keiner hat mich lieb“, bemerke es nur. Deshalb schaue ich nur noch unregelmäßig rein, noch seltener schreibe ich was. Wenn Herr Musk es demnächst stilllegen sollte, ist mir das egal. Mit Mastodon habe ich es bereits vor ein paar Monaten versucht, mich dort aber noch weniger wohl gefühlt. Daher ist das Konto längst wieder gelöscht.

Mit diesem Blog ist es ähnlich, mit dem Unterschied, dass es niemals „erfolgreich“ war und auch nicht sein soll. Dennoch beobachte ich jedes Mal mit einem ganz leicht in Richtung Neid tendierenden Gefühl, wenn in den Blogs, die ich regelmäßig lese, auf andere Blogs verwiesen wird, während das von mir hier Verfasste weitgehend unbeachtet bleibt. Das mag an dessen Qualität liegen, vielleicht weil es weder vegan noch gegendert ist. Wobei andere, die einfach nur täglich ganz knapp schreiben, was sie gegessen, getrunken und gelesen haben, dafür regelmäßig Gefallensbekundungen in zweistelliger Anzahl erhalten. (Die Gefällt-mir-Sternchen für dieses Blog würde ich übrigens gerne deaktivieren, finde die entsprechende Funktion bei WordPress aber nicht. Wenn jemand weiß, wie das geht, wäre ich für einen Hinweis sehr dankbar.) Bitte verstehen Sie auch das nicht als larmoyante Klage gegen die böse Blogwelt, es ist einfach so. Es gibt schlimmeres, zum Beispiel Koriander oder wenn irgendwo von „Mitgliederinnen und Mitgliedern“ zu lesen ist. – Ein paar regelmäßige Leserinnen und Leser gibt es hier, und darüber freue ich mich sehr. Daher wird dieses Blog weiterhin bestehen und regelmäßig beschrieben, selbst wenn Elon Musk irgendwann WordPress kaufen sollte, oder Donald Trump.

Diese Betrachtung ist nun länger geworden und hätte für einen separaten Aufsatz gereicht. Aber das würde dem Thema den Anschein einer Bedeutung verleihen, die es nicht hat.

Zum Schluss was Positives: Beim Spaziergang heute haben zweimal Autofahrer angehalten, um mich die Straße queren zu lassen, obwohl sie es nicht gemusst hätten. Daher nicht immer nur meckern.

Ein zusammenhangloses Bild vom Spaziergang

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Kommen Sie gut durch die Woche, lassen Sie sich nicht ärgern und umfahren.

Gedanken zur Wiedergeburt

Gestern war Totensonntag, der Tag an dem der Weihnachtsmarkt geschlossen bleibt, auf dass Glühwein und Eierpunsch die Menschen nicht davon ablenken, der Endlichkeit allen menschlichen Strebens zu gedenken. Als nur noch rudimentär religiöser Mensch hege ich gewisse Zweifel an der Verheißung des ewigen Lebens, was bei meinem Lebenswandel vermutlich ohnehin nur einen längeren Aufenthalt in einem großen Kessel voller siedendem Öl bedeutete. Insofern erscheint es mir nicht völlig unwahrscheinlich, dass nach dem letzten Atemzug für immer die Lichter erlöschen; den Rest erledigen Würmer und Mikroben oder das Krematorium – Asche zu Asche, Staub zu Staub.

Sollte es mir jedoch vergönnt sein, nach meinem hoffentlich noch fernen Ableben erneut das Licht der Welt zu erblicken, so wüsste ich schon, als was ich es mir wünschte, wobei ich nicht weiß, ob man sich das aussuchen kann. Vielleicht kann man sich ja auf einem himmlischen Amt in eine Liste der freien Stellen auf Erden eintragen, vielleicht wird man auch einfach zugeteilt. So etwas erzählen sie einem ja nicht im Religions- oder Konfirmandenunterricht. Nein, nicht als Millionär, Pop- oder Pornostar, oder als majestetisch über Berg und Tal dahingleitender Adler. Mir genügte ein Dasein als Schwarzer Kellerpilz. Dieser lebt als dunkler Schimmelbelag in den Gewölben alter Weinkeller, wo er von den Winzern sehr geschätzt und keineswegs bekämpft wird, da er einen positiven Einfluss auf das Raumklima und dadurch das Entstehen edler Tropfen nimmt. Ich bräuchte nicht ins Büro zu fahren, mich nicht um sexuelle oder sonstige Abenteuer bemühen, stattdessen klebte ich still an meiner Kellerdecke und ernährte mich von den alkoholischen Ausdünstungen der Fässer. Gut, vom oben erwähnten Licht der Welt sähe ich nicht viel, doch das erscheint mir akzeptabel.

Ab und zu lauschte ich den Worten des Winzers, wenn er Besuchern etwas von Bouquet, Abgang und Aromen von dunklen Früchten und modrigem Leder erzählt, während sie ihm mit zustimmendem Nicken andächtig lauschen. Oder er sagt Sätze wie diesen:
„Für diesen Tropfen wünscht man sich einen Hals wie eine Giraffe, mit einer Wendeltreppe darinnen mit ausgetretenen Stufen, so dass sich Pfützen darin bilden.“

Ja, so ein Leben könnte mir gefallen. Und bis es so weit ist, genieße ich den Wein ganz profan aus einem Glas, beziehungsweise den Glühwein aus einem kitschigen Becher.