Warum Schnauzbärte nicht gut für die Welt sind

Es war  einmal ein demokratisch gewählter Reichskanzler mit einem lächerlichen Schnauzbart. Der wurde immer mächtiger, sein Volk jubelte ihm zu, stand wie eine deutsche Eiche hinter ihm. Und gab es doch Kritiker und Gegner, so ließ er gegen diese mit äußerster Brutalität vorgehen, auch über die Grenzen seines Landes hinaus. Außerdem hatte er eine ganze Bevölkerungsgruppe zum Sündenbock für so ziemlich alles erklärt, worin er für sich die Legitimation sah, ihre Angehörigen massenhaft umzubringen. Vermutlich benutzte er auch so Wörter wie „Säuberung“, womit er gewiss nicht die Beseitigung brauner Flecken aus seiner Unterwäsche meinte. Er hat Millionen Tote auf dem Gewissen. Schließlich führte er, von Größenwahn und Machtsucht besessen, sein Land und die Welt an den Rand des Abgrundes.

Vielleicht müssen mächtige Männer mit Schnauzbart so handeln. Bis in die Gegenwart.

(Ich weiß, man soll solche Vergleiche nicht ziehen, so manche politische Karriere ist deswegen schon durch eine unbedachte Äußerung zerstört worden. Aber hier bin ich Hausherr, hier darf ich das, darf meinen und schreiben was ich will. Und eine politische Karriere strebe ich in absehbarer Zeit nicht an.)

Über Zeit, Shakespeare und Larmoyanz

Es ist an der Zeit, sich Gedanken zur Zeit zu machen. Also nicht Zeit im Sinne von aktuellem Geschehen, zum Beispiel darüber, dass die neue britische Bundeskanzlerin (oder wie die das bei sich nennen) ausgerechnet den lächerlichen Kasper zum Außenminister ernannt hat, der maßgeblich an den Ursachen für das Chaos beteiligt war, in welches das Land gerade zu geraten droht. Lebte Shakespeare noch, würde er daraus vielleicht ein absurdes Drama dichten, über welches man noch in hundert Jahren lachte. Oder weinte, wir werden sehen.

Als Kind glaubte ich, Shakespeare hätte was mit Bier zu tun – Scheek’s Bier, Beck’s Bier, Herforder Pils und wie die alle hießen. Bier war dieses widerlich-bittere Getränk, das mein Vater und die anderen Männer gerne tranken, aber nur, wenn es mit einer ordentlichen Schaumkrone serviert wurde. Papa trank am liebsten Export, das inzwischen auch aus der Zeit gefallen scheint, zumindest ist es mir seit mindestens zwanzig Jahren nirgendwo mehr begegnet. Zu Hause trank er Bier aus der Flasche, das ging dann auch ohne Schaumkrone, Erwachsene waren schon komische Leute. Mit den Worten „Geh Papa mal ein Bier holen“, dieser von Erwachsenen gegenüber Kindern gerne verwendeten dritten Person mit Selbstbezug, schickte er mich in den Keller; meine Frage „Warum ich?“ wurde mit dem unschlagbaren Argument „Du hast die jüngsten Beine“ beantwortet. Heute holen die Väter den Kindern die Getränke, weil die lieben Kleinen dazu viel zu beschäftigt sind mit ihrem Smartphone, außerdem lauert überall die Gefahr. Demnächst übernimmt das dann wohl ein Haushaltsroboter, der von einem im Kindskopf implantierten Chip ein Durstsignal übermittelt bekommt, und schon rollt er zum Kühlschrank und holt ein supergesundes Vitamingetränk aus geschreddertem Brokkoli und Grünalge.

Die Tage las ich einen interessanten Artikel über Transhumanismus, einer Idee, die – stark vereinfacht zusammengefasst – danach strebt, den Menschen mit Hilfe der Technik unsterblich beziehungsweise ihn später durch die Schaffung künstlicher Intelligenz ganz überflüssig zu machen. Darin wird ein gewisser Raymond Kurzweil, Chefingenieur bei Google, zitiert: „Wenn wir die gesamte Materie und Energie des Kosmos mit unserer Intelligenz gesättigt haben, wird das Universum erwachen, bewusst werden und über eine fantastische Intelligenz verfügen.“ Man stelle sich vor: Eine Intelligenz, die tötet, weil Menschen an das falsche oder gar nicht glauben; die alle Vernunft fahren lässt, weil ein paar überbezahlte Werbeträger gegen einen Ball treten; die Helene Fischer huldigt; die Laubbläser, Waschbeton oder Wörter wie ‚Migrationshintergrund‘ oder ‚Doppelhaushälfte‘ erfindet; die einfachste Zusammenhänge nur versteht, wenn sie in einer aufgeblasenen Powerpoint-Präsentation dargestellt sind; die Menschen dazu zwingt, kleine Monster mit einem kleinen Bildschirm zu fangen und sie dabei vor die Straßenbahn rennen lässt. Die Individuen hervorbringt, die der festen Überzeugung sind, Barcodes aller Art würden in negativer Weise Energie bündeln, der nur durch einen dünnen Querbalken Einhalt geboten werden könne, woraufhin manche Unternehmen die Barcodes auf ihren Produkten in vorgenannter Weise entschärfen, um erstgenannte zu besänftigen, worüber sich wiederum andere Individuen in sozialen Hetzwerken empören. Ich bin mir sicher, spätestens in dem Moment, da diese Intelligenz den letzten Mond des allerletzten Planeten am äußersten Rand des Universums erreicht hat, spätestens dann fällt es mit dem Geräusch eines gigantischen Furzes in sich zusammen und schrumpft innerhalb von Sekunden auf die Größe eines Stecknadelkopfes. Und die galaktische Uhr steht wieder auf null Uhr null.

Was ist Zeit? Eine Frage, die nicht nur Udo Jürgens (es war doch Udo Jürgens?) in der Titelmusik einer Zeichentrickserie der Achtziger stellte, sondern mit der sich seit frühester Zeit Philosophen beschäftigen. Obschon ich weder Philosoph noch Udo Jürgens bin, versuche ich, es so zu beantworten: Zeit ist das, was a) wahnsinnig langsam oder b) wahnsinnig schnell vergeht und c) wovon die meisten viel zu wenig haben.

Zu a): Sie stehen an der Bushaltestelle, es ist kalt und es regnet, Sie haben ihren Schirm vergessen und es gibt keinen Unterstand. Ein Kollege labert Sie voll mit Dingen, die Sie nicht interessieren (sein Auto, seine Kinder, sein Urlaub, sein Projekt…) und der Bus kommt erst in zehn Minuten.

Zu b): Wann war nochmal dieser geile Sommer mit Sonne und Hitze von Mai bis September? Was, 2003, schon dreizehn Jahre her?

Zu c): Ich habe einen Job mit klassischem Achtstundentag, mit Hin- und Rückweg ungefähr neun Stunden, mal etwas mehr, manchmal auch weniger. Acht Stunden schlafe ich, versuche ich jedenfalls. Also nicht im Büro, das fiele wahrscheinlich irgendwann auf, sondern überwiegend nachts. Bleiben rein rechnerisch sieben Stunden Freizeit täglich, zuzüglich Wochenenden und sechs Wochen Urlaub. Die Natur schenkte mir keine Kinder, worüber ich keineswegs unglücklich bin, muss ich doch niemanden zur Schule, zur Yogastunde, zum Rhönradtraining oder zum Triangel-Unterricht bringen oder vegan-vitaminreiche Getränke aus dem Kühlschrank holen oder rund um die Uhr belustigen (der Liebste und der Geliebte sind in dieser Hinsicht erfreulich anspruchslos). Immer wieder frage ich mich: Wie schaffen Eltern das? Zudem hat die Natur es so eingerichtet, dass sie in alledem nicht nur eine lästige Pflicht sehen, sondern das größte denkbare Glück. Respekt, liebe Natur!

Außerdem schaue ich kaum Fernsehen, Youtube, -porn oder irgendwelche Serien aus dem Netz, ich habe kein Facebook-Konto und Twitter spielt keine nennenswerte Rolle mehr. Ich müsste also genug Zeit haben. Dennoch könnte ich eine lange Liste schreiben mit all den Dingen, zu denen ich einfach nicht oder viel zu selten komme, hier eine spontane Auswahl:

  • Den Bestseller endlich weiterschreiben oder überhaupt erstmal richtig anfangen. Oder wenigstens eine bestsellerverdächtige Idee haben.
  • Mich mit alten Freunden von früher treffen. Aber die wohnen ja alle sonstwo, in Bielefeld zum Beispiel.
  • Die Bücher lesen, die ich gekauft habe, oder bereits gelesene und für gut befundene nochmal lesen.
  • Mal wieder einen Nachmittag an meinem Lieblingsplatz am Rhein verbringen.
  • Mit meiner Modelleisenbahn spielen (ja ich habe eine, dazu stehe ich).
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  • Endlich meine Schreibtischschublade ausmisten.
  • Zeitig ins Bett gehen. (Im Urlaub klappt das komischerweise.)
  • Mich ohne Anlass in einen Bus setzten, in dessen Zielanzeige eines dieser Bonner Außendörfer steht, wo ich noch nie war, bis zur Endhaltestelle fahren und gleich wieder zurück. Oder etwas verweilen, sollte es dort schön sein.
  • Einen vielbeachteten Artikel für Bundesstadt.com schreiben.

Leider fehlt mir die Zeit, diese Liste auch nur halbwegs zu vervollständigen.

Einer dieser neuzeitlichen Begriffe ist ‚Quality Time‘, also Zeit, die man als positiv erfüllt empfindet, weil man sie genau so verbringt, wie es richtig erscheint, ohne äußere Zwänge und Verpflichtungen. Bei aller Larmoyanz (dieses Wort musste ich aufgrund meiner Unsicherheit über die Schreibweise im Duden nachschlagen, was mich auch wieder Zeit gekostet hat) vorstehender Zeilen erlebe ich durchaus Momente dieser Qualitätszeit. Zum Beispiel das Notieren vorstehender Überlegungen bei einem Glas Rosé. Da es schon spät ist und ich Ihnen eine weitere Liste ersparen möchte, belasse ich es dabei.

Schlussbemerkung: Wenig Verständnis habe ich für das menschliche Bestreben, sich die Zeit zu vertreiben.

Über alte Häuser, frische Erbsen und den Rechtsstaat

Schon immer erfüllte es mich mit großem Unbehagen, zuzuschauen, wenn ein Bagger ein altes Haus in einen Haufen Schutt verwandelt. Als Kind beobachtete ich, wie nahe meinem Elternhaus Bauernhäuser mitsamt altem Baumbestand drumherum dem Erdboden gleichgemacht wurden, um Platz zu schaffen für seelenlose Mehrfamilienhäuser, die alle gleich aussahen, oder, schlimmer, für ein an Hässlichkeit nicht zu überbietendes Einkaufszentrum in Waschbeton-Optik und Parkplätze. Dabei dachte und denke ich an die Mühe, die sich Menschen einst gemacht hatten, diese Häuser zu bauen, und an die Menschen, die einst darin lebten und denen der Bagger jetzt vielleicht die Heimat zerstörte.

Besonders nahe ging mir, obwohl ich nicht persönlich dabei war, der Abriss des Hauses meiner Großeltern, ein altes Bahnwärterhaus auf dem Land in der Nähe von Göttingen. Die Bundesbahn, der es gehörte, wollte es so. Für mich wurde damit ein kleines Paradies zerstört, in welchem ich einige der schönsten Zeiten meiner Kindheit verbracht hatte: das Haus, das ehemalige Stallgebäude, die Schuppen, der Gemüsegarten – Bahnbedienstete auf dem Land waren früher Selbstversorger. Hinter dem Haus die Bahnstrecke mit den Schranken, die sich nur noch wenige Male am Tag bimmelnd senkten; es gab immer was Neues zu entdecken, zum Beispiel den wunderbaren Geschmack frisch gepflückter Erbsen. Und die Katzen, die sich im Wesentlichen von selbstgefangenen Mäusen ernährten und den Resten vom Mittagessen, die Oma ihnen auf einen Teller kratzte. Ins Haus duften die nicht.

Meine Großeltern dürften die bahnamtliche Abrissentscheidung indes nicht ganz so bedauert haben: Die Wohnung, die sie danach bezogen, verfügte über ein Bad und Zentralheizung, wohingegen sie im alten Haus zum Heizen und Kochen Holz hacken und schleppen mussten, und zum Baden wurde einmal in der Woche der Waschkessel in der Waschküche – natürlich ebenfalls mit Holz – angeheizt; gebadet wurde dann in einer langen Zinkwanne. Aus heutiger Wohlfühlbürgersicht unvorstellbar, als Kind störte es mich nicht: Mindestens einmal täglich zu duschen war noch nicht üblich, und immerhin musste man seit dem Anbau bei nächtlichem Harndrang nicht mehr über den Hof ins Stallgebäude, wo sich ein klassischer ‚Donnerbalken‘ befand. (Opa hatte wegen seines Hüftschadens immer einen Nachttopf unter dem Bett stehen, den er dann morgens in weitem Schwall aus dem Fenster in Richtung Kartoffelacker entleerte. Unmittelbar unter dem Fenster befand sich der Sandkasten für uns Kinder, doch hinterließen die Morgenschauer bei uns keine erkennbaren bleibenden Schäden. Zudem bestand keine unmittelbare Gefahr, da Opa immer sehr früh aufstand.)

Blog-Rischenkrug

Sind oben genannte Betrachtungen womöglich von einer naiv-romantischen Verklärtheit gefärbt – zumeist gibt es gute und nachvollziehbare Gründe, ein altes Haus abzureißen – so erfüllt mich eine andere Ausprägung dieses Themas immer wieder mit Fassungslosigkeit und Wut. Zum ersten Mal erlebte ich es in den Siebzigern, als ich mit meinem Onkel, der damals mit Familie in Hamburg wohnte, durch Alterwerder fuhr, ein schönes, geradezu idyllisches Dorf mit alten Ziegelhäusern. Nur noch wenige davon waren bewohnt, denn Altenwerder war komplett dem Abriss geweiht für die Erweiterung des Hamburger Hafens.

Dieselbe Wut überkommt mich noch heute, wenn ich Berichte aus dem rheinischen Braunkohlerevier sehe, wo seit Jahrzehnten alte, gewachsene Dörfer plattgemacht werden, um die darunter lagernde Braunkohle abbauen zu können. Die Bewohner werden umgesiedelt in schmucklose Neubausiedlungen; wer nicht freiwillig geht, wird enteignet, Allgemeinwohl geht vor Eigentum. Allgemeinwohl? Wohl eher das Wohl von RWE. Niemand soll ernsthaft behaupten, bei uns gingen die Lichter aus, bliebe die verrottete Blumenerde wo sie ist. „Denk doch an die Arbeitsplätze!“ höre ich sie rufen. Ja ja, die Arbeitsplätze, damit lässt sich so ziemlich alles rechtfertigen, sogar die Rüstungsindustrie und schlimmeres.

Wie mag es sich anfühlen, wenn man von einem Konzern aus seinem Dorf vertrieben wird, in dem man aufgewachsen ist, das man als seine Heimat ansieht? Dies ist einer der wirklich seltenen Momente, in denen mir Zweifel an unserem Rechtsstaat kommen. Aber vielleicht empfinden es ja auch einige der Zwangsumgesiedelten als Verbesserung, von einem mehr als hundert Jahre alten Haus in einen Neubau mit Wärmedämmung und Solaranlage zu ziehen.

Auch in meiner geliebten Wahlheimat Bonn wurden und werden Häuser abgerissen. Eines der traurigsten Kapitel ist wohl die Godesberger Altstadt, welche in den Sechzigern plattgemacht wurde, um Platz zu machen für eine Betonwüste, die heute für Leerstand und Jugendkriminalität bekannt ist. Ein ähnliches Schicksal sollte die Bonner Südstadt einst ereilen, heute eines der größten deutschen Stadtviertel mit zusammenhängender Gründerzeit-Bebauung und zugleich Bonns wohl teuerste Wohngegend. (Ja, liebe Godesberger, euer Villenviertel ist auch sehr schön.)

Nicht so recht verstehen kann ich indes – zumindest aus städtebaulich-architektonischem Blickwinkel – das Geschrei, das zurzeit um das sogenannte Viktoriakarree in der Innenstadt gemacht wird, an dem für meinen Geschmack nichts Schönes ist. Ganz in der Nähe davon wird zurzeit ein großes Geschäfts- und Bürohaus abgerissen, dem unter ästhetischen Aspekten ebenfalls keine Träne nachzuweinen ist, trotz aller Mühen, die sein Bau damals verursacht haben mag. Das gleiche Schicksal soll demnächst auch die ungeliebte ‚Südüberbauung‘ gegenüber vom Hauptbahnhof ereilen.

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Zahlreiche alte Häuser mussten seinerzeit auch weichen für das Bonner Stadthaus. Mittlerweile ist es selbst in die Jahre gekommen und bedarf dringend der Sanierung. Würde es – womit in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist – eines schönen Tages gesprengt, so säße ich in der ersten Reihe und würde applaudieren, trotz aller Mühen.

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Fundsache: Über obdachlose Schnecken

Beginnen möchte ich meine heutigen Ausführungen mit etwas Lyrik:

Sekundäre Geschlechtsmerkmale
Das erste Schamhaar wuchs mit Stolz,

herbeigesehnt vom Knaben.
Heut‘ steht als Mann er früh heut‘ im Bad,
den Beutel blankzuschaben.

Nicht zum ersten Mal* beklage ich das zweifelhafte Verlangen junger Männer, jeder Form von Körperbehaarung mit Klinge, Wachs, Flamme oder gar operativem Eingriff zu Leibe zu rücken. Eher zufällig stieß ich vor kurzem auf einen wunderbaren Aufsatz ** von Paul Kranz über diese Unsitte, welchen ich Ihnen hier gerne zur Kenntnis geben möchte.

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Dem ist nichts mehr hinzuzufügen, außer dem Ausdruck der Hoffnung auf ein Ende dieser Mode.


* zum Beispiel hier und hier

** und zwar in Centaur, dem Kundenmagazin des Drogereristen Rossmann