Woche 29/2021: Hellbier unter freiem Himmel

Montag: Ich glaube, ich bin ein sehr bequemer Mensch, leider auch in diesen Zeiten, wo Anpacker und Macher besonders gefragt sind. Während ich mich dessen geißele und es notiere, frage ich mich: Geht das überhaupt? Ein Sessel kann bequem sein, ein Bett sowieso, ein Stuhl, mit gewissen Abstrichen sogar ein Bürostuhl, auch eine Haltung. Aber ein Mensch?

Recht unbequem könnte es dagegen schon bald wieder in England werden, wo trotz zahlreicher Neuinfektionen um Mitternacht der „Tag der Freiheit“ begrüßt wurde, damit einhergehend die Aufhebung aller Pandemiebeschränkungen, volle Clubs, fröhlich feiernde Massen, demonstrativ zerrissene Schutzmasken.

Ganz anders dagegen in Südkorea, wo das Abspielen den Liedes „Gangnam Style“ in Fitnessstudios verboten wurde, weil dessen Tempo die Viren allzu sehr zum Tanzen und somit zur weiteren Verbreitung animieren könnte. Mal sehen, welches Konzept erfolgreicher ist.

Dienstag: „Sirenen sind old fashion“, sagte morgens der Mann im Radio. Zum Heulen. Wer hat den eingestellt?

„Das Ziel ist der Weg“, sagte einer in der Besprechung; darüber gelegentlich nachzudenken lohnt sich vielleicht. Ob Jeff Bezos heute ähnliches trieb, ist nicht überliefert, auf jeden Fall ein Teufelskerl: in nur elf Minuten bis an den Rand des Universums und wieder zurück. Wobei es sich eher nicht lohnt, darüber nachzudenken, was das gekostet haben mag und wofür man das Geld stattdessen besser verwendet haben könnte. War ja seins.

(SPIEGEL)

Mittwoch: Der Kollege bat um Verständnis, weil die von ihm angesetzte Besprechung auf eine Stunde verkürzt wurde. Hatte ich, volles sogar.

Ein volles Helles gab es abends im Biergarten, und weil wir gerade dort waren, danach gleich noch eins. So langsam muss ich mich ja wieder an andere Menschen gewöhnen, und wer weiß, wie lange es noch Hellbier unter freiem Himmel gibt, ehe wegen der menschlichen Vernunft wieder alles schließen muss.

Donnerstag: Von Wahlwerbung verstehen die was bei Volt.

(Hinweis: Das Bild wurde geringfügig bearbeitet.)

Freitag: Heute sah ich wieder so einen, dem ich gerne zurufen wollte: „Das Universum schenkte dir so schöne Beine. Warum musstest du sie so hässlich tätowieren lassen?“

Nachmittags erhielt ich eine Einladung zu einem kurzen Connect. Demnächst auf der Liste.

Alfred Biolek ist tot. Möge er in Frieden ruhen. Durch ihn lernte ich das schöne Wort „Küchenwein“.

Samstag: Die PSYCHOLOGIE HEUTE stellt ein Buch mit dem Titel „Die Kunst des Ausruhens“ vor. Scheint interessant, vielleicht sollte ich es auf die Buchbeschaffungsliste setzen. Nicht, weil ich es bräuchte, aber es gibt ja nichts, was sich nicht noch perfektionieren ließe.

Sonntag: Hochwasser mit Zerstörungen und Toten an der Ahr gab es auch 1910, wovon dieser Bericht aus dem Jahre 2010 zeugt. Er endet so: „Vergleichbare Wasserstände hätten heute aufgrund der größeren Siedlungsdichte vermutlich noch weitaus höhere Überflutungen mit nicht absehbaren Schäden zur Folge.“ Leider ja.

Kommen Sie gut durch die neue Woche!

Woche 28/2021: Dieses Mal hatten wir Glück

Montag: Am Beginn der neuen Arbeitswoche war nicht allzu viel auszusetzen – Umfang und Dringlichkeit der anstehenden Aufgaben waren in etwa deckungsgleich mit meiner Motivation.

Mittags gabs was Fleischloses und einen Spaziergang durch den Rheinauenpark, wo jemand noch auf sein Mittagsmahl lauerte.

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https://twitter.com/zaasten/status/1414529045925072896?s=21

Dienstag: Tief Bernd ist da, die Wetterdienste warnten den Westen vor heftigem Dauerregen mindestens bis Donnerstag. Daher schien es mir angezeigt, das Fahrrad Fahrrad sein zu lassen und nach Monaten mal wieder mit der Bahn ins Werk zu fahren. In der Tat hatte es am frühen Morgen stark geregnet; als ich das Haus verließ, fielen indes nur wenige Resttropfen auf den Schirm. Die Bahn war pünktlich und nicht allzu voll besetzt, alle außer mir waren mit ihren Datengeräten beschäftigt. Nächster Halt: Hauptbahnhof. Auf dem Nebengleis stand ein Zug derselben Linie in dieselbe Richtung, vielleicht war ich der einzige, dem das auffiel, da alle anderen, siehe oben, mit ihren Geräten beschäftigt waren. So standen wir eine Weile nebeneinander und warteten. Irgendwann bellte der Fahrer in unseren Wagen: „Endstation, aussteigen!“ – leider erst, nachdem der leidgeprüfte Pendler zuschauen konnte, wie der Ersatzzug auf dem Nebengleis abfuhr. Niemand meckerte, vielmehr glaubte ich, hinter den Masken so etwas wie Resignation auszumachen.

Der angekündigte Regen blieb übrigens tagsüber weitgehend aus, jedenfalls hier in Bonn. Erst am späteren Abend, da ich diese Zeilen notierte, hatte Bernd den Hahn wieder ordentlich aufgedreht und die Aussicht auf eine weitere, möglicherweise störungsfreiere Bahnfahrt morgen genährt.

Mittwoch: Nachdem es am Morgen zunächst nur leicht tröpfelte, nahm ich doch das Fahrrad, um ins Werk zu gelangen. Das war ein Fehler – bereits nach wenigen hundert Metern erwachte Bernd und ergoss sich bis zum Abend, was er gestern aufgespart hatte. Zurück dann doch mit der Bahn, mit trockenem Sitzplatz und ohne besondere Vorkommnisse.

Aus der wöchentlichen Kolumne von Kurt Kister:

„Ob er [Elton John] tatsächlich auftritt, wissen natürlich nur die Götter, respektive jene Mächte, die Corona geschickt haben und möglicherweise schon jetzt die vierte (oder ist es die fünfte?) Welle vorbereiten. Boris Johnson gehört mutmaßlich zu diesen Mächten. Überhaupt sollte man mal untersuchen, ob Johnson nicht einem Labor in Wuhan entstammt.“

Donnerstag: Am Morgen nach Bernd führte der Rhein nicht nur Hochwasser, sondern auch große Mengen Treibholz und anders Zeugs mit sich, wie ich es niemals zuvor gesehen hatte. „Stundenlange Regenfälle, die zum späten Nachmittag hin immer stärker wurden, haben in Bonn und der Region zu schwierigen Situationen geführt“, hatte ich zuvor beim ersten Morgenkaffee im General-Anzeiger gelesen.

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Mittags schien schon wieder die Sonne und die Welt, bis auf den üblichen Wahnsinn, einigermaßen in Ordnung. Als in Medienkonsumgewohnheiten eher traditionell veranlagter Mensch, der Nachrichten überwiegend auf klassische Weise aus der Zeitung und dem Fernsehen erfährt, hatte ich tagsüber nicht mitbekommen, welche Katastrophe sich hinter den „schwierigen Situationen“ verbirgt. Erst durch die Fernsehbilder und Meldungen am Abend von den Zerstörungen, Toten, Verletzten und Vermissten im Ahrtal, im Kreis Euskirchen, im Rhein-Erft-Kreis und anderswo nicht weit von Bonn entfernt weiß ich: Bonn hat riesiges Glück gehabt.

Freitag: Noch immer bin ich fassungslos von den Ereignissen in der näheren Umgebung. Dieses Mal hatten wir Glück. Schon beim nächsten Mal trifft es vielleicht uns mit voller Wucht. Eine der zahlreichen Fragen, auf die ich keine Antwort weiß, lautet: Was würde ich tun, wenn wir durch eine solche Katastrophe alles verlören? Ich weiß nur, was nicht: mich vor den Trümmern unseres Hauses von einem Reporter befragen lassen, weil ich fürchte, komplett auszurasten, wenn er mich fragt „Was macht das mit Ihnen?“

Samstag: Der Bundes- und der Ministerpräsident besuchten das besonders hart getroffene Erftstadt-Blessem, um sich ein Bild von der Lage zu machen und warme Worte zu spenden. Gestern las ich beim SPIEGEL, auch Horst Seehofer habe der Region seinen Besuch angedroht. Als wäre das alles nicht auch so schon schlimm genug.

Sonntag: Während ich mich sonntäglicher Muße hingebe, erinnern die Stadt überfliegende Hubschrauber daran, dass im Ahrtal noch immer Vermisste gesucht und hoffentlich gerettet werden.

In diesem Zusammenhang ist immer noch von „Jahrhundertflut“ zu hören und lesen. Die diesem Wort innewohnende Hoffnung, für die nächsten hundert Jahre von solchen Ereignissen verschont zu bleiben, erscheint ein bisschen naiv.

Trotz allem wünsche ich Ihnen eine angenehme neue Woche und, sollten Sie von den Ereignissen selbst betroffen sein, viel Kraft und alles Gute!

Woche 27/2021: Einhändig mit links

Montag: Den allseits beliebten Begriff „Nachhaltigkeit“, seit längerem durch übermäßigen Gebrauch bis zur Unkenntlichkeit abgenutzt, sah ich heute in einer internen Mitteilung ergänzt um das Attribut „sozial“. Seitdem denke ich darüber nach, was das sein könnte, soziale Nachhaltigkeit, komme aber zu keinem schlüssigen Ergebnis.

Absolut schlüssig dagegen die Assoziation, die Frau Kraulquappe mit dem Wort „Impfschwänzer“ verknüpft: nicht Menschen, die aus Urlaubs- oder anderen Gründen der Nadel fernbleiben, sondern ein skorpionähnliches Schalentier. Hierüber musste ich bis zum Abend und noch ein wenig darüber hinaus immer wieder grinsen.

Während Skorpione innerhalb wohnlicher Behaglichkeit nicht gern gesehen werden, sind Hunde als Hausgenossen weitgehend akzeptiert und beliebt. Dalmatiner etwa. Einen solchen sah ich heute beim mittäglichen Kurzspaziergang, und sofort musste ich wieder an diesen blöden Witz denken („Sammeln Sie Punkte?“) – das wird wohl nicht mehr weggehen.

Abends auf der Fahrt vom Werk sah ich erstmals nach Monaten wieder sich stauende Autos auf der Straße, die zur Autobahn führt. Da haben sie ihre scheiß Normalität wieder, ob sie nun zufrieden sind?

Heute ist der fünfte des Monats, somit Tag der brüllenschen Blogaktion #WMDEDGT, für Nichtwissende: „Was Machst Du Eigentlich Den Ganzen Tag?“ Und also machte auch ich mir tagsüber fleißig Notizen über die wesentlichen Verrichtungen, musste abends jedoch feststellen, diese waren derart uninteressant, dass ich Ihnen und mir den ausführlichen Bericht erspare.

Dienstag: Eine nach längerer Zeit mal wieder genutzte Automatik-Uhr ist über Nacht stehen geblieben. Vermutlich ist diese Technik nicht kompatibel mit der Dynamik und den täglichen Bewegungsabläufen eines Beamten.

Noch weniger kompatibel ist meine Vorstellung von Vernunft mit den Vorgängen in England. Ich fasse zusammen: 1) Die Inzidenz ist dort wegen „Delta“ auf über zweihundert gestiegen. 2) Heute wird im Wembley-Stadion vor sechzigtausend Zuschauern Fußball gespielt. 3) Ab morgen fallen bei uns Einreisebeschränkungen aus England weg. 4) Ab dem 19. Juli werden in England alle Corona-Beschränkungen aufgehoben. – Habe ich das alles richtig verstanden?

Mittwoch: Laut Zeitung ist in Bonn die Geburtenrate gestiegen. Das überrascht, vielmehr hätte ich erwartet, die Leute würden nach Monaten, während derer sie ihre lieben Kids Tag und Nacht um sich hatten, sie beschulen und bespaßen mussten, von weiterer Nachzucht Abstand nehmen.

Von Ab- zu fehlendem Anstand: Manchmal kann ich einfach nicht daran vorbeigehen, ohne es zu fotografieren. Wussten Sie, dass eine weggeworfene Zigarettenkippe vierzig Liter Trinkwasser verschmutzen kann?

(Erst der Fotofilter mit der Bezeichnung „Strahlend“ bringt es richtig zur Geltung)

Doch gab es am Abend auch erfreulichere Anblicke:

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Donnerstag: Wie man mir mitteilt, wurde mein Arbeitsplatzrechner „für ein Upgrade nominiert“. Ich fühle mich geehrt.

Gelesen hier: „… das sich in seinen geschickten Händen bewegte wie ein gut geölter Zitronenfalter.“ Ich möchte nicht altklug erscheinen, doch liege ich vielleicht nicht völlig verkehrt in der Annahme, wenn man einen Zitronenfalter ölt, egal ob gut oder schlecht, wird der sich anschließend kein Stück mehr bewegen. (Nachtrag: inzwischen vom Autor geändert.)

Freitag: „Ich habe hier gerade so viel Input, dass es etwas überläuft“, sagte einer in der Besprechung. Das sind exakt doppelt so viele Silben wie im Satz „Da bin ich noch nicht zu gekommen“. Kein Wunder, wenn da was überläuft.

Ansonsten endete eine weitere aufreibende Arbeitswoche.

(Bitte verzeihen Sie die mangelhafte Bildqualität – einhändig mit links zu fotografieren muss ich noch üben.)

Samstag: Der Geliebte erfährt zunehmendes Unbehagen bei der Begegnung mit anderen Menschen, größeren Ansammlungen gar. Wer ihm etwa beim Bäcker näher als zwei Meter zu Leibe rückt, wird in aller Deutlichkeit und ohne Ansehen der Person verbellt. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, geht es mir doch ähnlich. Der Unterschied: Bei mir war das schon früher so, lange vor diesem C.

Die Liste wurde fortgeschrieben. In dem Zusammenhang sei die Lektüre dieses Buches und diese mir freundlicherweise zugesandte Szene empfohlen:

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Sonntag: Die örtliche Volt-Partei ist zu loben. Nicht, weil sie ein vereinigtes Europa will – ja, deswegen auch, gerade in diesen Zeiten, da die nach mehr Nationalstaatlichkeit rufenden Stimmen zunehmend lauter werden -, sondern weil sie übrig gebliebene Wahlplakate der letzten Kommunalwahl wiederverwendet für die bevorstehende Bundestagswahl. Vielleicht ist das praktizierte soziale Nachhaltigkeit.

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Auf einem anderen Plakat derselben Partei steht übrigens „Nachhaltig bauen wie in Barcelona“. Was auch immer das bedeutet.

Als ich nachmittags im Café um die Ecke Kuchen für die Lieben und mich holte, wurde ich Zeuge einer Kakaobestellung: heller Kakao, ohne Mich, dafür auf Wasserbasis, mit Sahne, to go. Jeder ist auf seine eigene Weise seltsam.

Augenscheinlich ist heute internationaler Stell-deine-Waschmaschine-raus-Tag. Das sagt einem ja wieder keiner.

Woche 26/2021: Delfine mit rauer Fantasie

Montag: Schlecht geschlafen in der vergangenen Nacht mit vielen Unterbrechungen und Wachphasen. Immerhin: Soweit ich mich erinnere, setzte sich der Traum, oder zumindest Elemente daraus, nach jedem Einschlafen fort. Dennoch war am Morgen nach dem Aufstehen jede Erinnerung an den Inhalt verflogen.

Werksgedanken: Gerade am ersten Arbeitstag nach zwei Wochen vergnüglicher Muße erscheint dieses Prinzip „Arbeiten um zu leben“ zunehmend zweifelhaft. Viel mehr gibt es zum heutigen Tag nicht anzumerken, keine nennenswerten Imponderabilien im Mailpostfach, immerhin. Da auch am Abend nichts zu Verpassendes anstand, ging ich früh zu Bett.

Dienstag: Was die Tageslaune heute nur unwesentlich hob. Kennen Sie das, wenn Sie nichts hören, noch viel weniger sprechen möchten, einfach fast alles nur nervt? So ein Tag war heute. Mittags ein Lichtblick in Form von Käsespätzle mit Röstzwiebeln an Froschlaich am Froschteich hinter dem Mutterhaus, leider nur von kurzer Dauer; bereits um zwölf Uhr war ich eingeladen zum nächsten Hören und (zum Glück nur wenig) Sprechen.

Letzter Arbeitstag einer sehr geschätzten Kollegin vor ihrem halbjährigen „Sabbatical“, wer auch immer auf dieses grandiose Wort gekommen sein mag. Sie dürfen gerne raten, wer für diese Zeit in ihrer Mail-Abwesenheitsnachricht als Ansprechpartner angegeben ist.

Immerhin: Durch das Ausscheiden der deutschen Mannschaft gegen England bei der Fußball-Europameisterschaft herrschte abends auf den Straßen erfreuliche Ruhe.

Mittwoch: Heute endet die sogenannte „Bundesnotbremse“, somit auch die grundsätzliche Pflicht zur Heimarbeit, wenn es die Tätigkeit erlaubt. Ich habe die ganze Zeit nur zweimal zu Hause gearbeitet, obwohl auch bei mir Heimarbeit ohne Weiteres möglich wäre. Weil ich es nicht will und nicht muss, dafür bin ich meinem Chef sehr dankbar. Was ich nicht verstehe: Wenn Leute sagen, zu Hause würden sie viel mehr und länger arbeiten als im Büro. Warum tun sie das? Was ist so schwer daran, zur gegeben Zeit Feierabend zu machen und den Rechner am Wochenende ruhen zu lassen?

Seit etwa zwei Tagen habe ich raue Lippen. (Noch immer erscheint es mir gewöhnungsbedürftig, „rau“ statt „rauh“ zu schreiben und lesen, ähnlich ergeht es mir mit „Fantasie“. Nicht so hingegen bei „Delfin“ und „dass“.) Der Grund der Rauh(h)eit bleibt im Dunkel – keinesfalls habe ich mir den Mund fusselig geredet. Siehe auch den Eintrag von gestern.

Von Rechtschreib- zu einer anderen Reform: Die Bonner Stadtverwaltung hat ihren Mitarbeitern den Gebrauch gendergerechter Sprache verordnet. Dazu kommentiert der General-Anzeiger: „Eine liberale und tolerante Geisteshaltung zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie abweichende Sichtweisen, Standpunkte – und eben auch eine andere Wortwahl – bis zur Grenze des Erträglichen akzeptiert. […] Allein die Möglichkeit, sich für bestimmte Formulierungen rechtfertigen zu müssen, baut auf subtile Weise genug moralisierenden Druck auf, um ein Klima des Misstrauens zu erzeugen.“ – Das kann man natürlich völlig anders sehen („Sprache erzeugt Wirklichkeit“ und so weiter), muss man aber nicht. Jedenfalls freue ich mich schon auf die Leserbriefe dazu.

„Wir haben da kein Hick up“ hörte ich in einer Besprechung und bekam spontan einen Schluckauf.

Donnerstag: Heute vor fünfundzwanzig Jahren wurde die Rechtschreibreform beschlossen. Ein Vierteljahrhundert Delfine mit rauer Fantasie.

Abends wurde mir aufgetragen, auf dem Heimweg Brötchen mitzubringen. Kurz bevor ich in der Bäckerei an der Reihe (warum schreibt man nicht „Reie“?) war, bemerkte ich, dass sich der Reißverschluss der Regenjacke im Futter festgefahren hatte. Um an das Portmonee (bis zum 30.6.1996: Portemonnaie) zu gelangen, das sich in der ebenfalls mit einem Reißverschluss verschlossenen Innentasche der inneren Jacke befand, waren einige mit unausgesprochenen Flüchen verbundene ungelenke Verrenkungen erforderlich. Das muss ziemlich lustig ausgesehen haben.

Freitag: Die ersten Leserbriefe zur städtischen Genderverordnung, acht an der Zahl, davon immerhin einer von einer Leserin, die da schreibt: »Als Frau fühle ich mich mit Gendersternchen als „innen-Anhängsel“ mehr diskriminiert als mit dem generischen Maskulinum.«

Wie ich ansonsten aus sicherer Quelle weiß, bin ich nicht der einzige, der sich darüber freut, dass schon wieder Freitag ist.

Samstag: Erstmals hörte ich das Wort „Kreuzimpfung“, das zu blasphemischen Betrachtungen anregt. Leider blieb ich diesbezüglich von der Muse ungeküsst, daher belasse ich es dabei.

Sonntag: In der Sonntagszeitung las ich das Wort „Arbeitnehmende“ als genderkorrekte Bezeichnung für Lohnsklaven. Das überzeugt mich genauso wenig wie die Ausgangsform „Arbeitnehmer“, da es ebenso uneindeutig bleibt – Wer „nimmt“ (beziehungsweise „gibt“) die Arbeit: wer sie ausführt oder wer dafür bezahlt?

Ich wünsche Ihnen eine angenehme, nicht allzu arbeitsreiche Woche – ob gegeben oder genommen.