Sinnlos

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Eines Montags gegen elf Uhr erkannte K: Er hatte einen völlig sinnlosen Job. Also nicht sinnlos im Sinne von unnütz für ihn selbst, das nicht, denn für das, was er machte, zahlten sie ihm viel Geld, viel mehr als den zahlreichen Kollegen, die täglich draußen an der Kundenfront die Stellung hielten und durch ihre wahrlich harte Arbeit das Geld – somit auch Ks Gehalt – verdienten. Das war schon absurd, nicht nur in seiner Firma, sondern generell überall: Diejenigen, die durch ihre Arbeit den wichtigsten Beitrag zum Erfolg des Unternehmens und zum Gemeinwohl leisteten, bekamen dafür das geringste Gehalt. Sein Job hingegen war sinnlos in Bezug auf seinen Beitrag zum Wohl des Unternehmens oder gar der Allgemeinheit. Wäre K tot umgefallen, hätte das kein Kunde bemerkt, und der Jahresabschluss hätte nicht einen Cent weniger an Gewinn ausgewiesen.

Er schaute von morgens bis abends auf einen Bildschirm und beschäftigte sich mit völlig sinnlosen Dingen: Dokumente und Konzepte verfassen, die niemand las, die bestenfalls irgendwo abgelegt wurden, bevor sie dem Vergessen, Vernichten oder der Löschung anheim fielen. Regelungen und Prozessbeschreibungen erstellen, an die sich niemand hielt, schon gar nicht die, die sein Gehalt verdienten, siehe oben. Powerpoint-Präsentationen anfertigen, deren aufwändige Gestaltung mit Grafiken und bunten Bildern in umgekehrt proportionalem Verhältnis zu ihrem Inhalt stand. (Überhaupt Powerpoint – die Pest der Geschäftskommunikation). Nutzenberechnungen aufstellen, die allenfalls in der Theorie eine positive Wirkung entfalteten. IT-Anträge, -Formulare und Verantwortungsübernahmeerklärungen ausfüllen, die vollkommen nutzlos waren.

Und immer wieder: Besprechungen, nicht selten mit Menschen, deren Gehabe und Business-Geschwafel er zutiefst verachtete, genauso wie die Männer in schwarzen Anzügen, die morgens mit ihren lächerlichen Aktenrollkoffern und Headsets oder Telefon am Ohr im Taxi vorfuhren; Dienstreisen ohne erkennbaren Sinn und Zweck; E-Mails, Telefongespräche; Projekte, die erst mit riesigem Getöse und einem Kick Off ins Leben gerufen, dann indes zu keinem Ergebnis führten und deshalb irgendwann sang- und klanglos eingestellt wurden; und immer wieder Durchhalteparolen der Unternehmenskommunikation wie „Unsere Belegschaft ist der Schlüssel zur Erreichung der Ziele“.

Wie ein Tsunami brach Aktionismus über das Unternehmen, wenn das Management mal wieder bemerkte, dass es zu viel Geld für die falschen Dinge ausgegeben hatte (was die Herren – ja, fast ausschließlich waren es Herren – in ihrer superstar-göttergleichen Unfehlbarkeit freilich niemals zugegeben hätten, stattdessen machten sie ein „geändertes Marktumfeld“ für die Folgen ihrer Fehler verantwortlich), dann verfielen sie in eine Art Veränderungsdelirium, und wieder hieß es: Kosten sparen, koste es, was es wolle. Wo? Natürlich nicht bei ihren eigenen Gehältern, deren Höhe die Grenze des Anstandes schon lange überschritten hatte, sondern bei denen, die das Geld verdienten: durch Auslagerung an noch billigere Subunternehmen und Gründung von Tochterunternehmen mit niedrigeren Gehältern. „Im Branchenvergleich zahlen wir zu hohe Gehälter“, so ihre Überzeugung.

Ein beliebtes Mittel waren auch Umstrukturierungen. Dann ließen sie mitteilen: „Wir sind überzeugt, dass diese verschlankte Struktur die richtige Basis darstellt, um uns auf unsere Kernkompetenzen zu konzentrieren, effizienter zusammenzuarbeiten und Synergien in Zusammenarbeit mit den anderen Funktionsbereichen zu heben.“

Schließlich hatten viele von ihnen in früheren Jahren einem großen Unternehmensberatungskonzern gedient, der noch immer regelmäßig beauftragt wurde und dafür irrsinnige Summen kassierte, und dessen Ehemalige die Unternehmensleitung mittlerweile durchsetzten wie ein nicht zu bekämpfender Pilz.

Manchmal stürzte so ein Gott von seinem hohlen Ross. Dann trennte man sich, laut den darauf folgenden internen und externen Mitteilungen „im besten gegenseitigen Einvernehmen“, oder weil der Scheidende „sich neuen Herausforderungen außerhalb des Konzerns stellen möchte“; die verbleibenden Götter freuten sich dann, einen Schuldigen gefunden zu haben, derweil sie sich gegenseitig weiterhin argwöhnisch beobachteten.

Doch K war nicht allein. Mindestens achtzig bis neunzig Prozent der Kollegen und Chefs, mit denen er täglich zu tun hatte, eher noch mehr, fristeten ein ebenso sinnloses Dasein im Büro, viele davon wussten es nur nicht, oder wollten es nicht sehen. Vielmehr hielten sie das, was sie taten, für notwendig und sich selbst für unersetzlich. Wenn der Chef sagte: „Spring!“, antworteten sie noch immer „Wie hoch?“ anstatt „Warum?“ oder „Nein“, nahmen den Rechner nach Feierabend und am Wochenende mit nach Hause, bearbeiteten im Urlaub Mails, waren rund um die Uhr erreichbar. Einige von ihnen brannten so sehr für die Arbeit, dass sie irgendwann ausgebrannt waren. Umso härter traf es sie dann, wenn ihr Job wegrationalisiert wurde.

Manchmal beneidete K Menschen mit einem richtigen Beruf, die am Ende eines Arbeitstages sahen, was sie tagsüber geschafft haben: ein Haus angestrichen, eine mechanische Armbanduhr montiert, zweihundert Pakete zugestellt, Schienen verlegt, ein ehemaliges Bürogebäude gesprengt. Dabei wäre er schon zufrieden gewesen, hätte er in Ruhe seine Arbeit machen können, anstatt von zu Chefimitatoren mutierten ehemaligen Unternehmensberatern wegen irgendeines vermeintlich wichtigen Unfugs behelligt zu werden.

Doch lag es K fern, sich zu beklagen, trotz allem ging er gerne ins Büro. Es gab wahrlich härtere und schlechter vergütete Jobs mit viel mehr Verantwortung, Ärger und Ungemach. Nur eins hätte besser sein können: Die zeitliche Verteilung der anfallenden „Arbeit“. (Es erschien ihm unangemessen, für das, was er tat, dieses Wort zu verwenden.) So wie es die heißen Phasen voller blindem Aktionismus gab, in denen beispielsweise der „C<irgendein Buchstabe>O“ innerhalb der nächsten halben Stunde irgendeine überflüssige Auswertung oder Präsentation haben will, wenn Arbeitsaufträge verteilt werden, die man aufgrund des Inhalts und der Zeitvorgabe nicht zu einem sinnvollen Ergebnis bringen und nur sehen kann, wie man einigermaßen unbeschädigt da raus kommt, wenn man der Flut an Mails und Anrufen nicht Herr wird, so gab es Phasen zäher Langeweile: Das Telefon schwieg, der Maileingang floss spärlich, kaum Besprechungen. Dann zog sich der Arbeitstag wie Bierschaum nach einem frisch angestochenen Fass. Aber über diese Phasen sprach man nicht, man gab sich geschäftig wie eh und versicherte sich gegenseitig, wie viel man zu tun hatte.

Ja, sein Job war sinnlos, aber gut bezahlt. Außerdem hatte er bisweilen einen recht hohen Unterhaltungswert. Deshalb spielte er das Theater im Rahmen der für ihn erträglichen Grenzen gerne weiter mit. Solange sie ihn noch ließen.

(Inspiriert durch „Bullshit-Jobs“ von David Graeber)

Woche 47: Dazuhin

Montag: „Alexander Zverev hat den Gegner vom Platz gefickt“, höre ich am Morgen den Mann im Radio sagen. Vielleicht habe ich mich in meiner Morgenmüdigkeit aber auch verhört.

Natürlich sagt man nicht „gefickt“, schon gar nicht als öffentlich-rechtlicher Radiomoderator. Man sagt im Übrigen auch nicht mehr „Ich bin müde“, sondern man hat jetzt ein „Biotief“.

Dienstag: In meinem Rückblick der vergangenen Woche machte Frau Jule per Kommentar zu recht ein gewisses Hadern meinerseits mit dem Alter aus. Dabei ist es gar nicht so schlimm, ich fühle mich keineswegs alt, höchstens … also maximal … ach, was sagt schon so eine Zahl aus. Vor diesem Hintergrund hat es wirklich gar nichts zu bedeuten, dass ich mir heute früh statt Bodylotion beinahe Zahncreme ins Gesicht geschmiert hätte.

Mittwoch: „Die Tendenz, sich lieber mit irgendetwas zu beschäftigen (und sei es trivial), als sich mal in Ruhe hinzusetzen, scheint weit verbreitet“, lese ich in der Psychologie Heute.

„Ein Wagen fehlt“, verkündet die Anzeige im Kölner Hauptbahnhof für den Regionalexpress, der mich am Abend nach Hause bringen wird. Was will die Bahn uns damit sagen? Sollen wir suchen helfen?

Donnerstag: Während einer zähen Projektbesprechung mit zahlreichen, auch gleichzeitigen Wortbeiträgen, sagt der Projektleiter: „Wir wollen nicht unsere wertvolle Zeit verschwenden“. Ein schrilles Auflachen zu unterdrücken gelingt mir nur knapp.

„Da sind wir stationär unterwegs“, sagt ein anderer Kollege in einer anderen Besprechung. „Drinnen saßen stehend Leute“, ergänze ich in Gedanken.

Hier eine interessante Nachricht zum Thema „Generation Knöchelfrei“.

Freitag: Die heute vom Handel als „Black Friday“ titulierte Konsumanimationskampagne geht mir völlig an unteren Körperregionen vorbei. Für die Weigerung, Zeit oder Geld für eine Sache zu investieren, auch wenn man sie sich leisten könnte, haben die Isländer übrigens das Wort „Tima“, wie dem Buch „Einzigartige Wörter“ von David Tripolina zu entnehmen ist.

Der vor geraumer Zeit beschaffte Staubsauge-Roboter erweist sich unterdessen immer mehr als unverzichtbarer Helfer im Haushalt.

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„In Veränderungen sehen wir stets eine Chance zur Weiterentwicklung“, schreibt mir die PSD-Bank in einer Mitteilung darüber, dass ein bestimmter Geldautomat bald nicht mehr zur Verfügung steht. Obschon ich den betreffenden Automaten nie nutzte, fühle ich mich ein ganz kleines bisschen verschaukelt.

Am Abend eröffnet der Bonner Weihnachtsmarkt. Verrückt: Wurde der nicht erst kürzlich abgebaut?, denke ich, während der Geliebte bei Eierpunsch mit Sahne über Analdrüsen referiert.

Samstag: Wenn der Arbeitgeber einen Brief per Einschreiben schickt, löst das zunächst eine Schrecksekunde aus. Während ich ihn mit schwitzender Hand öffne, singen die Chöre des schlechten Gewissens: Was habe ich angestellt? Zuviel gelästert? Den Vorstand im Aufzug nicht gegrüßt? Was Unangemessenes ins Blog geschrieben? Es ist dann aber nur das neue Jobticket.

„Von Bohlen empfohlen“, sagt die Radioreklame. Darin kann ich nun wirklich kein konsumanreizendes Element erkennenden.

„kdf-Frauen laden zum Basar ein“, lese ich in der Zeitung und stutze kurz, glaubte ich diese Einrichtung doch in düsterer Vergangenheit versunken. Sehe dann aber, dass dort „kfd-Frauen“ steht.

Sonntag: Auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung kommt nicht umhin, sich mit Friedrich Merz zu beschäftigen. Ich habe keine Meinung zu diesem Mann im Allgemeinen und seiner Eignung als CDU-Vorsitzender im Besonderen. Lebte meine Großmutter väterlicherseits noch, hätte sie über ihn gesagt: „Der kuckt immer so von unten.“ Darin glaubte sie bei ihren Mitmenschen eine gewisse Falschheit zu erkennen.

In derselben Zeitung lese ich das wunderbare, mir (und dem aktuellen Duden) bis heute unbekannte Wort „dazuhin“, welches wohl in etwa „hinzu kommt, dass“ bedeutet, und beschließe, es umgehend in meinen Wortschatz zu integrieren.

Woche 46: Der Wahnsinn wird Routine

Montag: Am Morgen ist der Liebste aufgebrochen zu einer einwöchigen Geschäftsreise in die USA. Das bedeutet wieder eine Woche lang unkontrollierte Selbstgespräche meinerseits.

Ein solches lautete sinngemäß „Warum habe ich nur nichts Vernünftiges gelernt?“, als ich mich morgens ins Werk quälte, ohne die Frage beantworten zu können, was genau den was Vernünftiges wäre. Während ich dergleichen vor mich hin sinnierte, fuhr ein Wagen an mir vorbei mit dem Schriftzug „Bodenarbeit und Coaching mit Pferden“. Das beantwortete die Frage nicht, zeigte aber, dass sich auch andere mit seltsamen Dingen beschäftigen.

Dienstag: „Was hat das Wunschbild für eine Zeitleiste?“, fragt der Kollege in einer Besprechung. Vielleicht war ihm die Wortfolge „Wann soll das umgesetzt sein“ gerade nicht eingefallen.

„Welches Lied könnte der Soundtrack deines Lebens sein?“, fragt Franco Bollo im Blog Quergefönt. Das ist in der Tat eine schwierige Frage. Vielleicht dieses:

Vielleicht wäre das auch etwas vermessen, womöglich ende ich dann wie Thomas Gottschalk, der augenscheinlich auch nicht älter werden will. Während bei den Waldbränden in Kalifornien bislang fünfzig Menschen ums Leben gekommen sind, vermeldet Herr Gottschalk in seinem dortigen Anwesen den Verlust eines handschriftlichen Rilke-Gedichtes und des Holztreppenhauses, „durch das meine Kinder immer getobt sind“, so G. Bemerkenswerterweise schafft er es damit in die Zeitung (und in dieses Blog).

Mittwoch: „Ich bin heute im Kitchen-Office“, sagt der Teilnehmer einer Skype-Konferenz. Der Wahnsinn wird langsam Routine.

Donnerstag: Heute nahm ich einen Tag Urlaub, erstens um dem Wunsch meines Arbeitgebers zu entsprechen, Resturlaub bis zum Jahresende abzubauen, zweitens um zusammen mit vielen anderen alten Männern die Modelleisenbahnmesse in Köln zu besuchen. Bei der Hinfahrt mit der Bahn um kurz nach halb zehn in der Frühe fiel mir auf, dass diese bis auf den letzten Platz besetzt war. Was bewegt so viele Menschen dazu, wenn sie nicht gerade vorhaben, eine Modellbahnmesse zu besuchen, an einem normalen Donnerstagvormittag von Bonn nach Köln zu fahren? Haben die nichts zu tun? Wobei ich letzteres nicht als Vorwurf zu verstehen bitte. Ich glaube, einer der größten Irrtümer liegt in der Annahme, nichts zu tun zu haben bedeute Zeitverschwendung oder Langeweile oder sei überhaupt in irgendeiner Weise schändlich. Jeder sollte das Recht und die Pflicht haben, zeitweise nichts zu tun. „Das muss halt getan werden“ erscheint mir als tragende Begründung für eine Tätigkeit jedenfalls wenig überzeugend.

Es war übrigens sehr interessant auf der Messe. Natürlich nur für den, der sich, wie ich, für so etwas begeistern kann. Aber das ist ja bei allem so.

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Freitag: Alle Jahre wieder kommt das Christuskind. Alle paar Wochen wieder kommt eine neue Kostenprognose für die Sanierung der Bonner Beethovenhalle. Heute ist es wieder soweit: Aktuell liegt man bei 96,5 Millionen Euro, zudem ist der Termin der Fertigstellung völlig offen. Somit stehen die Chancen, noch in diesem Jahr die 100 zu erreichen, nicht schlecht.

Die Kreiswahlleiterin von Frankfurt heißt übrigens Regine Fehler.

Samstag: Gesangliche Verpflichtungen erforderten heute meine Anwesenheit in Köln. Beim Warten auf die Bahn schaute ich auf dieses Bildschirmdings in der U-Bahn-Haltestelle, das Nachrichten, entbehrliche Informationen und vor allem Reklame zeigt. Während ich die mit Personen im gesetzten Alter bebilderte Werbung für ein Portal namens „Lebensfreunde für die Generation 50+“ zur Kenntnis nahm, wurde mir klar: Scheiße, die meinen mich.

Derselbe Bildschirm lässt mich wissen, dass der arme Thomas Gottschalk, der durch die Brände in Kalifornien nicht nur ein Gedicht und eine Holztreppe, sondern auch zahlreiche Bambis verlor, nun zum Trost einen Überraschungs-Bambi erhält. Wohingegen die mittlerweile über sechzig Toten wohl kaum auf ein neues Überraschungsleben hoffen können.

„Denn besser als Musik (bewusst) zu hören ist es immer noch, Musik selbst zu machen“, schreibt ein gewisser Ulrich Bumann im General-Anzeiger. Der Mann hat mich noch nicht Trompete üben gehört.

Sonntag: Nichts erwähnenswertes, nicht mal ein Kater vom Vortag. Generation 50+ halt.

So bald nicht

Irgendwann muss es doch mal gut sein, sagst du? Mag sein. Irgendwann. So bald indes nicht. Bedenke: Es ist noch keine achtzig Jahre her, und Adolfs Enkel bringen sich schon wieder in Stellung. Dann brauchen sie wieder Sündenböcke, wenn sie ihre Versprechungen nicht halten können und ihre einfachen Lösungen nicht greifen.

Beim nächsten Mal sind es dann vielleicht nicht die Juden, sondern die Rothaarigen, Linkshänder, Vegetarier. Oder wieder die Schwulen (die ja geradezu prädestiniert sind: Durch Kinderlosigkeit tragen sie nichts zur Volksvermehrung bei und haben auch noch mehr Geld, was wiederum Neid weckt, und Neid ist, geschickt eingesetzt, ein erstklassiger Brandbeschleuniger. Außerdem, wie man ja weiß, verbreiten sie AIDS und schänden unsere Kinder. Ach das sind nicht Schwule, sondern Pädophile? Egal, das ist doch alles dasselbe.) Vielleicht du.

Nein, mein Lieber, so bald ist es nicht gut!

Woche 45: Sehr zufrieden

Montag: „Everyone‘s a sinner“, las ich letztens, an eine Wand gesprüht. Mit Blick auf die Wahnsinnigen in Pakistan fordere ich ein natürliches Recht auf Gotteslästerung für jedermann, wenn nicht gar die Pflicht dazu.

Apropos Wahnsinnige: Warum wird den Tweets eines Politikers eigentlich immer eine so große Bedeutung beigemessen? Das ist doch zumeist nur hohles Gezwitscher.

Dienstag: Niemand soll behaupten, ich sei nicht bereit, mich für das Wohl des Unternehmens aufzureiben und mein letztes Hemd zu opfern.

„Lösungen für die Lebensqualität im Alltag“, so der Werbespruch unseres Kantinenbetreibers. Zu dessen Unterstreichung gab es heute Metzgerfrikadellen. Nach den sonst angebotenen Schweine-, Rinder-, Geflügel-, Gemüse- und Tofufrikadellen eine willkommene Abwechslung.

Mittwoch: Die Vorfreude auf das bevorstehende Weihnachtsfest ist bereits jetzt allgegenwärtig.

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Auf dem Weg ins Werk kam mir eine Läuferin entgegen, die während des Laufens unentwegt auf ihr Telefon starrte. Ich war kurz versucht, sie anzuschreien: „Merkt ihr es wirklich nicht?“

„Ein leerer Bauch macht böse“, sagt der Kollege. In der Kantine wurde veganes Reisfleisch angeboten. Ein kulinarisches Oxymoron.

Donnerstag: „Du hast wohl keinen Bock auf das Thema“, sagt der Chef. Notiz an mich: Ich muss dringend an meiner Mimik arbeiten.

„Die Bezirksregierungen arbeiten derzeit mit Hochdruck an den Fortschreibungen der Luftreinhaltepläne und prüfen Maßnahmen und Potenziale“, schreibt die Zeitung. Das klingt genau wie das synonym gern genommene „fieberhaft“ immer ein bisschen nach „… haben nicht den leisesten Schimmer einer Idee, wie sie das Problem lösen können“.

Von Luft- zu Stadtreinhaltung. Vorgestern war in der Bonner Altstadt Sperrmüll-Abholung. Heute, auf dem Weg in den Rewe zum Zwecke des Erwerbs von Brot und fünf Nougat-Marzipan-Baumstämmen zur Versüßung des Büroirrsinns lief ich an drei verlassenen Kühlschränken und zwei Monitoren vorbei. Ist das Unwissen, blanke Dummheit oder kalkulierte Ignoranz? Vermutlich letzteres, irgendwer wird das Zeug schon irgendwann beseitigen.

Freitag: Noch einmal Kantine. Heute gab es Gänsekeule mit Knödeln, Rotkohl und Lyrik dazu: „Gans und gar / ist einfach wunderbar“. Ich habe sie trotzdem genommen und war sehr zufrieden.

Sehr zufrieden bin ich auch immer mit meine Lieblingsfrisörin. „Geht das Wasser?“, fragte sie am Abend, während sie mir mit sanfter Hand das Haar wusch. Geht das Wasser? Eine interessante Frage, die sich vielleicht auch der Tourist auf dem Büsumer Seedeich mit Blick auf das Wattenmeer stellt, unsicher ob Ebbe oder Flut.

Eine interessante Frage auch hier: Auf Twitter geschah heute Merkwürdiges. Am 28.10.2009 schrieb ich dort dieses:

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Heute, also neun Jahre und zwölf Tage später, geschah dieses:

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Wie mag Frau Gaukeley auf diesen uralten, mäßig witzigen Tweet gestoßen sein, warum hat sie ausgerechnet den zitiert, und warum gefällt das so vielen? Die digitale Welt ist immer wieder voller Rätsel.

Samstag: Rätselhaft, mit Tendenz zu unbegreiflich, ist auch das Anspruchsdenken eines Ehepaars, das laut Zeitungsbericht ein idyllisch gelegenes Haus im bayrischen Holzkirchen gekauft hat und nun seit drei Jahren gegen Kuhglockengebimmel von der benachbarten Weide klagt. „Auch den Gestank beim Düngen mit Gülle wollen sie nicht mehr dulden – und die auf ihr Grundstück fliegenden Insekten ebenso wenig“, so die Zeitung. Ich bin dafür, dass Menschen, die Häuser neben Kuhweiden, Bahnlinien, Flughäfen und Flüssen kaufen und anschließend wegen Glocken-, Zug-, Flugzeug- beziehungsweise Schiffslärms die Gerichte belästigen, automatisch ihr Eigentumsrecht am erworbenen Grund verlieren und zwangsweise in die schweigende Ödnis der Magdeburger Börde umgesiedelt werden. Wobei ich schon gerne wüsste, wie die Fliegen künftig per Gerichtsurteil von dem Grundstück ferngehalten werden sollen.

Sonntag: Elfter elfter, Karnevals-Sessionseröffnung (nicht nur) auf dem Bonner Marktplatz. Nur mal kurz ein Stündchen kucken gehen, eins, zwei Kölsch, dann wieder nach Hause. Hat dann doch etwas länger gedauert und endete nach einer nur unwesentlich größeren Anzahl Kölsche im Zeughaus der Bonner Ehrengarde. Alaaf!

Thomas Glavinic schreibt in der F.A.S.: „Frische Luft ist der Gestank zwischen zwei Gasthäusern.“

 

Woche 44: Griesgram und Muckertum

Montag: „Ich sage ausdrücklich: Es ist schade“, sagt Horst Seehofer nach Angela Merkels Ankündigung, künftig nicht mehr als Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin anzutreten. Das glauben wir ihm ohne Zweifel, also jedenfalls mit dem von ihm wahrscheinlich gedachten Zusatz „… dass sie nicht sofort in den Sack haut“.

Dienstag: Nun also Brasilien. Bei Betrachtung der weltpolitischen Entwicklungen liegt die Befürchtung nahe, dass die Zeiten für pazifistische Agnostiker in polyamorph-gleichgeschlechtlichem Beziehungsgefüge nicht besser werden.

Mittwoch: Noch einmal, weil es so schön ist, aus Bullshit-Jobs von David Graeber:

Wo früher […] Unternehmen […] durch eine Kombination aus relativ einfachen Befehlsketten […] gelenkt wurden, haben wir heute eine Welt mit Finanzierungsanträgen, Dokumenten über strategische Visionen und den Verkaufsgesprächen von Entwicklungsteams – was die endlose Verfeinerung neuer, immer sinnloserer Ebenen in der Managerhierarchie möglich macht. Sie alle sind mit Männern und Frauen besetzt, die beeindruckende Titel tragen und fließend den Unternehmensjargon sprechen, aber entweder von vornherein keine Erfahrung mit der eigentlichen Arbeit besitzen, die sie angeblich verwalten sollen, oder alles in ihrer Macht stehende getan haben, um sie zu vergessen.

Halloween. Die Stadt wird von albern geschminkten Menschen unsicher gemacht.

Donnerstag: Wenn ich es richtig verstanden habe, ist Allerheiligen eine Art religiöses Resteessen, welches die Katholiken ihren Heiligen der zweiten Garnitur widmen, die keines eigenen Feiertages würdig sind. Mir, dem wenig heilig ist, soll es recht sein, immerhin muss ich dadurch heute nicht ins Werk. Wobei auch dort reichlich Irre Menschen herumlaufen, die sich selbst im Glanze einer gewissen Göttlichkeit sehen, wenn auch ohne Anspruch auf einen Feiertag. Dabei wäre ich durchaus bereit, zum jährlichen Gedenken des Tages, an dem eine bestimmte, hier nicht näher benannte Person im gegenseitigen Einvernehmen aus dem Turm gejagt wurde, eine Kerze zu entzünden. Darf ich aber nicht, da Kerzenentzündungen im Büro unzulässig sind. Dann eben nicht.

Statt ins Werk machten wir einen Ausflug ins Ahrtal, wo es erst regnete und dann Wein zu verkosten gab. Der Profi benetzt bei einer Weinverkostung mit kleinen Schlucken seine Geschmackszellen und spuckt danach aus. Da ich kein Profi bin und mir zudem das Ausspeien als eine Respektlosigkeit gegenüber des Winzers Mühen erscheint, halte ich es lieber mit Wilhelm Busch:

Er hebt das Glas und schlürft den Rest / weil er nicht gern was übrig lässt.

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Freitag: Brückentag, neben „Doppelhaushälfte“ und „Auslegeware“ eines der schönsten deutschen Wörter. Schön ist auch „Blümeranz“, wenn auch nur das Wort, weniger der Zustand, den es beschreibt. Durch letztere ausgelöst stellt sich mir die Frage, ob die spuckenden Profis vielleicht doch recht haben.

Samstag: Nicht David Graeber, sondern Christian Wüst schreibt im SPIEGEL:

„Auf je­den jun­gen Klemp­ner kom­men mitt­ler­wei­le ein Dut­zend smar­te Busi­ness-Con­sul­tants, die ih­ren Lap­top auf­klap­pen, lan­ge Vor­trä­ge über den Fach­kräf­te­man­gel hal­ten und auf dem di­gi­ta­len Post­weg flugs die Rech­nung hin­ter­her­schi­cken.“

Wenngleich mir alles Militärische zutiefst zuwider ist, so nehme ich doch mit Stolz meine Beförderung der Karnevalsgesellschaft Fidele Burggrafen Bad Godesberg e. V. zum Leutnant „in Anerkennung seines aktiven Kampfes gegen Griesgram und Muckertum“ zur Kenntnis. Gerade in Zeiten wie diesen, da schon der Tweet eines Präsidenten oder ein halb aufgegessenes Käse-Laugen-Gebäck zu ernsthaften Spannungen führen kann. Alaaf!

Sonntag: Das neue Lied von Herbert Grönemeyer erscheint typisch für ihn: keine erkennbare Melodie und man versteht kein Wort, weder akustisch noch inhaltlich.

Ebenfalls nicht zu verstehen ist, warum ein verkaufsoffener Sonntag massenweise Menschen in die Stadt zu locken vermag, bevorzugt natürlich mit dem Auto.

Erkenntnis des Tages: Im Rewe am Friedensplatz gibt es keine Nougat-Marzipan-Baumstämme, jedenfalls nicht für mich auffindbar. Sehr schwach.