Woche 35/2023: Tapfer bleiben

Montag: Mein Arbeitseifer zu Wochenbeginn tendierte gegen Null, obwohl genug zu tun ist, darunter jedoch nichts, was nicht auch ab morgen anzugehen früh genug wäre. Da kam mir eine mehrstündige virtuelle Einweisungsveranstaltung entgegen mit nur geringem Redeanteil meinerseits und viel Gelegenheit, konzentriert zuhörend *hüstel* aus dem Fenster zu schauen. Danach erledigte ich eine Aufgabe, die überwiegend aus Kästchenausfüllen bestand und beendete den Arbeitstag nicht allzu spät. Ab morgen wieder voller Einsatz für das Firmenwohl. So der Plan.

Eine ansonsten deutschsprachige Mail endete mit „Thanks & cheers“. Was Leute so schreiben, wenn sie busy sind.

Mein Rechner zeigt merkwürdige Meldungen:

Ich kann es auch nicht rendern

Abends nach den Nachrichten im Fernsehen Reklame für Hundefutter mit hundert Prozent Kennerfleisch. Pansen, Schwein und Geflügel waren gestern, heute muss es von Experten sein. Cheers.

Dienstag: Übermorgen beginnt der meteorologische Herbst. Bereits heute zeigte sich der Morgen kühl und herbstlich, das Siebengebirge war fast vollständig in Wolken gehüllt. Endlich kehrt mit der Jackenzeit wieder eine gewisse Ordnung ein; Aufbewahrung und Mitführen von Portemonnaie, Schlüssel, Notizbuch und Pfefferminzbonbons werden dadurch enorm erleichtert.

Vorherbst

Die Arbeitslust war gegenüber gestern erheblich verbessert. „Tapfer bleiben“ schrieb mir mein früherer Chef, was zu beherzigen ich mir fest vornehme.

Auf dem Rückweg sah ich am Rheinufer einen älteren Herrn Turnübungen ausführen: die Arme nach vorne und nach hinten; nach vorne bäugen, ein Hohlkreuz mit nach hinten gestreckten Armen; die Schultern kreisen lassen; den Oberkörper nach links und rechts; Laufschritte auf der Stelle; Hüpfen. Dass er dabei einen schwarzen Anzug und Krawatte trug, irritierte wohl nur mich ganz kurz.

Mittwoch: Der Arbeitstag verlief recht angenehm ohne nennenswerte Blogabilitäten. Nachmittags setzte Regen ein. Um einigermaßen trocken nach Hause zu kommen, vertraute ich auf eine bei WetterOnline in Aussicht gestellte Regenlücke. Das war ein Fehler: Als ich am Rhein entlang radelte ohne jede Unterstellmöglichkeit in absehbarer Entfernung stürzten die Himmelsfluten herab und durchnässten in kurzer Zeit alles unterhalb der Regenjacke. Wäre ich – entsprechenden Pegel vorausgesetzt – bis kurz unter Klötenhöhe durch den Rhein nach Hause gewatet statt mit dem Rad zu fahren, hätte ich nicht nasser werden können. Ich mag den Moment, ab dem das nur noch egal ist. Tapfer bleiben.

Donnerstag: Der Fußweg ins Werk morgens war sonnenbeschienen.

Und das Siebengebirge wieder da.

„Wir arbeiten mit Hochdruck an der Behebung des Fehlers“, las ich in einer Mitteilung. Ein wenig klingt das immer nach „Wir haben keinen blassen Schimmer, was wir tun können“.

„Erwartungshaltung“ ist auch so ein Wort, das den Schein von Bedeutung erzeugen soll, dabei doch nur mit lauer Luft aufgeblasen ist.

Freitag: Der Tag begann mit einem Schrei, nachdem der Geliebte im morgendlichen Halbdunkel des Schlafzimmers ein „Viech“ wahrgenommen hatte, das sich nach Abklingen der ersten Aufregung als Nachtfalter herausstellte, der sich anscheinend über den Schrei ebenso erschrak, denn er verschwand hinter dem Kleiderschrank und wurde für den Rest des Tages nicht mehr gesehen.

Heute vor siebenunddreißig Jahren war mein erster Tag beim Arbeitgeber, der mir nicht nur noch immer ein erfreuliches Gehalt überweist, sondern mich auch regelmäßig mit Bemerknissen für dieses Blog versorgt wie nämliches: „Ich bin heute komplett durchgetaktet“, wie eine wichtige Person in einer Besprechung die Teilnehmenden wissen ließ. Die nächsten maximal neun Jahre werde ich dort voraussichtlich auch noch ganz gut aushalten und tapfer bleiben.

Wegen eines Vereinsvergnügens am Abend beendete ich die Arbeitswoche zeitig, nachdem ein Blick aus dem Fenster und ein weiterer in WetterOnline eine Schauerlücke in Aussicht stellten. Sie ahnen es vielleicht – etwa auf halber Strecke am Rheinufer ging es wieder los, heute nicht ganz so heftig wie am Mittwoch, doch genug für einen erforderlichen Hosenwechsel nach Ankunft. Kaum stand das Fahrrad in der Garage, schien wieder die Sonne. Ich beginne, WetterOnline ein wenig zu hassen, bei aller Tapferkeit.

Samstag: Der Vereinsabend wirkte nach, weshalb wir etwas länger im Tuch blieben und spät, immerhin mit zufriedenstellendem Appetit frühstückten.

Das Jackenwetter ist schon wieder vorüber, der Sommer noch einmal zurückgekehrt. Die Innenstadt voller Menschen, die langsam vor mir gingen und stehen blieben, eine lange Schlange bildeten vor einem Geschäft, wo es diesen albernen Blasentee zu kaufen gibt, den ich noch nie probiert habe und den zu probieren ich nicht beabsichtige, schon gar nicht, wenn ich dazu in einer Schlange stehen muss. Zudem laute Livemusik von einer Bühne auf dem Münsterplatz, die meine Schritte beschleunigt hätte, wären vor mir nicht diese langsamen Leute gewesen.

Einer Initiative der Bonner IHK, die die Infragestellung der jahrzehntelangen, natürlichen Vorherrschaft des Kraftfahrzeugs auf städtischen Straßen doof findet, nennt sich ausgerechnet „Vorfahrt Vernunft“.

Sonntag: Auch dieser Tag zeigte sich sonnig und warm, wodurch sich im Rahmen des Spaziergangs ein Besuch des Lieblingsbiergartens geradezu aufdrängte. Wer weiß, wie lange noch. Ansonsten bot der Tag nichts Berichtenswertes, daher will ich Sie nicht länger aufhalten.

Vielleicht das noch, zur Erinnerung und Werbung: Am kommenden Dienstagabend, 5. September, ab 20 Uhr ist die nächste Lesung der TapetenPoeten in Bonn-Beuel, an der teilzunehmen ich das Vergnügen habe. Wenn Sie zufällig in der Nähe sind und nichts Besseres zu tun haben, kommen Sie gerne. Weitere Informationen hier.

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Kommen Sie gut durch die Woche, bleiben Sie tapfer.

Woche 45: Sehr zufrieden

Montag: „Everyone‘s a sinner“, las ich letztens, an eine Wand gesprüht. Mit Blick auf die Wahnsinnigen in Pakistan fordere ich ein natürliches Recht auf Gotteslästerung für jedermann, wenn nicht gar die Pflicht dazu.

Apropos Wahnsinnige: Warum wird den Tweets eines Politikers eigentlich immer eine so große Bedeutung beigemessen? Das ist doch zumeist nur hohles Gezwitscher.

Dienstag: Niemand soll behaupten, ich sei nicht bereit, mich für das Wohl des Unternehmens aufzureiben und mein letztes Hemd zu opfern.

„Lösungen für die Lebensqualität im Alltag“, so der Werbespruch unseres Kantinenbetreibers. Zu dessen Unterstreichung gab es heute Metzgerfrikadellen. Nach den sonst angebotenen Schweine-, Rinder-, Geflügel-, Gemüse- und Tofufrikadellen eine willkommene Abwechslung.

Mittwoch: Die Vorfreude auf das bevorstehende Weihnachtsfest ist bereits jetzt allgegenwärtig.

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Auf dem Weg ins Werk kam mir eine Läuferin entgegen, die während des Laufens unentwegt auf ihr Telefon starrte. Ich war kurz versucht, sie anzuschreien: „Merkt ihr es wirklich nicht?“

„Ein leerer Bauch macht böse“, sagt der Kollege. In der Kantine wurde veganes Reisfleisch angeboten. Ein kulinarisches Oxymoron.

Donnerstag: „Du hast wohl keinen Bock auf das Thema“, sagt der Chef. Notiz an mich: Ich muss dringend an meiner Mimik arbeiten.

„Die Bezirksregierungen arbeiten derzeit mit Hochdruck an den Fortschreibungen der Luftreinhaltepläne und prüfen Maßnahmen und Potenziale“, schreibt die Zeitung. Das klingt genau wie das synonym gern genommene „fieberhaft“ immer ein bisschen nach „… haben nicht den leisesten Schimmer einer Idee, wie sie das Problem lösen können“.

Von Luft- zu Stadtreinhaltung. Vorgestern war in der Bonner Altstadt Sperrmüll-Abholung. Heute, auf dem Weg in den Rewe zum Zwecke des Erwerbs von Brot und fünf Nougat-Marzipan-Baumstämmen zur Versüßung des Büroirrsinns lief ich an drei verlassenen Kühlschränken und zwei Monitoren vorbei. Ist das Unwissen, blanke Dummheit oder kalkulierte Ignoranz? Vermutlich letzteres, irgendwer wird das Zeug schon irgendwann beseitigen.

Freitag: Noch einmal Kantine. Heute gab es Gänsekeule mit Knödeln, Rotkohl und Lyrik dazu: „Gans und gar / ist einfach wunderbar“. Ich habe sie trotzdem genommen und war sehr zufrieden.

Sehr zufrieden bin ich auch immer mit meine Lieblingsfrisörin. „Geht das Wasser?“, fragte sie am Abend, während sie mir mit sanfter Hand das Haar wusch. Geht das Wasser? Eine interessante Frage, die sich vielleicht auch der Tourist auf dem Büsumer Seedeich mit Blick auf das Wattenmeer stellt, unsicher ob Ebbe oder Flut.

Eine interessante Frage auch hier: Auf Twitter geschah heute Merkwürdiges. Am 28.10.2009 schrieb ich dort dieses:

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Heute, also neun Jahre und zwölf Tage später, geschah dieses:

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Wie mag Frau Gaukeley auf diesen uralten, mäßig witzigen Tweet gestoßen sein, warum hat sie ausgerechnet den zitiert, und warum gefällt das so vielen? Die digitale Welt ist immer wieder voller Rätsel.

Samstag: Rätselhaft, mit Tendenz zu unbegreiflich, ist auch das Anspruchsdenken eines Ehepaars, das laut Zeitungsbericht ein idyllisch gelegenes Haus im bayrischen Holzkirchen gekauft hat und nun seit drei Jahren gegen Kuhglockengebimmel von der benachbarten Weide klagt. „Auch den Gestank beim Düngen mit Gülle wollen sie nicht mehr dulden – und die auf ihr Grundstück fliegenden Insekten ebenso wenig“, so die Zeitung. Ich bin dafür, dass Menschen, die Häuser neben Kuhweiden, Bahnlinien, Flughäfen und Flüssen kaufen und anschließend wegen Glocken-, Zug-, Flugzeug- beziehungsweise Schiffslärms die Gerichte belästigen, automatisch ihr Eigentumsrecht am erworbenen Grund verlieren und zwangsweise in die schweigende Ödnis der Magdeburger Börde umgesiedelt werden. Wobei ich schon gerne wüsste, wie die Fliegen künftig per Gerichtsurteil von dem Grundstück ferngehalten werden sollen.

Sonntag: Elfter elfter, Karnevals-Sessionseröffnung (nicht nur) auf dem Bonner Marktplatz. Nur mal kurz ein Stündchen kucken gehen, eins, zwei Kölsch, dann wieder nach Hause. Hat dann doch etwas länger gedauert und endete nach einer nur unwesentlich größeren Anzahl Kölsche im Zeughaus der Bonner Ehrengarde. Alaaf!

Thomas Glavinic schreibt in der F.A.S.: „Frische Luft ist der Gestank zwischen zwei Gasthäusern.“

 

Kundenservice wird groß geschrieben.

Zugegeben, ich bin kein großer Online-Besteller, was vielleicht daran liegt, dass ich mitten in der Stadt wohne und daher der Gang zu den Kaufhäusern für mich kein weiter ist. Dennoch bestellte ich Ende Januar beim Textilversender Mai & Endlich (Name leicht geändert) eine Art Hausjacke, welche mir im Katalog optisch attraktiv erschien; vielleicht orderte ich das Teil auch nur deshalb, weil es „Der Dichter-Sweater“ hieß und ich mir durch dessen Tragen Inspiration zur Verschriftlichung meiner klugen Gedanken erhoffte.

Vergangenen Freitag, also nur drei Wochen nach meiner Bestellung, kam das Paket an, zwar wieder mal nicht, wie bestellt, in die Packstation, sondern an die Haustür, aber langmütig wie ich meistens bin sah ich darüber hinweg, zumal der Liebste zugegen war und das Paket annahm. Leider gefiel mir das Textil in natura überhaupt nicht, daher packte ich es wieder ein, um es irgendwann der Post zur Rücksendung anzuvertrauen (ich habe volles Vertrauen zur Post).

Doch am Montag überrasche mich der Kundenservice von Mai & Endlich mit einer Mail:

Sehr geehrter Herr K,

über Ihre Bestellung haben wir uns sehr gefreut. Leider ist es uns bei Ihrer aktuellen Bestellung nicht gelungen, Sie zufriedenstellend beliefern zu können. Folgende Artikel sind aufgrund der hohen Nachfrage ausverkauft:

[…]

Als kleine Entschuldigung erhalten Sie mit dieser Mail einen Gutschein über 10,00 €, den Sie gerne für Ihren nächsten Einkauf verwenden können. Am schnellsten finden Sie online einen alternativen Artikel – schauen Sie einfach unter www.mai-endlich.de. 

Haben Sie noch Fragen? Schreiben Sie uns eine Mail oder rufen Sie uns an – wir sind gerne für Sie da.

Mit freundlichen Grüßen
Heike F
Kundenservice

Fragen hatte ich nicht, gleichwohl konnte die Mail nicht unerwidert bleiben:

Guten Abend Frau F,

vielen Dank für den Gutschein. Gleichwohl irritiert mich Ihre Nachricht, denn der Artikel wurde am vergangenen Freitag, drei Wochen nach Bestellung, geliefert. Leider gefiel mir die Jacke überhaupt nicht, deshalb habe ich sie heute zurückgeschickt. Im Übrigen habe ich kein Verständnis mehr dafür, dass es Ihrem Haus nach wie vor nicht gelingt, die Ware an eine Packstation zu senden, so wie ich es immer in der Bestellung angebe. Daher glaube ich eher nicht, dass ich den Gutschein einlösen werde.
Mit besten Grüßen
Carsten K
***
Der Kundenservice reagierte bereits am folgenden Tag:

Sehr geehrter Herr K,

Vielen Dank für Ihre Nachricht. Wir haben uns sehr über Ihre Worte gefreut. Ihre Zufriedenheit liegt uns am Herzen und es ist uns immer eine besondere Freude, solche Zeilen zu lesen. Ihre Nachricht dient uns darüber hinaus als Ansporn, den Service für unsere Kunden weiterhin auf einem hohen Niveau zu halten. Gerne sind wir auch zukünftig für Sie da und freuen uns über Ihre Anregungen und Hinweise. 

Mit freundlichen Grüßen
Diane E
Kundenservice

An dieser Stelle könnte ich meinen kleinen Erfahrungsbericht langsam dem Ende zuführen, mich zuvor noch ein wenig ereifern über inhaltsleere Standard-Anschreiben, die viel besungene „Servicewüste Deutschland“ und die von Unternehmen gerne benutzte Floskel „Bei uns wird Kundenservice groß geschrieben“ (wie auch sonst, es ist ein Substantiv); aber es geht noch weiter. Ich antwortete, nicht mehr ganz so gleichmütig:

Sehr geehrte Frau E,
entweder sind Sie ein Roboter oder Sie haben meine Nachricht NICHT gelesen.
Beste Grüße
Carsten K

Auch dieser Hinweis blieb nicht unbeantwortet:

Sehr geehrter Herr K,

danke für Ihre Antwort. Sie haben natürlich Recht – da hatte wohl jemand eine völlig falsche Brille auf – bitte entschuldigen Sie vielmals.

Wir hatten noch eine Jacke aus einer Ansichtssendung erhalten und konnten Sie doch noch beliefern – leider ließ sich die Lieferabsage nicht mehr aufhalten. Schade, dass Ihnen die Jacke nicht gefallen hat.

Wir haben Ihren Hinweis zur abweichenden Lieferadresse natürlich an die entsprechende Abteilung weitergegeben. Es handelt sich um einen Systemfehler und wir arbeiten bereits mit Hochdruck an der Beseitigung. Ihre Verärgerung können wir sehr gut verstehen und es tut uns sehr leid.

Wir hoffen, dass Sie uns doch noch mal die Chance geben, Ihnen zu zeigen, dass wir es auch besser können und senden Ihnen noch einen Gutschein als Entschuldigung.

Bei Fragen sind wir immer gerne für Sie da.

Mit freundlichen Grüßen
Felicitas K
Kundenservice

Wenngleich ich der Zusicherung, „mit Hochdruck“ werde an etwas gearbeitet, stets mit demselben Misstrauen begegne wie der Phrase „Wir nehmen Ihr Anliegen sehr ernst“, bin ich geneigt, Frau K und ihren Kolleginnen und Kollegen die erbetene Chance zu gewähren. Außerdem bin auch ich nur ein Mensch, der Gutscheine in Höhe von fünfundzwanzig* Euro nur ungern verfallen lässt. Der nächste Katalog müsste ohnehin bald eintreffen.

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* Hinzu kommen fünf Euro, die auch in dieser Woche der Ironblogger-Kasse entgehen. Insofern brachte mir der Dichter-Sweater doch noch ein wenig Inspiration.