Kundenservice wird groß geschrieben.

Zugegeben, ich bin kein großer Online-Besteller, was vielleicht daran liegt, dass ich mitten in der Stadt wohne und daher der Gang zu den Kaufhäusern für mich kein weiter ist. Dennoch bestellte ich Ende Januar beim Textilversender Mai & Endlich (Name leicht geändert) eine Art Hausjacke, welche mir im Katalog optisch attraktiv erschien; vielleicht orderte ich das Teil auch nur deshalb, weil es „Der Dichter-Sweater“ hieß und ich mir durch dessen Tragen Inspiration zur Verschriftlichung meiner klugen Gedanken erhoffte.

Vergangenen Freitag, also nur drei Wochen nach meiner Bestellung, kam das Paket an, zwar wieder mal nicht, wie bestellt, in die Packstation, sondern an die Haustür, aber langmütig wie ich meistens bin sah ich darüber hinweg, zumal der Liebste zugegen war und das Paket annahm. Leider gefiel mir das Textil in natura überhaupt nicht, daher packte ich es wieder ein, um es irgendwann der Post zur Rücksendung anzuvertrauen (ich habe volles Vertrauen zur Post).

Doch am Montag überrasche mich der Kundenservice von Mai & Endlich mit einer Mail:

Sehr geehrter Herr K,

über Ihre Bestellung haben wir uns sehr gefreut. Leider ist es uns bei Ihrer aktuellen Bestellung nicht gelungen, Sie zufriedenstellend beliefern zu können. Folgende Artikel sind aufgrund der hohen Nachfrage ausverkauft:

[…]

Als kleine Entschuldigung erhalten Sie mit dieser Mail einen Gutschein über 10,00 €, den Sie gerne für Ihren nächsten Einkauf verwenden können. Am schnellsten finden Sie online einen alternativen Artikel – schauen Sie einfach unter www.mai-endlich.de. 

Haben Sie noch Fragen? Schreiben Sie uns eine Mail oder rufen Sie uns an – wir sind gerne für Sie da.

Mit freundlichen Grüßen
Heike F
Kundenservice

Fragen hatte ich nicht, gleichwohl konnte die Mail nicht unerwidert bleiben:

Guten Abend Frau F,

vielen Dank für den Gutschein. Gleichwohl irritiert mich Ihre Nachricht, denn der Artikel wurde am vergangenen Freitag, drei Wochen nach Bestellung, geliefert. Leider gefiel mir die Jacke überhaupt nicht, deshalb habe ich sie heute zurückgeschickt. Im Übrigen habe ich kein Verständnis mehr dafür, dass es Ihrem Haus nach wie vor nicht gelingt, die Ware an eine Packstation zu senden, so wie ich es immer in der Bestellung angebe. Daher glaube ich eher nicht, dass ich den Gutschein einlösen werde.
Mit besten Grüßen
Carsten K
***
Der Kundenservice reagierte bereits am folgenden Tag:

Sehr geehrter Herr K,

Vielen Dank für Ihre Nachricht. Wir haben uns sehr über Ihre Worte gefreut. Ihre Zufriedenheit liegt uns am Herzen und es ist uns immer eine besondere Freude, solche Zeilen zu lesen. Ihre Nachricht dient uns darüber hinaus als Ansporn, den Service für unsere Kunden weiterhin auf einem hohen Niveau zu halten. Gerne sind wir auch zukünftig für Sie da und freuen uns über Ihre Anregungen und Hinweise. 

Mit freundlichen Grüßen
Diane E
Kundenservice

An dieser Stelle könnte ich meinen kleinen Erfahrungsbericht langsam dem Ende zuführen, mich zuvor noch ein wenig ereifern über inhaltsleere Standard-Anschreiben, die viel besungene „Servicewüste Deutschland“ und die von Unternehmen gerne benutzte Floskel „Bei uns wird Kundenservice groß geschrieben“ (wie auch sonst, es ist ein Substantiv); aber es geht noch weiter. Ich antwortete, nicht mehr ganz so gleichmütig:

Sehr geehrte Frau E,
entweder sind Sie ein Roboter oder Sie haben meine Nachricht NICHT gelesen.
Beste Grüße
Carsten K

Auch dieser Hinweis blieb nicht unbeantwortet:

Sehr geehrter Herr K,

danke für Ihre Antwort. Sie haben natürlich Recht – da hatte wohl jemand eine völlig falsche Brille auf – bitte entschuldigen Sie vielmals.

Wir hatten noch eine Jacke aus einer Ansichtssendung erhalten und konnten Sie doch noch beliefern – leider ließ sich die Lieferabsage nicht mehr aufhalten. Schade, dass Ihnen die Jacke nicht gefallen hat.

Wir haben Ihren Hinweis zur abweichenden Lieferadresse natürlich an die entsprechende Abteilung weitergegeben. Es handelt sich um einen Systemfehler und wir arbeiten bereits mit Hochdruck an der Beseitigung. Ihre Verärgerung können wir sehr gut verstehen und es tut uns sehr leid.

Wir hoffen, dass Sie uns doch noch mal die Chance geben, Ihnen zu zeigen, dass wir es auch besser können und senden Ihnen noch einen Gutschein als Entschuldigung.

Bei Fragen sind wir immer gerne für Sie da.

Mit freundlichen Grüßen
Felicitas K
Kundenservice

Wenngleich ich der Zusicherung, „mit Hochdruck“ werde an etwas gearbeitet, stets mit demselben Misstrauen begegne wie der Phrase „Wir nehmen Ihr Anliegen sehr ernst“, bin ich geneigt, Frau K und ihren Kolleginnen und Kollegen die erbetene Chance zu gewähren. Außerdem bin auch ich nur ein Mensch, der Gutscheine in Höhe von fünfundzwanzig* Euro nur ungern verfallen lässt. Der nächste Katalog müsste ohnehin bald eintreffen.

—–

* Hinzu kommen fünf Euro, die auch in dieser Woche der Ironblogger-Kasse entgehen. Insofern brachte mir der Dichter-Sweater doch noch ein wenig Inspiration.

Gratwanderung

Eher zufällig wurde ich auf das Projekt *.txt im Blog Neon|Wilderness aufmerksam. Ein wenig erinnert es an die Schulzeit, als der Deutschlehrer ein Thema an die Tafel schrieb, zum Beispiel „Mein peinlichstes Nahtoderlebnis“ oder „Warum mich mein Schutzengel mittlerweile hasst und ich trotzdem so weiter mache“, und wir dann bis zur nächsten Deutschstunde Zeit hatten, darüber einen Aufsatz zu schreiben, Sie erinnern sich: Einleitung, Hauptteil, Schluss. So ähnlich ist *.txt auch, nur gibt Dominik, der Initiator, nicht ein Thema vor, sondern nur ein Wort, und die Teilnehmer haben nicht nur einen oder zwei Tage Zeit, darum einen Aufsatz zu spinnen, sondern sage und schreibe drei Wochen. Und benotet wird das ganze am Ende (hoffentlich) auch nicht. 

 

„Das ist doch reizend“, dachte ich mir und meldete mich spontan an. Mit Spannung erwartete ich also das Wort, welches für den 7. Januar angekündigt war, und also kam es und lautete: „Gratwanderung“. Gratwanderung? Hm – daraus sollte sich was machen lassen, so mein erster Gedanke, aber was? Eine spontane Idee hatte ich nicht, also erstmal gedanklich ablegen und auf Inspiration hoffen, drei Wochen sind eine lange Zeit. 

 

Dann kamen plötzlich noch am selben Tag die schrecklichen Meldungen aus Paris, wo wahnsinnige Islamisten auf perfide Weise deutlich machten: auch im einundzwanzigsten Jahrhundert, auch in unserer „freien westlichen Welt“ ist die Wahrnehmung der Meinungsfreiheit, erst recht wenn sie in Form von Satire daher kommt, immer noch riskant. (Mehr möchte und werde ich nicht dazu schreiben, weil erstens dazu bereits sehr viel geschrieben wurde und zweitens von Leuten, die das viel besser können.)

 

Doch muss man gar nicht den Wahnsinn des Terrors vor Augen haben, es genügt schon ein Blick in die Arbeitswelt. Große Konzerne rühmen sich, das Wohl ihrer Mitarbeiter als eines der wichtigsten Unternehmensziele hinzustellen, bezeichnen sie gar gerne als ihr „Aushängeschild“ (was nicht selten bedeutet, dass sie sie im Regen stehen lassen), predigen den offenen Dialog zwischen Führung und Fußvolk. Die Wahrheit sieht oft anders aus: Wie weit kann ich beim jährlichen Mitarbeitergespräch gehen, wie offen kann ich dem Chef seine – nennen wir es mal – Optimierungspotentiale aufzeigen, ohne berufliche Nachteile befürchten zu müssen? Haben wir es nicht schon erlebt, dass allzu offene Kollegen in Ungnade fielen und plötzlich aus an den Haaren herbeigezogenen Gründen die Abteilung oder gar das Unternehmen verließen?

 

Oder nehmen wir die Partnerschaft. Soll ich dem Partner ständig vorhalten, was mir an ihm nicht passt, etwa dass er „ständig“ seine Hose irgendwo rumliegen lässt, „schon wieder“ denn Müll nicht mit runter genommen hat oder hinter meinem Rücken mit meinem Auto zum Cruising fährt? Möchte ich riskieren, dass der Haussegen dauerhaft schief hängt wegen Dingen, die an sich ziemlich unwichtig sind?

 

Auch wenn es vielleicht bequem oder gar feige ist: Manchmal ist es besser, die Klappe zu halten und die Dinge hinzunehmen, wie sie sind. Das gilt ausdrücklich nicht für die Ereignisse in Paris!

 

***

 

Nachtrag: Auf schmalem Grat wandeln auch Frisöre, die diese Bilder ins Fenster hängen, um für ihr Handwerk zu werben – bleibt doch oft unklar, ob die Frisur der dort abgebildeten Person den Zustand vor oder nach der angebotenen Dienstleistung darstellt. Da nützt es dann auch nichts, dass Frisöre können, was nur Frisöre können.