Milon und Merle wollen schlafen – oder: Wasch mir den Pelz…

Milon und Merle wollen ausschlafen – was klingt wie eine lustige Geschichte der Augsburger Puppenkiste, ist die Bildunterschrift eines Artikels im Bonner General-Anzeiger von heute: zwei Kinder im geschätzten Alter zwischen fünf und sieben halten mit noch ungeübter Kinderhand gemalte Schilder hoch, auf denen sie Ruhe einfordern. Ihre Eltern hatten sie gestern pressewirksam mitgenommen zu einer Demonstration gegen Bahnlärm im Mittelrheintal, zu der das „Netzwerk Bahnlärm“ aufgerufen hatte.

Auch der Bonner Oberbürgermeister Jürgen Nimpsch hielt laut General-Anzeiger eine „flammende Rede“, in der er ein paar bemerkenswerte Thesen aufstellt. So fordert er eine Umgehungsstrecke für das Rheintal, um den Güterverkehr umzuleiten. Ja, Herr Nimpsch, das löst die Probleme. Jedenfalls in Bonn. Dafür gehen dann demnächst die Menschen etwa in Simmern oder Asbach auf die Straße, erstens weil sie ihre Grundstücke für eine neue Bahntrasse hergeben sollen, und zweitens zu recht, denn sie waren in diesem Fall eher da als die Bahn. Moment, mag der Eisenbahnkundige rufen, in Simmern und Asbach gab es auch Eisenbahnen! Gewiss, aber es ist ein Unterschied, ob man an einer beschaulichen Neben- oder Kleinbahn wohnt, die seit Jahren ohne regelmäßigen Verkehr (Simmern) oder seit fünfzig Jahren stillgelegt ist (Asbach), oder an einer Hochleistungsstrecke mit Güterzügen im Minutentakt. Aber schrieb ich „demnächst“? Das ist natürlich Unfug – aufgrund unserer Erfahrungen mit aktuellen Großprojekten, seien es Flughäfen, Bahnhöfe oder Konzertsäle, wissen wir, dass eine solche Umleitungsbahn erst zu einem Zeitpunkt fertig wäre, wenn sich die meisten der Bahngeplagten längst unter des Käfers Keller und Herr Nimpsch nicht mehr im Amt befinden.

Oder die S-Bahn-Linie 13 müsse endlich ausgebaut werden, mit ihr kämen die heilbringenden Lärmschutzwände. Das ist es: Man baut eine weitgehend sinnfreie S-Bahn bis ins beschauliche rechtsrheinische Bonn-Oberkassel, die die linksrheinische Stadt Bonn und ihren Hauptbahnhof links beziehungsweise rechts, je nach Fahrtrichtung, liegen lässt, weil dummerweise der Rhein dazwischen fließt. Immerhin, ein paar lärmgeplagte Bürger der rechtsrheinischen Stadtteile könnten künftig die Aussicht auf Lärmschutzwände genießen. Leider verstehe ich die Logik hier nicht: Warum können die Lärmschutzwände dort nicht jetzt sofort gebaut werden, wozu erst auf eine S-Bahn nach nirgendwo (bitte verzeiht, liebe Oberkasseler) warten? Die lauten Güterzüge donnern heute schon durch Beuel, viel lauter wird es mit einer S-Bahn auch nicht mehr.

Die beste These des Herrn Oberbürgermeister: Verlagerung von Güterverkehr auf den Rhein, der noch fünftzig Prozent mehr Schiffe vertragen kann. Ein sinnvoller Beitrag zur Entschleunigung unserer heute viel zu hektischen Welt. Hersteller von Frischwaren und Autozulieferer werden dafür sicher Verständnis aufbringen. Und auch die Bewohner der Luxuswohnungen in den Kölner Kranhäusern und Bonner Rheinlogen haben sicher nichts dagegen, wenn sie künftig nachts von fünfzig Prozent mehr Schiffen in den Schlaf getuckert werden.

Oder der Vorschlag des Südstadtbewohners Georg K.: Die Stadt Bonn möge doch in den bewohnten Gebieten ein Tempolimit verhängen. Grandios! Man stellt also ein Tempo-50-Schild neben die Gleise, am besten gleich noch einen Blitzer dazu, damit auch der Stadtkämmerer etwas davon hat.

Liebe Lärmgeplagte, ich verstehe durchaus euren Schmerz, das Haus meiner Großeltern stand direkt an einer – zugegebenermaßen nicht mehr stark befahrenen – Bahnstrecke, und auch ich selbst habe einige Jahre direkt neben dem Bonner Hauptbahnhof gewohnt. Ja, mit offenen Fenstern zu schlafen gelingt wohl nur Schwerhörigen, und Güterzüge lassen die Gläser in den Schränken klirren, ich kenne das. Und doch: Man gewöhnt sich daran, irgendwann fehlen einem die Züge gar, etwa im Urlaub fernab jeder Bahnlinie.

Was also erwartet ihr? Fakt ist: Die rheinischen Bahnstrecken wurden bis 1859 (linksrheinisch) und 1871 (rechtsrheinisch) in Betrieb genommen, und zwar von Anfang an als wichtige Hauptbahnen mit viel Personen- und Güterverkehr, vermutlich, da der Straßenverkehr früher eine eher untergeordnete Rolle spielte, mindestens genau so viel wie heute, und zwar nicht mit modernen, geräuscharmen Elloks, sondern donnernde Dampfloks erfüllten den Tag und die Nacht mir Schall und Rauch. Daher nehme ich an, die Bahn war schon da, als ihr eure Häuser und Wohnungen bezogen habt. Worüber also empört ihr euch? Über eure eigene Dummheit, an eine viel befahrene Bahnstrecke zu ziehen? Was sollen Milon und Merle (und Elias, Lea, Luca, Emma…) als nächstes auf ihre Schilder malen: Wir wollen mehr Sonne?

Über Selbstgespräche

„Man kann nicht nicht kommunizieren“ – so das erste Axiom des bekannten Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick. Besonders deutlich wird dies am Rheinländer: Er redet, wo er geht und steht, wobei die Theorie, dass Kommunikation stets von einem Sender an einen Empfänger gerichtet ist, bei ihm eine eher untergeordnete Rolle spielt; er schwaad* vor sich hin, egal ob gerade jemand zuhört oder es gar jemanden interessiert, die reine Geräuschentwicklung steht im Vordergrund, Stille macht ihm Angst.

Das Gegenteil vom Rheinländer ist der Ostwestfale. Er redet ungern und nur das nötigste, wodurch ihm – völlig zu unrecht – der Ruf der Sturheit und Unnahbarkeit anhaftet. Ich bin Ostwestfale, daher schon von Natur aus kein Freund des gesprochenen Wortes, erst recht nicht morgens vor neun. Meine Kollegen wissen das, selbst die Rheinländer unter Ihnen bringe ich mit meiner frühen Einsilbigkeit zum Schweigen.

Ganz anders jedoch, wenn ich mich alleine wähne, dann sprudeln sie aus mir hinaus, die Worte, gar ganze Sätze, die so lange in meinem Westfalenhirn gefangen waren, gleichsam als habe eine unsichtbare Hand die Tore der Schweigeschleuse geöffnet. Das kann überall sein: unter der Dusche, im Bett, im Büro, auf dem Klo, auf der Straße oder im Auto. Auch die inhaltliche Bandbreite der freigesetzten Verbalemissionen ist mannigfach: vom Liedtext, den das Ohr morgens im Radio aufgeschnappt hat – gerne auch sehr frei und sehr falsch vom englischen ins deutsche übersetzt, zum Beispiel „schau nicht zurück in Enger, hörte ich sie sagen…“, über Beschimpfungen des soeben am Telefon verabschiedeten Gesprächspartners, Kommentierung der gerade ausgeübten Tätigkeit (besondere Vorsicht auf dem Klo), ständige Wiederholung der soeben ergangenen Ermahnung des Chefs, seinen Tonfall und seine Stimme persiflierend, eine sinnlose Werbebotschaft, bis hin zu einer jäh und grundlos erinnerten Gedichtzeile; erlebtes, geträumtes, aus dem Zusammenhang gerissenes, ausgedachtes, absurdes, vergangenes, künftiges, kritisches, mitunter peinliches.

Man kann nicht nicht kommunizieren? Ich kann es, mangels Empfänger sogar sehr wortreich. Herr Watzlawick hätte seine Freude an mir und müsste seine Axiome überdenken.

Übrigens: In letzter Zeit passiert es mir immer häufiger, dass jemand von nebenan fragt: „Was hast du gesagt?“ und ich die Situation durch ein hingemurmeltes „Ach nichts, ich habe nur laut gedacht“ zu retten versuche, während ich nach einer halbwegs plausiblen Erklärung suche, warum ich gerade „Fischers Fitz fickt frische Frösche“ laut denke. Entweder altersbedingte Unaufmerksamkeit oder eine schleichende Verrheinländerung. Aber vielleicht hatte Watzlawick ja doch recht.


* schwaade: kölsches Verb für schwätzen

Bubengold

Es folgt ein kurzer Werbeblock:

Die Kölner SPITZbuben, der Chor, der mich freundlicherweise immer noch mitsingen lässt, geben am 29. Juni ihr nächstes Konzert, Motto: Werbung, Geld und Werte. Wenn Sie dann zufällig in der Nähe sein sollten und nichts besseres zu tun haben, kommen Sie doch einfach, es ist nicht viel teurer als ein Kinobesuch, aber ungleich schöner, versprochen. Wir würden uns freuen!

Weitere Einzelheiten hier:

„Mandelfein, köstlich, leicht, einzigartig!“
Nichts ist unmöglich, wenn‘s darum geht, unsere Hirnwindungen mit ohrwurmigen Slogans und Werbemelodien zu belegen. Waren Profis am Werk, dann können wir noch Jahrzehnte später die Kernbotschaften zu Vollwaschmitteln, Bausparverträgen, Röstkaffee und der wahrscheinlich längsten Praline der Welt herunterbeten.

Hier ein kleiner Selbsttest:
„Denn wer sich Allianz versichert, der ist …“ (1975)
„Merci, dass es …“ (1992)
„Ich will so bleiben wie ich bin, …“ (1992)
„Sie baden gerade Ihre Hände drin! In …“ (1981)
„Haribo macht …“ (1962)
„Wenn einem so viel Gutes widerfährt, das …“ (1992)
„Schönes Haar ist Dir gegeben, lass´ es …“ (1987)

In ihrem neuen Programm BUBENGOLD mit dem Verwöhnaroma gehen die Kölner SPITZbuben musikalisch der Frage nach, ob die Werbung im Leben hält, was sie so vollmundig verspricht. Da liegt der Schluss nahe, dass die wahren Werte fernab von Kuschelweich, Jod S 11-Körnchen und der Dr. Best-Forschung liegen: „Money makes the world go around“ und “Wenn ich einmal reich wär´” stehen im Gegensatz zu „Can’t buy me love“ und ”Thank you for being a friend”. Das alles und noch viel mehr präsentieren die 16 Sänger unter der Leitung von Susanne Bellinghausen vakuumverpackt am 29. Juni 2013. Einfach wunderbar!

Bubengold

Wann:
Samstag, 29. Juni 2013, 20:00 Uhr

Wo:
Bürgerzentrum Nippes „Altenberger Hof“
Mauenheimer Straße 92, 50733 Köln
Ticketbestellung:
telefonisch unter 0221 / 16 930-436
per Email an vorverkauf@koelner-spitzbuben.de
Kartenpreis: 15 € + ggf. 0,70 € Versand

http://www.koelner-spitzbuben.de
http://www.facebook.com/pages/K%C3%B6lner-SPITZbuben/482561741756384?fref=ts

Currywurst statt Klimawandel

Einmal im Jahr ist uns ausgelassene Vergnügtheit kirchlich-gesetzlich untersagt, diesen Tag nennen wir Karfreitag, wobei die Historiker uneins sind, woher die Bezeichnung kommt: Von Kar-nickel, als zoologisch nicht ganz korrekte Ankündigung des nahenden Osterhasen; oder von Kar-re, vor welche sich die deutsche Gesetzgebung hier im Sinne der katholischen Kirche spannen lässt. Als wahrscheinlich gilt jedoch die Herleitung aus dem Wörtchen ,karg‘, sind wir doch angehalten, an diesem Tag auf Fleisch zu verzichten und stattdessen mit Kar-toffelsalat, Kar-otten und bestenfalls Kar-pfen vorlieb zu nehmen. Immerhin: Der Gesetzgeber sieht bislang von entsprechenden Regelungen ab, womöglich fürchtet er Kar-lsruhe.

Genug der Kar-lauer.

Seit ein paar Wochen feiert auch unsere Kantine den Fleischverzicht, indem der vegetarische Donnerstag ausgerufen wurde, oder Kardonnerstag, wenn man so will, siehe oben. Ratlos stehe ich seitdem donnerstags vor dem Speiseplan und kann mich nicht entscheiden zwischen Kirschtomaten-Karottensuppe mit frischem Ingwer (ich hasse Ingwer), Chili sin Carne, gebackenem Vollkornbratling an Gemüse-Pilzragout, marinierten Tofuscheiben in Currysauce und Veggieburger mit BBQ-Sauce. Bemerkenswert die Begründung für den Grün-Donnerstag: Nicht etwa die Gesunderhaltung der Mitarbeiter durch eine vernünftigere Ernährung steht im Vordergrund, sondern die Idee, hierdurch einen Beitrag zur globalen CO2-Reduzierung zu leisten.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Abgesehen davon, dass die Zutaten vermutlich um die halbe Welt gekarrt werden, ehe sie auf des hungrigen Kantinengängers Teller landen – wie soll das gehen? Jeder, der in Biologie aufgepasst hat, weiß, dass es die Pflanzen sind, die unter Einsatz von Licht und Chlorophyll das böse CO2 zu Sauerstoff verwandeln. Wie aber soll der Ruccola das tun, wenn wir ihn donnerstags verspeisen, während die Kühe und Schweine unbehelligt von des Fleischers Messer weiter vor sich hin atmen, rülpsen und pupsen dürfen?

Alldieweilen ich lustlos im Risotto mit soutinierten Waldpilzen herumstochere, träume ich von einer schönen Currywurst an Pommes, so eine richtige aus zerriebenem Schwein, nicht aus Tofu und ähnlichen Ersatzstoffen. Die gab es früher auch in unserer Kantine, mindestens einmal die Woche. Während sich die für indischen Nudeltopf mit Hühnerfleisch und vegetarisch gefüllten Paprikaschoten auf Vollkornreis zuständigen Damen hinter ihren Schaltern langweilten, stand die Schlange der Currywurstliebhaber bis auf die Straße, derweil Ruccola und Spinat auf ihrem Feld glücklich und fleißig CO2 umwandelten.

Ich plädiere für die sofortige Einführung eines festen Currywurst-Tages, nennen wir ihn Curmittwoch (sprich: Kör-Mittwoch)!

Am Karfreitag gab es bei uns zu Hause übrigens Spanferkelrollbraten mit Speckauflage. Ich bin mir sicher, Gott hatte nichts dagegen.