Woche 34: Sorge um den Weltfrieden ist angebracht

Montag: Nachtrag zum zurückliegenden Wochenende: Dieses verbrachte ich mit der Eisenbahn spielend in Gütersloh-Isselhorst, wo die Dampf-Kleinbahn Mühlenstroth ihr 45-jähriges Bestehen feierte. In jungen Jahren verbrachte ich dort, in dieser ganz eigenen kleinen Welt, zahlreiche Wochenenden mit vielen glücklichen Stunden, heute komme ich aus verschiedenen Gründen kaum noch dazu. Auch so etwas, wo ich jedes Mal denke, wenn ich wieder dort war: Das sollte ich öfter machen. Und es dann aus verschiedenen Gründen doch nicht tue.

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Hier eine Zugfahrt in bewegten Bildern.

Zurück in der Wirklichkeit, wurde meine Liebe zu schienengebundenen Verkehrsmitteln an diesem Morgen auf die Probe gestellt: Meine Bahn ins Werk entfiel mal wieder. Scheint jetzt montags eine regelmäßige Einrichtung zu sein.

Dienstag: Nicht nur die Bahn hat bisweilen Verspätung, sondern offenbar auch die Wirkung des Giftes, welches mir bereits am Sonntagnachmittag eine Wespe in den Finger injizierte. Erst heute machen sich Schwellung und juckender Schmerz bemerkbar.

Die Wolken der Mittagsmüdigkeit lichteten sich kurz, als mich ein Artikel des Handelsblattes schmunzeln ließ (wenngleich ich das Wort „schmunzeln“ wirklich schlimm finde, gleiches gilt für „schlemmen“ und „schlendern“). Er widmete sich einem Manager, der sich im Hause nicht allzu großer Beliebtheit erfreut, darin nämliches zu lesen:

»„B verbreitet Angst und Schrecken“, sagt ein Mitarbeiter. Er schraube die Ziele in unglaubliche Höhen. „Und wenn jemand Bedenken anmeldet, wird B cholerisch“, schildert [der Mitarbeiter] die Ausfälle seines Vorgesetzten. „Sein Gesicht wird rot wie eine Tomate, und er fängt an zu schreien.“«

Nein, geschmunzelt habe ich nicht, sondern – trotz der journalistischen Fragwürdigkeit des Artikels – laut gelacht. Ob der Beschriebene ebenfalls lachte oder schrie, ist nicht überliefert.

„Irgendwann ist die Zeit gekommen, dass ein Arschloch erfährt, dass es ein Arschloch ist“, las ich irgendwo. Keine Ahnung, wie ich da jetzt drauf komme, ischwör.

In Köln beginnt heute die Gamescom. So viel Aufwand für so einen Unfug. (Ja ich weiß, das kann man über den Betrieb einer Dampfkleinbahn auch denken. [Im Gegensatz zu „schmunzeln“ mag ich „Unfug“ als Wort übrigens sehr.])

Wie ich eher zufällig sah, habe ich genau 1.000 Follower bei Twitter. Das ist hinsichtlich meiner Aktivitäten dort eine immer noch erstaunlich hohe Zahl. Vor einer Woche waren es dreißig mehr. Ein derart hoher Abgang hätte mich vor einigen Jahren in eine tiefe Krise gestürzt, heute bekräftigt es meinen Entschluss, dort bald die Biege zu machen. Zumal Twitter seit Donald Trump und Horst Seehofer für mich endgültig die Unschuld verloren hat.

Mittwoch: „Shop shop, Hurra“, endet eine Radioreklame. Sind nicht – neben Kreuzfahrtschiffen, Kohlekraftwerken und SUV-Fahrern – Werber die schlimmsten Umweltverschmutzer?

Donnerstag: Wie man auch ohne kulinarische Kenntnisse und Infrastruktur den Ruf eines Spitzenrestaurants erlangen kann, können Sie hier nachlesen.

Freitag: Laut einem Zeitungsbericht wirbt die Bundeswehr am Rande der Gamescom (und des guten Geschmacks) mit Plakaten um Nachwuchs. Auf diesen sei unter anderem zu lesen: „Double Kill, Multi Kill, Ultra Kill, Rampage, M-M-M-Monster-Kill!“. Es entzieht sich meiner Kenntnis, was „Rampage“ ist und „M-M-M“, auch fühle ich mich zu matt, dies zu recherchieren. (Gut, zu „M-M-M“ lässt meine sittenlose Phantasie das eine oder andere Bild aufleuchten, indes gehe ich nicht davon, dass das hier gemeint ist.) Sollte sich hierdurch ernsthaft jemand animiert fühlen, der Truppe beizutreten, wäre wohl große Sorge um den Weltfrieden angebracht.

Samstag: Unter der Rubrik „Was macht eigentlich …“ geht die Zeitung dem Verbleib der ausgeschiedenen Bundesminister der letzten Regierung nach. Während wir den Meinungsäußerungen von Sigmar Gabriel auch heute ebensowenig entgehen können wie dem Verbalunrat von Alexander Dobrindt, ist es eher still geworden um Thomas de Maizière. Wie er verlauten lässt, nutze er die Zeit, um „seinen Lebensrhythmus an die neuen Gegebenheiten anzupassen“. Ein Satz, den es sich zu merken lohnt.

Nicht merken muss man sich unterdessen das Wort „Mutzensteinvieh“, mit welchem ich am frühen Abend bezeichnet wurde.

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Sonntag: Alles hat ein Ende, nicht nur die Woche, sondern auch die Sommerferien. Das heißt, ab morgen sind sie alle wieder da, auf den Straßen, in den Bahnen und Büros; erholt, voller Tatendrang und mit neuen Ideen. Mir graut ein wenig.

Woche 33: Diverse Unwägbarkeiten

Montag: Regen am Morgen. So sehr ich des Sommers Hitze schätze, so sehr kann ich mich auch für Regen begeistern. „Regenmöger“ als Bezeichnung meiner Person wäre daher nicht deplatziert, ebenso Warmduscher. Ich wüsste wirklich nicht, was an einem Brausebad unter angewärmtem Wasser Anlass zur Geringschätzung bietet.

Meine Bahn entfällt. Komme ich also später ins Werk, da gibt es wohl schlimmeres. Die Bahnhaltestelle ist überdacht und ich habe ein Buch dabei.

Die größte Herausforderung an Montagen liegt ja oft darin, nach dem Wochenende das Interesse wieder auf Dinge zu lenken, für welche zu interessieren man mich entlohnt.

„Die Lösung ist nicht ganz so fancy„, hörte ich in einer Besprechung und notierte es umgehend.

Dienstag: Nachtrag zu letzter Woche: Franzi hat einen schönen Text (unter anderem) zum Thema „Leben in der eigenen Welt“ geschrieben, den sie letzten Freitag auf der #Mimimimi-Lesung vortrug. Zitat: »Warum ist „Du lebst in deiner eigenen Welt“ nicht ganz offiziell eines der schönsten Komplimente, die man einem anderen Menschen machen kann?« Recht hat sie. Jeder hat das Recht, wenn nicht die Pflicht, in seiner eigenen Welt zu leben. Jedenfalls zeitweise.

In einer sehr eigenen Welt leben wohl auch Menschen, die sich Wörter wie „Eisenbahn-Inbetriebnahmegenehmigungsverordnung“ ausdenken.

Mittwoch: Jan Ullrich, Ende der Neunziger bekannt geworden als Radrennprofi und Werbeträger eines großen Telekommunikationsanbieters, zieht zurzeit aufgrund diverser persönlicher Unwägbarkeiten das Interesse zahlreicher Medien auf sich. Dabei ist das nur mäßig bis gar nicht interessant. Warum lassen die ihn nicht einfach in Ruhe?

Donnerstag: Heute war ich ziemlich müde den ganzen Tag über, vielleicht ein Glas Rosé zu viel am lauen Vorabend. Deshalb heute Weißwein.

Ich habe jetzt einen Rückspiegel am Fahrrad. Das ist wohl so ziemlich das uncoolste, was man haben kann, und doch wesentlich lebenserleichternder als so manche absurde App.

Herbert Reul beweist seine hervorragende Eignung als Innenminister von NRW, indem er verlangt, Gerichtsentscheidungen müssten auch das „Rechtsempfinden der Bevölkerung“ berücksichtigen. Nur: Was soll das sein? Was die Bild-Zeitung schreibt? Oder was bei Facebook gepostet wird? Oder was am lautesten geschrien wird?

Apropos Düsseldorf: „Dort gibt es Läden, in denen man gebrauchte Baby-Kleidung kaufen und gleichzeitig einen smoothie trinken kann. Das ist genau die Lebenswelt, die ich abstoßend und verachtenswert finde“, schreibt Seppo. Ich verstehe gut, was er meint.

Freitag: In gewisser Weise erscheint mit der Brückeneinsturz von Genua wie ein Symbol unserer Gesellschaft und ihrem Umgang mit der Natur: Viele wissen, dass dringend etwas getan werden muss, doch die, die was tun müssten, tun nichts. Bis zum Zusammenbruch. Dann haben die, die zuvor nichts taten, es ja immer gewusst.

Samstag und Sonntag: (Wird aus Zeitgründen nachgereicht.)

Woche 32: Wenn man sich die Finger wund schreibt

Montag: „Das zu bundeln macht schon Sinn, oder?“, wurde ich während einer Besprechung in einer Phase geistiger Abwesenheit gefragt. Ohne den leisesten Schimmer über den Sinn der Frage, erst recht des Wortes „bundeln“, nickte ich stumm und ergab mich der Hoffnung, man möge die um meinen Kopf kreisenden Fragezeichen nicht allzu sehr sehen. Während der Abwesenheit dachte ich über eine Frage nach, die zwar belanglos war, in dem Moment aber interessanter erschien als das Besprechungsthema, ohne eine Antwort darauf zu finden. Muss ich später mal im Netz recherchieren, so mein Plan. Leider hatte ich später die Frage vergessen. Vielleicht ist die künstliche Intelligenz ja bald so weit, dass man recherchieren kann, nach was man im Laufe des Tages recherchieren wollte. Ich könnte Alexa fragen, wenn wir eine hätten. Siri ist dafür eindeutig zu blöd. Aber Alexa kommt mir nicht ins Haus, niemals.

Dienstag: Heute war wieder so ein Tag, an dem ich den Kolleginnen ehrlicherweise einen Münzfernsprecher ins Büro wünsche und dazu ein sehr begrenztes Kleingeldbudget.

Geräuschentwicklung auch am Abend: Nachdem die Singstar-Krähe von Gegenüber seit geraumer Zeit ausgeflogen scheint, erfreut nun der Nachbar nebenan mit Gesang. Doch zürne ich darüber nicht, so ist das eben, wenn man mitten in der Stadt wohnt. Zudem übe ich ja selbst regelmäßig Trompete, und jeder weiß: Wenn ein Anfänger oder Wiedereinsteiger Trompete übt, ist das die Hölle. Für alle unmittelbar und mittelbar Beteiligten.

Mittwoch: „Die Spitze des Eisbergs ist noch nicht erreicht“, las ich heute in einem Artikel über zu erwartende Entgelterhöhungen bei Briefen und Paketen. Ich liebe schiefe Bilder.

Lehrt man die Schüler heute eigentlich das Wort „Entgelt“? Wenn ja, wie lange dauert es, bis sie nicht mehr „Endgeld“ in ihr Diktatheft schreiben? Lässt man heute überhaupt noch Diktate schreiben? Oder Aufsätze? Und in welchem Zusammenhang sollten sie es gebrauchen? Vielleicht „Talentgeltungsdrang“, ein Wort, welches beim Scrabble mit hoher Punktzahl belohnt, jedoch zu einer vergleichbaren Diskussion führen würde wie „Schwanzhund“ und „Quallenknödel“.

Donnerstag: Aus Gründen, welche darzulegen hier den Rahmen sprengte, die Sie aber nachlesen können, nehme ich an, jedes Tier, welches meine Nähe sucht, ist ein gestorbener Verwandter. Deshalb habe ich stets größte Skrupel, eine Fliege totzuschlagen, so lästig sie auch ist. Wer wollte sich schon nachsagen lassen, er hätte seine Großmutter umgebracht.

Freitag: Wenn man sich hier Woche für Woche die Finger wund schreibt, freut man sich, wenn es mal jemand liest, oder noch besser: sich vorlesen lässt. Am Abend hatte ich erneut das Vergnügen und die Ehre, als einer von vier Vorlesern an der #Mimimimi-Sommerlesung teilzunehmen. Schön wars! Vielen Dank an die Organisatoren, die Mitwirkenden mit Wort und Ukulele, und das Publikum!

Nochmal zum Nachlesen:

Homer Simpson und der Alle-mal-malen-Mann

Kein Schmähgedicht

Loblied auf die Tüchtigen

Schöner Träumen

Samstag: Nachtrag zu Donnerstag: Die zahlreichen Wespen, die zurzeit mit uns frühstücken, stellen meine Friedfertigkeit auf eine harte Probe.

Laut SPIEGEL produzieren Träger von Boxershorts fünfundzwanzig Prozent mehr Spermien gegenüber denen, die eng anliegende Schlüpfer bevorzugen. Gut zu wissen.

Gegenüber den für die kommende Nacht erwarteten Sternschnuppen legt der Geliebte eine eher unromantisch-nüchterne Haltung an den Tag: „Na super, dann haben wir den Dreck auch noch.“

Sonntag: Da der Liebste heute blümeranzbedingt etwas länger im Bett blieb, war es an mir, Brötchen zu holen, warum auch nicht, kann ich ja auch mal machen. Auf dem Weg zum Bäcker sah ich an einem Laternenpfahl einen Aufkleber: „Sunday Morning Sex“. Dem ist fürderhin nicht zu widerraten. Ein paar Meter weiter erreichte aus einem Fenster eine Vorleserstimme mein Ohr: „Die kleine Raupe Nimmersatt …“ Mit ganz viel schräger Phantasie kann man zwischen beidem möglicherweise einen Zusammenhang konstruieren, wenn man sich ganz doll Mühe gibt.

Wenn man die Sonntagszeitung durch, aber noch keine Lust hat, trotz zahlreicher Wespen den Liegestuhl auf dem Balkon zu verlassen, kann man noch etwas Zeit damit verbringen, Werbeprospekte zu studieren, die die Post am Vortag brachte.

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„Sieh nur, Liebling, dieses Früchtchen hier, an was erinnert es mich bloß?“

„Schatz, lass mich eben dieses Kartoffel fertig schälen, dann helfe ich deiner Erinnerung auf die Sprünge, he he.“

Merke: Nicht nach den Wespen schlagen.

Dann ist es wieder so schön

Es sei der heißeste Tag des Jahres, heißt es, aber wer weiß das schon so genau, einige Tage haben wir ja noch vor uns bis Silvester. Ganz Deutschland stöhnt und jammert. Nein: ganz Europa. Vielmehr: die gesamte nördliche Halbkugel. Vor allem die Bauern, die haben ja immer was zu nörgeln. Akute Pommesverkürzung droht, weil die Kartoffeln in diesem Jahr kleiner ausfallen wegen der Trockenheit. Nicht nur das: Die Tannenkinder verdorren in der Schonung und werfen ihr Nadelkleid ab, die Weihnachtsbaumversorgung ist gefährdet, Entspannung droht im Lichterkettenwettrüsten. Ventilatoren sind Mangelware, heißt es im Radio. Anscheinend setzt auch langsam die kollektive Hirnschmelze ein.

Nur die Biergärtner und Eisdieler sind zufrieden. Und die Winzer: 2018 verspricht ein ausgezeichneter Jahrgang zu werden. Wer braucht da Pommes und Weihnachtsbäume? „Denk doch mal an die Kinder“, höre ich sie rufen. Ja ja, schon gut, geht spielen.

Kommt im Juni nicht der Sommer, meckern alle über Kälte, Regen und trüben Himmel. „Wann wirds mal wieder richtig Sommer“, sang Rudi Carell einst. Kommt er dann im Juli endlich, also der Sommer, nicht Rudi, meckern sie auch wieder, jetzt über die unerträgliche Hitze. Ich meckere nicht, ich liebe den Sommer mit all seinen Begleiterscheinungen: Wochenlang Temperaturen über dreißig Grad, brennende Sonne, Biergarten, laue Abende auf dem Balkon, die Stadt voller Leben, auch nachts, kurzbehoste Menschen in den Straßen, warme Nächte, in denen man kaum richtig schlafen kann.

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Jeden Abend auf dem Balkon eine Flasche Rosé, mit dem Wein kommt die Lust auf Zigaretten, die Stimme der Vernunft, welche gemahnt, besser ins Bett zu gehen, wird ignoriert, es ist ja noch so schön gerade. Am nächsten Morgen mit Müdigkeit ins (wohlklimatisierte) Büro, und mit dem festen Vorsatz, heute früher ins Bett zu gehen, aber dann ist es wieder so schön, siehe oben.

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Szenenwechsel.

Mittagshitze liegt über dem Ort. Die alten Häuser aus beigem Stein scheinen unter verwitterten Dachziegeln zu schlafen, haben ihre Augen mit lavendelblauen oder lindgrünen Fensterläden geschlossen. Auf der Straße, in den Gassen fast keine Menschen, nur in dem kleinen Restaurant in der Mitte des Dorfs Geschäftigkeit, Mittagszeit, der junge Kellner trägt Speisen, Wasser, Weinflaschen und Kaffee an die Tische unter den Platanen, fast Festtagsstimmung an einem normalen Dienstagmittag in der Provence. Das gelbe Auto von La Poste fährt vorbei, ohne anzuhalten.

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Selbst ein Montag muss nicht beschwerlich sein, jedenfalls nicht, wenn man fernab des Büros in einem Liegestuhl sitzt, umgeben vom Sommer. Im Schatten der Dachterrasse, mit Blick auf die Berge, den blauen Himmel und die Dächer befinden wir uns mittendrin und doch fern von allem. Die Arbeit ist erfreulich weit weg, auch gedanklich.

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Leichter, lauer Wind umbläst den unbetuchten Körper, Vögel zwitschern, eine Taube ruft ihr „Bubuubu, bubuubu…“, in der Ferne fröhliches Kindergeschrei. Arbeitsgeräusche von den Handwerkern in der Nachbarschaft nehme ich erst wahr, als sie abbrechen. Mir wäre es jetzt zu warm zum arbeiten; gelähmt durch eine Art Umgebungslobotomie kann ich mir kaum vorstellen, diesen Liegestuhl überhaupt jemals wieder zu verlassen. Irgendwann werden mich Hunger, Durst oder die Blase daraus vertreiben, aber das hat noch Zeit.

In einem Spalt des alten Holzbalkens über mir schläft eine Fledermaus, sie hat sich verraten durch die Kotbröckchen auf dem Terrassenboden unter dem Spalt. Wie beneidenswert: den ganzen Tag schlafen und kacken. Das ist natürlich Unfug, ich weiß. Denn heute Nacht, wenn ich im Arm des Liebsten hoffentlich angenehmen Träumen entgegenschlummere, muss sie raus aus ihrem Spalt, Motten und Mücken jagen, damit sie auch morgen was zu kacken hat.

Damit ist das Leben umfassend beschrieben – schlafen, jagen und kacken. So gesehen ist der Unterschied zwischen Mensch und Fledermaus nur gering.

***

(Teilweise bereits früher erschienen, aber das merkt bei der Hitze eh keiner.)

Woche 31: Das Leben in vollen Zügen genießen

Montag: Mein armer, geschundener Körper mutet an wie ein Testgelände für Stechungeziefer aller Art. Das ist jedoch ein Luxusproblem gegenüber einer Meldung in den Nachrichten: Aufgrund der sommerlichen Dürre fallen die Kartoffeln in diesem Jahr kleiner aus, weswegen eine erhebliche Verkürzung der Pommes Frites zu befürchten ist, was eher schlichte Gemüter veranlassen könnte, „Armes Deutschland“ zu rufen.

Dienstag: Gerade der Sommer bietet reichlich Gelegenheiten, das Leben in vollen Zügen zu genießen. So auch heute während der Rückreise von einer Tagung nahe Ulm, der Stadt mit der höchsten Kirchturmspitze. Ich könnte mich nun ausführlich auslassen über verspätete und ausgefallene Züge, Verzögerungen im Betriebsablauf, ausgefallene Klimaanlagen, eingeschränkten gastronomischen Service ohne Sachertorte, dafür mit ungekühlten Kaltgetränken, aber das will nun wirklich niemand mehr lesen. Sensation des Tages war die auf die Minute pünktliche Abfahrt des ICE 514 um 18:36 Uhr ab Mannheim. Das war so ziemlich das einzige, was funktionierte.

Dem Bahnhofsvorsteher von Celle

war abhanden gekommen die Kelle.

So laut er auch pfiff:

Die Lokomotiv’,

bewegte sich nicht von der Stelle.

(Eigenproduktion, daher urheberrechtlich unbedenklich.)

Ein Teilnehmer der Tagung war mit einem Namen gestraft, der mich noch am Abend innerlich zum Grinsen veranlasst, welchen hier niederzuschreiben ich jedoch aus Gründen des Anstandes nicht für angebracht halte. Nur soviel: Seine Jugend dürfte dadurch nicht immer unbeschwert gewesen sein.

Mittwoch: Heute beendete ich auf der Rückfahrt vom Werk meine derzeitige Stadtbahnlektüre: „Es ist nur eine Phase, Hase“ von Maxim Leo und Jochen Gutsch (Das sind vergleichsweise viele Autoren für gerade mal einhundertdreiundvierzig Seiten). Das Büchlein widmet sich, knapp zusammengefasst, den Befindlichkeiten von Menschen um die fünfzig, die mit dem Fortschreiten ihrer Jahre hadern und deshalb als Ablenkungsmanöver seltsame Dinge tun wie Marathon laufen oder Marmelade kochen, von den Autoren als „Alterspubertierende“ bezeichnet. Es ist recht witzig geschrieben, an manchen Stellen dachte ich: stimmt, kenne ich (selbstverständlich nur von anderen, nicht von mir selbst). Dennoch bleibt rätselhaft, warum sich das Buch seit Wochen auf der SPIEGEL-Bestsellerliste hält.

Passend dazu bot mir heute in der Bahn erstmals eine junge Dame ihren Sitzplatz an. Vielleicht hatte sie auch nur einen Wadenkrampf und wollte deshalb stehen. Das war sehr nett, und doch irritierend.

Donnerstag: Laut Zeitungsbericht verbietet nun auch Dänemark die Verhüllung des Gesichtes in der Öffentlichkeit. Das Verbot bezieht sich auch auf falsche Bärte. Was zur Frage führt: Wann gilt ein Bart als falsch im Sinne von ästhetisch unvorteilhaft? Fragte man mich, gäbe ich zu Protokoll: alles ab zehn Millimeter Länge, zudem alleinstehende Schnauz- und Kinnbärte – aber da gehen die Meinungen wohl auseinander. Und müssen Nikolaus und Weihnachtsmann ihr Werk in Dänemark ab sofort glattrasiert verrichten?

Freitag: Es liegt mir fern, mich zu beklagen, aber ein Schreibtisch am Baggersee statt im Büro wäre in diesen Tagen nicht das schlechteste. Sind jetzt Menschen, die in der Kühle einer Fischkonservenfabrik ihrem Tagwerk nachgehen, zu beneiden? Am besten hat man da einen Job im Wasser, vielleicht als Muschelzähler oder Unterwasserkönig.

Apropos warm: Heute in einer Woche werde ich helfen, die Luft mit Worten weiter anzuwärmen: https://4xmi.de/ – es gibt noch Plätze!

Samstag: „Tarzan verlässt Oberhausen“, plärrt die Radioreklame. Das wäre mal ein nicer Filmtitel. Die Geschichte: Tarzan, einst der Liebe wegen ins Ruhrgebiet gezogen, musste nach einer Räumungsklage sein Baumhaus am Autobahnkreuz Oberhausen-West verlassen, wo er sich nach der Trennung von der Angebeteten, die jetzt mit Cheetah zusammenlebt, wohnlich eingerichtet hatte, mit Ornament-Tapete, Biedermeierschränkchen und anderem Firlefanz. Er zieht weiter in die Oberlausitz, wo er sich einem Wolfsrudel anschließt und fortan zusammen mit den neuen Freunden des nachts Schafe reißt. Das bringt die PEGIDA-Bewegung gegen ihn auf, die bereits nach einer Fußfessel schreit, aber wann hat es je zu etwas Sinnvollem geführt, weil man auf Geschrei gehört hat?

Auch wir verlassen heute, nicht Oberhausen, sondern Bonn, und das auch nur bis morgen, da die Schwiegerfamilie in Ostwestfalen zu Feierlichkeiten gerufen hat.

„Alles Unglück der Menschen kommt davon her, dass sie nicht verstehen, sich ruhig in einer Stube zu halten.“ (Blaise Pascal, Philosoph)

Sonntag: Auf die Frage von WDR 2, was die Hörer in diesem Sommer besonderes machen, lässt Norbert B. aus H. wissen, er sitze in Unterwäsche vor seinem Rechner und surfe im Internet herum, was dem WDR 2-Slogan „Infos, die ich brauche“ einen besonderen Unterstrich verleiht.

Einigermaßen angemessen bekleidet sitze ich ebenfalls vor dem Rechner und bringe meine Betrachtungen dieser Woche zum Abschluss. Besonderes Vergnügen bereitete mir dieses Mal, diese mit der aktuellen Wochenaufgabe der ABC-Etüden zu verknüpfen, wobei ich alle Wörter unterzubringen geschafft habe außer Ohrring, Federkleid und Tanztee (welche dann hiermit, wenn auch in etwas unsportlicher Weise, ebenfalls noch Erwähnung gefunden haben.)

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