Woche 37: Mopsbett aus Textilleder

Montag: „Ey, voll geiles Bücherregal, Alter!“ – Was die Jugend so redet, wenn sie in der Bahn mit ihren Datengeräten beschäftigt ist.

In der vergangenen Woche fragte ich, ob es eine Bezeichnung gibt für die Binnen-Initiale (wie „Hans A. Meise“), die manche sich für bedeutend haltende Menschen in ihrem Namen führen, was auf ein gewisses Echo meiner verehrten Leserschaft stieß. Der schönste Vorschlag kam von Thomas mit „Namensblinddarm“. Danke dafür!

Dienstag: „Chillen mit Sinn“ heißt eine sogenannte Demokratieplattform, die regelmäßig in Bonn stattfindet und Menschen miteinander ins Gespräch bringen soll. Etwas despektierlicher ausgedrückt könnte man es auch eine öffentliche Laberrunde nennen, mache ich natürlich nicht. Nun ist „chillen“ ja so ein Wort, welches zu hören mir nicht gerade Lustgefühle bereitet. Aber ich will nicht meckern: Wenigstens heißt die Aktion nicht „Chillen macht Sinn“.

To chill heißt ja (unter anderem) entspannen und abkühlen. Ersteres kann man wunderbar in unserem Lieblingsbiergarten am Rhein. Dort waren der Liebste und ich am Abend, vielleicht zum letzten Mal in diesem Jahr, bevor es abkühlt (und die allgegenwärtigen, schrecklichen Halbarmhemden endlich in den Schränken sowie Tätowierungen unter Textilien verschwinden). Vielleicht auch nicht.

Mittwoch: „Bis nächste Woche, ich freue mich auf den Termin“, höre ich die Kollegin am Telefon sagen. Die Welt ist so schrecklich verlogen.

In der Zeitung ist der Entwurf für den Bundeshaushalt 2019 abgebildet:

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Wieviel Hoffnung soll man noch für dieses Land, diese Welt, die Menschheit haben, wenn für Kriegsspiele fast zweiundzwanzig mal mehr Geld ausgegeben wird als für Umweltschutz?

Wenig Zuversicht wächst auch daraus, dass Bahnhofstoiletten nun „rail & fresh“ heißen, wie ich am Abend im Bahnhof Köln-Deutz sah. Nun gut – eine „Bahnamtliche Bedürfnisanstalt“ steigert auch nicht gerade den Harndrang.

Donnerstag: Auch wenn die Aktivitäten der Waldschützer im Hambacher Forst wohl gegen geltendes Recht verstoßen (und laut RWE bald bei uns die Lichter ausgehen, wenn die darunter befindliche Braunkohle nicht abgebaggert werden kann), so empfinde ich doch große Sympathien für ihr Tun und ihre Ziele, daraus mache ich kein Geheimnis. Indes erscheint mir ihre Kampfparole „Hambi bleibt“ verniedlichend, verharmlosend, geradezu lächerlich. Wie dem auch sei – ich wünsche ihnen und allen anderen, die für ein Ende dieses Wahnsinns eintreten, Erfolg und alles Gute.

Freitag: Ja, ich freue mich.

Gefreut hat mich auch dieser Dialog meiner beiden Lieblingsmenschen anlässlich des bevorstehenden Herbstes: „Die Gänse sind schon auf dem Weg in den Süden.“ — „Ja, und Weihnachten kommen sie zurück.“

Samstag: Aus einem Zeitungsbericht über Accessoires für anspruchsvolle Vierbeiner:

„Marie, ihre vorletzte Hündin, war mittelgroß und hatte ein großes Problem, wenn sie mit Frauchen unterwegs war. Es gab keine schönen und praktischen tragbaren Hundebetten.“ — „Vielmehr geht es um artgerechte Ernährung und Haltung. Daher gibt es unter dem Sir-Henry-Label auch ein Mopsbett aus Textilleder, schließlich soll Tier nicht Tier tragen.“ — „Sein Kallebanana-Keks beispielsweise ist, wie alle anderen Leckerlis hausgemacht und tierproduktfrei, besteht aus Banane, Apfel, Dinkelvollkornmehl, Haferflocken, Olivenöl und einer Prise Salz, sein Kalleefree mit Soja-und Reismehl ist glutenfrei.“ — „… wärmende Hundebekleidung, die sich zwar modisch an das anpasst, was Frauchen trägt, aber eben auch einen Sinn hat, etwa der Outdoorkleidung für Menschen entlehnt ist. Gerade kleine exotische Hunde bräuchten derlei wegen ihrer Fellstruktur.“

Ich fühle mich bestätigt in meiner Überzeugung, Hundehalter haben einen an der Waffel. Hausgemacht und Glutenfrei.

Sonntag: Wie eine sonntägliche Fahrradfahrt am Rhein offenbart, lassen sich radfahrende Rentner in zwei Klassen einteilen. Während mich die einen, elektrisch unterstützt, mit müheloser Leichtigkeit auch an engeren Stellen im Tiefflug überholen, bewegen sich die anderen vor mir nahe der Geschwindigkeitsgrenze, ab der das Rad aus Gründen der Physik umfällt.

Woche 34: Sorge um den Weltfrieden ist angebracht

Montag: Nachtrag zum zurückliegenden Wochenende: Dieses verbrachte ich mit der Eisenbahn spielend in Gütersloh-Isselhorst, wo die Dampf-Kleinbahn Mühlenstroth ihr 45-jähriges Bestehen feierte. In jungen Jahren verbrachte ich dort, in dieser ganz eigenen kleinen Welt, zahlreiche Wochenenden mit vielen glücklichen Stunden, heute komme ich aus verschiedenen Gründen kaum noch dazu. Auch so etwas, wo ich jedes Mal denke, wenn ich wieder dort war: Das sollte ich öfter machen. Und es dann aus verschiedenen Gründen doch nicht tue.

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Hier eine Zugfahrt in bewegten Bildern.

Zurück in der Wirklichkeit, wurde meine Liebe zu schienengebundenen Verkehrsmitteln an diesem Morgen auf die Probe gestellt: Meine Bahn ins Werk entfiel mal wieder. Scheint jetzt montags eine regelmäßige Einrichtung zu sein.

Dienstag: Nicht nur die Bahn hat bisweilen Verspätung, sondern offenbar auch die Wirkung des Giftes, welches mir bereits am Sonntagnachmittag eine Wespe in den Finger injizierte. Erst heute machen sich Schwellung und juckender Schmerz bemerkbar.

Die Wolken der Mittagsmüdigkeit lichteten sich kurz, als mich ein Artikel des Handelsblattes schmunzeln ließ (wenngleich ich das Wort „schmunzeln“ wirklich schlimm finde, gleiches gilt für „schlemmen“ und „schlendern“). Er widmete sich einem Manager, der sich im Hause nicht allzu großer Beliebtheit erfreut, darin nämliches zu lesen:

»„B verbreitet Angst und Schrecken“, sagt ein Mitarbeiter. Er schraube die Ziele in unglaubliche Höhen. „Und wenn jemand Bedenken anmeldet, wird B cholerisch“, schildert [der Mitarbeiter] die Ausfälle seines Vorgesetzten. „Sein Gesicht wird rot wie eine Tomate, und er fängt an zu schreien.“«

Nein, geschmunzelt habe ich nicht, sondern – trotz der journalistischen Fragwürdigkeit des Artikels – laut gelacht. Ob der Beschriebene ebenfalls lachte oder schrie, ist nicht überliefert.

„Irgendwann ist die Zeit gekommen, dass ein Arschloch erfährt, dass es ein Arschloch ist“, las ich irgendwo. Keine Ahnung, wie ich da jetzt drauf komme, ischwör.

In Köln beginnt heute die Gamescom. So viel Aufwand für so einen Unfug. (Ja ich weiß, das kann man über den Betrieb einer Dampfkleinbahn auch denken. [Im Gegensatz zu „schmunzeln“ mag ich „Unfug“ als Wort übrigens sehr.])

Wie ich eher zufällig sah, habe ich genau 1.000 Follower bei Twitter. Das ist hinsichtlich meiner Aktivitäten dort eine immer noch erstaunlich hohe Zahl. Vor einer Woche waren es dreißig mehr. Ein derart hoher Abgang hätte mich vor einigen Jahren in eine tiefe Krise gestürzt, heute bekräftigt es meinen Entschluss, dort bald die Biege zu machen. Zumal Twitter seit Donald Trump und Horst Seehofer für mich endgültig die Unschuld verloren hat.

Mittwoch: „Shop shop, Hurra“, endet eine Radioreklame. Sind nicht – neben Kreuzfahrtschiffen, Kohlekraftwerken und SUV-Fahrern – Werber die schlimmsten Umweltverschmutzer?

Donnerstag: Wie man auch ohne kulinarische Kenntnisse und Infrastruktur den Ruf eines Spitzenrestaurants erlangen kann, können Sie hier nachlesen.

Freitag: Laut einem Zeitungsbericht wirbt die Bundeswehr am Rande der Gamescom (und des guten Geschmacks) mit Plakaten um Nachwuchs. Auf diesen sei unter anderem zu lesen: „Double Kill, Multi Kill, Ultra Kill, Rampage, M-M-M-Monster-Kill!“. Es entzieht sich meiner Kenntnis, was „Rampage“ ist und „M-M-M“, auch fühle ich mich zu matt, dies zu recherchieren. (Gut, zu „M-M-M“ lässt meine sittenlose Phantasie das eine oder andere Bild aufleuchten, indes gehe ich nicht davon, dass das hier gemeint ist.) Sollte sich hierdurch ernsthaft jemand animiert fühlen, der Truppe beizutreten, wäre wohl große Sorge um den Weltfrieden angebracht.

Samstag: Unter der Rubrik „Was macht eigentlich …“ geht die Zeitung dem Verbleib der ausgeschiedenen Bundesminister der letzten Regierung nach. Während wir den Meinungsäußerungen von Sigmar Gabriel auch heute ebensowenig entgehen können wie dem Verbalunrat von Alexander Dobrindt, ist es eher still geworden um Thomas de Maizière. Wie er verlauten lässt, nutze er die Zeit, um „seinen Lebensrhythmus an die neuen Gegebenheiten anzupassen“. Ein Satz, den es sich zu merken lohnt.

Nicht merken muss man sich unterdessen das Wort „Mutzensteinvieh“, mit welchem ich am frühen Abend bezeichnet wurde.

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Sonntag: Alles hat ein Ende, nicht nur die Woche, sondern auch die Sommerferien. Das heißt, ab morgen sind sie alle wieder da, auf den Straßen, in den Bahnen und Büros; erholt, voller Tatendrang und mit neuen Ideen. Mir graut ein wenig.

Woche 15: Manches möchte man gar nicht so genau wissen

Montag: Für den Kaffee aus dem Automaten der Etagen-Kaffeeküche gilt dasselbe wie für den Schnaps, den die Oma einst nach üppigem Mahl trank: Ich mag ihn nicht, aber ich muss ihn haben.

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Dienstag: Während das Unternehmen nicht müde wird, die Wichtigkeit der Digitalisierung zu betonen, lässt es ins Fach eines jeden Mitarbeiters ein buntes Faltblatt legen mit dem Titel „So einfach ist Umweltschutz“. Etwa neunundneunzig Prozent dieser Zettel landen anschließend ungelesen im Papierkorb.

Mittwoch: Wie einfach Umweltschutz wirklich ist, zeigten zahlreiche Berufstätige in Düsseldorf, nachdem auf Veranlassung der Gewerkschaft Verdi Busse und Bahnen für eine bessere Entlohnung ihrer Lenker im Depot geblieben waren. „Die Leute werden kreativ: sie gehen zu Fuß“, so der Mann im Radio.

Donnerstag: „Das ist die Story dahinter.“ – „Ich bin da nicht im lead, kann aber gerne meinen input geben.“ – „Quick and dirty ist nicht so meins.“ Manches möchte man gar nicht so genau wissen. Manchmal, wenn alle um mich herum Seltsames reden, wünsche ich mir nichts sehnlicher, als alleine zu sein und mir in aller Ruhe einen Porno anzuschauen.

Freitag: Irgendwann sollte ich mir mal abgewöhnen, lauten Autos und Motorrädern „Fahr zur Hölle!“ hinterherzurufen. Vielleicht bin ich diesbezüglich mit der Zeit empfindlicher geworden, aber mir scheint, dass deren Anzahl immer weiter ansteigt, vor allem die penisverlängernden sogenannten Sportwagen (was auch immer daran sportlich sein soll) mit komplexbeladenen Testosteronäffchen der Generation Knöchelfrei hinter dem Steuer, deren Hang zu riskanter Fahrweise mich immer wieder mit hilfloser Wut erfüllt. Wenn ich König von Deutschland wäre, würde ich die ihnen ohne Gegenleistung per Gesetz abnehmen und sie zwingen, bei der Verschrottung zuzuschauen; zudem würde ich die Herstellung und den Import solcher Karren verbieten, auch wenn Porsche dann zumachen muss. Zudem wäre es ein sinnvoller Beitrag zur Verminderung von Stickoxiden und Lärm. Aber mich fragt ja mal wieder keiner.

Samstag: „Selbst wenn man sich relativ gut kennt, ist das Bad oft ein Bereich, in dem man Abgeschiedenheit schätzt“, lässt sich ein gewisser Uwe Linke im Zeitungsinterview zitieren. Dem ist unbedingt beizupflichten. Hinzuzufügen wäre noch, und meinen beiden Lieblingsmenschen aufzutragen, es hundertmal an die Tafel zu schreiben: Bei Verrichtung größerer Geschäfte ist die Badezimmertür zu schließen, dazu ist sie nämlich da.

Sonntag: „Das war entzückend anzusehen, wenn auch nicht nicht sonderlich entzückend anzuhören, denn die Töne wichen aus, wenn Madrina auf sie zielte.“ (aus: „Monsieur Jean und sein Gespür für das Glück“ von Thomas Montasser, ein wunderbares Buch.) – Da fällt mir auf, dass ich die Singstar-Krähe von gegenüber lange nicht gehört habe. Normalerweise übt sie an sonnigen Tagen wie diesem bei geöffnetem Fenster stundenlang immer wieder dasselbe Lied. Vielleicht ist sie verzogen und quält nun andere. Oder jemand hat sie nachhaltig zum Verstummen gebracht.