Nachdem ich als Kind in einem Tierpark zum ersten Mal gesehen hatte, wie eine Landschildkröte an einem Salatblatt knabberte, wusste ich, so eine muss ich haben. Es bedurfte einiger Quengelarbeit, bis mein Vater mit mir in eine örtliche Zoohandlung fuhr und ich mir eine aussuchen durfte; damals standen die noch nicht so sehr unter Artenschutz und kosteten höchstens zwanzig Mark. Ich nannte sie ‚Slo‘, wie die von Steiff, welche ich selbstverständlich ebenfalls besaß, und obwohl ich sie – im Gegensatz zu ihrer Plüsch-Schwester – nicht mit ins Bett nehmen durfte, liebte ich sie wie andere ihren Hund. Stundenlang beobachtete ich Slo in ihrem kleinen Gehege in unserem Garten und fütterte sie mit allem Möglichen, sie fraß mit unendlichem Appetit wirklich alles – von Kopfsalat bis Nutellabrot.
Dann kam der Herbst, Slo musste Winterschlaf halten, möglichst ungestört in einer Kiste voll Laub und Torf an einem kühlen Ort: in unserem Vorratskeller. Ich machte es, wie es in den Büchern stand, aber es funktionierte einfach nicht: Im Frühjahr wachte sie nicht mehr auf und ich begrub sie im Garten, hinten am Zaun unter der Trauerbirke.
Ich durfte von meinem Taschengeld eine neue Schildkröte kaufen, die leider ebenfalls nur eine Saison überlebte. So ging das ein paar Jahre, ehe ich auf winterschlaflose Wasserschildkröten umstieg.
Vielleicht wundern sich die Leute, die letztes Jahr mein Elternhaus gekauft haben, wenn sie demnächst hinten am Zaun das Beet umgraben.
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Dieser Aufsatz ist mein erster Beitrag zum Schrei(b)projekt 9+1 von Jule.