Woche 40/2022: Kinderwagenhalterungen für Datengeräte und Weintrinken für den Wiederaufbau

Montag: Sonniges Herbstwetter motivierte mich an diesem Einheitsfeiertag zu einem längeren Spaziergang, der unter anderem entlang der Universitäts-Institute in Bonn-Poppelsdorf führte.

„Mit Verstand und Hammer“ (oder so ähnlich, mein Großes Latinum ist etwas in die Jahre gekommen)

»Zauberland is‘ abgebrannt“, steht auf einem Banner an der Mauer des Alten Friedhofes in der Innenstadt. Wer Urheber dieser Schrift ist und was damit zum Ausdruck gebracht werden soll, war im Vorbeigehen nicht zu erkennen; diesbezüglich Auskunft erteilende beziehungsweise Flugblätter aufdrängende Personen fehlten ebenso. Vielleicht ist es einfach als Zusammenfassung der derzeitigen Weltlage zu interpretieren, ganz unpassend wäre es nicht.

Zunehmend ist das Wort „Öffis“ zu hören und lesen, wenn Bus und Bahn gemeint sind. Damit muss man wohl leben.

Dienstag: Morgens während der Fahrradfahrt ins Werk unterstrich Gegenwind den Widerwillen. Auch mein Mitarbeiterausweis zeigte sich zunächst unwillig, mir Zugang zum Büro zu verschaffen, was nur zu kurzer Verzögerung führte, da die anwesende Kollegin mir mit ihrem Ausweis die Tür öffnete. Wenig später funktionierte auch mein Ausweis wieder; die Welt ist manchmal voller kleiner Wunder.

Der Maileingang war für zwei Wochen Abwesenheit erstaunlich gering, auch inhaltlich frei von Unbill. Die meiste Energie kostete, wieder Interesse entgegenzubringen den Dinge, für die zu interessieren sie mich gut bezahlen.

Mittwoch: Die Tageslaune war schon wesentlich besser als gestern, ich ließ mich gar hinreißen, an einer Teams-Besprechung teilzunehmen, zu der man mich spontan hinzuzuziehen suchte; üblicherweise ignoriere ich solche Überfallversuche, da ich sie für eine Unart halte. Des Weiteren wies der Kalender heute nur eine Besprechung auf, die gegen Mittag abgesagt wurde; da gibt es nichts zu beklagen.

Als besonders dümmliches Synonym las ich in der Zeitung das Wort „Sohlengänger“ für Bär, was die üblichen „Vierbeiner“ und „Samtpfoten“ an Dämlichkeit erblassen lässt.

Abends öffnete ich aufgrund eines Versehens, vermählt mit Unkenntnis, eine Flasche Burgunder, deren Preislage einem gewöhnlichen Mittwochabend unangemessen war. Nun, da sie schonmal entkorkt war – was soll man machen.

Donnerstag: Vergangene Nacht schlief ich schlecht. Ein Zusammenhang mit dem Vorabendburgunder ist auszuschließen.

Morgens auf dem Weg ins Werk überholte ich zu Fuß am Rheinufer einen jungen mutmaßlichen Vater, der dadurch auffiel, dass er mit beiden Händen den Kinderwagen schob, das heißt, im Gegensatz zu den meisten Eltern dieser Generation schaute er beim Schieben der Brut nicht aufs Datengerät. Gibt es wirklich noch keine Kinderwagenhalterungen für Datengeräte, die man am Griff befestigt und so schiebend draufschauen kann, oder habe ich das nur noch nicht gesehen? Flösse statt Beamten- etwas Gründermentalität in meinen Adern, würde ich diese Geschäftsidee vielleicht aufgreifen und reich werden.

Etwas später ging über dem Siebengebirge die Sonne auf. Beim Anblick eines Sonnenaufgangs kommt mir jedes Mal ein Musikstück in den Sinn, das wir vor geraumer Zeit in der Grundschule im Musikunterricht durchnahmen. Es hieß, so weit ich mich erinnere, „Sunrise Melody“ und war von, da bin ich mir unsicher, Carl Orff oder Béla Bartók. Die Melodie habe ich noch im Ohr und kann sie problemlos pfeifen oder summen – es beginnt verhalten mit Flötenspiel, bei jeder Strophe kommen weitere Instrumente hinzu, bis es in orchestraler Wucht endet; von der Machart her ähnlich dem Boléro von Ravel, nur ganz anders. Bereits mehrfach habe ich in des Netzes Weiten danach gesucht, es jedoch bislang nicht gefunden. Wenn Sie das Stück kennen und gar wissen, wo es zu finden ist, wäre ich für einen Hinweis sehr dankbar. (Vielleicht hieß es auch gar nicht „Sunrise Melody“ und war weder von Orff noch Bartók; die Erinnerung verfärbt sich bekanntlich ganz gerne nach so vielen Jahren.)

„Dank Feiertag ist heute schon Donnerstag“, schrieb einer in einer Mail. Welcher Tag wäre heute wohl ohne den Feiertag?

Freitag: „Unsere leeren Flaschen recyceln wir. Warum nicht unsere Straßen?“ steht auf einem Plakat in der Innenstadt. Vielleicht, weil wir keine leeren Straßen haben?

Samstag: Ein Experte im Radio zur Frage, warum wir uns parfümieren: „Wir riechen lieber wie ein Ochse ums Gemächt als nach Mensch.“

Den Tag verbrachte ich mit befreundeten Nachbarn im Ahrtal, wo wir von der Möglichkeit Gebrauch machten, an mehreren Ausschankhütten die Wanderung mit Weintrinken für den Wiederaufbau zu verbinden. An einer der Schankstellen wurde üble Partysaufmusik gespielt, die den Trinkgenuss nur geringfügig zu trüben vermochte. Doch steckt im Übel oft auch was Gutes – eine Liedzeile habe ich mir gemerkt: „Langweilst du dich genauso wie mich?“ Eine Frage, die sich gut in einer Besprechung anbringen lässt.

Im Hintergrund das noch immer von den Zerstörungen der Flut gezeichnete Dernau
Oberhalb von Dernau scheint die Weinwelt in Ordnung

Sonntag: Beim Spaziergang zog ich mir am Rhein den Unmut eines entgegenkommenden Radfahrers zu, weil ich ihm auf dem Fußgängerstreifen keinen Platz machte. Von einer Belehrung oder gar Beschimpfung sah ich ab, das führt zu nichts.

Es bleibt schwierig

Ein Punkt ist oft überzeugender als eine Aneinanderreihung von Ausrufezeichen. Daher endet auch diese Woche mit einem Punkt.

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Kommen Sie gut durch die neue, feiertaglose Woche.

Woche 34: Eine gute Wahl

Montag: „Blöder kann man wohl nicht in eine neue Woche starten“, schrieb ich hier vor genau einer Woche. Doch, kann man: Bereits um zwanzig nach drei in der Frühe schreckten wir hoch von drei Schüssen irgendwo draußen auf der Straße oder in den Höfen, wie soll man das in dem Moment so genau wissen. Nachdem am Morgen keine Leiche und keine Einschusslöcher in den Fassaden auszumachen waren, nehme ich an, dass ein Irrer ein neues Spielzeug hat. (Bereits am frühen Samstagmorgen hatte es fünfmal in gleicher Weise geknallt.) Eher unwahrscheinlich, dass jemand denkt: „Hier wohnt doch dieser K, den wecke ich jetzt mal, damit er was zu bloggen hat, dem fällt ja sonst nix Gescheites ein.“ Bloggerschicksal: Während meine Lieben schon wieder in sanften Träumen weilten, lag ich noch länger wach und dachte über die Formulierung nach.

Dienstag: Morgens brüllte am Wegesrand ein Laubbläser. Geht schneller als mit einem Rechen, klar. Aber was genau ist beim Laubklauben eilbedürftig?

Abends gab es was zu sehen, in gewisser Weise eine optische Wiedergutmachung für das vorgenannte Gelärme.

Spätabends vermeldete der Geliebte die Sichtung der vierten Maus im Vogelhaus. Das macht nichts, es bietet genug Platz für noch einige mehr. Wir schaffen das, wie die Kanzlerin sagen würde.

Mittwoch: Als ich morgens zum Werk kam, versperrte ein Auto den Zuweg zum Fahrradständer, weil die Fahrerin direkt vor der daneben befindlichen Packstation parkte, um ein Paket abzuholen. Das Angebot an sie, meine Kollegen zu fragen, ob sie nicht eine Packstation entwickeln wollen, in die man ganz hineinfahren kann, verkniff ich mir.

Während einer größeren Skype-Veranstaltung verbreitete sich ein Verbalvirus, Sie erinnern sich vielleicht, was ich meine: Jemand sagt ein bestimmtes Wort wie „quasi“, „genau“ oder „tatsächlich“, daraufhin taucht es in jedem weiteren gesprochenen Satz auf. Heute war es „natürlich“. Dummerweise bemerkte ich es erst, nachdem ich es selbst einige Male gesagt hatte.

Die Nachbarn von unten sind aus dem Urlaub zurück, einen Tag früher als erwartet. Das ist grundsätzlich nicht schlimm, andererseits erfordert es vom Geliebten umgehende Verhaltensanpassung dahingehend, ab sofort keine Krümel und andere Gegenstände mehr kurzerhand über die Balkonbrüstung auf deren Terrasse zu entsorgen.

Donnerstag: Mitschrift aus einem Vortrag mit anschließender Diskussion: 62 mal „natürlich“, 48 mal „entsprechend“, 46 mal „Ich sag mal“, 15 mal „genau“, 14 mal „im Endeffekt“, 14 mal „quasi“, (nur) 11 mal „tatsächlich“, 11 mal „irgendwie“, 6 mal „an der Stelle“, 5 mal „am Ende des Tages“, je 4 mal „(agil) unterwegs“ und „vertesten“, je 3 mal „ehrlicherweise“ und „im Nachgang“, je 2 mal „im Prinzip“, „Zeitleiste“ und „wie gesagt“, und je einmal „Range“, „im Vorfeld“, „ausspeichern“ und „on point“.

Freitag: Die Briefwahlunterlagen für die Kommunalwahl sind eingetroffen. Wen ich nicht wählen werde ist klar. Aber wo soll ich mein Kreuzchen machen? Gar nicht so einfach.

Eine gute Wahl ist hingegen die neue Weinbar, die unweit unserer Wohnung neu eröffnet hat. (Zuvor befand sich in den Räumlichkeiten eine Billigbäckerei mit dem etwas albernen Namen „Back Oven“.) Sehr zu empfehlen, wobei sich die geringe Entfernung aufgrund des von uns vertesteten Angebots vor allem für den Rückweg günstig auswirkte.

Samstag: Heute ist „Erdüberlastungstag“, also der Tag, an dem die Menschen die natürlichen Ressourcen für dieses Jahr verballert haben und gewissermaßen auf Kredit weiter aasen. Warum der ausgerechnet heute ist und nicht gestern oder morgen, weiß die Wissenschaft, irgendwelche klugen Leute haben das mit vermutlich hochkomplizierten Methoden ermittelt. Jedenfalls ist das auch so ein stiller Feiertag, den kaum jemand zur Kenntnis nimmt, es passiert ja nichts Spektakuläres, also nicht mehr als an anderen Tagen. Die Erde könnte sich ja melden mit Orkanen, Erdbeben, Vulkanausbrüchen oder Tsunamis, seht her ihr doofen Menschen, was ihr mir antut. Stattdessen leidet sie still vor sich hin. Wobei ich glaube, sie leidet nicht, vielmehr ist es ihr vollkommen egal, wann wir uns endlich ausgerottet haben.

Jährlich werden alleine in Deutschland etliche Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen, davon ein nennenswerter Anteil aus unserem Haushalt, weil der Liebste manchmal einkauft, als gelte es, eine fünfköpfige Bergarbeiterfamilie nach einer anstrengenden Bergwanderung zu sättigen. Ich prangere das regelmäßig an, was heute mal wieder leichte zwischenmenschliche Spannungen erzeugte, die aber abends in erfreulicher Weise unter anderem mit einem Restaurantbesuch abgebaut werden konnten.

Sonntag: Michael Spehr schreibt in der F.A.S. über Freisprech-Telefonierer:

„Das Freisprechgeplärre ist die aggressive akustische Besetzung eines Raumes, den man nicht hat. Noch nie ließen sich Frechheit und Selbstgefälligkeit so einfach zur Schau stellen. Man muss dazu noch nicht einmal auf eine dieser neuerdings modischen Idioten-Demos zu gehen, sondern benötigt nur ein Smartphone und die Dreistigkeit der Dummen.“

Nämliches gilt für diese plärrenden Lautsprecher-Dinger, die sich Leute ans Fahrrad oder den Rucksack hängen, um damit ungefragt ihr Umfeld mit zweifelhafter Musik zu belästigen.

Ebenfalls nicht besonders leise, von manch unfrohen Naturen gar als Belästigung empfunden ist der Karneval. Zurzeit wird recht laut darüber nachgedacht, die bevorstehende Session aus aktuellem Anlass ausfallen zu lassen. Für mich persönlich habe ich diese Entscheidung längst getroffen, und ich gehe nicht davon aus, es allzu sehr zu vermissen.

Wie ich nachmittags während des Sonntagsspazierganges feststellte, hat der Ekelgrad der Schnellgastronomie augenscheinlich eine neue Stufe erreicht. Was zum Teufel ist das? Es sieht ziemlich widerlich aus.

Ich bin ein schwacher Mensch. Deswegen bin ich rückfällig geworden. Nein, ich rauche nicht wieder, das nicht. Aber ähnlich: Ich habe mir wieder ein Twitterprofil angelegt, vorletzte Woche schon, bitte fragen Sie nicht warum, es überkam mich. Doch besteht Hoffnung: Bereits heute weiß ich wieder, weshalb ich mich erst im letzten Jahr nach zehn Jahren Aktivität dort verabschiedet hatte. Insofern gehe ich nicht davon aus, dass das neue Profil lange bestehen wird.

Redaktioneller Hinweis: Dieser Wochenrückblick entstand nicht ganz freiwillig mit dem neuen Editor von WordPress, den ich als arg gewöhnungsbedürftig empfinde und noch nicht durchblicke. Für etwaige Qualitätsmängel in der Gestaltung bitte ich um Nachsicht. Ursachen für mögliche inhaltliche Mängel sind indes nicht dem Editor anzulasten sondern wie immer demjenigen, der ihn nutzt.

Ihnen eine angenehme neue Woche!

Woche 27: Einfach nur sitzen und kucken – Brückenlimbo und Silberlocken

Montag: Zwei Wochen Urlaub, wie schön. Entgegen sonstiger Gewohnheit werden wir die Zeit nicht in Südfrankreich verbringen, nicht wegen der Seuche, sondern wegen schlechter Erfahrungen im Vorjahr mit der Hitze, die uns zum vorzeitigen Abbruch zwang. Was wir stattdessen tun, darüber berichte ich ab morgen.

„Es gibt keinen Plan“, ist in diesem Aufsatz zu lesen, den ich Ihnen empfehle. Sein Fazit: „Das heißt, Sie können einfach machen, was immer Sie wollen. Auch wenn es zu Fehlern führt. Das macht überhaupt nichts, denn Sie haben zwar keinen Plan – die anderen alle aber auch nicht. Es fällt nicht weiter auf. Machen Sie einfach irgendwas.“

Womöglich hat unser Nachbar gegenüber den Aufsatz ebenfalls gelesen und verinnerlicht. Von Beruf ist er Lehrer, was keinesfalls ab- oder in sonstiger Weise wertend gemeint ist, vielmehr soll es nur als Erklärung dienen, warum auch er Urlaub hat. Seit Stunden hämmert, sägt und flext er auf seiner Terrasse herum, ohne dass der Zweck seines Tuns erkennbar wäre.

Ob die Verfasserin des umstrittenen Artikels in der „taz“, der die Entsorgung von Polizisten auf Mülldeponien empfiehlt, ebenfalls einen Plan verfolgte oder einfach nur von allen guten Geistern verlassen ist, weiß ich nicht. Dabei gebe ich zu bedenken: Müll landet heute üblicherweise nicht mehr auf Deponien, sondern in Müllverbrennungsanlagen. So weit wollte sie dann vielleicht doch nicht gehen. Laut Zeitungsbericht sieht sie sich inzwischen heftigen Schmähungen und Bedrohungen ausgesetzt. Das heiße ich selbstverständlich nicht gut, kann es allerdings nachvollziehen.

Dienstag: Der Liebste und ich stachen heute in See, oder besser: in Fluss; statt Südfrankreich dieses Jahr eine Woche auf Rhein und Mosel. Ab 14 Uhr war am Bonner Ufer die Einschiffung, ein Wort, das ein wenig an Inkontinenz erinnert, was mit einer gewissen Boshaftigkeit eine passende Überleitung auf das Durchschnittsalter der Mitreisenden wäre, das wie erwartet erkennbar über unserem liegt, oder, wie der Geliebte es in der ihm eigenen Charmanz ausdrücken würde: „Kommen die alle zum Sterben hierher?“

Da unser Schiff, die „Andrea II“, nagelneu ist, wurde sie heute erst getauft. Die Champagnerflasche zerschellte auf Anhieb an der vorgesehenen Stelle, ohne größeren Schaden anzurichten, wodurch die allzeit eine Hand breit Wasser unter dem Kiel hoffentlich mindestens für die nächsten sieben Tage gewährleistet ist.

Zur Sicherheitsbelehrung wurde Sekt gereicht (auch für den Kapitän). Da kann man nicht meckern, was selbstverständlich manche nicht davon abhalten wird, es dennoch zu tun.

Pünktlich um 19 Uhr legten wir ab. Dem Kalenderseitenspruch „Auch jede große Reise beginnt mit einem kleinen Schritt“ folgend endete die erste Etappe bereits nach einer Stunde in Königswinter (nicht davor und nicht dahinter, ha ha), wo wir einen kurzen Landgang auf ein Glas Wein machten.

Bis jetzt zwei kleine Kritikpunkte. Erstens: Zum Essen wurde uns ein Vierertisch zugewiesen, was meiner westfälischen Abneigung, mich mit fremden Leuten unterhalten zu müssen, zuwiderläuft, wobei anzumerken ist, unsere Tischnachbarn, ein Paar aus Bayern, sind sehr nett. Zweitens: Frühstück gibt es nur bis 9:30 Uhr, was ein für Urlaubsverhältnisse unangemessen frühes Aufstehen erfordert.

Nachts um zwei legten wir in Königswinter ab, nächster Halt: Braubach.

Mittwoch: Vergangene Nacht träumte ich erst von intensivem Maschinenlärm im Norden von Gütersloh, der bis Bielefeld zu hören war, dann vom lauten Abbruch eines Wohnblocks neben meinem Elternhaus, begleitet von äußerst lustigen Dialogen der Abbrucharbeiter, die ich leider nicht wiedergeben kann, da vergessen. Interessanterweise spielt noch immer ein großer Teil meiner Träume in Bielefeld, und es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis auch die für die Traumerzeugung zuständige Hirnregion endlich im Rheinland ankommt. Grund für die geräuschthematischen Träume war übrigens das recht laute Brummen des Schiffs, das sich nachts stromaufwärts gen Braubach kämpfte. Daran muss ich mich noch etwas gewöhnen, oder zur Schlafvorbereitung ein Glas Wein mehr trinken.

Nach dem Frühstück machten wir einen kurzen Spaziergang durch Braubach, danach begaben wir uns auf das Sonnendeck, wo sich ein Mitreisender darüber empörte, dass kein Kellner heraufkommt. „Dann muss du eben unten bescheid sagen“, sagte seine Begleitung. „Das ist für mich nicht interessant“, seine Antwort. Einer hat halt immer was zu pissen.

Aus der Zeitung: „Jetzt müssen und können wir beweisen, dass Karneval auch ohne Alkohol und laute Musik geht“, sagt die Präsidentin des Festausschusses Bonner Karneval. Karneval ohne Alkohol und Musik. Das ist einen Tusch wert, wenn nicht gar eine Rakete.

Gegen zwölf Abfahrt nach Rüdesheim. Alle paar Meter eine Burg oder Ruine, dazu Erklärungen aus dem Bordlautsprecher. Wenn man hört, wann die von wem und wozu errichtet und wieder zerstört wurden, kann man nur zu dem Schluss kommen, früher waren die Menschen nicht weniger bekloppt als heute, nur anders.

Erkenntnis zu Rüdesheim: Wenn in ohnehin deprimierenden Touristenorten die Touristen ausbleiben, wirken sie nochmal so deprimierend. Dennoch hielten wir Einkehr für einen vorzüglichen Riesling.

(Die berühmte, sonst menschendurchtoste Drosselgasse)

Das Fotografierverbot, das ich erst jetzt bemerke, könnte ein Hinweis darauf sein, wie sehr man sich selbst schämt, so einen Unrat zu verkaufen.

Donnerstag: In den frühen Morgenstunden fuhr das Schiff nach Koblenz, wo es am Peter-Altmeier-Ufer festmachte. Falls Sie sich wundern wie ich zunächst: Nicht der amtierende Wirtschaftsminister ist Namensgeber, sondern ein früherer Ministerpräsident, wie der Liebste zu recherchieren so freundlich war.

Ansonsten gehen in Koblenz die Uhren anders.

Mittags setzten wir die Reise fort über die Mosel bis Cochem. Ich kann stundenlang oben auf dem Aussichtsdeck sitzen und, ob sonnenbestrahlt oder windumpustet, nichts weiter tun als in die Gegend zu kucken. Wenn man damit Geld verdienen könnte, gerne auch hauptberuflich.

Im Übrigen gilt für die touristische Attraktivität von Cochem ähnliches wie für Rüdesheim. Grundsätzlich sind das schöne Orte. Leider wurden deren Grelle und Lautstärke viel zu weit aufgedreht.

Freitag: Am Morgen Weiterfahrt in Richtung Trier. Einfach nur sitzen und kucken.

(Brückenlimbo in Bullay)

Eine Runde Extrem-Brückenlimbo in Wehlen:

Die Präzision, mit welcher der Schiffsführer die zahlreichen Schleusen durchfährt mit jeweils nur wenigen Zentimetern Platz zu den Seiten, ist bewundernswert. Vermutlich würde er auch ziemlich großen Ärger mit dem Eigner bekommen, wenn er in das neue Schiff eine Macke fährt.

Ankunft im Industriehafen zu Trier zwei Stunden vor Plan. Auch schön hier.

Samstag: Hier und da Unmutsäußerungen der Mitreisenden ob des wenig pittoresken Liegeplatzes im Hafen, fern der Trierer Innenstadt, die immerhin mit einem vom Veranstalter organisierten Bustransfer zu erreichen ist. Oder: „Aufstand der Silberlocken“, wie der Liebste es treffend ausdrückt.

Mir bereitet es unterdessen keinerlei Verstimmung, wenn beim Sitzen und Kucken der Blick nur auf ein Hafenbecken mit wenig Betrieb fällt. „Hafen Trier – unser Hafen bringts!“, steht an einem hohen Bunker. Ein Satz, der zum Nachdenken anregt.

Nachmittags Bus-Ausflug nach Luxemburg. Augenscheinlich eine sehr schöne Stadt, die wir nochmals besuchen wollen, gerne auch ohne eine geführte Tour, also mit mehr sehen, weniger hören. Bei Stadtführungen wird für für meinen Geschmack ja generell zu viel erzählt und zu wenig gegangen. Alle paar hundert Meter bleibt man stehen, da ist dann irgendein bedeutendes Bauwerk, eine geschichtsträchtige Gaststätte, eine wichtige Kirche oder ein Denkmal, und man wird mit wenig merkenswerten Fakten beworfen. Immerhin weiß ich nun, dass die Luxemburgische Flagge rot-weiß-himmelblau ist. Himmel-, nicht hellblau; hellblau kann ja jeder.

Sonntag: Aufgewacht in Bernkastel-Kues, wo freundlicherweise schon für uns geflaggt wurde.

Das Wetter zeigte sich zunächst leicht betrübt, die persönliche Stimmung indessen bestens.

Weinanbau, so weit das Auge reicht. Wie würde man das einem Außerirdischen erklären?

Wurde eigentlich schon untersucht, warum einander fremde Menschen winken, sobald sich ein Teil von ihnen auf einem Schiff befindet?

Kindlos glücklich

„Willst du denn keine Kinder?“, fragen sie mich manchmal, und ich antworte aus voller Überzeugung: Nein, will ich nicht. „Warum denn nicht?“ fragen sie mich dann mit einem Blick, als hätte ich bekanntgegeben, mich bevorzugt von Einhörnern und Katzenbabys zu ernähren. – Nun, wie erkläre ich meine unpoluläre Haltung zum Nachwuchs: Es gibt mehrere in meinen Augen triftige Gründe, keine Kinder zu wollen.

Erstens: Ich kann mit Kindern nichts anfangen, sie sind für mich Wesen von einem anderen Planeten. Es gelingt mir nicht, mit ihnen in eine Interaktion zu treten, und wenn mir in der Bahn ein Kind gegenübersitzt, mich mit großen Augen anstarrt und immer wieder dieselbe Melodie singt, während es vom Vater oder der Mutter daneben ermahnt wird, den Mann nicht mit den Füßen ans Knie zu treten, wechsle ich lieber den Platz, als dass ich so etwas sage wie „Aber das macht doch nichts. Wie heißt du denn?“

Zweitens: Zurzeit leben rund siebeneinhalb Milliarden Menschen auf dieser Welt, Tendenz steigend. Das sind jetzt schon mehr, als die Welt verkraften kann. Dieser Vermehrung möchte ich durch eigenen Fortpflanzungstrieb nicht Vorschub leisten.

Drittens: Ich fürchte, unsere gewohnte „westliche“ Lebensweise in Frieden und weitgehender Freiheit ist ein Auslaufmodell. Die Entwicklungen in den USA, der Türkei, Polen, Ungarn, Großbritannien, Nordkorea und einigen weiteren Ländern sowie das zunehmende Erstarken der Rechten und die Zunahme religiös motivierter Gewalt deuten darauf hin. Wenn ich Glück habe, muss ich die großen Umwälzungen selbst nicht mehr miterleben. Für meine Kinder könnte ich das nicht garantieren.

Viertens: Ich kann ein Glas Wein trinken, Zigaretten rauchen und rote Fußgängerampeln ignorieren, ohne meiner Brut ein schlechtes Vorbild zu sein (für die Erziehung fremder Kinder bin ich nicht zuständig). Und ich kann am Wochenende ausschlafen, so lange wie ich will!

„JA ABER:“

„Kinder sind deine Altersversorgung!“ – Ich gebe zu, das ist ein gutes Argument. Jedoch setzt dies voraus, dass meine Kinder eine sozialversicherungspflichtige Arbeitsstelle finden. Angesichts zunehmender Job-Miniaturisierung, „Freelancertum“ und sonstiger Errungenschaften der vielgepriesenen Digitalisierung bin ich mir dessen nicht sehr sicher.

„Willst du euren Stammbaum nicht fortsetzen?“ – Das ist nun wirklich das geringste Problem. Richtig, ich bin der Letztgeborene unserer Familie, und mit meinem Tod wird die Linie abreißen. Na und? Die Welt wird es überstehen. Der Familienname wird dennoch weiterbestehen, sogar an prominenter Stelle in Schleswig-Holstein, wenn auch ohne verwandtschaftliche Verbindung, jedenfalls ist mir keine bekannt.

„Du warst doch auch mal Kind.“ – Das ist richtig, ich bin es sogar noch heute, jedenfalls so lange meine Mutter lebt, also hoffentlich noch lange.

„Kinder zu haben ist das größte Glück, dagegen verliert alles andere an Bedeutung.“ – Mag sein, dass das für euch so ist; für mich zweifle ich sehr daran. Während der Satz „XY wird Papa“ bei euch Freude oder womöglich Neid auslöst, denke ich nur: Der Arme. Im Gegenteil, ich bin glücklich ohne Kinder und ohne den Wunsch, welche zu haben. Ansonsten fehlt es mir an nichts, Danke.

Übrigens gilt vorstehendes grundsätzlich auch für Hunde, nur dass ich mir durchaus vorstellen kann, Hundefleisch zumindest einmal zu probieren; zudem dürfte der Beitrag des Hundes an meiner Altersversorgung gering sein, selbst wenn er vollzeit berufstätig wäre. Andererseits würde ich mein Kind vermutlich nur in Ausnahmefällen an Laternenpfähle pinkeln und in fremder Leute Vorgarten kacken lassen.

Woche 15: Sieben Tage ohne die tanzende Mutter

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Montag: Abendveranstaltung der Lirac-Winzer anlässlich der von uns besuchten Weinmesse in Avignon. Das Verhalten der Mitmenschen an den Häppchenplatten inspiriert mich zu einem Gedicht:

Was immer gilt auf dieser Welt,

das gilt auch jetzt und hier:

Sobald umsonst es etwas gibt,

da wird der Mensch zum Tier.

Dienstag: Das Angebot französischer Supermärkte ist für das deutsche Auge bisweilen ungewohnt.

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Mittwoch: Laut einem Zeitungsbericht konsumieren die Deutschen jährlich im Schnitt 29,3 Liter Wein. Rein rechnerisch deckt mein persönlicher Konsum somit ungefähr den Jahresbedarf der Mainzelmännchen ab.

Donnerstag: Ein südhessisches Unternehmen vermietet laut Zeitungsbericht Hühner, wobei die während der Mietzeit gelegten Eier dem Mieter zufallen. Das bringt mich auf eine Geschäftsidee: Seit diesem Jahr sind Rauchmelder in Wohnungen Pflicht. Man könnte Hühner zu Rauchmeldern ausbilden und dann mit dem geschützten Warenzeichen ‚Alarmglucken‘ an den Markt gehen.

Unterdessen fordert die AfD, der evan­ge­li­schen und ka­tho­li­schen Kir­che den Sta­tus ei­ner Kör­per­schaft des öf­fent­li­chen Rechts zu ent­zie­hen, was das Ende von Kirchensteuer und Religionsunterricht in Schulen (und vielleicht irgendwann gar des karfreitäglichen Vergnügungsverbotes) nach sich ziehen würde. Ich bin weit davon entfernt, den Ideen der AfD Sympathie zu bekunden, aber diese erscheint gar nicht so verkehrt.

Freitag: Allerdings bedeutete dies, konsequent weitergedacht, auch die Abschaffung aller kirchlichen Feiertage wie diesem. Das mag die Wirtschaft freuen, dürfte jedoch auch beim atheistischstenen AfD-Wähler nur auf wenig Zustimmung stoßen.

Samstag: Ein einwöchiger Frankreichaufenthalt bietet neben vielen anderen auch den großen Vorteil, sieben Tage lang nicht aus dem Radio von einem gewissen Max Giesinger wegen einer tanzenden Mutter belästigt zu werden.

Sonntag: So schön der Urlaub war – das Wohlgefühl ausgehend von der ersten Nacht im eigenen Bett und der ersten Darmerleichterung auf heimischer Brille nach Rückkehr ist kaum zu steigern. Nur an die rheinische Kühle nach einer Woche in provencalischem Kurzehosenwetter muss ich mich noch etwas gewöhnen.

Zum Schluss noch ein paar Bildeindrücke der zurückliegenden Woche:

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Zu Hause ist es indessen auch ganz schön:

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Summernight City

http://www.youtube.com/watch?v=TuZEVL61uFI

Kommt der Sommer nicht im Juni, meckern alle über Kälte, Regen und trüben Himmel. Kommt er dann im Juli endlich, meckern sie auch wieder, über die „unerträgliche“ Hitze. Das ist normal, jedes Jahr wieder. Ich meckere nicht, ich liebe den Sommer mit all seinen Begleiterscheinungen: Temperaturen über 30 Grad, brennende Sonne, Biergarten, Balkon, die Stadt voller Leben, auch nachts, leicht bekleidete Menschen in den Straßen, laue Nächte, in denen man kaum richtig schlafen kann. Na gut, auf diese Gewitter mit Starkregen und Hagel kann auch ich gut verzichten, aber die gibt’s ja nicht nur im Sommer.

Genau so war die vergangene Woche, gleichzeitig die erste Arbeitswoche nach dem Urlaub. Jeden Abend auf dem Balkon mit mindestens einer Flasche Rosé zu zweit, mit dem Wein kommt die Lust auf Zigaretten, die Stimme der Vernunft, welche gemahnt, besser langsam ins Bett zu gehen, wird ignoriert, es ist ja noch so schön gerade. Am nächsten Morgen mit trüben Augen und Blümeranz ins Büro, und mit dem festen Vorsatz, heute früher ins Bett zu gehen, aber dann ist es wieder so schön, siehe oben.

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Dann das Wochenende: Freitagabend Bierbörse in den Rheinauen mit den großartigen QUEEN KINGS, und viel Bier, wie der Name schon sagt, gestern mit schwerem Kater zum Altglascontainer, Weinflaschen entsorgen. Wenn er könnte, würde er mich wohl schon mit Namen begrüßen. Abends Grillen mit dem Nachbarn und (immerhin nicht ganz so viel) Wein. Lange schlafen, trotz Hitze.

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Heute legt der Sommer eine kleine Pause ein, trübe, aber nicht kalt, ab und zu ein paar Tropfen Regen, die Sonne hat Mühe, sich durch die Wolkenschleier zu kämpfen; immerhin, die Unwetterzentrale meldet „alles grün“. Zum Abendessen wird wohl wieder eine Flasche Wein aufgemacht, danach die erste Zigarette des Tages. Aber mein Körper und ich sind uns einig, dass wir danach zeitig ins Bett gehen. Wenn es nicht gerade wieder so schön ist.