Woche 12/2023: Polyamore sind keine chemische Verbindung in der Kunststoffproduktion

Montag: Dass der Internationale Glückstag auf einen Montag fällt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Gleichwohl: Wenn man als Minimaldefinition für Glück das Ausbleiben von Unglück gelten lässt, war der Tag trotz in beruflicher Hinsicht bemerkenswerter Antriebslosigkeit durchaus als geglückt zu bezeichnen.

Dienstag: Wie der Weltklimarat mitteilt, steigt die Temperatur schneller als erwartet, was wohl nur wenige wundert. Als eine Lösung wird die beschleunigte Elektrifizierung genannt. Ich habe Zweifel. Wir sind bereits jetzt komplett abhängig von elektrischem Strom, ohne ihn funktioniert nichts mehr: Lebensmittel-, Trinkwasser- und medizinische Versorgung, Heizung, öffentliche Verkehrsmittel, Warenlieferungen, Tik Tok. Wie sich ein längerer flächendeckender Stromausfall auswirken könnte, ist eindrucksvoll im Roman „Black Out“ von Marc Elsberg dargestellt. – Eine bessere Lösung weiß ich allerdings auch nicht. Verbrennungsmotoren und die Rückkehr zur Dampfmaschine sind wohl keine.

Doch sorget euch nicht: Europas Automarkt erholt sich weiter, wird gemeldet. Der Markt regelt es. Jedenfalls so lange, bis demnächst die Natur übernimmt.

Die Zeitung berichtet über fünfzig leerstehende städtische Immobilien in Bonn. Direkt daneben ein Artikel über eine Initiative gegen Obdachlosigkeit. Da hätte ich eine Idee.

Mittwoch: Eine halbe Stunde vor der planmäßigen Aufstehzeit aufgewacht, wegen Arbeitskram im Kopf nicht mehr eingeschlafen. Das kommt zum Glück nur selten vor. Ich werde das demnächst durch eine etwas ausgedehntere Mittagspause ausgleichen.

Die Lurche sind wieder in Liebeslaune, was nicht ganz ohne Konflikte mit einer anderen, ganzjährig vermehrungswilligen Spezies bleibt. Dazu die Zeitung: »Autos nehmen Fröschen die Vorfahrt« – Das wirft die Frage auf, womit Frösche zur Kopulation fahren. Vielleicht mit dem Amphibienfahrzeug.

Oder das hier: »Ich heiße Katharina M. und bin in meiner journalistischen Arbeit in zweierlei Funktion unterwegs. Als Autorin (weniger Zeit im Jahr) pitche ich Themen.« Gelesen in einem Newsletter für besseres Schreiben, wo man derartige Sätze eher nicht vermutet. Zur Versöhnung wird im selben Text verlinkt auf einen lesenswerten Artikel über Polyamore, was zunächst wie eine chemische Verbindung in der Kunststoffproduktion klingt, aber eine menschliche Verbindung beschriebt. Immerhin.

Donnerstag: Inseltag. Da die Wetteraussichten trocken waren, holte ich die Wanderung durch Vorgebirge und Ville nach, die ich im vergangenen Jahr wegen mangelhafter Wanderschuhe und daraus resultierenden Blasen abgebrochen hatte. Angelegt hatte ich sie in Komoot von Bonn bis Brühl, davon ausgehend, sie wegen der Länge von 37 Kilometern wahrscheinlich vorher zu beenden und mit der mehr oder weniger parallel zur Wanderstrecke verkehrenden Stadtbahn zurückzufahren. Die ersten drei Kilometer durch die äußere Nordstadt sind alles andere als pittoresk: Verkehrsgebrause, schmuddelige Gewerbegebiete, die Gesichter unfroh. Doch dann erreicht man das Messdorfer Feld, der Blick wird weit, vogelgesangbegleitet. Im weiteren Verlauf durchquerte ich recht idyllische Orte, Felder und viel Wald; auf langen Strecken begegnete mir kein Mensch, und wenn doch, grüßte man sich. Ab einer bestimmten – mir fällt nicht das passende Wort ein für geringe Dichte. Undichte? Jedenfalls irgendwann grüßt man sich bei Begegnungen, bis die Dichte wieder steigt und man grußlos aneinander vorübergeht. Wie in der Fußgängerzone, wo ständiges Grüßen äußerst unpraktisch wäre und zu großem Gemurmel führte.

Ich schaffte es immerhin bis Walberberg, nur wenige Kilometer vom Maximalziel Brühl entfernt. Es reichte: Beine und Füße waren deutlich zu spüren. Es war mir ein Vergnügen, und doch angenehm, als ich sitzen konnte.

Das Messdorfer Feld
Ein besonders eindrucksvolles Moospolster
Birken – mein Lieblingsbaum
Da haben die Kollegen ganze Arbeit geleistet
Autsch
Allee oberhalb von Bornheim
Unendliche Weiten bei Merten mit dem Siebengebirge im Hintergrund (Pfeil)
Berggeistweiher bei Walberberg
Waldhumor
Huflattich sieht man auch nur noch selten

Freitag: Gleichsam als Nachtrag zu gestern hat sich unter der linken Fußsohle eine größere Blase gebildet. Vielleicht sollte ich künftige Wanderungen auf maximal zwanzig Kilometer Strecke begrenzen.

Es gibt laut interner Mitteilung einen neuen „Chief of Customer Service & Strategy […] Deutschland“. Es fällt nicht immer leicht, die Dinge ernstzunehmen.

Aus Kurt Kisters Wochenkolumne:

Die damalige SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, der das Entstehen der Wahrheit auf der Basis subjektiver Annahmen nicht fremd war, sang 2013 am Rednerpult im Bundestag mal: „Ich mach mir die Welt, wide, wide, wie sie mir gefällt …“ Dieses Pippi-Langstrumpf-Lied soll nach Aussagen von Zeitzeugen auch als geheimes Zusatzprotokoll in den Koalitionsvertrag der Ampel übernommen worden sein.

[…]

Das Sich-beleidigt-Fühlen ist das epochendefinierende Kriterium der Zeit, in der wir gerade leben.

Aus: Deutscher Alltag

Samstag: Gestern Abend, nach Rückkehr aus dem Wirtshaus, schauten wir Fernsehen. Erst die heute-Show, dann Böhmermanns ZDF Magazin Royale. Letzteres war gestern sehr außergewöhnlich: Zu sehen war nicht Jan Böhmermann im Anzug am Schreibtisch, musikalisch begleitet vom Rundfunk- und Tanzorchester Ehrenfeld. Stattdessen sah man Dieter Nuhr auf seiner donnerstäglichen ARD-Bühne. Er sah etwas älter aus, die Haare grauer als sonst, ansonsten wie man ihn kennt. Verwundert schaltete ich hin und her, vielleicht hatte ich mich im Programm vertan, nach ein paar Kölsch kann das passieren, aber nein, auf ZDF lief Nuhr im Erst … nein, erst jetzt bemerkte ich: Dort stand »Nuhr im Zweiten«. Also doch Böhmermann. Der leicht ergraute Dieter Nuhr war nicht nämlicher, sondern Sebastian Rüger, der ihn nahezu perfekt imitierte. Das gilt auch für Sophie Berger, die als „Milli Probst“ die beim echten Nuhr regelmäßig auftretende Lisa Eckhard darstellte, wenn auch mit dunklen Haaren, ansonsten trefflich.

Dieter Nuhr und Lisa Eckhard sind umstritten, weil sie regelmäßig über Themen mit hohem Beleidigungs- und Empörungspotential wie Gendern, Veganer, kulturelle Aneignung und Klimakleber lästern. Das anzuprangern war Böhmermanns Anliegen, der selbst gestern nur ein paar mal kurz im Publikum zu sehen war und ansonsten nicht in Erscheinung trat.

Ich gestehe: Ich mag Dieter Nuhr, schaue mir nicht regelmäßig aber doch hin und wieder seine Sendung an. Lisa Eckhard finde ich zwar speziell-eigenartig, indes ganz amüsant. Vermutlich, weil ich ein alter, weißer Spätboomer bin, der Gendersternchen als unschön empfindet, Fleisch isst, nichts daran verwerflich findet, wenn sich Menschen zu Karneval als Indianer oder Bayern verkleiden und manche Aktionen der Letzten Generation als der Sache schadend ansieht, wie kürzlich den abgesägten Baum vor dem Bundeskanzleramt. Nuhr „rechten Humor“ vorzuwerfen, wie etwa hier, finde ich übertrieben.

Die Böhmermann-Sendung gestern hat mir dennoch gut gefallen. Inhaltlich unterschied sie sich nur wenig vom Original, hier und da etwas überzogen; die Nuhr- und Eckhard-Darsteller machten ihre Sache jedenfalls grandios, siehe oben oder in der ZDF-Mediathek. Ich bin gespannt ob Dieter Nuhr darauf reagiert, und wenn, wie.

Fundsache zur bevorstehenden Zeit-, Verzeihung: Uhrenumstellung:

Sonntag: Nun also wieder Sommerzeit. Dazu ist alles Wesentliche gesagt und geschrieben, daher beklage ich diesen Unfug nicht und hoffe weiterhin darauf, dessen Abschaffung noch zu erleben. Ohnehin entfaltet sie erst ab morgen ihre missliche Nebenwirkung, heute haben wir einfach weitergeschlafen.

Regenbedingt fiel der Spazierganz heute kürzer aus. An eine Wand hat jemand »MIBA SENIL GERNE« gesprüht, was auch immer das zu bedeuten hat. Ein Erklärungsversuch: MIBA ist der Name einer Fachzeitschrift für Modelleisenbahner. Ein Hobby, dessen Ausübung durch eine gewisse Senilität kaum eingeschränkt wird, vielleicht ist sie gar förderlich, um es besonders gerne zu betreiben. (Bevor man mich nun der Altersdiskriminierung bezichtigt: Ich habe selbst eine Modelleisenbahn.)

***

Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche, kommen Sie gut in die Sommerzeit.

Woche 41: Unglückliche Kühe und zweifelhafte Geschäftsmodelle

Montag: Eine neue Folge von „Büro, Büro“ – „Beste Grüße aus Ibiza“ steht unter einer Mail, die ich als Antwort auf eine von mir versandte Nachricht von geringer Wichtigkeit erhielt. Manchen Menschen ist nicht zu helfen; die lesen und beantworten vermutlich auch noch vom Totenbett aus Mails, vielleicht sogar darüber hinaus.

Auch sonst weitet sich die Digitatur aus: In Bonn gibt es jetzt digitale Abfalleimer. Wenn der Bürger einen vollen Behälter bemerkt, soll er mit seinem Datengerät den dort angebrachten QR-Code scannen, woraufhin sich die Seite des städtischen „Mängelmelders“ öffnet. Dort gibt er dann die Standort-ID und sein Anliegen ein, möglichst mit Foto, woraufhin die Stadtreinigung Wirkung walten lässt. Ganz so pleite scheint Bonn demnach nicht zu sein, wenn für so etwas Geld da ist. Auch vertraut man darauf, dass es noch Leute mit sehr viel Zeit gibt.

Dienstag: Dienstreise nach Bremen, vielleicht und hoffentlich die letzte in diesem Jahr. Während ich auf dem Bonner Bahnhof auf meinen Zug wartete, setzte sich ein Mann neben mich, zeigte mir eine ausgedruckte Reiseinformation und fragte, ob er auf dem richtigen Bahnsteig sei, das heißt, eigentlich fragte er nur: „Zug hier?“ oder so etwas, ich bejahte. Als sein Zug wenige Minuten später einfuhr und direkt vor uns zum Stehen kam, machte ich ihn darauf aufmerksam. Er nickte nur stumm, blieb sitzen und zündete sich eine Zigarette an. Vielleicht wollte er gar nicht verreisen, wartete vielmehr auf jemanden, den er vom Zug abholen wollte, was weiß ich, welche Beweggründe Menschen zum Bahnhof treiben. Als der Zug abfuhr, entfernte sich auch der Mann aus meinem Blickfeld. Erst als mein Zug einfuhr, stand er wieder neben mir und sagte, fast vorwurfsvoll: „Jetzt habe ich meinen Zug verpasst.“

Mittwoch: In Bremen in einem bayrischen Wirtshaus pfälzer Rosé zu trinken ist auch eine Form von Multikultur.

Donnerstag: „Ihr Partner fürs Parken der Zukunft“, sehe ich bei der Durchfahrt von Osnabrück an ein Parkhaus geschrieben. Partner fürs Parken – Parken der Zukunft – die Welt ist voller Rätsel.

Während eilender Fahrt mit viertelstündiger Verspätung durch das Münsterland geraten grasende Rinder ins Blickfeld. Kurz blitzt in hinteren Hirnwindungen die Mär von glücklichen Kühen auf, doch verwerfe ich die Idee umgehend. Glückliche Kühe? Ich bitte Sie – ein Wesen, das wir lebenslang in Gefangenschaft halten, um es gnadenlos auszubeuten und hinterher aufzuessen oder zu Hundefutter zu verarbeiten, dem wir in jungen Jahren die Hörner wegätzen und später die Kinder gleich nach der Geburt wegnehmen, hat wohl wenig Anlass zum glücklich sein.

Hinter Münster schleicht ein Flaschensammler durch die Reihen auf der Suche nach Pfandgut, in Wuppertal sehe ich ihn mit zwei mäßig vollen Plastiktüten den Bahnsteig entlanggehen. Sein Geschäftsmodell erscheint mir wenig tragfähig: Wie viele Flaschen muss er wohl sammeln, um sich einen IC-Fahrschein von Münster nach Wuppertal kaufen zu können?

Freitag: Manch anderes Geschäftsmodell ist einfach nur widerwärtig:

„Die Fran­zo­sen wür­den es als Af­front be­trach­ten, wenn sie Märk­te wie die Golf­re­gi­on we­gen ei­nes deut­schen Ve­tos nicht mehr be­lie­fern dürf­ten. […] Deutsch­land be­grün­det das mit sei­ner Ge­schich­te. Frank­reich oder Eng­land se­hen sich in ei­ner an­de­ren Rol­le. Dort ist in der Be­völ­ke­rung fest ver­an­kert, dass man zum Schutz der De­mo­kra­tie so­wie der ei­ge­nen Frei­heit auch eine leis­tungs­star­ke und in­ter­na­tio­nal wett­be­werbs­fä­hi­ge Ver­tei­di­gungs­in­dus­trie braucht.“

(Dirk Hoke, Chef der Rüstungs-Sparte bei Airbus, im SPIEGEL-Interview über die angebliche Zurückhaltung Deutschlands bei Waffenlieferungen ins Ausland)

Samstag: Aufgrund einer unbedachten Äußerung meinerseits nach der zweiten Flasche Wein am Vorabend blies heute ganztägig zwischenmenschlicher Mistral gegen die fragilen Zeltbahnen meines Harmoniebedürfnisses, der sich trotz mehrfacher Entschuldigungsgesuche erst zum Abend hin legte.

Sonntag: Die Angst, dass der Wein ausgeht, heißt übrigens Novinophobie. Eine Gefahr, die in diesem Haushalt bis auf weiteres nicht droht.

Ein anderes schönes Wort ist „Schwebedeckel“. So wurden in der DDR Frisbee-Scheiben bezeichnet. Leider fiel das Wort der Wiedervereinigung zum Opfer.

Ansonsten war es heute recht schön:

Woche 12: Marielle und Julian auf dem Münsterplatz

Montag: Wolf Biermann möchte nach seinem Ableben in Berlin bestattet werden, steht in der Zeitung. Wieder so eine Nachricht, die mich ratlos zurück lässt mit der Frage: Wen interessiert das? Auch sonst ein Tag ohne besonders notierenswerte Ereignisse und Beobachtungen. Ist es nicht herrlich, wenn man beim Einsinken in des Sofas Behaglichkeit so grundlos stöhnen kann?

Mir ist es übrigens ziemlich egal, wenn nicht gar „wurscht“, wie und wo mein Kadaver dereinst entsorgt wird. Meinethalben dürfen sie ihn auch kompostieren (das soll bald mithilfe besonders leistungsfähiger Mikroben möglich sein, las ich die Tage), an die Tiere im Zoo verfüttern oder ihn in einem unpittoresken Kaff über einen Zaun hängen.

Dienstag: Bereits um acht in der Frühe die erste Skype-Konferenz, sogar mit Sprechrolle meinerseits, also etwa eine Stunde vor meiner täglichen Buchstabenlieferung.

Es wird ohnehin zu viel geredet. Während alle über 5G reden, freue ich mich über 2H: Hoch Hannelore soll zum Wochenende den Frühling bringen.

Mittwoch: Zu Hoch Hannelore schreibt der Bonner General-Anzeiger auf der Titelseite: „Marielle und Julian nutzten die Wetterbesserung bereits gestern für ein erstes Eis auf dem Münsterplatz,“ dazu ein Bild mutmaßlich von Marielle und Julian auf dem Münsterplatz, jeweils mit einem Eis in der Hand, das sie sich dankenswerter Weise nicht verzückt blickend gegenseitig zu Munde führen. Na endlich, möchte ich rufen, siehe Rückblick zu Woche 7, Samstag.

Hauptsache glücklich. Am heutigen „Weltglückstag“ tagt unsere Abteilung in tiefsten Eifelgefilden, ohne WLAN und mit nur schwacher Mobilfunkanbindung; man warte auf den Telekom-Techniker, so das Hotelpersonal. Während meine Kollegen (beziehungsweise „Kollegi“, siehe vergangene Woche Samstag) hektisch mit ihren Geräten in der Luft herumwirbeln, auf dass ein Datenstrahl sie treffe, genieße ich die Funkstille, welche mein Glücksempfinden nicht nennenswert beeinträchtigt. Merke: Mails, die heute und morgen nicht gelesen werden, sind übermorgen auch noch da.

„Wir fahren da auf Sicht“, lese ich in einem Zeitungsbericht zum Brexit. Jedes Mal, wenn Politiker oder Manager diesen Satz verlauten lassen, ist davon auszugehen, dass sie sich eher im Blindflug befinden.

Eine ähnliche Aussage mit ganz anderen Worten traf heute ein Tagungsteilnehmer: „Wir sind da noch nicht sehr sexy unterwegs.“ Das tut schon ein ganz kleines bisschen weh, trotz Weltglückstag.

Übrigens: Wenn Sie wie ich ein Tempolimit von hundertdreißig Stundenkilometern auf deutschen Autobahnen für richtig, meinetwegen auch „sexy“ halten, beteiligen Sie sich bitte hier: https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2019/_01/_09/Petition_89913.nc.html

Donnerstag: Schon schön hier in der Eifel.

KW12 - 1

Angeblich wurde der Telekom-Techniker gesichtet, dennoch blieb das WLAN bis zum Ende der Tagung stumm. Macht nichts. Auch nach Rückkehr in heimische Stube mit Netzanbindung spürte ich wenig Neigung, den dienstlichen Rechner einzuschalten. Zum einen, weil ich Heimarbeit möglichst meide, zum anderen muss ich all die Blogs nachlesen, wozu ich gestern nicht kam.

Freitag: Wie erwartet waren die Mails der letzten zwei Tage heute noch da, und zwar in erfreulicher Anzahl, wodurch mir ein Feierabend zu angemessener Zeit und ein Heimweg zu Fuß möglich waren. Gehen bringt Erkenntnis, wie etwa diese: Die Welt wäre wohl etwas besser, blieben Leute nicht unvermittelt einfach irgendwo stehen.

Am Abend grillen wir eine Kleinigkeit.

Samstag: Wozu benötigt die Bundeswehr eigentlich ein Segelschulschiff? Die Ausbildung von Lokführern erfolgt doch üblicherweise auch nicht mehr auf Dampflokomotiven, und ein Busfahreranwärter braucht keine Kenntnisse über den Umgang mit Pferden. Wozu benötigt man überhaupt eine Bundeswehr? Vielleicht, damit die Beschäftigten der Rüstungsindustrie ihr Tun als nicht allzu sinnlos empfinden?

Dazu Harald Welzer im aktuellen SPIEGEL:

„Wieso soll es sinnvoller sein, in der Rüstungsindustrie zu arbeiten und Waffen zu produzieren, deren einziger Zweck die Zerstörung ist, als auf der Wiese zu liegen und in den Himmel zu schauen?“ 

Sonntag: Oder in der chemischen Agrarindustrie, deren wesentlicher Zweck die Herstellung von Gift ist? Der Vorstandsvorsitzende von Bayer, Werner Baumann, in der FAS zur aktuellen Monsanto-Misere:

„Unsere Aktionäre sind verärgerte, das verstehe ich, sie leiden darunter massiv. Ich selbst bin übrigens auch betroffen, da ich erheblich in unsere Aktie investiert habe.“

Nichts für ungut, möchte man da sagen. Oder besser: Heul doch.

 

Woche 41: Mehr Glück wäre kaum zu ertragen

Montag: „Wir sind auf dem Weg, uns als Spe­zi­es aus­zu­rot­ten. Das geht bei dem schwie­ri­gen Zu­sam­men­kom­men von Mann und Frau los und setzt sich fort mit der ver­hee­ren­den Auf­merk­sam­keit, die wir Te­le­fo­nen schen­ken. Ein­ge­hen­de Nach­rich­ten sind im­mer wich­ti­ger als das Ge­spräch, das wir ge­ra­de mit je­man­dem füh­ren“, wird eine gewisse Li­de­wij Edel­ko­ort im SPIEGEL zitiert.

Ich bin mir sicher: In weniger als fünftausend Jahren wird es keine Menschen mehr geben, weil sich diese wahnsinnige Lebensform dann selbst eliminiert hat. Ein paar tausend Jahre lang muss die Welt danach noch mit so unschönen Folgeerscheinungen wie Atommüll und Plastikabfällen in den Meeren klarkommen, aber da wird die Natur, wie immer, einen Weg finden. Danach hat sie uns überstanden. Mag sein, dass die Welt ohne Menschen eine bessere wird. Nur ist dann niemand mehr da, der es bemerkte und aufschreiben könnte.

Dienstag: Zufällig entdeckte ich im Bücherregal unseres Urlaubsdomizils zwischen Krimis, die mich von Natur aus nicht interessieren, das Buch „strohfeuer“ von Sascha Lobo, Sie kennen ihn vielleicht, den Digitalerklärer im schwarzen Anzug mit dem roten Irokesenkamm auf ansonsten kahlgeschorenem Kopf. Bislang war er mir als Romanautor nicht in Erscheinung getreten, daher weckte das Buch mein Interesse. Es gefällt mir gut: Die Geschichte, herrlich gespickt mit Anglizismen und Businesskasperphrasen, spielt um die Jahrtausendwende im Milieu von „Dotcom“-Unternehmen und Werbeagenturen. Wenngleich mir diese Welt persönlich unbekannt ist, so entdecke ich doch immer wieder Parallelen zum Gehabe mancher Personen in einer mir recht gut vertrauten Konzernzentrale. Auch erotische Elemente sind enthalten, Zitat: „Wir gerieten ins Vögeln.“ (Diesbezüglich sehe ich allerdings nur sehr geringe Assoziationen zu besagter Konzernzentrale.)

Mittwoch: Aus einem Zeitungsbericht zum Thema Abschaffung der Zeitumstellung:

»Der Chronobiologe Till Roenneberg vom Institut für Medizinische Psychologie der Universität München sprach von einem „Cloxit“: Es werde „riesige Probleme“ wie Depressionen, Diabetes und Schlafschwierigkeiten geben, sollten die Uhren dauerhaft auf die Sommerzeit umgestellt werden. „Wir Europäer werden dicker, dümmer und grantiger.“«

Na na na, möchte man da sagen, nun mal langsam mit den jungen Wilden. Das mit dem „grantiger“ ist sicher richtig, indes wohl kaum auf die ausbleibende Zeitumstellung zurückzuführen.

Provencalisches Regenwetter ließ nur wenige Argumente erkennen, viel Zeit außerhalb des Hauses zu verbringen, was ich keineswegs bedauere und was mir Gelegenheit gab, das Lobo-Buch innerhalb von zwei Tagen durchzulesen. Ein Großteil des Lesevergnügens entstand durch die Schilderung testosteronärer Charaktere, welche ich im echten Leben mit allen Fasern meines bescheidenen Daseins aus tiefstem Herzen verabscheue. Und durch Sätze wie diesen:

»“Immerhin“ war mein Lieblingswort geworden, mit einem eingestreuten „immerhin“ konnte ich mich über die kleinen Dinge freuen, wenn die großen implodierten.«

Donnerstag: Im Gegensatz zu gestern lockten uns heute milde Temperaturen und Sonnenschein aus dem Haus zu einem längeren Spaziergang durch die Umgebung.

Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Herbst ist eine wundervolle Jahreszeit.

Freitag: Laut Glücksatlas der Deutschen Post sind die Menschen im Rheinland besonders glücklich. Ich habe es immer geahnt. Mehr Glück wäre kaum zu ertragen.

Samstag: Rückfahrt ins glückliche Bonn mit Zwischenhalt in der nach Paul Bocuse benannten Markthalle zu Lyon. Die in einem verruchten Hinterzimmer meiner Hirnwindungen erwachenden Ideen, während ich die jungen Fleischereiverkäufer bei ihrem Tun betrachte, lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass ich in den Neunzigern zu viele Cadinot-Filme geschaut habe.

Sonntag: Noch einmal ausschlafen. Es gibt nur sehr wenige triftige Gründe, ein Bett vor neun Uhr in der Frühe zu verlassen. Stundenlang in einem Büro auf einen Bildschirm zu starren gehört definitiv nicht dazu.

Passend dazu schreibt David Graeber im von mir mit größtem Vergnügen gelesenen Buch Bullshit-Jobs:

»Experte für etwas Unnötiges zu sein, ist, wie man sich leicht vorstellen kann, nicht allzu erfüllend. Am liebsten wäre es mir, wenn ich Romane und Meinungsartikel schreiben könnte. In meiner Freizeit tue ich das auch, aber ich fürchte, wenn ich meinen Bullshit-Job aufgebe, würde es hinten und vorne nicht mehr reichen.«

(Bitte denken Sie sich hier ein zustimmendes Seufzen meinerseits.)

Kindlos glücklich

„Willst du denn keine Kinder?“, fragen sie mich manchmal, und ich antworte aus voller Überzeugung: Nein, will ich nicht. „Warum denn nicht?“ fragen sie mich dann mit einem Blick, als hätte ich bekanntgegeben, mich bevorzugt von Einhörnern und Katzenbabys zu ernähren. – Nun, wie erkläre ich meine unpoluläre Haltung zum Nachwuchs: Es gibt mehrere in meinen Augen triftige Gründe, keine Kinder zu wollen.

Erstens: Ich kann mit Kindern nichts anfangen, sie sind für mich Wesen von einem anderen Planeten. Es gelingt mir nicht, mit ihnen in eine Interaktion zu treten, und wenn mir in der Bahn ein Kind gegenübersitzt, mich mit großen Augen anstarrt und immer wieder dieselbe Melodie singt, während es vom Vater oder der Mutter daneben ermahnt wird, den Mann nicht mit den Füßen ans Knie zu treten, wechsle ich lieber den Platz, als dass ich so etwas sage wie „Aber das macht doch nichts. Wie heißt du denn?“

Zweitens: Zurzeit leben rund siebeneinhalb Milliarden Menschen auf dieser Welt, Tendenz steigend. Das sind jetzt schon mehr, als die Welt verkraften kann. Dieser Vermehrung möchte ich durch eigenen Fortpflanzungstrieb nicht Vorschub leisten.

Drittens: Ich fürchte, unsere gewohnte „westliche“ Lebensweise in Frieden und weitgehender Freiheit ist ein Auslaufmodell. Die Entwicklungen in den USA, der Türkei, Polen, Ungarn, Großbritannien, Nordkorea und einigen weiteren Ländern sowie das zunehmende Erstarken der Rechten und die Zunahme religiös motivierter Gewalt deuten darauf hin. Wenn ich Glück habe, muss ich die großen Umwälzungen selbst nicht mehr miterleben. Für meine Kinder könnte ich das nicht garantieren.

Viertens: Ich kann ein Glas Wein trinken, Zigaretten rauchen und rote Fußgängerampeln ignorieren, ohne meiner Brut ein schlechtes Vorbild zu sein (für die Erziehung fremder Kinder bin ich nicht zuständig). Und ich kann am Wochenende ausschlafen, so lange wie ich will!

„JA ABER:“

„Kinder sind deine Altersversorgung!“ – Ich gebe zu, das ist ein gutes Argument. Jedoch setzt dies voraus, dass meine Kinder eine sozialversicherungspflichtige Arbeitsstelle finden. Angesichts zunehmender Job-Miniaturisierung, „Freelancertum“ und sonstiger Errungenschaften der vielgepriesenen Digitalisierung bin ich mir dessen nicht sehr sicher.

„Willst du euren Stammbaum nicht fortsetzen?“ – Das ist nun wirklich das geringste Problem. Richtig, ich bin der Letztgeborene unserer Familie, und mit meinem Tod wird die Linie abreißen. Na und? Die Welt wird es überstehen. Der Familienname wird dennoch weiterbestehen, sogar an prominenter Stelle in Schleswig-Holstein, wenn auch ohne verwandtschaftliche Verbindung, jedenfalls ist mir keine bekannt.

„Du warst doch auch mal Kind.“ – Das ist richtig, ich bin es sogar noch heute, jedenfalls so lange meine Mutter lebt, also hoffentlich noch lange.

„Kinder zu haben ist das größte Glück, dagegen verliert alles andere an Bedeutung.“ – Mag sein, dass das für euch so ist; für mich zweifle ich sehr daran. Während der Satz „XY wird Papa“ bei euch Freude oder womöglich Neid auslöst, denke ich nur: Der Arme. Im Gegenteil, ich bin glücklich ohne Kinder und ohne den Wunsch, welche zu haben. Ansonsten fehlt es mir an nichts, Danke.

Übrigens gilt vorstehendes grundsätzlich auch für Hunde, nur dass ich mir durchaus vorstellen kann, Hundefleisch zumindest einmal zu probieren; zudem dürfte der Beitrag des Hundes an meiner Altersversorgung gering sein, selbst wenn er vollzeit berufstätig wäre. Andererseits würde ich mein Kind vermutlich nur in Ausnahmefällen an Laternenpfähle pinkeln und in fremder Leute Vorgarten kacken lassen.