Woche 41: Unglückliche Kühe und zweifelhafte Geschäftsmodelle

Montag: Eine neue Folge von „Büro, Büro“ – „Beste Grüße aus Ibiza“ steht unter einer Mail, die ich als Antwort auf eine von mir versandte Nachricht von geringer Wichtigkeit erhielt. Manchen Menschen ist nicht zu helfen; die lesen und beantworten vermutlich auch noch vom Totenbett aus Mails, vielleicht sogar darüber hinaus.

Auch sonst weitet sich die Digitatur aus: In Bonn gibt es jetzt digitale Abfalleimer. Wenn der Bürger einen vollen Behälter bemerkt, soll er mit seinem Datengerät den dort angebrachten QR-Code scannen, woraufhin sich die Seite des städtischen „Mängelmelders“ öffnet. Dort gibt er dann die Standort-ID und sein Anliegen ein, möglichst mit Foto, woraufhin die Stadtreinigung Wirkung walten lässt. Ganz so pleite scheint Bonn demnach nicht zu sein, wenn für so etwas Geld da ist. Auch vertraut man darauf, dass es noch Leute mit sehr viel Zeit gibt.

Dienstag: Dienstreise nach Bremen, vielleicht und hoffentlich die letzte in diesem Jahr. Während ich auf dem Bonner Bahnhof auf meinen Zug wartete, setzte sich ein Mann neben mich, zeigte mir eine ausgedruckte Reiseinformation und fragte, ob er auf dem richtigen Bahnsteig sei, das heißt, eigentlich fragte er nur: „Zug hier?“ oder so etwas, ich bejahte. Als sein Zug wenige Minuten später einfuhr und direkt vor uns zum Stehen kam, machte ich ihn darauf aufmerksam. Er nickte nur stumm, blieb sitzen und zündete sich eine Zigarette an. Vielleicht wollte er gar nicht verreisen, wartete vielmehr auf jemanden, den er vom Zug abholen wollte, was weiß ich, welche Beweggründe Menschen zum Bahnhof treiben. Als der Zug abfuhr, entfernte sich auch der Mann aus meinem Blickfeld. Erst als mein Zug einfuhr, stand er wieder neben mir und sagte, fast vorwurfsvoll: „Jetzt habe ich meinen Zug verpasst.“

Mittwoch: In Bremen in einem bayrischen Wirtshaus pfälzer Rosé zu trinken ist auch eine Form von Multikultur.

Donnerstag: „Ihr Partner fürs Parken der Zukunft“, sehe ich bei der Durchfahrt von Osnabrück an ein Parkhaus geschrieben. Partner fürs Parken – Parken der Zukunft – die Welt ist voller Rätsel.

Während eilender Fahrt mit viertelstündiger Verspätung durch das Münsterland geraten grasende Rinder ins Blickfeld. Kurz blitzt in hinteren Hirnwindungen die Mär von glücklichen Kühen auf, doch verwerfe ich die Idee umgehend. Glückliche Kühe? Ich bitte Sie – ein Wesen, das wir lebenslang in Gefangenschaft halten, um es gnadenlos auszubeuten und hinterher aufzuessen oder zu Hundefutter zu verarbeiten, dem wir in jungen Jahren die Hörner wegätzen und später die Kinder gleich nach der Geburt wegnehmen, hat wohl wenig Anlass zum glücklich sein.

Hinter Münster schleicht ein Flaschensammler durch die Reihen auf der Suche nach Pfandgut, in Wuppertal sehe ich ihn mit zwei mäßig vollen Plastiktüten den Bahnsteig entlanggehen. Sein Geschäftsmodell erscheint mir wenig tragfähig: Wie viele Flaschen muss er wohl sammeln, um sich einen IC-Fahrschein von Münster nach Wuppertal kaufen zu können?

Freitag: Manch anderes Geschäftsmodell ist einfach nur widerwärtig:

„Die Fran­zo­sen wür­den es als Af­front be­trach­ten, wenn sie Märk­te wie die Golf­re­gi­on we­gen ei­nes deut­schen Ve­tos nicht mehr be­lie­fern dürf­ten. […] Deutsch­land be­grün­det das mit sei­ner Ge­schich­te. Frank­reich oder Eng­land se­hen sich in ei­ner an­de­ren Rol­le. Dort ist in der Be­völ­ke­rung fest ver­an­kert, dass man zum Schutz der De­mo­kra­tie so­wie der ei­ge­nen Frei­heit auch eine leis­tungs­star­ke und in­ter­na­tio­nal wett­be­werbs­fä­hi­ge Ver­tei­di­gungs­in­dus­trie braucht.“

(Dirk Hoke, Chef der Rüstungs-Sparte bei Airbus, im SPIEGEL-Interview über die angebliche Zurückhaltung Deutschlands bei Waffenlieferungen ins Ausland)

Samstag: Aufgrund einer unbedachten Äußerung meinerseits nach der zweiten Flasche Wein am Vorabend blies heute ganztägig zwischenmenschlicher Mistral gegen die fragilen Zeltbahnen meines Harmoniebedürfnisses, der sich trotz mehrfacher Entschuldigungsgesuche erst zum Abend hin legte.

Sonntag: Die Angst, dass der Wein ausgeht, heißt übrigens Novinophobie. Eine Gefahr, die in diesem Haushalt bis auf weiteres nicht droht.

Ein anderes schönes Wort ist „Schwebedeckel“. So wurden in der DDR Frisbee-Scheiben bezeichnet. Leider fiel das Wort der Wiedervereinigung zum Opfer.

Ansonsten war es heute recht schön:

5 Gedanken zu “Woche 41: Unglückliche Kühe und zweifelhafte Geschäftsmodelle

  1. Franz Firla Oktober 14, 2019 / 11:48

    Novinophobie!!!

    Meine Nachbarin nimmt auch gelegentlich novinophobe Züge an. Dann klingelt sie und mahnt uns, dass wir sie bei unserer nächsten gemeinsamen Weinbestellung auch nicht vergessen!

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  2. Mrs Postman Oktober 15, 2019 / 00:42

    Novinophobie würde ich das nicht nennen, was wir haben, aber wir werden durchaus leicht nervös, wenn wir das Fässchen (den Schlauch, besser gesagt) weißen Bordeaux im Kühlschrank ankippen müssen, damit er seine Schätze preisgibt.
    Wie heißt die Angst, dass die Kartoffelchips ausgesehen?🤔😂😜

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