Woche 25/2023: Wer nicht melden will, muss schwitzen

Montag: Meine Morgenstimmung hätte Erika Fuchs, die damalige Übersetzerin der Donald-Duck-Comics, wohl mit einem »SEUFZ!“ treffend auf den Punkt gebracht. Bei Ankunft im Werk lag eine Störung der Schließtechnik vor, die mir zwar Zugang zum Büro gewährte, jedoch nicht in den Gebäudeteil mit der Kaffeemaschine. Stöhn. Im Laufe des Morgens wurde die Störung behoben und die Stimmung hob an. Auch sonst zeigte sich der erste Arbeitstag nach zwei Wochen Urlaub recht freundlich, die Zahl der eingegangenen Mails war erstaunlich niedrig, darunter keine Problemfälle mit weiterem Seufzpotenzial.

Es ist heiß, die Rasenfläche hinter dem Bürogebäude ist verdorrt, bereits jetzt, dabei hat der Sommer noch gar nicht richtig begonnen. Wo soll das hinführen?

Am frühen Abend, als ich Brötchen für das Abendessen holte, ging ich durch die Innenstadt und dachte: Was für komische Leute. Ich kann das an nichts festmachen, objektiv gesehen waren es die gleichen wie sonst auch. Vermutlich, sofern sie mich überhaupt wahrnahmen, fanden sie mich genauso komisch. Ich kann es ihnen nicht verdenken.

Dienstag: Nur weil es etwas wärmer ist, ist das kein Grund, nicht zu Fuß ins Werk zu gehen.

Promenade
Provence am Mutterhaus

Nach langer Zeit mal wieder insgesamt fast vier Stunden Besprechung in Präsenz mit elf Menschen, Kaffee und Kaltgetränken in einem immerhin angenehm temperierten Besprechungsraum. Danach fühlte ich mich erschöpft. Man ist nichts mehr gewohnt.

Früher sagte man: „Der führt was im Schilde“; heute: „Der verfolgt eine Agenda“.

Mittwoch: Es musste so kommen. Vormittags kam jemand von der Haustechnik, um die Jalousie im Büro zu reparieren, die nicht mehr herunterfährt. Leider ohne Erfolg, die Fachfirma muss ran. Dass bis auf Weiteres nachmittags die Sonne ins Büro scheint und zusätzlich wärmt, kann ich niemanden zum Vorwurf machen, außer mir selbst. Erst am Montag habe ich die Störung gemeldet, obwohl sich das Teil seit Wochen nicht mehr bewegt. Im Winter hatte ich wochenlang gefroren, weil es im Büro wegen defekter Heizung (oder wegen Putin) an manchen Tagen nicht wärmer als achtzehn Grad wurde. Als dann eines Tages die Jalousie oben blieb, dachte ich: Muss ich mal melden, hat keine Eile. Dann kam der Urlaub. Wie die Oma schon wusste: Wer nicht melden will, muss schwitzen. Mein Zweitname sei Prokrastin. Der Ventilator ist einstweilen mein bester Freund.

Diese Besprechung hätte eine Mail sein können, dachte ich nach einer Teams-Runde, die für eine halbe Stunde angesetzt und schon nach wenigen Minuten beendet war. Das mal positiv sehen.

Ansonsten ein weiterer warmer Tag mit kurzem Gewitter am Nachmittag, dessen kühlende Wirkung sich binnen kurzer Zeit verflüchtigte. Eigentlich hatte ich mir für den Abend vorgenommen, zu laufen. Doch bei der Wärme – och nö.

Donnerstag: Die für heute angekündigten Unwetter zeigten sich zumindest hier bei uns einigermaßen gemäßigt. Planmäßig konnte ich zu Fuß ins Werk gehen, erst gegen Mittag kam der erste Regen auf, der sich zu einem Gewitterschauer aufbaute und bald wieder nachließ, das gleiche nochmal am späten Nachmittag kurz vor end of business. Außerhalb der Regenphasen war es weiterhin warm, die »Herbstliche Gnocchi-Gemüsepfanne« mittags in der Kantine brachte keine innere Abkühlung, ebensowenig die Schilder »Kein Winterdienst« in den Rheinauen.

Den diesjährigen Preis für Verpackung verdient dieses französische Keksprodukt

Freitag: Ich lasse es dem Universum als kleine Zankerei zum Wochenende durchgehen, dass morgens, gerade als ich eingeseift unter der Dusche stand und nicht eingreifen konnte, im Radio mal wieder Giesingers Lied über die frustrierte tanzende Mutter gespielt wurde, was mich danach noch längere Zeit ohrwurmend begleitete.

Morgens auf dem Fahrrad umspielte mich ungewohnt angenehme Junikühle, fast schon war es zu kalt ohne Jäckchen. Nachmittags auf dem Rückweg wieder Wärme.

Der Kollege, der immer gar wunderbare Wörter benutzt, schickte per Mail ein kurzes Heads-up, worin er einen Optionenraum aufzeigt. Es ging um Probleme mit einem neu eingeführten Prozess. Als ich vor Wochen die zugehörige Prozessanweisung las, war mein Gedanke: Das wird nicht funktionieren, doch verzichtete ich, da es nicht viel mehr als ein aus jahrelanger Erfahrung gewachsenes Bauchgefühl war und zudem mangels fachlicher Zuständigkeit, auf entsprechende Kommentare in Richtung der Verantwortlichen; man hätte es auf Wunsch von höchster Stelle so oder so eingeführt. „Ihr macht das schon“ ist oft klüger als „Ich würde das anders machen“.

Samstag: Der General-Anzeiger stellt in einer Beitragsreihe ab heute spannende regionale Ausflugslokale vor: »Ein kühles Getränk, ein Sitzplatz mit Aussicht und dazu am besten noch ein Sonnenuntergang.« Das ist vor Spannung kaum auszuhalten. Warum heißt es immer häufiger „spannend“, wenn „interessant“ oder einfach nur „nett“ gemeint ist? Ist das Bequemlichkeit, nach dem passenden Wort zu suchen?

Mittags in der Fußgängerzone sprach mich ein sehr junger Mann von der Seite an, was ich überhaupt nicht mag, nicht von jungen Männern noch von mittelalten Frauen. Da er nicht den Eindruck erweckte, um Bargeld anzuhalten und auch sonst ganz hübsch anzusehen war, ließ ich ihn sprechen, und also frage er, ob er mir etwas aushändigen dürfte. In seiner Hand hielt er einige Zettel und Prospekte, die als christlich-religiöse Druckerzeugnisse auszumachen waren. Ich lehnte dankend ab. „Darf ich wenigstens für Sie beten?“, fragte er dann, wogegen ich nichts einzuwenden hatte, etwas Fürbitte schadet nicht. „Wie heißen Sie denn?“, wollte er noch wissen. Das wurde mir etwas zu intim, daher verweigerte ich die Auskunft. Wenn er seinem Gott später sagt, dieser ältere Kerl mit kurzer Hose, Chucks und rotem Polohemd, wird der schon wissen, wem das Gebet gilt.

Sonntag: Ein ruhiger, warmer Tag. Auch die Sonntagszeitung widmet sich der Frage, warum den fünf Insassen des Tauchbootes, die auf dem Weg zum Wrack der Titanic ums Leben gekommen sind, mehr Aufmerksamkeit zuteil wurde als mehreren hundert Flüchtlingen, die kürzlich im Mittelmeer ertrunken sind. Vielleicht weil wir uns ein paar übermütigen Reichen näher fühlen als den namenlosen Menschen auf der verzweifelten Suche nach einem besseren Leben, was weiß ich. Menschen sind und bleiben seltsam.

Im Zusammenhang mit der zerdrückten Tauchkapsel ist hier und da das Wort „tragisch“ zu vernehmen. Das halte ich für falsch. Der geplatzte Tauchgang ist vergleichbar mit Jugendlichen, die im Übermut auf abgestellte Güterwaggons klettern und dort vom Schlag der Oberleitung getroffen werden. Das ist nicht tragisch, sondern einfach dumm.

Beim Spaziergang durch die Nordstadt und an den Rhein begegneten mir nur wenige Menschen. Auch im Lieblingsbiergarten waren die meisten Tische frei, das zahlreiche Personal unausgelastet. Entweder ist es den Leuten zu heiß, oder sie sind im Urlaub.

Keine Werbung, jedenfalls keine bezahlte

In einer Seitenstraße rollte vor mir langsam ein riesiger weißer Mercedes-SUV, dessen linker Vorderreifen platt war. Er fuhr in eine Parkbucht, der Fahrer stieg aus, ging in die Hocke und betrachtete das Schlamassel. Obwohl völlig unangebracht, musste ich ganz kurz innerlich grinsen.

Statt Alkohol bevorzugt die Jugend zunehmend Fruchtgetränke, das ist zu loben. Auch damit kann man manches falsch machen.

Falsch
Richtig

Beim Gehen fragte ich mich: Werden die eigentlich inzwischen mit diesen weißen Hörstöpseln in den Ohren geboren?

***

Kommen Sie gut durch die Woche, möglichst ohne Seufzen und Stöhnen.

Woche 24/2023: Wenn französische Radiomoderatoren „A-ha“ sagen

Montag: Eine weitere Woche Provence liegt vor uns. Nach dem Frühstück unternahmen wir eine kleinere Ausfahrt mit den Fahrrädern in nördliche Richtung, derweil sich über dem Mont Ventoux bereits wieder beeindruckende Wolkentürme aufbauten.

Scheinvulkan

Nach Rückkehr fuhr der Liebste mit dem Wagen nach Carpentras in den Supermarkt, ich machte es mir auf dem Liegestuhl im Garten bequem, wo ich Blogs las (sie waren alle wieder sehr fleißig) und meine eigenen Blog-Aufsätze sichtete, um bald eine Entscheidung treffen zu können, was ich am 5. September bei den TapetenPoeten vorlese, auch wenn bis dahin noch etwas Zeit ist. Seit ich fast nur noch diese Wochenrückblicke schreibe, komme ich kaum noch zu längeren Texten. Das würde ich gerne wieder ändern, mal so nebenbei bemerkt.

Während ich im Schatten der Zypresse las, sichtete und überarbeitete, begann sich im Westen der Himmel zu verdunkeln, erstes fernes Grummeln war zu vernehmen, durchmischt vom Gesang der Amsel und anderer Vögel um mich herum, die sich wie ich vorläufig nicht davon beeindrucken ließen. Im Laufe des Nachmittags bildetet sich rings um Malaucène mehrere Gewitter, zeitweise blitzte und grollte es aus drei verschiedenen Richtungen, während es hier trocken blieb. Nachdem der Liebste zurückgekehrt war, platzierten wir uns auf der überdachten Terrasse unseres Hauses und schauten der Meteorologie bei der Arbeit zu. Erst als eine Wolkenwand auf uns zurollte, Regen und deutliche Abkühlung mit sich führend, auch die Vögel verstummten, zogen wir uns ins Haus zurück.

Wir fahren nun seit vielen Jahren hierher, eine solche Häufung von Gewittern, fast täglich, haben wir noch nie erlebt. Und in keinem Urlaub habe ich bislang so viele Wolkenfotos gemacht, wobei es nicht meine Absicht ist, mit dem anerkannten Fachblog für Bewölkung in Konkurrenz zu treten.

Denken Sie sich einen Blitz dazu

»Trauer um Silvio Berlusconi: „Mit seinem Tod endet eine Ära“«, twittert die Tagesschau. Finde den Fehler.

Dienstag: In den frühen Morgenstunden wachte ich auf durch eine Kombination aus Traumschreck und Blasendruck. In dem Traum wurden versehentlich die unteren Tore einer Kanalschleuse geöffnet, obwohl die oberen nicht geschlossen waren. Da war vielleicht was los. (Manchmal lässt mich Blasendruck träumen, ich suche eine Toilette auf, die seltsam verbaut ist, so dass man dort sein Geschäft nur unter ungewöhnlichen Verrenkungen verrichten kann; irgendwie gelingt mir dann doch die vollständige Erleichterung. Wenn ich danach aufwache, ist die Blase immer noch gefüllt. Ich bin der Natur sehr dankbar, dass sie das so eingerichtet hat.)

Bleiben wir noch beim Unterleib: Über Twitter fand ich diesen Artikel über den Sommerpenis, ein mir bislang in jeder Hinsicht unbekanntes Phänomen. Am besten gefallen mir die Hinweise »Auch interessant: …« und »Lesen Sie auch: …«, sowie der Satz »Während der Sommerpenis ein Phänomen ist, mit dem man sich gerne abfindet, sollte man beim Anschwellen anderer Körperteile handeln und versuchen, die Blutzirkulation anzuregen.«

Der Tag begann regnerisch und deutlich kühler als die Vortage, was den Urlaubsgenuss nicht minderte. Ab Mittag heizte die Sonne gründlich auf, am frühen Abend die üblichen Gewitter, die wir liegestuhlliegend von der Terrasse aus verfolgten.

Mittwoch: Auch im Urlaub informiert bleiben über die Geschehnisse in der Welt, wobei mir hier die tägliche Lektüre der Bonner Tageszeitung beim Frühstück auf dem Datengerät genügt; auf Fernsehnachrichten, zu Hause fester Bestandteil des geregelten Tagesablaufs, kann ich verzichten. So berichtet die Zeitung über grüne Ampelfrauchen, die mit Rock und Zöpfen bei einigen Bonner Fußgängerampeln versuchsweise die bekannten -männchen abgelöst haben, was zu heftigen Reaktionen in den elektronischen Ätzwerken führt, sowohl zustimmend als auch dagegen. Unter anderem wird beklagt, dass diversgeschlechtliche Menschen unberücksichtigt blieben, wie auch immer die als Ampelpüppchen darzustellen wären. Mir geht das an südlichen Körperregionen vorbei, zumal ich Fußgängerampeln grundsätzlich ignoriere.

Hier war es heute sonnig und warm, wir unternahmen eine letzte Radtour über Veaux, Mollans-sur-Ouvèze und Entrechaux, teilweise entlang und auf der Trasse der ehemaligen Schmalspurbahn von Orange nach Buis-les-Barronnies, was das Herz des Eisenbahnfreundes erfreute.

Ehemaliger Eisenbahntunnel zwischen Mollans und Entrechaux
Farben der Provence
Auch hier inzwischen diese hässlichen Steine in Käfighaltung

Als wir zurückkamen, fanden wir das Haus ohne électricité vor, eine größere Störung, die nicht nur unser Haus betraf, wie ein Anruf beim Vermieter ergab. Nachmittags brachten wir die Fahrräder zurück und verbanden dies mit dem Nachmittagsbier im Ort. Nach Rückkehr war der Strom noch immer nicht wieder da. Ein wenig geriet ich in Sorge um den Kühlschrank, wegen des Eises für den Pastis und den Rosé zum Nachtglas. Ab neunzehn Uhr floss der Strom wieder, für die Getränkeversorgung hat zu keiner Zeit eine Gefahr bestanden.

Donnerstag: »Parlament will nichts weniger als ein Ende der Menschheit verhindern«, ist in der Zeitung über einen EU-Beschluss zu Künstlicher Intelligenz zu lesen. Abgesehen davon, dass das Ende der Menschheit voraussichtlich nicht mehr zu verhindern ist, jedenfalls nicht per EU-Beschluss: Was bedeutet »nichts weniger als«? Ergäbe der Satz ohne diese drei Wörter einen anderen Sinn?

Der Tag ist sonnig und warm. Ich sitze wieder an meinem Lieblingsplatz im Garten, die Bäume hinter mir rauschen von einem leichten, beständigen Wind aus Norden, derweil der Liebste in der Küche Knoblauch einkocht. Das Ende dieses wunderbaren Urlaubs ist bereits in Sicht, weshalb diese und folgende Tagesnotizen Spuren von Melancholie enthalten können.

Freitag: Der letzte Urlaubstag verlief ohne nennenswerte Unternehmungen. Zum letzten Mal frühstückten wir ausgiebig und in Ruhe vor dem Haus, danach landeten die Reste, die nach Hause mitzunehmen sich nicht lohnt, statt im Kühlschrank im Müll. Zum letzten Mal saß ich im Garten mit Gegendblick, bearbeitete ein paar Texte und las in „Respekt zu diesem Deutsch“ von Peter Köhler, mit der Erkenntnis, dass ich, obwohl ich mir einbilde, das Schriftliche ganz gut zu beherrschen, beim Schreiben noch ganz schön viel falsch mache. (Der ist aber auch pingelig.)

Am frühen Abend packten wir die meisten Sachen und verstauten Sie im Auto. Von da an hatte ich das Gefühl, noch nicht weg und nicht mehr richtig hier zu sein.

Die letzte Pizza, der letzte Rosé. Wenigstens letzterer wird uns dank ausreichender Einkäufe beim Lieblingsweingut noch einige Zeit erhalten bleiben.

Abendröte

Samstag: Um acht Uhr verließen wir Malaucène bei Sonnenschein, zehn Stunden später, nach recht entspannter Autofahrt ohne nennenswerte Ereignisse, trafen wir in Bonn ein, wo die Sonne immer noch schien.

Auf Radio Nostalgi spielten sie A-ha. Wenn französische Radiomoderatoren „A-ha“ sagen, klingt das lustig.

Sonntag: Aufgewacht mit leichten Kopfschmerzen, vermutlich vom Rückkehrrosé am Vorabend, und etwas deprimiert. So schwer ist es mir schon lange nicht mehr gefallen, das Ende des Urlaubs zu akzeptieren. Luxusleiden, ich weiß.

Ein wenig Leidenslinderung brachte der einstündige Spaziergang durch die Bonner Südstadt. Der Weg führte entlang zahlreicher Außengastronomien mit Bierausschank, deren Verlockungen ich tapfer widerstand. In der Stadt ist es drückend heiß, die Leute sind angemessen (un-)bekleidet, auch das ist in Einzelfällen herausfordernd.

»#Kultur bleibt Innenstadt«, klebt an mehreren Lampenmasten, eine Anmerkung, Forderung, was auch immer, deren Aussage nicht unmittelbar einleuchtet. Heute wird gerne allen möglichen Konjektaneen eine Raute vorangestellt, um ihnen Bedeutung zu verleihen. In diesem Fall vergebens, die Bedeutung bleibt unklar. Bleibt die Kultur in der Innenstadt? Welche Art von Kultur überhaupt? Sprachkultur eher nicht. Isch bin U-Bahn. Ich könnte das für Sie im Netz recherchieren, bitte jedoch, das bei Bedarf selbst zu tun.

»Hier keine Fahrräder anstellen/anketten. Denkmalschutz«, bittet eine Schild an einem Südstadtvorgartenzaun, immerhin ohne Raute. Es gibt viele gute Gründe, irgendwo keine Fahrräder abzustellen: weil sie dort im Weg stehen, Beschädigungen zu befürchten sind oder einfach die Optik stören. Warum jedoch der örtliche Denkmalpfleger daran Anstoß nehmen sollte, leuchtet nicht ein. Vielleicht ist es sein Vorgarten.

»Einfahrt !«, teilt ein anderes Schild an einem Tor knapp mit, ohne Raute, dafür mir Leerzeichen. Hier ist Mitdenken gefordert: Nur Einfahrt, keine Ausfahrt? Einfahrt freihalten?

***

Kommen Sie gut durch die Woche. Ich bemühe mich auch.

Der Regelzustand ist auch nicht schlecht

Den nachfolgenden Aufsatz schrieb ich erstmals im August 2010. Da die darin geäußerten Gedanken weiterhin aktuell sind, erlaube ich mir, ihn aus gegebenem Anlass leicht überarbeitet erneut Ihrer gefälligen Kenntnisnahme anheimzustellen.

***

Zwei Wochen Provence neigen sich dem Ende zu. Nachher werden wir anfangen, unsere Sachen zu packen und Wein ins Auto schleppen, den wir hier gekauft haben; morgen früh fahren wir zurück nach Bonn mit der üblichen Schwere im Herzen. Dieses Mal fällt mir der Abschied besonders schwer, allein schon wegen des schönen Hauses mit dem großen Garten oberhalb von Malaucène.

Das Haus
Lieblingsplatz

Und wieder klingt leise die Frage an: Wäre es nicht schön, hier zu leben, für immer hier zu bleiben? Es gibt einiges, was dafür spricht: das Wetter, wobei es auch hier sehr kalte Winter und heftige Unwetter gibt; freundliche Menschen, vieles läuft scheinbar entspannter ab als in Deutschland; guter Wein und gutes Essen; die Landschaft, malerische Städte und Dörfer; die Aufzählung ließe sich lange fortsetzen.

Die Antwort auf diese Frage ist: Nein.

Urlaub ist ein vorübergehender Ausnahmezustand, zur Erholung, wo man räumlichen wie innerlichen Abstand sucht und findet vom Alltag, von der Arbeit und sonstigen Verpflichtungen, denen man teils freiwillig, teils gezwungen unterliegt. Dieser notwendige Ausnahmezustand ist aufgehoben, wenn man hier auf Dauer lebt, auch hier muss man von irgendetwas leben und kann nicht seine Tage lesend und faulenzend im Garten verbringen, wie es nur im Urlaub möglich ist. Es sei denn, eine Erbschaft, ein Lottogewinn oder die üppigen Tantiemen eines Bestsellers schaffen die Unabhängigkeit von einem Arbeitgeber. Da ich meines Wissens nicht über reiche und dazu erbenlose Verwandte verfüge, nicht Lotto spiele und meine Schreibkünste sich in überschaubaren Grenzen halten, muss ich weiterhin ein paar Jahre arbeiten.

Und selbst wenn doch: der Alltag verlagerte sich dann vom scheinbar kalten, unfreundlichen und hektischen Deutschland nach Südfrankreich. Irgendwann verlangt der Geist erneut nach einem Ausnahmezustand. Vielleicht sehnt er sich dann nach ein paar Wochen im Rheinland, oder gar in Ostwestfalen, wer weiß.

Ja, die Städte und Dörfer hier mit ihren alten Natursteinhäusern, Straßencafés und Bistros unter Platanen, umgeben von einer wunderschönen Landschaft aus unbeschreiblichen Farben, darüber ein (meistens) blauer Himmel, dies alles gibt einem das Gefühl, an einem Ort zu sein, der schöner nicht sein kann. Und doch ist es nur eine Fassade für gelungene zwei bis drei Wochen Urlaub; hier auf Dauer zu leben, brächte voraussichtlich keine dauerhafte Steigerung meiner Lebenszufriedenheit.

Am Toulourenc
Farben bei Entrechaux

Schon die Sprache: Ich spreche (leider immer noch) nicht gut französisch, und selbst wenn ich es endlich lernte, was ich zwangsläufig müsste, so könnte ich mich hier verständlich machen, mich mit den Menschen unterhalten, also Unterhaltung im Sinne eines Gesprächs, das über den Kauf eines Baguettes oder die Bestellung eines Bieres hinaus geht; dies jedoch, so gut ich es auch lernte, niemals so, wie ich mich daheim mit Freunden, Nachbarn, Kollegen und Familie unterhalten kann, mit allen Feinheiten und allem Sprachwitz, die nur die Muttersprache bietet. Das wäre für mich eine erhebliche Einbuße an Lebensqualität.

Menschen wie Peter Mayle haben ihr Glück gefunden, indem sie dauerhaft in der Provence sesshaft geworden sind; für mich kommt das nicht in Frage. Gerne komme ich hierher, um den ein- bis dreiwöchigen Ausnahmezustand zu genießen, doch freue ich mich danach wieder auf mein Zuhause in Bonn. Auch dort gibt es (mittlerweile zu) warme Sommer und schöne Orte, allein schon die Südstadt und mein Lieblingsplatz am Rheinufer vor Oberkassel; zudem eine Wohnung in ruhiger zentraler Lage immerhin mit einem Balkon. Und Menschen, die ich kenne, die ich mag, mit denen ich mich gerne umgebe, uneingeschränkt sprechen kann. Radio Nostalgie kann man dank Internet inzwischen auch in Deutschland hören.

Fazit: Der Ausnahmezustand ist wunderschön, der Regelzustand jedoch auch nicht schlecht.

Woche 23/2023: Voila – Ginster, Gegend und Gewölk

Montag: Aus Gründen, die mit vergorenen Weinbeeren am Vorabend im Zusammenhang stehen, kamen wir morgens erst relativ spät aus den Betten und an den Frühstückstisch, aber man hat ja Urlaub. Vormittags lungerten wir lesend in Liegestühlen vor dem Haus, danach unternahmen wir eine erste Ausfahrt in die nähere, ginsterbeblühte Umgebung, einschließlich Besuch zweier Groß-Supermärkte in Vaison-la-Romaine. Der Liebste liebt solche Läden, kann sich dort stundenlang aufhalten und das Warenangebot studieren. Ich dagegen finde es nach spätestens einer halben Stunde ermüdend, daher ist mein Bedarf an Großsupermarktbesuchen bis auf Weiteres gedeckt.

Liegestuhlperspektive

Am frühen Abend baute sich im Süden eine beeindruckende Gewitterfront auf. Laut WetterOnline sollte in den nächsten Stunden nichts passieren, das hatten sie gestern Nachmittag auch behauptet, plötzlich waren wir mittendrin. Daher verzichteten wir heute auf das Nachmittagsgetränk im Ort, das mit einem etwa viertelstündigen Fußweg hin und wieder zurück verbunden wäre, und blieben zu Hause. Heute mal kein Bier, das ist nicht schlimm, wir haben adäquaten Ersatz in ausreichenden Mengen im Haus, siehe oben. Für nach dem Urlaub formuliere ich dann mal einen Vorsatz, in dem das Wort „alkoholfrei“ vorkommt.

Aber auch wirklich erst nach dem Urlaub

Gelesen bei Herrn Kiezschreiber und zustimmend genickt: »Warum überhaupt alt werden? Ich habe mal ein Interview mit einer Hundertjährigen gesehen, die zum Reporter gesagt hat, sie wünschte, es wäre endlich alles vorbei. Ich bin 56 und denke manchmal: Eigentlich ist ja auch mal gut. Was soll im Alter noch kommen?«

Dienstag: Dank vorabendlicher Trinkdisziplin saßen wir zu angemessener Zeit und mit Appetit am Frühstückstisch. Danach fuhren wir in westliche Richtung bis nach Piolenc, bekannt als Anbaugebiet von Knoblauch, wovon wir, da wir schonmal dort waren, einen größeren Posten erstanden.

Bitte denken Sie sich den angenehmen Duft selbst dazu

Dabei fuhren wir auch an mehreren Lavendelfeldern entlang, die bereits violett zu schimmern beginnen, indes bis zur vollen Postkartenblüte noch einige Wochen benötigen. (Ich bin mir sicher, dieses Bemerknis so oder ähnlich bereits früher beschrieben zu haben, bitte sehen Sie es mir nach. Das lässt sich nicht ganz vermeiden, wenn man so häufig in der Gegend ist.)

Séguret, nicht zu verwechseln mit Sablet gleich nebenan

Beim Nachmittagsgetränk nach Rückkehr in Malaucène beobachtete ich den auffällig blauen Wagen einer Auto Ecole beim Einparken in eine enge Lücke. Das wirkte auf den ersten Blick etwas ungelenk, doch bin ich sicher, mit meinen – lassen Sie mich rechnen: achtunddreißig Jahren Führerscheinbesitz hätte ich es keinesfalls eleganter hinbekommen als der junge Fahrschüler.

Auf Vorschlag und Wunsch des Liebsten haben wir uns Fahrräder geliehen, die wir am frühen Abend abholten. Zum ersten Mal fahre ich nun Elektrorad, was angesichts der örtlichen Topografie, wo ebene Straßen die Ausnahme sind, durchaus angenehm ist. Wesentlich älter fühlt es sich auch nicht an.

An der Zufahrt zum Haus sitzt dieser Bursche. Im Gegensatz zu ähnlichen Gesellen auf Plätzen und in Fußgängerzonen verharrt er in völliger Regungslosigkeit, auch wenn man ihn mit Münzen bewirft. Respekt.

In Bonn hat eine Klimakonferenz begonnen. Als wir hier abends auf der Terrasse der Pizzeria saßen, unterhielten sich nebenan drei junge Franzosen etwa eine halbe Stunde lang, derweil der Automotor des einen die ganze Zeit lief; zeitweise gesellte sich ein zweites Auto mit laufendem Motor dazu. Das ist ein Grund, weshalb ich den Sinn von Klimakonferenzen zunehmend anzweifle.

Mittwoch: In den frühen Morgenstunden saß eine Nachtigall (oder ein anderer früher Vogel, ich kenne mich da nicht so aus) vor dem Fenster und gab ihre neuesten Hits zum besten. Das war sicher lieb gemeint, doch des Guten zu viel, daher schloss der Liebste das Fenster. Nachdem der Krachtigall kein Erfolg zuteil wurde in Form von Liebesglück oder wenigstens Applaus, zog sie weiter, das Fenster wurde wieder geöffnet. Ich war nun wach, konnte zunächst nicht wieder einschlafen und formulierte stattdessen diese Notiz in der Hoffnung, sie bis zur Niederschrift am Morgen nicht zu vergessen. Voila.

Morgens beim Decken des Frühstückstisches spielte Radio Nostalgi „Last Christmas“ von Wham!. Warum auch nicht, es ist nie zu früh, an Weihnachten zu denken.

Wie verabredet trafen mittags die Schwiegerschwester und Gatte bei uns ein, die mit dem Wohnmobil Südfrankreich bereisen. Nach dem Begrüßungskaffee unternahmen wir gemeinsam eine Radtour nach Vaison-la-Romaine, meine erste längere Tour mit elektrischer Unterstützung, ich bin angemessen begeistert. Auf dem Rückweg näherten wir uns einem heftigen Regenschauer um Malaucène, der sich bei Ankunft freundlicherweise soeben ausgeregnet hatte, nur die begossenen Straßenbäume betropften uns noch etwas; somit alles richtig gemacht.

Donnerstag: Nach dem Frühstück unternahmen wir mit den Schwiegers eine Autotour um und über den Mont Ventoux, mit Zwischenhalten in Montbrun-les-Bains (frei übersetzt etwa: Bad Braunberg), Sault und bei einem Lavendel verarbeitenden und die daraus entstehenden Produkte verkaufenden Betrieb, wo wir in deutscher Sprache eine kleine Führung mit Erläuterung der Lavendelölherstellung durch Destillation erhielten.

Montbrun-les-Baines

Der Gipfel des Mont Ventoux hüllte sich heute, im Gegensatz zu den Vortagen, nicht vollständig in Wolken. Ab und an zog eine vorüber, was recht beeindruckend aussah. Auch sonst blieb es heute regenfrei. Bei Rückkehr zum Haus stand auf dem Tisch davor eine Papiertüte voll frisch gepflückter Kirschen, mutmaßlich vom Vermieter. Das ist ja mal nett.

Blick vom Gipfel des Mont Ventoux

Am frühen Abend tönte vom Ort Partymusik zu unserem oberhalb gelegenen Haus, vermutlich im Zusammenhang mit einer niederländischen Radfahrer-Veranstaltung zugunsten der Bekämpfung von ALS, wenn ich das richtig verstanden habe. Ist das nicht diese Erkrankung, wegen der sich die Leute vor einigen Jahren eimerweise Eiswasser über den Kopf kippten? (Also nicht wegen der Symptome, sondern um auf das Thema aufmerksam zu machen.) Wie auch immer – unter anderem spielten sie „Viva Colonia“ von den Höhnern. Dafür fährt man nun nach Südfrankreich.

Gartenblick

Freitag: Nach dem Frühstück fuhren die Schwiegers weiter Richtung München, wo der Schwager morgen ein Rammstein-Konzert besuchen wird, was rein gar keine Rückschlüsse auf seinen Charakter zulässt. Im Gegenteil, die zwei sind sehr angenehme Ostwestfalen mit allen positiven Eigenschaften, die den Ostwestfalen ausmachen und die ich gerne um mich habe. Und doch verspürte ich bei ihrer Abreise ein ganz klein wenig das, was Herr Fischer kürzlich sehr treffend als „Sozialkater“ bezeichnet hat. Was auch immer das über meinen Charakter aussagt.

Nach ihrer Abfahrt machten wir eine kurze Radtour in die Gegend östlich von Malaucène. Sie endete im Ort bei der Bar unseres Vertrauens, wo wir wegen unklarer Wetteraussichten das Nachmittagsgetränk vorzogen, selbstverständlich im vernünftigen Rahmen, so dass eine unfallfreie Heimfahrt per Fahrrad sichergestellt blieb. Am Nebentisch saß ein Paar mit Kinderwagen, statt des Nachwuchses schaute ein kleinerer Hund heraus. Vielleicht war er ja gehbehindert.

Gegend bei Les Alazards
Ginster in Gegend mit Gewölk
Für die Trafoturm-Sammlung

Samstag: Da wir noch immer die Fahrräder gemietet haben, was nebenbei bemerkt ganz schön teuer ist, müssen wir sie auch nutzen. Das taten wir heute mit einer Radtour über Le Barroux nach Suzette, mit ganz viel Berg- und Talfahrt. Ich muss nochmals meine Begeisterung für elektrisch unterstütztes Radfahren zum Ausdruck bringen: Wenn es anstrengend wird, drückt man auf ein Plus-Knöpfchen, und schon ist es gerade so, als würde man von einer unsichtbaren Hand oder einer kräftigen Rückenwindböe angeschoben. Bergab wird es mir allerdings auch ohne Schubunterstützung ab dreißig Stundenkilometern unheimlich, deshalb wurden die Hände mit Bremsen ungefähr genauso stark beansprucht wie die Beine mit Trampeln. Gleichwohl werde ich mir zu Hause auf absehbare Zeit kein Elektrorad zulegen, für den Alltagsgebrauch innerhalb Bonns genügt das rein muskelbetriebene voll und ganz.

Zwischen Le Barroux und Suzette
Suzette in Sichtweite. Ungefähr hier drückte ich das Plus-Knöpfchen.
Landschaft mit Drogenanbau vor Suzette
Lavendel, vielleicht auch Lavandin
Nachtglas

Sonntag: Während wir frühstückten, kamen nacheinander vier Fallschirmspringer angeschwebt und landeten auf der Wiese nebenan, nachdem sie wohl vom Mont Ventoux abgesprungen waren. Das ist bestimmt toll, so eine lange Strecke über Hügel, Wälder, Wiesen und Dörfer zu gleiten, jedoch nichts, was für mich als Freizeitbeschäftigung in Frage käme. Immerhin besser, als ohne jede Sicherung in hunderte Meter hohen, senkrechten Felswänden herumzuklettern oder mit einem Fahrrad unbefestigte Berghänge herunterzubrettern. Oder mit Motorenlärm andere Leute zu belästigen.

Da heute keine besonderen Aktivitäten anstanden, zog ich es vor, mich zum Lesen und Schreiben in den Garten zu setzen. Ein schönerer Schreib- und Leseplatz ist kaum denkbar: Man kann nicht nur die Gedanken schweifen lassen, sondern auch den Blick, über den Ort hinweg auf die gegenüber liegenden Hügel, und immer wieder in die Wolken. Ich liebe diese Tage, an denen die wesentliche Tätigkeit darin besteht, den Liegestuhl immer wieder umpositionieren, damit er im Schatten steht.

Monstermücke
Ein Glücksort

Tagsüber war es sehr heiß. Deshalb machten wir erstmals von der piscine Gebrauch, die zum Haus gehört. Seit Ewigkeiten war ich nicht mehr in einem Schwimmbecken, und heute voraussichtlich nicht zum letzten Mal.

***

Kommen Sie gut durch die hoffentlich nicht zu heiße Woche.

Woche 22/2023: Auffällige Olfaktorik, ein meteorologisches Großereignis und Küchenschrankmemory

Montag: Knapp die Hälfte der Türken wünscht sich einen anderen Präsidenten, alle anderen haben gestern Erdogan wiedergewählt. Abends fuhren Autokorsos hupend durch die Stadt und feierten den Sieg des Sultans – warum auch nicht, hier in Deutschland sind sie sicher vor seinen Willkürlichkeiten. Als Nichttürke mag man sich darüber verwundert die Ohren pulen, aber so ist es nunmal, so haben sie entschieden. Immerhin müssen wir uns nun nicht länger bemühen, uns den Namen Kilicdaroglu zu merken, der vielleicht schon bald zum Terroristen ernannt und verhaftet wird. Wundern würde es mich nicht.

Während des Frühstücks auf dem Balkon war ein Brummen zu vernehmen, ohrenscheinlich der Motor eines Kleinflugzeuges. Von einer Sekunde auf die nächste brach das Geräusch ab, etwas später waren Feuerwehrsirenen zu hören. Ob es zwischen beiden einen Zusammenhang gibt, weiß ich nicht.

Dienstag: Am Rhein, zwischen Ufermauer und den Gebäuden des Auswärtigen Amtes, stand ein Haus. Kein besonderes, ein eher unscheinbares Einfamilienhaus, erbaut vielleicht in den Fünfzigern oder Sechzigern, immerhin mit freiem Blick auf den Fluss. Darin zu wohnen muss angenehm gewesen sein, vielleicht diente es einst dem Hausmeister der Behörde und seiner Familie. Doch seine Zeit war abgelaufen: die Fensterrahmen ausgebaut, Dachrinnen und Balkonbrüstungen entfernt, im Dach ein großes Loch, war es nur noch ein lebloses Gerippe, nur Kletterrosen rankten weiterhin an der Wand. Heute Morgen, während ich mich ins Werk begab, machte sich ein Bagger daran zu schaffen; im Laufe der Woche wird es niedergelegt sein, wie das wohl im Abbruchgewerbefachjargon heißt. Mich erfüllt so etwas stets mit Traurigkeit. Aber Einfamilienhäuser werden ja ohnehin nicht mehr gerne gesehen.

Die meisten finden das völlig normal
Das sowieso

Mittwoch: Erstmals nach langer Zeit sah ich wieder einen Spatz auf dem Fenstersims vor dem Büro sitzen und in die Gegend tschilpen. Wo mögen er und seine Artgenossen so lange gewesen sein? Von den Kleinvögeln sind mir Spatzen am sympathischsten, vielleicht gerade weil sie weder durch buntes Gefieder noch außergewöhnlichen Gesang hervorstechen.

Von Gefieder und Gesang zu Geruch: Neulich beschrieb ich nämlichen nach nassem Hund, der mittags durch das Bürogebäude zog, Sie erinnern sich vielleicht. Auch in dieser Woche herrscht dort eine auffällige Olfaktorik. Frau M., die sehr nette Dame am Empfang, hat Urlaub, was ihr von ganzem Herzen gegönnt sei. Die jüngere Urlaubsvertretung hinter dem Tresen scheint Parfüm sehr zu mögen; dessen Aroma erfüllte den Eingangsbereich und zog hoch bis in den zweiten Stock. Wesentlich angenehmer als nasser Hund, gleichwohl ist oft etwas weniger mehr.

Das gestern betrauerte Haus am Rheinufer ist bereits völlig aus dem Blickfeld verschwunden, wie ich auf dem Rückweg sah. Das ging schnell.

Was auch schnell ging: Nachdem sich die Rückreise aus München vergangenen Donnerstag sehr abenteuerlich gestaltet hatte, beantragte ich am Wochenende über die Bahn-App eine Fahrpreiserstattung. Bereits heute fand ich den Betrag auf mein Konto überwiesen vor, ohne Rückfragen und Ausflüchte. Das ist sehr zu loben.

Donnerstag: Dauerthema Gendern. Im General-Anzeiger äußern sich zwei Leserbriefschreiberinnen (ja, zwei Damen) zustimmend über die Ankündigung des neuen Regierenden Bürgermeisters von Berlin, in seiner Verwaltung die geschlechterneutrale Sprache wieder abzuschaffen, ich möchte das nicht bewerten. Einen Leserbrief weiter beklagt Martin R. die Verwendung des Wortes „Einbrecher“ in einem Bericht über einen Einbruch, obwohl das Geschlecht des Räubers nicht bekannt ist. »Daher wäre aufgrund der unklaren Sachlage besser von einer oder einem Einbrechenden die Rede gewesen, oder? Wäre die Welt damit nicht ein bisschen besser?«, so seine Folgerung. Nein, lieber Herr R., wäre sie ganz bestimmt nicht.

Freitag: Ab heute zwei Wochen Urlaub, wie meistens in Südfrankreich. Nachmittags erreichten wir das Zwischenziel Beaune im Burgund, wo es sommerlich warm ist. Das ist nicht ganz ungefährlich in Verbindung mit Weinverzehr, aber das Burgund ist nunmal eine Weingegend, was soll man machen.

Hoteltreppenhaus
Idyll in Beaune

Aufgeschnappt und notiert: „Das Motel One ist uns too commercial.“ Klar, alle anderen gewähren Unterkunft und Bewirtung aus purer Nächstenliebe.

Samstag: Das Frühstück im Hotel war sehr angenehm, nicht nur vom Angebot her, vor allem auch, weil wir den Frühstücksbereich fast für uns alleine hatten, was meiner Abneigung gegen die Anwesenheit fremder Menschen am Morgen sehr entgegen kam. Danach brachen wir auf in Richtung Süden, mit einem Zwischenhalt bei einem örtlichen Senfhersteller und in Rully, wo mehrere Flaschen ausgezeichneten Weines den Weg in unseren Kofferraum fanden.

Die Senfkrise in Frankreich ist offenbar noch nicht vorüber

Je weiter südlich wir kamen, desto dichter wurde die Bewölkung, hohe Wolkenberge und Gewitterambosse deuteten auf ein meteorologisches Großereignis über den Bergen östlich von uns hin. Doch blieben wir davon verschont, sowohl während der Fahrt als auch bei Ankunft in Malaucène, wo es ein paar Grad kühler ist als in Beaune, das ist überhaupt nicht schlimm. Abends, während wir in der örtlichen Pizzeria die traditionelle Erstabendpizza mit Rosébegleitung zu uns nahmen, zuckten in der Ferne einige Blitze, gefolgt von fernem Rummeln, dazu ein wenig Regen, den sie hier gut gebrauchen können, daher keine Beschwerde, nur Schilderung.

Gewölk

Vom Wetter zum Klima: In einem Zeitungsbericht über eine bevorstehende Klimakonferenz werden das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung genannt. Wer denkt sich solche albernen Namen aus, was soll das mit der vorangestellten Stadt, ob mit oder ohne Bindestrich? Vermutlich wieder Pseudoanglizismen. Apropos Wuppertal und Anglizismus: Irgendwer nannte es mal „Double-u upper valley“, was ich mir notierte, um es bei passender Gelegenheit wiederzugeben. Hier ist sie.

Blaue Stunde am Abend, innerlich wie äußerlich

Sonntag: Der erste Tag im Ferienhaus ist stets mit Suchen verbunden beim Decken des Frühstückstisches. In welcher Schublade liegt das Besteck? Hinter welchen Schranktüren verbergen sich Tassen und Teller? Wo ist das Schneidebrett für das Baguette? Dieses Küchenschrankmemory ist Teil des Urlaubs und gehört unbedingt dazu.

Das Wetter ist unentschieden, angenehm warm, nicht zu heiß, mit immer wieder ein paar Tropfen Regen zwischendurch; im Nordosten weiterhin dichtes, dunkles Gewölk und ab und zu ein fernes Grollen. Das Frühstück nahmen wir von alledem unbehelligt an dem schweren Tisch vor dem Haus zu uns, an dem auch dieser Bericht entstand, wenn mich nicht gerade wieder Regentropfen mit dem Rechner unter das Vordach trieben. Immer in Bewegung bleiben, so wichtig, auch und gerade im Urlaub.

Ess- und Arbeitsplatz

Während des Frühstücks krabbelte eine Wanze heran und blieb längere Zeit neben meinem Teller sitzen. Von dort aus schien sie mich anzuschauen, zwischendurch vollzog sie eine Art Yogaübung. In solchen Momenten stelle ich mir immer vor, das wäre ein gestorbener Verwandter oder Bekannter, der mir in Gestalt eines anderen Wesens einen Besuch abstattet, das erwähnte ich bestimmt schon mal.

Im Übrigen verbrachten wir den Tag, auch das ist geübte Urlaubstradition, ohne nennenswerte Aktivität in und an unserem wirklich schönen Ferienhaus.

Nachmittags zog doch noch ein starkes Gewitter mit zeitweise heftigem Regen auf, das uns jedoch nicht vom Gang ins Dorf zum Nachmittagstrunk und Abendessen abhielt.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche, auch und besonders, wenn Sie gerade keinen Urlaub haben.