Woche 4/2022: Außerordentliches Gutfinden und Aezv

Montag: Was hat dieser Admiral jetzt falsches über Putin gesagt, dass sich alle so empören? Gut, die Krim ist nicht „weg“, sie ist eindeutig noch da, nur zurzeit schraffiert und unter anderer Leitung, sie wird auch in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht versinken. Insofern verstehe ich die Aufregung nicht.

An Tagen wie diesen schreibe ich ungefähr jedes dritte Wort mindestens zweimal, weil die Finger nach dem Wochenende noch nicht wieder mit der Tastatur synchronisiert sind, vielleicht kennen Sie das.

Dienstag: Fernsehreklame für Ungesundes soll verboten werden, ist zu lesen. Dann bleibt außer der Werbung für die Apothekenumschau nicht mehr viel übrig.

Mittwoch: Die Türkei soll dem Journalisten Deniz Yücel dreizehntausend Euro wegen widerrechtlicher Inhaftierung zahlen, hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Das wird in Ankara erhebliche Erheiterung ausgelöst haben, Erdogans Lachen dürfte bis nach Luxemburg zu hören gewesen sein.

Uns hingegen wird das Lachen bald vergehen: Wie die Zeitung meldet, ist die Schokoladenhasenversorgung in diesem Jahr gefährdet. Auch das noch.

Noch eine Zeitungsmeldung: Siebzehn bzw. zwei Prozent der Franzosen nehmen grundsätzlich gar keine festnetzigen bzw. mobilen Anrufe an, sechsundzwanzig bzw. dreißig Prozent nur von bekannten Anrufern. Dagegen sind nur etwa dreißig Prozent der Deutschen in der Lage, zu flanieren, ohne dabei zu telefonieren. Das stand nicht in der Zeitung, es ist eigene Beobachtung.

Donnerstag: Heute war Sperrmüllabholung. Laut Harald Welzer hat 2020 die von Menschen hergestellte tote Masse, vom Faustkeil bis zum Lastenrad, die Biomasse überstiegen, seitdem überwiegt das Tote das Lebende. Angesichts dessen, was allein in meinem Umfeld alles bestellt wird, und was oft schon wenig später zur Entsorgung (oder „Zum Verschenken“) am Straßenrand steht, sei die Frage gestattet: 2020 erst?

Freitag: Morgens im Radio spielten sie „The Riddle“ von Nik Kershaw, an sich nichts Besonderes, das spielen die von mir bevorzugten Radiosendern recht regelmäßig. Warum ich es erwähne: 1984, kurz nachdem es herausgekommen war, fand ich es großartig, wobei ich mit siebzehn vermutlich ein anderes Attribut zum Ausdruck meiner Begeisterung heranzog, erinnere mich aber nicht mehr an das seinerzeit gängige Jugendwort für außerordentliches Gutfinden. Deshalb war es über mehrere Wochen mein Wachwerdelied am Morgen: Gleich nach dem Wecker legte ich die Nadel ins kreisende Vinyl und drehte die Lautstärke hoch bis kurz vor die Schmerzgrenze. Danach war ich ungefähr so wach wie heute nach dem Brausebad; tägliches Duschen war in unserem Haushalt zu der Zeit noch unüblich, heute nahezu unvorstellbar. Unvorstellbar damals wäre für mich indessen gewesen, bei diesem Lied auch achtunddreißig Jahre später noch das Radio lauter zu stellen, während ich mir morgens die Zähne putze (und danach dusche). Die Single habe ich noch, wenn auch länger nicht benutzt.

Apropos Zeitvergang: Die Sanduhr rieselt, auch für mich. Wie mag sich der Mensch mit fünfundfünfzig fühlen? In einer Woche werde ich es voraussichtlich wissen.

Samstag: Manchmal fallen mir auch ohne konkreten Anlass Dinge ein, die lange weg waren, verräumt und vergessen irgendwo in abgelegenen Hirnwindungen, und die auch jetzt noch, nach nicht nachvollziehbarer Rückkehr, die Mundwinkel zucken lassen. Wie folgender weder tiefgründige noch feinsinnige Minidialog, den ich vor vielen Jahren hörte, wann und wo weiß ich nicht, der etwa so ging: „Hast du ein Bad genommen?“ – „Wieso, fehlt eins?“ Darüber könnte ich mich beömmeln.

Sonntag: Erstmals, nach zweieinhalb Wochen seit wir es haben, fuhr ich heute mit unserem neuen Auto, was auch als Maß meiner Autofahrbegeisterung zu werten ist. Wenn man Autofahren mag, fährt es sich gut, ich war indes sehr zufrieden, als es unbeschädigt wieder auf seinem Stellplatz stand.

Mit dem Sonntag endet die Woche. Außer in der Hörzu, dort ging die Fernsehprogrammwoche von Samstag bis Freitag, warum auch immer; als Kind habe ich das nicht verstanden, danach war es mir egal. Ob das heute immer noch so ist, weiß ich nicht, wer braucht noch Fernsehprogrammzeitschriften.

Über das große Ende von allem las ich in meiner aktuellen Bettlektüre:

»Ich persönlich halte die Apokalypse für eine sehr tröstliche Vorstellung: Die große Kränkung beim individuellen Tod ist ja der Umstand, dass alle noch da sind, nur man selbst nicht mehr. Wenn alle zugleich sterben müssen, geht keine Party weiter, an der man als Gestorbener nicht teilnehmen könnte – man verpasst nichts durch sein Nichtdabeisein. Kein FOMO*. Das schiene mir sehr schön, deshalb würde ich mich zustimmend zur Apokalypse verhalten, wenn sie denn da wäre.«

Harald Welzer: Nachruf auf mich selbst.

*Zugegeben, ich musste nachschlagen, was FOMO bedeutet. Falls Sie es wider Erwarten auch nicht wissen: Fear Of Missing Out – die Angst, etwas zu verpassen, oder Aezv, was etwas sperriger wirkt.

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Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 3/2022: Schau an

Montag: „Über Sinn und Unsinn existieren hier verschiedene Versionen“, sagte der Geliebte am Morgen. Damit könnte er Politiker werden.

Hier eine Version Unsinn aus einem Mailverkehr: »Meine 5cent s. unten. Ich sehe aktuell keinen action need bei mir. Falls doch – let me know.« Weshalb ich mein Gehalt auch stets ein bisschen als Schmerzensgeld betrachte.

Dienstag: Wie zu lesen ist, war am vergangenen Sonntag Welt-Nichts-Tag. Davon habe ich nichts mitbekommen. – Ach so.

Abends beim Blogslesen traf ich auf eine hübsche Zufälligkeit.

Mittwoch: „Mit freundlichen Grüßen“ heißt auf Ungarisch „Üdvözlettel“, falls Sie mal Herrn Orban schreiben möchten.

Hier ein vorzügliches Gespräch über entspanntes Schauen, Gendern und Gelassenheit.

Donnerstag: Es zeugt von einem sehr speziellen Humor, wenn man bereits morgens um halb zehn mit „Mahlzeit“ in eine Besprechung einsteigt.

Der Schauspieler Hardy Krüger ist gestorben. Wieder so ein Fall, wo ich denke: Ach, lebte der noch?

Freitag: Heute ist Weltknuddeltag. Bitte fühlen Sie sich umarmt, selbstverständlich unter Einhaltung der in Ihrem Bundesland geltenden Regelungen, Sie wissen schon.

In einem Zeitungsbericht über den bald wieder startenden Dschungel-Unfug auf RTL las ich den Namen des Teilnehmers Eric Stehfest. Ich habe keine Ahnung und es interessiert mich nicht sonderlich, wer das ist und was er macht; eine Idee drängt sich aufgrund des Namens jedenfalls auf, was mich für längere Zeit immer wieder den Namen aufsagen und grinsen ließ.

Samstag: Ich habe gesündigt. Eigentlich wollte ich nicht darüber schreiben, indes drängt es mich zur Beichte. Nämlich: Häufig schon prangerte ich diejenigen an, die mit Gehkaffee in Einwegbechern herumlaufen. Wenn mir so einer begegnet, womöglich gar unter Missachtung der innenstädtischen Maskenpflicht, so denke ich: Was für ein A… Schau an*. – Nun raten Sie mal, wer ein solches A…, also ein solcher Trottel war, vergangenen Samstagabend bereits. Es begab sich, dass eine große, bekannte Gemischtwarenkette mit angeschlossenem Kaffeehandel im Rahmen eines Bonuskonzepts unter mir nicht näher bekannten Voraussetzungen gratis Kaffee ausgab. Als meine Lieben aus der örtlichen Filiale der Kette kamen, vor der ich auf sie gewartet hatte, hielt ich plötzlich diesen Becher in der Hand. Da wir in Eile waren und zum Bahnhof mussten, blieb keine Zeit für den örtlichen Verzehr, vielmehr mussten wir auf dem Weg dorthin trinken, was naturgemäß nur ohne Maske möglich ist, erst recht, wenn man keine weitere Hand frei hat, weil die unbebecherte eine Tasche zu tragen hat. Zum Glück war der Becher schnell geleert und ordnungsgemäß entsorgt. Trotz Wohlgeschmack mit Karamellnote war es kein Genuss. Kommt nicht wieder vor.

* Na na na… Hier sollte ursprünglich das A-Wort stehen, mit dem früher unverträgliche Menschen bezeichnet wurden. Dessen Gebrauch ist in unserem Haushalt mittlerweile untersagt, stattdessen sagen wir nun „schau an“.

Sonntag: Bilder statt Worte.

Aus der Reihe „Architektur-Alpträume“, gesehen in Bonn-Kessenich. Ansonsten ist es da aber ganz schön.
Dann lieber dieses immobile Schnäppchen (aus einer Anzeige in der F. A. S.)
Herr Linder rät: Immer schön auf dem rechten Weg bleiben.

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Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 2/2022: Außerhalb der Geschäftszeiten

Montag: Die Ruhe des Jahreswechsels ist vorüber – der Maileingang sprudelt wieder, besprechungsschwanger der Kalender.

Apropos Besprechungen: Wie ich eher zufällig erfuhr, gibt es eine „Allgemeine Laber-Zeitung“. Indes trügt der Titel, es ist nicht das Zentralorgan des eitlen Wortschwalls (das vielleicht auch, ich habe es nicht geprüft), vielmehr ist der Name des Blattes auf den Fluss Laber zurückzuführen, der dessen ostbayrisches Erscheinungsgebiet durchfließt.

Aus der heimischen Tageszeitung hingegen dieser Laber-Satz: »Das Berliner Humboldt Forum ist nach dem Start auf unterschiedlichen Wegen unterwegs.«

Dienstag: Früher, als man sich noch mit Anderen traf, gab es ein beliebtes Spiel: Einer aus der Runde ließ die anderen einen Begriff erraten, wobei er bestimmte Wörter nicht benutzen durfte, also zum Beispiel durfte er nicht „Bäume“ sagen, wenn Wald zu erraten war. Daran fühlte ich mich heute erinnert beim Lesen der Nachricht, dass sich Gianna Nannini und Silvio Berlusconi auf das Amt des italienische Staatspräsidenten bewerben wollen. Grund: Dem zuständigen Redakteur ist es gelungen, in diesem Zusammenhang auf die Wörter „Rockröhre“ und „Medienmogul“ zu verzichten.

Mittwoch: Das Langrüsslige Stockrosenspitzmäuschen findet sich auf der Liste der Rüsselkäfer in Deutschland. (Warum es sich lohnt, ab und zu mal bei Wikipedia reinzuschauen.)

Ein mir nicht bekannter Kollege überraschte mich mit einem cold call, wie er es nannte. Wobei, ein „fernmündliches Auskunftsersuchen“ ist jetzt auch nicht so viel besser.

Donnerstag: In der Kantine gab es heute Grünkohl. Ich mag dieses Speiseblattwerk sehr gerne, vor allem wenn es mit einer Mettwurst garniert ist, und finde es bedauerlich, dass man es nur im Winter isst. Erdbeeren gibt es inzwischen das ganze Jahr über (was ich ausdrücklich nicht gutheiße), Grünkohl nur im Winter; gerecht ist das nicht. Indes käme mir nie über die Lippen „Da könnte ich mich reinsetzen“, wie manche es bei ähnlichen Gelegenheiten wissen lassen, nach wie vor erscheint mir diese Vorstellung höchst unappetitlich.

Besser zum Reinsetzen geeignet ist unser neues Auto, das wir heute abgeholt haben. Selbst ich, Kraftfahrzeugen und ihrer Benutzung wenig Interesse und Begeisterung, vielmehr Skepsis bis Ablehnung entgegenbringend, komme nicht umhin, das neue Auto recht schön zu finden, was an Euphorie genügen soll. Als die Menschen noch ins Büro gingen, war es üblich, wenn ein Kollege sich ein neues Fahrzeug zugelegt hatte, die Arbeit zu unterbrechen und gemeinsam die Tiefgarage zu einer Bewunderungsrunde aufzusuchen. Manche machten ein Buhei darum, als wäre ihnen ein Kindlein geboren. Schon damals stand ich unbeteiligt daneben, bemüht, mein Desinteresse zu verbergen. Ähnlich, wie wenn jemand den frisch geschlüpften Nachwuchs zur allgemeinen Niedlichfindung mit ins Werk brachte.

Ganz anders der Liebste: Während ich diese Zeilen notiere, ist er nach Lektüre der Bedienungsanleitung schon wieder unten beim Wagen, alle technischen Funktionen und Finessen zu studieren und probieren. Vielleicht schläft er die kommende Nacht im Auto. (Gibt es, neben der Betrachtung von Fußballspielen, etwas Uninteressanteres als Auto-Bedienungsanleitungen?)

Freitag: Er schlief dann doch im Bett.

Im Eingang eine Rundmail zum Thema Vorruhestandregelung. Ein Zeichen?

Samstag: Am frühen Nachmittag bemerkte der Nachbar im Keller ein undichtes Kupferrohr, aus dem heißes Wasser tropfte. Aufgrund eines noch wenig erforschten Naturgesetzes passiert sowas gerne am Wochenende. Bei Anruf der Hausverwaltung ließ mich eine Ansage wissen, ich riefe außerhalb der Geschäftszeiten an, ach was. Immerhin endete die Ansage mit der Nennung einer Mobilnummer für Notfälle. Da tropfende Kupferrohre unabhängig von der Temperatur des austretenden Wassers wohl als Notfall zu werten sind, wählte ich die genannte Nummer, erreichte den Chef der Hausverwaltung, bat um Entschuldigung für die Störung und schilderte mein Anliegen, woraufhin der freundliche Chef zusagte, ein Unternehmen zu verständigen und sich wieder zu melden. Und also geschah es – keine Stunde später war das Rohr provisorisch abgedichtet, demnächst muss es getauscht werden. Ich finde, in einer Welt (und diesem Blog) voller Gemecker sollte man derlei mal loben.

Sonntag: Zurück zum Gemecker. Vielleicht nicht neu für Sie, dennoch erscheint es angebracht, darauf hinzuweisen, nachdem ich gestern erneut darüber gelesen habe: Aufgrund eines mehrere hundert Jahren alten Rechtsanspruchs erhalten die beiden christlichen Kirchen vom Staat jährlich mehrere hundert Millionen Euro überwiesen, ohne Zweckbindung und Verwendungsnachweis. Wohlgemerkt neben der Kirchensteuer, das heißt, wir alle zahlen das, unabhängig davon, wie wir zur Kirche und ihren Aktivitäten stehen, vom aufrechten Katholiken und allsonntäglichen Messebesucher bis zum religionskritischen Atheisten und Missbrauchsopfer. Allein im vergangenen Jahr konnten sich die beiden großen Glaubenskonzerne über Staatsleistungen von fast sechshundert Millionen Euro freuen. Das sollte man vielleicht wissen, wenn zum nächsten dazu aufgerufen wird, für die Sanierung einer Kathedrale zu spenden.

Dabei wäre es möglich und es ist im Grundgesetz vorgesehen, diesen Geldfluss zum Versiegen zu bringen, dazu müsste ein entsprechendes Gesetz erlassen werden. Bislang sah keine Regierung Handlungsbedarf, es hätte ja auch nicht so gut ausgesehen mit dem „C“ im Parteinamen. Vielleicht greift die neue Regierung das Thema auf, im Koalitionsvertrag ist es immerhin vorgesehen, und die Ampel springt für diesen Geldstrom auf rot.

Doch nehmen sich die sechshundert Millionen für die Kirchen vergleichsweise günstig aus im Verhältnis zu den dreißig Millionen, mit denen die Stadt Bonn ihre Oper jährlich subventioniert. Der entsprechende Intendantenvertrag wurde erst kürzlich verlängert, Jahre zuvor beschlossene Vorgaben zur Kostensenkung wurden für nichtig erklärt. Wie im Übrigen absehbar ist, muss die Bonner Oper dringend saniert werden, nach den Erfahrungen mit vergleichbaren städtischen Objekten können wir ganz sicher mit einer mehrjährigen Betriebseinstellung, deutlicher Überschreitung von Zeit- und Kostenrahmen rechnen. Aber das kennen Sie aus Ihren Städten vielleicht auch.

Es ist nicht immer ganz einfach, nicht zu meckern. Aber ich arbeite an mir, versprochen.

Denken Sie beim Begriff „Heiliger Stuhl“ auch als erstes an klerikale Exkremente?

Woche 1/2022: Seltsame Vögel und irgendwas mit Frieden, Corona, Klima, Atom und Jesus

Montag: Es ist wichtig, ein neues Jahr positiv zu beginnen, also im Sinne von erfreulich-optimistisch, nicht eines Covid-Testergebnisses. Daher war die erste Aktivität heute die vorläufige Planung der Urlaubswochen und Inseltage 2022.

Warum wünscht man eigentlich immer ein „frohes neues Jahr“? Warum nicht zur Abwechslung ein ruhiges, erfreuliches, stressarmes, abwechslungsreiches, erotisches, humorvolles, geistreiches, wenn Sie unbedingt wollen auch spannendes, erfolgreiches … (bitte setzen Sie ein Adjektiv Ihrer Wahl ein)? Oder einfach ein gutes?

Abends holte ich fünf Bücher aus der örtlichen Buchhandlung meines Vertrauens ab, die ich dort vergangene Woche mit zwei weiteren bestellt hatte. Somit ist die Liste der zu beschaffenden Bücher um sieben kürzer, der Stapel der ungelesenen um dieselbe Anzahl höher. Jetzt muss ich mir nur noch die Zeit nehmen, sie zu lesen. Wie schaffen es andere, neben Beruf, Kindererziehung, Blogpflege und Weltenrettung fast wöchentlich ein Buch zu lesen und auch noch darüber zu schreiben? Ich dagegen schaffe auch ohne Nachzucht und Weltrettungsambitionen weniger als eins im Monat.

Dienstag: Aus einem Zeitungsbericht über eine möglicherweise unzulässige Silvesterparty in Bonn-Beuel: »Die Stadt antwortete, sie könne urlaubsbedingt erst am Dienstag Stellung nehmen.« Wünschen wir ihr gute Erholung.

Mittwoch: Wie ich gelesen habe, wurde die „Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA)“ der katholischen Kirche personell aufgestockt, um „noch zügiger und effizienter Anträge auf Anerkennungsleistungen zu entscheiden“. Ich bin mir sicher, Sie hätten die darin enthaltene Komik auch ohne kursive Darstellung der beiden Wörter erkannt, stimmts?

Aufgrund erheblicher Netzprobleme gewährte mir mein Werksrechner heute einen sehr entschleunigten Arbeitstag. Wer wollte das beklagen.

Donnerstag: Wie Sie vielleicht bemerkt haben, bin ich ein großer Freund längerer Spaziergänge, mindestens jeden Donnerstag ins Werk (und wieder zurück), sonntags eine große Runde durch die Umgebung, auch bei Regen, ab und zu mittags nach dem Essen eine verdauliche Runde durch den Rheinauenpark. Was zu Fuß besorgt werden kann, wird zu Fuß besorgt; niemals fiele mir ein, aus Bequemlichkeitsgründen stattdessen so ein albernes Rollerkasperdings zu benutzen. Umso mehr ärgert es mich, wenn das Wort „Spaziergang“ durch die Aktivitäten zweifelhafter Kreise nunmehr eine ähnliche Färbung annimmt wie der ehedem eher positiv belegte „Querdenker“.

Naturschützer haben dazu aufgerufen, eine Stunde lang im Garten oder auf dem Balkon Vögel zu zählen und die Zahl zu melden. Wie soll das gehen? Woher soll der Zähler wissen, ob nicht der eine oder andere Piepmatz von Körnerlust getrieben nach vielleicht zehn Minuten zur Futterstelle zurückgekehrt ist und somit mehrfach in die Zählung eingeht, oder ist das egal? Stark zurückgegangen ist unterdessen die Zahl seltsamer Vögel auf Bürofluren und in der Kantine, heimarbeitsbedingt.

Freitag: Morgens spielten sie im Radio David Bowie, von dem es ein neues Album gibt, was bemerkenswert ist, da er bereits vor sechs Jahren zu früh diese Welt verließ. Ähnliches ereignete sich Jahre zuvor mit Freddy Mercury, auch nach dessen Ableben brachte Queen ein weiteres Album in alter Besetzung raus, und auch von Prince soll dem Vernehmen nach noch einiges zu erwarten sein. Bei manch anderen ist man indessen dankbar, wenn nach ihrem Verscheiden nichts Neues mehr zu hören ist. Und mühelos fielen mir weitere noch lebende Interpreten ein, deren dauerhaftes Schweigen eher als Gewinn zu werten wäre, dazu müssen sie ja nicht gleich … aus juristischen Gründen sei von Namensnennungen abgesehen; Ihnen fallen vielleicht ebenfalls ein paar ein.

Samstag: „Du bekommst auch keine Rente mehr“, hörte ich in der Fußgängerzone einen im Vorbeigehen zu einem fremden Kind im Kinderwagen sagen. Ansonsten waren in der Innenstadt mehrere Redner am reden: irgendwas mit Frieden, Corona, Klima, Atom und Jesus. Immer optimistisch bleiben.

Sonntag: Um kurz nach vier in der Frühe wurde ich geweckt von Regen, der gegen das Schlafzimmerfenster prasselte, und einem gewissen Blasendruck. Als ich mich nach druckmindernder Maßnahme wieder ins nachtwarme Tuch begab, prasselte es draußen weiterhin, was mich bald wieder entschlummern ließ. Diese Momente liebe ich sehr, vermutlich erwähnte ich das bereits.

Der nicht minder geliebte Sonntagsspaziergang führte an einem Restaurant in der Inneren Nordstadt vorbei, das mit Reinigung der Gaststättenluft über ein Markengerät wirbt.

Auf den ersten Blick eine Information, die vor etwa zwei Jahren allenfalls mit einem ratlosen „Na und?“ zur Kenntnis genommen worden wäre. Wobei es damals wie heute einiger Phantasie bedarf, sich vorzustellen, wie genau die Luftreinigung mittels Lockenstab vor sich geht. Vielleicht sollten wir dort demnächst mal einkehren.

Außerdem lagen vor mehreren Hauseingängen wieder diverse Gegenstände mit Hinweiszettel „Zu verschenken“ aus: Eine halbvolle Sprühflasche unbekannten Inhalts, mehrere Dosen mit unterschiedlichen Körnern oder Granulaten sowie ein Karton mit gammeligen Kissen. Was man halt so nicht gebrauchen kann.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche in virenfreier Luft!

Woche 52/2021: Allzu große Strengnahme führt selten zu etwas Sinnvollem

Montag: Der Justizminister möchte die „Wahlverwandtschaft“ ermöglichen. Hierzu steht im Koalitionsvertrag: »Wir werden das Institut der Verantwortungsgemeinschaft einführen und damit jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen.« Das wäre mal eine echte Innovation, wenn man seine Verwandtschaft künftig wählen kann statt sie wie bislang ausschließlich ohne Widerspruchs- und Rückgaberecht von der Natur zugeteilt zu bekommen. Auch das „oder mehr“ klingt interessant und dürfte Kirchen wie konservative Kreise aufhorchen lassen.

Ansonsten berichtet die Zeitung – nicht zum ersten Mal – über einen knapp dreihundert Meter langen Trampelpfad, der sich im Laufe der Zeit am Beueler Rheinufer gebildet hat, siehe rote Linie:

(Mit freundlicher Unterstützung von Google Maps)

Schon lange beschäftigt der Pfad Naturschützer, besorgte/empörte Bürger und Politiker; seit Jahren versucht die Stadt Bonn, dem Wildtrampeln Einhalt zu gebieten durch Bepflanzung, Findlinge und Baumstämme, alles ohne Erfolg, obwohl der reguläre Weg nördlich des Pfades keinen nennenswerten Umweg bedeutet, wie Sie vielleicht erkennen können. Doch die menschliche Bequemlichkeit ist nicht zu beugen, selbst wenn sie nur subjektiv empfunden wird; zuletzt wurde gar ein Holzzaun zerstört. Vielleicht sollte die Stadt es mal mit Fußangeln, Fallgruben, Stolperdrähten, Exkrementausbringung oder Landminen versuchen.

Dienstag: Mittags stand ich vor der verschlossenen Kantine, vielen Dank an Omikron und Querfurzer. Stattdessen gab es in einem werksgastronomischen Nebenbetrieb noch was, sogar zum örtlichen Verzehr. Ab kommender Woche öffnet die Kantine dem Vernehmen nach wieder, allerdings vorerst nur für den Verzehr außer Haus. Das wäre geeignet, meine Laune zu trüben, doch was nützt es? Nicht nur wegen der über die Weihnachtstage verzehrten Speisemengen ist die Gefahr, zu verhungern, gering, und irgendwann darf man bestimmt wieder im Haus essen, wenigstens einige Wochen oder Monate lang. Vielleicht irgendwann wieder für immer, womöglich gar noch vor meiner Pensionierung. Sicher ist das keineswegs.

Auch gestern protestierten in Bonn wieder rund achthundert Menschen gegen Siewissenschon, wie die Zeitung heute berichtet. „Es ist mei­ne freie Ent­schei­dung über mei­nen Kör­per, ob ich mich imp­fen las­se oder nicht“, sagte einer, der seinen Na­men nicht in der Zei­tung le­sen will; darüber besser nicht aufregen, bringt nichts. Wesentlich origineller das Argument eines anderen Impf- und Maskenmeiders: „Ge­stor­ben wur­de schon im­mer.“ Zum Glück, möchte man da ergänzen.

Mittwoch: Man hört und liest nun oft, eine allgemeine Impfpflicht würde „die Gesellschaft spalten“. Wenn man ein Stück Holz auf den Spaltklotz legt und mit der Axt so daneben haut, dass am rechten (oder linken) Rand nur ein kleiner Span abgetrennt wird: Ist das Holz dann gespalten?

Ein schöner Verschreiber ist übrigens „Impflicht“: Ich zünde ein Licht an, auf dass ein jeder sich impfen lasse. (Eine jede und alle anderen natürlich auch.)

Donnerstag: Erstmals las ich im Zusammenhang mit wild abgestellten und umgeworfenen Elektrorollern das schöne Wort „Rollermikado“.

Der Journalist Claus Kleber im General-Anzeiger über Interviews mit Olaf Scholz: »Das ist einer, der die Frage kaum zur Kenntnis nimmt. Der wartet, bis der Interviewer aufhört zu reden, und spult dann seinen Standard ab.« Nicht nur Herr Scholz beherrscht diese zweifelhafte Kunst, möchte man ergänzen. Glauben die wirklich, wir merken das nicht?

Freitag: Silvester. Nicht nur das Jahr ist zu Ende: Erst jetzt erfuhr ich vom Tod eines Bekannten, der bereits am vergangenen Sonntag im Alter von 69 Jahren diese Welt verlassen hat. Auch wenn wir uns nicht sehr nahe standen, so geht es mir doch recht nahe. Lieber B, ich erhebe mein Glas auf dich!

Ansonsten war 2021 in persönlicher Hinsicht kein besonders schlechtes Jahr, dennoch kann es weg, ich werde es nicht sehr vermissen.

Spaziergänge am Rhein würde ich indessen sehr vermissen.

Samstag: Neujahrsbedingt verzögerte sich der Frühstücksbeginn um mehrere Stunden, dafür fiel es etwas knapper aus. Nachtrag zu vergangener Woche: Kaffee, dessen Bohnen zuvor das Gedärm einer Schleichkatze passiert haben, schmeckt nicht besser, er ist nur teurer, wir haben das mal für Sie ausprobiert. (Streng genommen sind das keine Bohnen, sondern Beeren beziehungsweise deren Kerne, aber allzu große Strengnahme führt ja selten zu etwas Sinnvollem.)

Während des längeren Ernüchterungsspazierganges entdeckte ich im Stadtteil Beuel zwei weitere Trafotürme, die meinem Auge bislang entgangen waren und meine Sammlung nun ergänzen.

Sonntag: Das Naturfilmportal XHamster muss womöglich bald seinen Betrieb einstellen, stand in der Zeitung. Das ist ungerecht, ich kann mich da nur wiederholen: Tatort genießt mit Mord und Todschlag zur besten Sendezeit Kultstatus bei Jung und Alt, aber sobald eine Erektion zu sehen ist, wird unsere Jugend gefährdet? Das ist doch lächerlich.

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Liebe Spamversende/(r), auch Gendern will gelernt sein.

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Sichtung im ICE 1050 auf dem Weg von Bielefeld nach Bonn: Die waren entweder sehr teuer oder extrem billig, ich kenne mich da nicht so aus.

Lächerlich sind im Übrigen auch alte Männer auf zu lauten Motorrädern.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche und alles Gute für das noch neue Jahr! Es würde mich freuen, wenn Sie auch künftig ab und zu hier reinschauen.