Woche 1/2022: Seltsame Vögel und irgendwas mit Frieden, Corona, Klima, Atom und Jesus

Montag: Es ist wichtig, ein neues Jahr positiv zu beginnen, also im Sinne von erfreulich-optimistisch, nicht eines Covid-Testergebnisses. Daher war die erste Aktivität heute die vorläufige Planung der Urlaubswochen und Inseltage 2022.

Warum wünscht man eigentlich immer ein „frohes neues Jahr“? Warum nicht zur Abwechslung ein ruhiges, erfreuliches, stressarmes, abwechslungsreiches, erotisches, humorvolles, geistreiches, wenn Sie unbedingt wollen auch spannendes, erfolgreiches … (bitte setzen Sie ein Adjektiv Ihrer Wahl ein)? Oder einfach ein gutes?

Abends holte ich fünf Bücher aus der örtlichen Buchhandlung meines Vertrauens ab, die ich dort vergangene Woche mit zwei weiteren bestellt hatte. Somit ist die Liste der zu beschaffenden Bücher um sieben kürzer, der Stapel der ungelesenen um dieselbe Anzahl höher. Jetzt muss ich mir nur noch die Zeit nehmen, sie zu lesen. Wie schaffen es andere, neben Beruf, Kindererziehung, Blogpflege und Weltenrettung fast wöchentlich ein Buch zu lesen und auch noch darüber zu schreiben? Ich dagegen schaffe auch ohne Nachzucht und Weltrettungsambitionen weniger als eins im Monat.

Dienstag: Aus einem Zeitungsbericht über eine möglicherweise unzulässige Silvesterparty in Bonn-Beuel: »Die Stadt antwortete, sie könne urlaubsbedingt erst am Dienstag Stellung nehmen.« Wünschen wir ihr gute Erholung.

Mittwoch: Wie ich gelesen habe, wurde die „Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA)“ der katholischen Kirche personell aufgestockt, um „noch zügiger und effizienter Anträge auf Anerkennungsleistungen zu entscheiden“. Ich bin mir sicher, Sie hätten die darin enthaltene Komik auch ohne kursive Darstellung der beiden Wörter erkannt, stimmts?

Aufgrund erheblicher Netzprobleme gewährte mir mein Werksrechner heute einen sehr entschleunigten Arbeitstag. Wer wollte das beklagen.

Donnerstag: Wie Sie vielleicht bemerkt haben, bin ich ein großer Freund längerer Spaziergänge, mindestens jeden Donnerstag ins Werk (und wieder zurück), sonntags eine große Runde durch die Umgebung, auch bei Regen, ab und zu mittags nach dem Essen eine verdauliche Runde durch den Rheinauenpark. Was zu Fuß besorgt werden kann, wird zu Fuß besorgt; niemals fiele mir ein, aus Bequemlichkeitsgründen stattdessen so ein albernes Rollerkasperdings zu benutzen. Umso mehr ärgert es mich, wenn das Wort „Spaziergang“ durch die Aktivitäten zweifelhafter Kreise nunmehr eine ähnliche Färbung annimmt wie der ehedem eher positiv belegte „Querdenker“.

Naturschützer haben dazu aufgerufen, eine Stunde lang im Garten oder auf dem Balkon Vögel zu zählen und die Zahl zu melden. Wie soll das gehen? Woher soll der Zähler wissen, ob nicht der eine oder andere Piepmatz von Körnerlust getrieben nach vielleicht zehn Minuten zur Futterstelle zurückgekehrt ist und somit mehrfach in die Zählung eingeht, oder ist das egal? Stark zurückgegangen ist unterdessen die Zahl seltsamer Vögel auf Bürofluren und in der Kantine, heimarbeitsbedingt.

Freitag: Morgens spielten sie im Radio David Bowie, von dem es ein neues Album gibt, was bemerkenswert ist, da er bereits vor sechs Jahren zu früh diese Welt verließ. Ähnliches ereignete sich Jahre zuvor mit Freddy Mercury, auch nach dessen Ableben brachte Queen ein weiteres Album in alter Besetzung raus, und auch von Prince soll dem Vernehmen nach noch einiges zu erwarten sein. Bei manch anderen ist man indessen dankbar, wenn nach ihrem Verscheiden nichts Neues mehr zu hören ist. Und mühelos fielen mir weitere noch lebende Interpreten ein, deren dauerhaftes Schweigen eher als Gewinn zu werten wäre, dazu müssen sie ja nicht gleich … aus juristischen Gründen sei von Namensnennungen abgesehen; Ihnen fallen vielleicht ebenfalls ein paar ein.

Samstag: „Du bekommst auch keine Rente mehr“, hörte ich in der Fußgängerzone einen im Vorbeigehen zu einem fremden Kind im Kinderwagen sagen. Ansonsten waren in der Innenstadt mehrere Redner am reden: irgendwas mit Frieden, Corona, Klima, Atom und Jesus. Immer optimistisch bleiben.

Sonntag: Um kurz nach vier in der Frühe wurde ich geweckt von Regen, der gegen das Schlafzimmerfenster prasselte, und einem gewissen Blasendruck. Als ich mich nach druckmindernder Maßnahme wieder ins nachtwarme Tuch begab, prasselte es draußen weiterhin, was mich bald wieder entschlummern ließ. Diese Momente liebe ich sehr, vermutlich erwähnte ich das bereits.

Der nicht minder geliebte Sonntagsspaziergang führte an einem Restaurant in der Inneren Nordstadt vorbei, das mit Reinigung der Gaststättenluft über ein Markengerät wirbt.

Auf den ersten Blick eine Information, die vor etwa zwei Jahren allenfalls mit einem ratlosen „Na und?“ zur Kenntnis genommen worden wäre. Wobei es damals wie heute einiger Phantasie bedarf, sich vorzustellen, wie genau die Luftreinigung mittels Lockenstab vor sich geht. Vielleicht sollten wir dort demnächst mal einkehren.

Außerdem lagen vor mehreren Hauseingängen wieder diverse Gegenstände mit Hinweiszettel „Zu verschenken“ aus: Eine halbvolle Sprühflasche unbekannten Inhalts, mehrere Dosen mit unterschiedlichen Körnern oder Granulaten sowie ein Karton mit gammeligen Kissen. Was man halt so nicht gebrauchen kann.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche in virenfreier Luft!

Woche 23: Wenn aus Nichtdürfen wieder Müssen wird

Montag: Vergangene Nacht erlitt ich im Traum einen akuten Arbeitsanfall: Als ich nach vier arbeitsfreien Tagen ins Büro kam, herrschte unübersichtliche Hektik. Die dringend anstehenden Aufgaben türmten sich, alle schrien durcheinander, ständig wollte einer was von mir, per Mail, Telefon, Skype und persönlich. Der Absturz eines von mir fachlich verantworteten IT-Systems erforderte sofortiges Handeln, nur hatte ich keine Idee, was genau zu tun war. Die, die es wussten waren nicht erreichbar; die erreichbar waren, wussten es nicht. Erst am frühen Abend, nachdem es mir gelungen war, Skype, dieses verdammte zentrale Nervsystem, zu deaktivieren, konnte ich endlich beginnen, die ersten Mails einigermaßen in Ruhe zu lesen. – Dagegen zeigte sich die Wirklichkeit heute freundlich: Die Systeme liefen rund, die anstehenden Aufgaben und Termine hielten mich in konstanter, jedoch nicht hektischer Beschäftigung. Trübe war nur der Himmel, mein Gemüt hingegen geradezu sonnig. Solche Montage gibt es zum Glück auch ab und zu.

Vielleicht lag es auch an dem Geschmacksverstärker im Kaffee, den der Geliebte morgens gereicht hatte.

Gelesen in einer Mail: „Das Thema nimmt Pfad auf.“ Such, Thema, such … fein machst du das.

Dienstag: Die Stadt Bonn erlaubt Gaststätten, zur Fußball-Europameisterschaft die Spiele über Außenbildschirme zu zeigen, allerdings nur ohne Ton. Dann kann ja nichts schief gehen.

Im Rheinauenpark war mittags wieder richtig was los, auch weitgehend geräuschlos:

Mittwoch: Ich lese gerade, Fußballkucken soll in Bonn nun doch mit Ton möglich sein. Anscheinend haben sie es gemerkt. Im Übrigen ist es egal, ob ich es mir mit oder ohne Geräusche nicht anschaue.

Gehört in einer Besprechung: „Das ist ein potentieller Fuck Up.“ Kommt demnächst auf die Liste.

Donnerstag: Vergangene Woche berichtete ich von der Freiluft-Bildergalerie am Rhein. Heute Morgen hingen immerhin noch siebzehn Bilder an den Lampenmasten, das sind ungefähr siebzehn mehr, als ich erwartet hätte.

Zu den fehlenden Bildern lesen Sie bitte hier:

Den Unmut des Fotografen und Initiators verstehe ich völlig, gleichwohl war nichts anderes zu erwarten. Menschen sind leider so.

Und auch so: Auf dem Rückweg vom Werk kam mir mal wieder eine junge Mutter entgegen, die, während sie ihre Nachzucht im Kinderwagen augenscheinlich gelangweilt vor sich herschob, ihre ganze Aufmerksamkeit dem Datengerät widmete. Trotz antinatalistischer Grundeinstellung empfinde ich bei solchen Anblicken stets eine deprimierende Wut. Was wird aus diesen Kindern mal? Für solche Eltern fordere ich eine Digitalsperre.

Viele haben statt Kindern Katzen. Abends mitgehört: „Meine Katze wundert sich, wenn ich im Hellen ins Bett gehe.“ – „Wie alt ist die denn jetzt?“ – „Mindestens fünfundzwanzig Jahre oder mehr. Die hatte ich schon in den Siebzigern.“

Früher, Sie wissen schon, vor C, stand donnerstagabends eine regelmäßige Vereinspflicht an, die mir schon damals zunehmend lästig erschien. Heute schrieb ich einen Brief, der mich auch künftig von dieser Pflicht befreit, wenn demnächst aus Nichtdürfen wieder Müssen wird.

Freitag: Letzter Arbeitstag, von nun an zwei Wochen Urlaub, gleichsam eine fünfzehngliedrige Samstagskette liegt vor mir. Eine größere Urlaubsreise ist nicht geplant, etwas in mir sträubt sich (noch?) dagegen, flüstert mir zu, es sei zu früh dafür, so sehr ich Südfrankreich auch vermisse. Stattdessen habe ich eine kleine Liste angelegt mit schönen Dingen, die ich in den kommenden Tagen zu tun beabsichtige: drei Wanderungen in näherer Umgebung, Besuch der Mutter in Bielefeld, den Lieblingsort am Rheinufer aufsuchen, Lesen, Schreiben. Und eine Impfung, die natürlich keines Urlaubstages bedarf, nur zufällig auf einen fällt. Wir werden sehen, welche Listeneinträge in zwei Wochen abgehakt sein werden.

Ich bin übrigens ein großer Freund von Regeln. Sie ermöglichen erst das Zusammenleben, jedenfalls wenn sich alle oder wenigstens möglichst viele daran halten. Sie sehen in mir einen überzeugten Regelfan. Doch alles hat Grenzen. Etwa Fußgängerampeln: Sie erführen wesentlich mehr Beachtung, wenn es innerhalb einer Grünphase gelänge, eine Straße komplett zu überqueren und nicht nur die Hälfte bis zur Mittelinsel, wo man erneut die Taste berühren und warten muss. Wie die Ampel in Werksnähe, die mich regelmäßig zum Regelbruch veranlasst. Liebe Verkehrsplaner, so Sie denn hier lesen, darüber bitte mal nachdenken, vielen Dank.

Samstag: Besorgungen erforderten einen kurzen Aufenthalt in der menschengefüllten Fußgängerzone. So sehr mich wieder geöffnete Trinkstätten freuen, so sehr irritiert mich in einigen davon die enge Anordnung von Tischen und Stühlen, wo man wie vor C nahe Rücken an Rücken sitzt. Warum lässt man den Wirten das durchgehen? Am meisten wunderte mich übrigens wieder die lange Schlange vor dem Laden, wo sie sogenannten Bubble Tea ausschenken.

Nachmittags erreichte uns die Einladung einer Freundin zu ihrer Geburtstagsfeier Anfang Juli. Mit einer größeren Anzahl Menschen im Inneren eines Restaurants. So sehr ich sie mag und gerne wiedersehen möchte – es geht nicht, noch nicht. Siehe gestern.

Sonntag: Ob ich das jemals wieder kann? Oder überhaupt will?