Der frühe Vogel lacht über uns

möwen

Bonn ist bekannt für seine ruheliebenden Bürger, die Lärmbelästigungen mannigfacher Art nicht hinzunehmen bereit sind und deswegen das Ordnungsamt anrufen oder gar die Gerichtsbarkeit – Klagen gegen Güterzüge, tuckernde Rheinschiffe, diverse Volksbelustigungen auf dem Münsterplatz und in den Rheinauen, Kirchenglocken sowie Baustellengeräusche wecken maximal noch ein gelangweiltes Achselzucken. Völlig unbeachtet dagegen eine Geräuschquelle, welche in diesem Jahr an Brisanz gewann: Möwen. „Möwen?“, mag der geneigte Leser aus Bielefeld-Jöllenbeck denken und sich verwundert die Augen reiben, weiß er doch auch ohne Blick in den Atlas, dass Bonn einige hundert Kilometer Festland von der nächsten Küste trennen. „Ja Möwen!“ herrsche ich den unwissenden barsch an, Bonn liegt am Rhein und Wasser zieht Möwen an, vielleicht sind die Viecher einfach zu blöd, zwischen einem Meer und einem Fluss zu unterscheiden. Ob es auch an anderen Flüssen, etwa der Emscher, Möwen gibt, entzieht sich meiner Kenntnis, auch bin ich zu bequem, diese Wissenlücke durch mühevolle Recherche zu stopfen.

„Aber Möwen sind doch allerliebst!“, mag der Jöllenbecker bar jeden Verständnisses entgegnen, derweil er in schönen Erinnerungen an seinen letzten Urlaubsaufenthalt auf Norderney schwelgt, mit Meeresrauschen, Krabben pulen, salziger Seeluft, Strandkorb und Kurtaxe. Das mag seine Sicht der Dinge sein – meine ist eine andere: Die Bonner Rheinmöwen sind bekloppt! Bereits frühmorgens um fünf fliegen sie in schreienden Schwärmen über die innere Nordstadt hinweg, was heißt schreien, vielmehr ist es ein Lachen, sie lachen uns Menschen aus, die gerne noch ein bis zwei Stunden schlafen würden, ehe der Wecker zum Verlassen des Nachtlagers mahnt, auf dass wir all unsere Kraft wieder freudig dem Arbeitgeber zur Verfügung stellen. Das Geschrei erfüllt des Altstadthimmels Blau bis zum späten Abend, ja noch in der Nacht lachen sie über die Dächer hinweg.

Warum tun sie das, warum in diesem Jahr besonders heftig? War es der milde Winter, der der möwischen Lebensfreude besonders zuträglich war und zu einer sprunghaften Vermehrung führte? Ist es ein Virus, welches die bedauerlichen Tiere in den Wahnsinn treibt? Warum unternimmt niemand etwas dagegen? Denkt auch mal irgendwer an die Kinder? Die Kinder leiden ja immer am meisten.

Das Ordnungsamt erklärt sich indes für nicht zuständig und verweist an die Luftwaffe, die sich jedoch auf hartnäckiges Nachfragen nicht mit dem Vogelschutzbund anlegen möchte. Was also tun? Bleibt wohl nur der Wegzug in gewässerfernere Regionen. Aber was soll ich in Bielefeld-Jöllenbeck?

Werbung: Darkroom on demand

LR

„Schreib doch mal was über Darkrooms“, wurde vor einiger Zeit der Wunsch an mich heran getragen, als ob ich dort heimisch wäre. Nun gut, völlig unbekannt ist mir das Innere dieser sehr speziellen Räumlichkeiten nicht, warum einen Hehl daraus machen. Darüber geschrieben habe ich indes längst, nämlich hier: http://www.amazon.de/Letzte-Runde-Carsten-Kubicki/dp/1500733946/ref=tmm_pap_title_0?ie=UTF8&qid=1408794464&sr=8-1

Nachdem es als eBook bereits seit längerer Zeit erhältlich ist, freue ich mich, dass es jetzt auch als normales Taschenbuch erschienen ist für Leute wie mich, die beim Lesen immer noch gerne ein Stück Papier in Händen halten.

Ein paar Worte zu Amazon: Ja ich weiß, dass der Konzern in Autoren- und Verlagskreisen aufgrund seiner gleichsam imperialistischen Geschäftsgebaren zurzeit nicht gerade das beste Ansehen genießt. Gleichwohl bin ich Amazon sehr dankbar, dass Hobbyschreiber und Wäregern-Autoren wie ich hier ihr Buch veröffentlichen können, ohne mehrere hundert Euro investieren zu müssen, wie es zum Beispiel bei Books On Demand der Fall ist. Die einzige Investition ist etwas Zeit. Mir ist klar, dass das Buch allein schon aufgrund des hohen Preises (10,49 Euro für gerade mal 86 Seiten sind wahrlich kein Schnäppchen) kein großes Publikum finden wird, auch werden die Feuilletons dieser Welt keinerlei Notiz davon nehmen. Aber das ist mir egal. Das Buch entstand aus Freude am Schreiben, ich schrieb es in erster Linie für mich, genau so wie dieses Blog, dessen „Klickzahl“ mir vollkommen schnuppe ist.

Zurück zum Darkroom. Hier eine kleine Leseprobe:

Ich stehe vor der verschlossenen Tür des K.O.X. und warte, nachdem ich den Klingelknopf im Türrahmen gedrückt habe, darüber ein kleines Schild „Privatclub“. Dieser Club ist ungefähr so privat wie eine Straßenbahnhaltestelle, nur muss man keinen jungen Müttern aus dem Weg gehen, die darauf hoffen, man sei ihnen beim Hineinwuchten des Kinderwagens in die Bahn behilflich. Auch hier dumpfes Basswummern, wobei nicht klar ist, ob es von drinnen kommt oder aus einer der Bars nebenan. Ein mittelalter Muskelmann oben ohne öffnet die Tür und lässt mich hinein, gleich hinter der Tür ein Vorhang, dahinter eine Art Empfangstheke, hinter der sich schwarze Müllsäcke stapeln wie bei einem italienischen Müllfahrerstreik.

„Wir haben heute naked, Süßer“, erklärt mir der Muskelmann, der auch untenherum mit nicht mehr bekleidet ist als einem Höschen aus dunklem lederartigem Material, und drückt mir einen Müllsack in die Hand; obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass er mich nicht süß findet, fühle ich mich geschmeichelt, Süßer, das hat schon lange keiner mehr zu mir gesagt, nicht einmal vorhin im Henry. Erst jetzt bemerke ich, alle Gäste hier sind… ja, nackt, von Schuhen und Socken abgesehen. Gehört habe ich schon öfter von derartigen Veranstaltungen, auf einer gewesen bin ich indes noch nie, und kurz überlege ich, ob ich das heute wirklich ändern will, als der Muskelmann erklärt, ich solle meine Sachen in den Sack packen und dann bei ihm abgeben, und er drückt mir eine Verzehrkarte in die Hand. Ein Rückzieher meinerseits sähe jetzt wohl ziemlich albern aus, also lasse ich mich darauf ein und nehme den Sack. Der Um-, oder besser: Auskleidebereich befindet sich in einer kleinen halbdunklen Nische rechts hinter dem Eingangsbereich, wo sich gerade ein glatzköpfiger Typ mit zahlreichen Tätowierungen und Piercings seiner Textilien entledigt und sie in seinem Beutel verstaut. Geistesgegenwärtig krame ich zunächst die Zigaretten, das Feuerzeug und das Poppersfläschchen aus den Taschen und lege sie beiseite, bevor auch ich mich entkleide: Jacke, Hemd, Hose, schließlich auch Unterhose verschwinden in dem Sack, ein kurzfristiges Schamgefühl befällt mich, das jedoch nach spätestens einer Minute wieder verraucht angesichts der zahlreichen Kerle im Adamskostüm hier (nur dass Adam vermutlich keine Markenturnschuhe und diese unsäglichen Sport-Kniestrümpfe trug; auch in alle möglichen und unmöglichen Körperteile getriebene Metallteile dürfen im Garten Eden eher nicht gern gesehen gewesen sein). Wenigstens muss ich mir heute keine Gedanken darüber machen, wo ich Portmonee, Schlüssel und Mobiltelefon verstaue, dass sie mir im Eifer des Gefechts in dunkleren Gefilden dieses Etablissements nicht geklaut werden, stattdessen verschwinden sie mit im Müllsack. Das Poppersfläschchen stecke ich in einen Socken, die Zigaretten behalte ich in der Hand und deponiere sie später an der Bar, wird schon keiner klauen, und wenn doch, auch egal, kann man nachkaufen. Nachdem ich den Sack ordnungsgemäß zugeknotet habe, bringe ich ihn zum Wächter der Müllsackhalde, der einen Aufkleber mit einer Nummer darauf klebt und mir mit einem Filzschreiber dieselbe Nummer auf meinen Oberarm schreibt (ich bekomme die Vierundvierzig, scheint schon ganz schön was los zu sein), das ganze noch garniert mit einem „Viel Spaß, Süßer!“ und einem näckischen Augenzwinkern.

Ich brauche Bier. An der Bar herrscht allgemeines Lauern; auffällig ist der zumeist unfrohe, fast böse Blick, als gelte hier „wer lächelt verliert“, unbeirrt davon bestelle ich mir ein Flaschenbier, gebe meine Getränkekarte dem immerhin mit einer knappen Sporthose bekleideten Barmann hin und verstaue sie anschließend im anderen Socken. Mit dem Rücken zur Bar lasse ich mich auf einem Barhocker nieder, nuckle an meinem Bier, zünde eine Zigarette an und lasse den Blick schweifen. Technomusik erfüllt mit hämmernden Bässen den Raum, ähnlich wie vorhin im Plan C, nur nicht so laut. Alle sind nackt, keiner sagt was, bis auf einen Typen, der sich angeregt mit dem Barmann unterhält; alle anderen sind damit beschäftigt, die Lage zu sondieren und das für sich geeignete Objekt der Begierde im allgemeinen Angebot zu sichten. Ich weiß nicht, wie ich jetzt darauf komme, aber plötzlich stelle ich mir vor, wie ich das meiner Mutter erklären würde, wenn sie mich fragte, was ich am Wochenende gemacht habe: „Nichts besonderes, war in einer Bar, wo alle nackt waren und habe Leuten beim Sex zugeschaut. Und ihr?“ In der Tat, ganz am Ende der Bar, ich bemerke sie jetzt erst, sind zwei Kerle innig miteinander beschäftigt: der eine beugt sich über den Tresen, während der andere hinter ihm steht und sein Becken rhythmisch nach vorne und hinten bewegt; ihr Liebesspiel gewinnt eine gewisse Absurdität dadurch, dass der vordere währenddessen immer wieder abwechselnd an seinem Bier trinkt und sich Poppers in die Nase zieht, fehlt eigentlich nur noch, dass er sich einen kleinen Imbiss und die Tageszeitung kommen lässt. Und doch muss ich zugeben, obwohl sie nicht direkt in mein Beuteraster fallen (zu muskulös, zu tätowiert), der Anblick hat eine gewisse Wirkung, also untenrum, meine ich. Da es mir unangemessen erscheint, mit einer Erektion auf einem Barhocker sitzend in die Gegend herumzuschauen, ziehe ich mich in den hinteren, dunkleren Bereich zurück, wobei ich den den Eindruck habe, je dunkler es wird, desto finsterer werden die Blicke der Jungs; ich bin plötzlich ziemlich geil, und diesen Zustand würde ich gerne in derselben Weise nutzen wie die beiden Kerle an der Theke, wenn auch nicht ganz so öffentlich. Zu meiner Linken befindet sich in einer Nische der Videoraum, wo ein großer Bildschirm eindeutig nicht jugendfreie Filme zeigt, in diesem Fall eine Art Brokeback Mountain für Fortgeschrittene: zwei bärtige Männer mit Cowboyhüten und -stiefeln sind in einer Scheune miteinander beschäftigt, ein eher komischer als anregender Anblick, fast bin ich geneigt zu lachen, was vermutlich direkt zu meinem Rausschmiss führen würde, denn hier lacht man augenscheinlich nicht, dazu ist die Sache zu ernst, die Regel wer ficken will muss freundlich sein ist hier außer Kraft gesetzt, und dennoch beschließe ich, erstmal hier zu bleiben und nehme auf einer der gummibeschichteten abwaschbaren Matratzen Platz, in sicherem Abstand zu einem recht voluminösen, auffallend kinnlosen Herrn mittleren Alters, der mit dieser Art Western offenbar mehr anfangen kann, wie die Größe seines Körperteiles, mit dem er sich beschäftigt, eindrucksvoll beweist. Bei mir bleibt vorläufig alles klein, wobei klein relativ ist, ich habe schon kleinere gesehen, aber ich möchte jetzt nicht prahlerisch erscheinen; sagen wir mal so: ich bin ganz zufrieden; ich beschränke mich darauf, zu beobachten, und zu beobachten gibt es reichlich. Meine Erfahrung sagt mir, das Klügste ist, um einen Überblick über das Publikum zu bekommen, zunächst an einer Stelle zu bleiben und abzuwarten, bis sie alle vorbeikommen, kurz kucken und weiterlaufen, getrieben vom Zwang, den besten ausfindig zu machen, und früher oder später kommen sie alle. Das schlimmste, was hier passieren kann, ist, sich für einen entschieden zu haben, mit ihm bis zum Äußersten zu gehen und dann, wenn man fertig geworden ist miteinander, einen anderen, viel besseren zu entdecken, was aber zu spät ist, weil man ja sein Pulver soeben verschossen hat, und bis die Batterie wieder geladen ist, hat ihn sich garantiert ein anderer geschnappt, das Leben auf der Pirsch ist nicht einfach. Und richtig, sie kommen, schauen und gehen weiter, bislang noch keiner dabei, der mein Interesse zu wecken vermag, und umgekehrt offenbar. Der blonde Cowboy treibt sein durchaus beachtliches Teil in den dunklen, der, mittlerweile ohne Hut, rücklings auf einem Strohballen liegt und seine bestiefelten Füße in die Höhe reckt und dabei heftig stöhnt, zumindest sieht es so aus, denn der Ton ist abgestellt; derweil werden die Handbewegungen des Kinnlosen schneller, wie ich nur aus den Augenwinkeln mitbekomme, direkt hinschauen mag ich aus verschiedenen Gründen nicht. Obwohl der Film wirklich scheiße ist, anders kann ich es nicht nennen, muss ich immer wieder zwanghaft hinschauen, wie das so ist, wenn in einem Raum ein Fernseher läuft, man schaut immer wieder hin, ob man will oder nicht. Die allgemeine Musik passt übrigens perfekt zum Film, die Bässe wummern im Kopulationstakt der beiden Kuhtreiber, wie synchronisiert.

[…]

Nach wie vor herrscht das große Herumgerenne, die Suche nach dem idealen Fickpartner, wobei die Hauptverkehrsachse einer überdimensionierten Ameisenstraße gleich die Strecke zwischen der Bar und dem dunklen Durchgang neben der Nische mit dem Sling bildet; hinter diesem Durchgang befindet sich der eigentliche Darkroom, also der Bereich, wo man wirklich nichts mehr sehen, nur noch fühlen kann. Und genau dort ist immer das meiste los, seit jeher frage ich mich, warum, ich persönlich sehe oder zumindest erahne gerne, mit wem ich mich beschäftige, das Auge fickt mit, und doch herrscht immer und ausnahmslos in solchen Läden das größte Treiben dort, wo man nichts sieht, warum auch immer; auch die mögliche Erklärung, es sind vor allem die eher unattraktiven Kerle, die den Schutz der Dunkelheit suchen, greift nicht, zumeist sind es gerade die hübschesten Burschen, die sich auf derart unschöne Art den Blicken entziehen. Sehr beliebt ist es daher, sich abwartend vor dem Eingang zur Finsternis aufzuhalten, sobald ein attraktiver Bursche vom Dunkel geschluckt wird, lösen sich diese Torwächter von ihrem Platz und folgen dem Kerlchen in eindeutiger Absicht und Hoffnung, so auch jetzt und hier wieder.

Was wäre, wenn Patrick hier jetzt plötzlich aufkreuzen würde, nackt von der Bar kommend an mir vorbei ins Dunkel verschwände, sofort verfolgt von den Torwächtern? Kein Zweifel, sie würden ihm folgen, er ist ein verdammt attraktiver Bursche. Meine eben noch vorhandene Geilheit ist schlagartig verflogen; Patrick, du Arsch, warum verdirbst du mir permanent die Laune, selbst wenn du nicht da bist? Ich folge der Karawane ins Dunkle. Wie erwartet gerate ich in ein undurchschaubares Geknubbel aus Leibern, Hände, die mich befummeln und wieder ablassen, Erektionen, die in den Weg ragen, irgendwoher Gestöhne, Poppersgeruch in der feuchtwarmen Luft, augenblicklich werde ich wieder geil, Patrick ist zum Glück nicht gefolgt. Es ist nicht völlig dunkel im Sinne von schwarz, wie ich nach ein paar Sekunden merke, nur fast: man kann nichts richtig erkennen, immerhin aber, wo jemand steht und wo nicht. Ich taste mich vor bis zu einer freien Stelle an der Wand, wo ich abwartend verharre und das schemenhafte Treiben mehr akustisch als optisch verfolge (zudem auch haptisch und – in Ansätzen – olfaktorisch). Von links kommt eine Hand, greift ohne Umweg nach meinem Dings und pumpt es zur vollen Größe auf, wer auch immer es ist, er macht es gut, nur nicht aufhören. Ich behalte meine Hände noch bei mir, möchte mir die Illusion des jungen schlanken Typs, der sich mir gerade widmet, nicht zerstören; unnötiger Weise schließe ich die Augen und lasse es geschehen…

Ein Hinweis zum Schluss: Die Geschichte ist nur insofern jugendfrei, als dass keine Jugendlichen darin vorkommen. Eventuelle Ähnlichkeiten mit tatsächlich lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt, das gilt insbesondere für den Ich-Erzähler.

Über einmalige Dinge und eine Stunde in Roisdorf

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Tom ruft in seinem Blog dazu auf, Geschichten zu erzählen über Dinge, die man wohl nur einmal erlebt. Da ich das für eine sehr schöne Idee halte, möchte auch ich mich daran beteiligen. So hatte ich mir vorgenommen, ein besonders schönes Erlebnis zu schildern, welches mir als junger Eisenbahnfreund widerfuhr. Leider kam etwas dazwischen, was auch mit Eisenbahn zu tun hat, nur nicht so freundlich.

Also begab es sich, dass am vergangenen Dienstag geschäftliche Gründe, welche nicht näher erläutert sein sollen, meinen Aufenthalt in Köln erforderten, und ich am frühen Abend mit einer angenehmen Müdigkeit in den Regionalexpress stieg, auf dass er mich zurück ins heimische Bonn bringe. Daraus wurde leider nichts, denn die Fahrt endete in Roisdorf (für Nichtrheinländer: man spricht es ‚Roosdorf‘, so wie das westfälische Soest ‚Soost‘ ausgesprochen wird und nicht etwa ‚Söst‘; Oelde spricht man hingegen wie man es schreibt, man muss nicht alles verstehen) mit der Ansage, die Weiterfahrt verzögere sich um unbestimmte Zeit wegen einer Bombendrohung im Bonner Hauptbahnhof. Panik ergriff die Reisenden, bald verließen sie den Zug und liefen mit gezückten Smartphones den Bahnsteig auf und ab.

Aussteigen? Ich dachte nicht daran und widmete mich in einem inzwischen fast leeren Zug meinem Buch, welches ich für solche und ähnliche Anlässe stets in der Tasche habe. Leider erwies sich dieses Nichtdrandenken schon nach kurzer Zeit als Trugschluss, denn eine weitere Ansage bedeutete mir und den verbliebenen Fahrgäste, den Zug zu verlassen, da dieser in wenigen Minuten zurück nach Emmerich zu fahren beabsichtige. In Emmerich war ich mal vor etwa zwanzig Jahren, doch sind mir die zweifellos vorhandenen Schönheiten dieser Stadt nicht mehr erinnerlich, daher beschloss ich, der Aufforderung Folge zu leisten und stieg in die Regionalbahn nach Bonn-Mehlem, welche inzwischen auf dem Nebengleis eingetroffen und aus dem genannten Grunde ebenfalls an der Weiterfahrt gehindert war. Doch ach und weh, auch hier bald die Ansage, man beabsichtige ob der ungewissen Bedrohungslage die Rückfahrt nach Wuppertal, bitte beachten Sie die Ansagen auf dem Bahnsteig. So stand ich mit -zig anderen Menschen ratlos auf dem völlig ansagefreien Bahnsteig.

Der Regionalexpress rollte inzwischen gen Niederrhein, dafür traf nun die Mittelrheinbahn nach Mainz ein, welche ebenfalls an der Weiterfahrt gehindert war. Ein paar stiegen trotzdem ein, ich hingegen wähnte mich schlauer und verließ den Bahnhof in der Hoffnung auf ein Taxi oder eine Bushaltestelle. Das war unklug, manchmal trifft man einfach dumme Entscheidungen. Denn kaum befand ich mich auf dem Bahnhofsvorplatz, sah ich die Mittelrheinbahn in Richtung Bonn abfahren, die Sperrung war offenbar aufgehoben. Also zurück auf den Bahnsteig, wo noch immer die Regionalbahn stand, nach wie vor fest entschlossen, nach Wuppertal statt nach Bonn zu fahren. Nächster planmäßiger Zug nach Bonn eine halbe Stunde später. Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal eine halbe Stunde auf dem Roisdorfer Bahnhof verbringen mussten, wenn nein, sei Ihnen gesagt, es gibt schlimmeres, zum Beispiel eine Zahnwurzelentzündung oder Reklame für ein Mittel gegen Scheidenpilz beziehungsweise -trockenheit, jedoch auch weitaus schöneres. Was macht der inzwischen gealterte Eisenbahnfreund, wenn er sich auf einem Bahnhof befindet? Fotos:

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Planmäßig rauschte exakt eine Stunde nach meiner unfreiwilligen Ankunft der nächste Regionalexpress nach Koblenz an uns vorbei; die Idee, uns unfreiwillig gestrandete mit einem unplanmäßigen Halt aufzunehmen, war der Oberzugleitung der Bahn offenbar nicht gekommen, wäre auch etwas zu viel verlangt, wo er gerade so schön pünktlich war. Mit etwa zehnminütiger Verspätung traf endlich die nächste Regionalbahn nach Bonn ein, unglücklicherweise nur halb so lang wie üblich, was eine gewisse Intimität im Inneren zur Folge hatte. Meine Obrigkeitshörigkeit außer acht lassend nahm ich widerrechtlich in der ersten Klasse Platz, wo noch ein Sitz frei war, wenige Minuten danach und eineinhalb Stunden später als geplant traf ich schließlich in Bonn ein.

Vielleicht und hoffentlich war das ja auch ein einmaliges Erlebnis. Lieber Tom, die Geschichte mit dem jungen Eisenbahnfreund reiche ich nach, versprochen! Und vielleicht schreibe ich später noch über eine weitere, garantiert einmalige Begebenheit, in welcher auch die Eisenbahn eine Rolle spielt, die sich jedoch eher ein mittelmäßig begabter Pornoproduzent ausgedacht haben könnte als dass man sie der Wirklichkeit zutraut.

Ach ja, liebe Bombenleger: Bevor ihr euch den ohnehin schon ziemlich kaputten Bonner Hauptbahnhof vornehmt, fangt doch erstmal mit dem Bahnhof von Roisdorf an. Am besten jagt ihr das völlig zweckfreie rote Bauwerk auf dem Bahnsteig in die Luft. Danke!

Werbung: BUBE, DAME, KÖNIG, JAZZ

Bekanntlich leihe ich meine liebliche Stimme mit großer Begeisterung den Kölner SPITZbuben. Damit sich die Strapazen mittwöchlicher Chorproben auch lohnen, gibts mal wieder was auf die Ohren für alle zu einem geradezu lächerlich günstigen Preis. Weitere Einzelheiten zu Terminen, Ort und Programm unten. Kommet zuhauf!

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Herzliche Grüße von den Kölner SPITZbuben!

Zum 10-jährigen Bestehen präsentieren die Kölner SPITZbuben unter der Leitung ihrer Dame Susanne Bellinghausen den König Jazz. Ob Swing, Chicago, Latin oder Fusion, kaum eine andere Musikrichtung bietet eine solche Vielfalt an Stilen und Formen, denen fast keine Grenzen gesetzt sind. Mit beschwingten Beats und coolen Grooves wandeln die Kölner Sänger etwa auf der „Green Dolphin Street“ bis zur „Tuxedo Junction“, um dort „The Autumn Leaves“ zu genießen. Wem das zu „Misty“ wird, kann auch den „April in Paris“ verbringen oder sich gleich nach „New York, New York“ aufmachen.

Cologne’s Finest Jazz-Trio begleitet die Buben nicht nur mit reichlich Blue Notes und abgründigen Bässen, sondern lässt seinem Drang nach Jazzimprovisationen freien Lauf. Rhythmisches Kopfnicken, kontrolliertes Schulterzucken und lässiges Fingerschnippen im Takt sind ausdrücklich erwünscht!

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Wann:
Samstag, 27. September 2014, 20:00 Uhr
Sonntag, 28. September 2014, 17:00 Uhr

Wo:
Belgisches Haus
Cäcilienstraße 46, 50667 Köln

Ticketbestellung:
telefonisch unter 0221 / 16 930-436
per Email an vorverkauf@koelner-spitzbuben.de
Kartenpreis: 15 € + ggf. 0,70 € Versand

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Den Vogel abgeschossen

Wieder hat der Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften (BHDS) das Fingerspitzengefühl einer mittelgroßen Abbruchbirne bewiesen. Dieses Mal traf es Mithat Gedik, der, obwohl er beim Schützenfest in Werl-Sönnern den Vogel abschoss, aufgrund seines muslimischen Glaubens nicht Schützenkönig werden darf. Streng genommen hätte er als Muslim nicht einmal Mitglied in dem Verein werden dürfen, so der BHDS.

Bereits im März 2012 offenbarte der BHDS seine – freundlich ausgedrückt, da man mit Vergleichen aus dem fäkalfarbenen Spektrum schnell aneckt – mittelalterliche Gesinnung, als er dem schwulen Schützenkönig Dirk Winter aus Münster untersagte, öffentlich mit seinem langjährigen Lebenspartner aufzutreten. Nun gut, immerhin durfte der noch Schützenkönig bleiben, womöglich glaubt er diesen Kreuzkram.

Die jüngste Entscheidung der Schützenschützer zieht inzwischen weitere Kreise. Wie aus Rom verlautbart, erwägt Papst Franziskus, den BHDS und alle ihm angeschlossenen Schützenbruderschaften „wegen nicht mehr zeitgemäßer, diskriminierender und Gottes Schöpfung verachtender Weltanschauung“ aus der katholischen Kirche zu exkommunizieren, wodurch er Lob und Anerkennung aus aller Welt erfährt. Selbst der Europäische Verband bekennender Atheisten und Agnostiker (EVAA) zeige sich beeindruckt: „Respekt, so langsam kommt die katholische Kirche anscheinend im 21. Jahrhundert an“, so ein Sprecher.

Bereits Ende Juni erregte Franziskus Aufsehen, als er während einer Messe im italienischen Cassano allo Ionio kurzerhand alle Mafiaorganisationen aus seiner Kirche ausschloss: „Diejenigen, die den falschen Weg wählen, wie auch die Mafiosi, sind nicht in der Gemeinschaft mit Gott. Sie sind exkommuniziert.“ Ähnliche Worte soll Franziskus für den BHDS gefunden haben, wobei auch hier der hemmungslose Gebrauch von Schusswaffen eine wesentliche Rolle spielte.

Auch in Bayern ist man alarmiert: Wie gewöhnlich gut unterrichtete CSU-Kreise berichten, hat Horst Seehofer inzwischen alle Parteimitglieder zur Zurückhaltung in Bezug auf minderheiten- und ausländersensible Themen angehalten. Selbst die PKW-Maut soll auf der Kippe stehen. Über die FDP redet indes schon lange niemand mehr.