Woche 21/2023: Ankunft in Andernach, verliebt in München und eine Evakuierung

Montag: „Alle Schnittstellen sind shiny„, hieß es in einer Besprechung mit vielen durcheinander redenden Teilnehmern, zu der ich offenbar versehentlich eingeladen war und inhaltlich nichts beitragen konnte. Ebenso glanzvoll dieser Satz in einer Mail, die mich in tiefe Ratlosigkeit versetzt: »Das Artifactory ersetzt mit dem Sundown des LCM TeamForge die Fachfunktion eines Binär-Repositories und kann bereits für neue Repositories angefragt werden.« Klingt beruhigend, auch wenn ich nicht den Hauch einer Ahnung habe, was er bedeutet. Weiß der Himmel, wie ich in diesen Mailverteiler geraten bin.

Es ist warm. In Büros und Kantine akuter Halbarmhemdenalarm.

Der Rückspiegel an meinem Fahrrad ist längst keine Ausnahmeerscheinung mehr, man sieht sie immer häufiger. Meistens an den Rädern älterer Herren. – Ach ja, richtig.

Warum wünscht man sich gegen Ende des Arbeitstages eigentlich einen „schönen Feierabend“ statt einfach einen „schönen Abend“? Diese Frage warf meine liebe Flurkollegin am Nachmittag auf, womit sie recht hat. Nur wenige werden nach des Wertages Mühen ein Fest aufsuchen, jedenfalls nicht zwischen Montag und Donnerstag.

Dienstag: Bei zunächst kühl-zugigem Wetter reiste ich nach München, um dort Frau Kraulquappe zu treffen. Nach Jahren intensiven schriftlichen Austausches waren wir beide der Meinung, es sei an der Zeit für ein persönliches Kennenlernen.

Die Bahnfahrt verlief zufriedenstellend, wegen eines defekten Stellwerks erfolgte die Abfahrt mit zwölf Minuten Verspätung, was für eine Stellwerksstörung geradezu ein Fliegenschiss im schienengebundenen Raum-Zeit-Gefüge ist. Einzig Wagen fünf, für den meine Reservierung gebucht war, fehlte ohne weitere Information im Zugverband, doch fand ich, da der Zug nur mäßig belegt war, einen Fensterplatz mit Blick nach draußen (so wichtig und nicht selbstverständlich, siehe unten) im Wagen sechs. Hier bestand nur die Gefahr, vom Platz verscheucht zu werden, da die Reservierungsanzeige im Wagen nicht funktionierte.

Bei Ankunft in Andernach dachte ich: »Ankunft in Andernach«, das wäre ein schöner Romantitel. Wenn jemand dazu eine Idee hat, bedienen Sie sich.

Während der Fahrt hörte ich eine seit Jahren nicht mehr vernommenen Mobiltelefonmelodie, Didl düdü, didl düdü, didl düdüdüü, wer verwendete den damals, Nokia? So lange ist das noch gar nicht her, und doch schon so weit weg. Oder kann man sich die inzwischen als nostalgischen Signalton auf das aktuelle Datengerät laden, wie das Schrillen einer Schelle aus Bundespost-Zeiten?

Ich kam mit immer noch zehn Minuten Verspätung unverscheucht in München an, wo mich milder Sonnenschein, Frau Kraulquappe und Dackeldame Pippa sehr herzlich empfingen. Spätestens beim ersten Bier im Biergarten entwickelte sich die Herzlichkeit zu Sympathie, die so weit ging, dass ich aus eigenem Antrieb ein Selfie von uns fertigte, was für mich, der Selfies grundsätzlich dämlich findet, bemerkenswert ist und sich mangels Übung als gar nicht so einfach erwies.

Ausdruck von Lebensfreude auf bayrisch (rechts) und ostwestfälisch

Mittwoch: Vormittags erkundete ich die nähere Umgebung zunächst unbegleitet durch Frau K. und Fräulein P., kam dabei vom vorgeschlagenen Wege ab, verlor vor Gehfreude ein wenig das Raum-Zeit-Gefühl und traf mit leichter Verspätung am vereinbarten Treffpunkt ein.

Idyll am Westermühlbach
Auch ganz reizend

Mittags brachen wir auf zu einem Ausflug zum Kloster Andechs, wo wir uns stärkten mit Schweinsbraten und dem berühmten örtlich gebrauten Bier, das ganze eingerahmt in eine Wanderung durch oberbayerische Fluren und sehr angenehme Gespräche.

Fräulein P. weist den Weg
Auf dem Rückweg

Danach erhielt ich Gelegenheit für einen Blick über den Starnberger See, wiederum verbunden mit einer kurzen Einkehr.

Anleger in Berg
Kleinblogger in Berg, aber das sehen Sie ja selbst (Foto: Frau Kraulquappe)

Später beim Abendessen besprachen Frau K. und ich unser gemeinsames Blogvorhaben, wovon Sie demnächst mehr lesen werden.

Wort des Tages: Postbelastungsschmerz. Kenne ich, ab und an.

Donnerstag: Vormittags zeigte mir Frau K. die Schönheit des Nymphenburg-Viertels, mit anschließender (alkoholfreier) Einkehr in einem Café. Nach allem, was ich in den vergangenen Tagen von München gesehen habe, bemerke ich, mich ein wenig in diese Stadt verliebt zu haben. Zum Abschied mittags beschlossen wir, derartige Treffen zu wiederholen. Herzlichen Dank an Frau Kraulquappe für das Besuchsprogramm und die ausgezeichnete Betreuung, und an Fräulein Pippa für die geteilte Aufmerksamkeit! Der imaginäre Bewertungsbogen erhält in allen Kategorien fünf Sterne.

Schlossgartenkanal

Die Rückfahrt mit der Bahn gestaltete sich besonders abenteuerlich. Da der von mir gebuchte EC mit etwa einer Stunde Verspätung abfahren sollte, wegen „Reparatur am Zug“, stieg ich in einen vorher fahrenden ICE, der pünktlich den Münchener Hauptbahnhof verließ. Vor Neu-Ulm wurde er langsamer, dann blieb er auf freier Strecke stehen. Kurz darauf ertönte das Piepen des Unheils, das Sie vielleicht kennen, wenn Sie öfter Bahn fahren: drei aufeinander folgende Pfeiftöne, der mittlere eine Terz höher als die äußeren; dann ist selten etwas Gutes zu erwarten. Als Grund des außerplanmäßigen Haltes wurde zuerst Strommangel genannt, angeblich stand nicht mehr genügend Elektrizität für eine Weiterfahrt zur Verfügung, das war mir als Begründung neu. Wie sich wenig später herausstellte, hatte kurz zuvor ein Regionalexpress die Oberleitung beschädigt, dadurch war der Streckenabschnitt stromlos. Es gab also genug Strom, nur nicht hier. Bis wann der Schaden behoben wäre, wusste man nicht. Nach und nach fielen die Systeme im Zug aus: die Klimaanlage (zum Glück war es nicht heiß), die Beleuchtung, die Anzeigebildschirme. Immerhin funktionierten noch die Lautsprecherdurchsagen und, wichtig, die Toiletten.

Gut eine Stunde später die Durchsage: Unser Zug kann nicht weiterfahren und wird evakuiert. Da die Stromversorgung des Gegengleises nebenan inzwischen wieder hergestellt werden konnte, sollte bald ein anderer Zug neben uns halten, in den wir hinüber wechseln sollten. Und also kam es, wir stiegen über einen schwankenden Steg in den rettenden Nebenzug, der uns gut zweieinhalb Stunden nach dem unheilverkündenden Piepen bis Stuttgart brachte. Dort fuhr eine halbe Stunde später ein Intercity nach Bonn ab, in dem ich bei Verfassen dieser Zeilen gerade sitze. Wenn jetzt nichts mehr passiert, bin ich gegen elf zu Hause. Das war es wert und es schmälert die Freude über das Treffen mit Frau K. ganz und gar nicht. Gleichwohl ein Eintrag in der Liste der Dinge, die man nicht unbedingt erlebt haben muss.

„Fensterplatz“

Auffallend gut war die Stimmung im stehenden Zug, bis zum Schluss wurde gescherzt und gelacht. Im aufnehmenden Zug hingegen meinten wieder einige, den Sitz neben sich mit Handtasche oder Rucksack belegen zu müssen, auf dass sich ja keiner daneben setzte, obwohl vorher ausdrücklich darum gebeten worden war, wegen des beschränkten Platzangebotes sein Gepäck zu verstauen. Ich rege mich nicht auf, ich bemerke nur.

Loben möchte ich ausdrücklich den Zugchef Herrn König, der uns im Rahmen seines jeweils aktuellen Kenntnisstands während der ganzen Zeit über Lautsprecher informierte und Hintergründe erläuterte (zum Beispiel warum es nur eine Übergangsbrücke gab, Grund: Auch die Bahn hat Personalmangel), stets in ruhigem, fast unterhaltendem Ton. »STEHTS BEMÜHT« hat hinter dem Stuttgarter Hauptbahnhof jemand an eine Mauer gesprüht. Dem ist nichts hinzuzufügen.

In Wiesloch-Walldorf ist übrigens der Ausstieg rechts, falls Sie da mal rausmüssen.

Freitag: Nach etwa neuneinhalb Stunden Bahnreise kam ich gestern Abend gegen elf zu Hause an. Immerhin, zu Fuß oder mit dem Fahrrad wäre das nicht zu schaffen gewesen, auch hier vor allem das Positive sehen.

Zu Fuß ging ich heute auch außer der Reihe ins Werk, weil ich direkt im Anschluss einen Friseurintermin hatte – Sie sehen, auch ich kann geschlechtergerecht, aber warum sollte ich „Friseurtermin“ schreiben, wenn mich nun mal eine Friseurin frisiert – wo war ich, ach ja: zu Fuß, weil man vor dem Salon das Fahrrad nur schlecht abstellen kann.

Dieses Motiv hatten wir diese Woche noch nicht

Der Arbeitstag lief ganz gut, zu meiner Freude war das Nachzuholende der letzten drei Tage bereits am frühen Nachmittag nachgeholt. Das bleibt bitte unter uns, nicht dass jemand an höherer Stelle daraus falsche Schlüsse bezüglich meiner Arbeitsauslastung zieht.

Samstag: Wie die Radionachrichten morgens melden, sind die Menschen in NRW heute aufgerufen, Funklöcher über eine App zu melden. Wie soll das gehen? Nimmt man da nicht besser Postkarten?

Nach dem Frühstück, also deutlich nach Mittag, ging ich für einige Be- und Entsorgungen durch die Stadt und erfreute mich an den optischen wie aromatischen Reizen des Kurze-Hosen-und-Draußenriesling-Wetters.

In der Zeitung eine Besprechung des Buches »Die Welt ist laut – Eine Geschichte des Lärms« von Kai-Ove Kessler, das, wie der Titel nahelegt, von Menschen verursachte Störgeräusche betrachtet und das ich auf die Liste der zu beschaffenden Bücher gesetzt habe. Während ich auf dem Balkon sitze und diese Zeilen tippe, wird in der Nachbarschaft mit stundenlanger Ausdauer etwas maschinell beschliffen, über der Inneren Nordstadt liegt ein andauerndes Raunen und Grölen, weil wohl irgendein wichtiges Fußballspiel stattfindet, und in der Nähe lässt ein PS-Poseräffchen seinen Automotor knallend pupsen. So fügt es sich wieder mal.

Pupsen musste auch Herr Wittkamp, und zwar im Fahrstuhl. Bei ihm las ich erstmals das Wort „Omnivor“ und weiß nach anschließender Recherche, dass ich selbst einer bin, also ein Allesfresser. Außer Gorgonzola und Koriander. Das galt lange Zeit auch für Oliven und Kümmel, inzwischen mag ich beides ganz gerne, so ändern sich Geschmäcker.

Sonntag: Ein ruhiger und warmer Pfingstsonntag, der sich für den eher Ungläubigen von einem gewöhnlichen Sonntag vor allem dadurch unterscheidet, dass die ab dem Nachmittag einsetzende Vorfreude auf die kommende Arbeitswoche noch einen Tag auf sich warten lässt.

Zu den sonntäglichen Pflichten, auch zu Pfingsten, gehört der Spaziergang, der heute wieder auf die andere Rheinseite führte, wo die Leute vor einem eingezäunten Areal am Beueler Rheinufer Schlange stehen und Eintritt zahlen, um über ein Fressbudenfest zu schlendern. Da ich für so etwas ungern warte und zahle, außerdem das Wort „schlendern“ gar fürchterlich finde, ging ich weiter meines Weges.

Auen vor Schwarzrheindorf

Am Straßenrand ein nicht mehr ganz neues Auto mit einem Zettel unter dem Scheibenwischer: »Habe meinen Schlüssel verloren. Kümmere mich um eine Lösung, versprochen.« Stehts bemüht.

Weniger optimistisch dagegen eine angeklebte Laternenpfahlbotschaft von Extinction Rebellion: »WIR SIND AM ARSCH«. Das ist vielleicht von der Ausdrucksweise her etwas rustikal, inhaltlich indes korrekt.

Gelesen bei Frau Kaltmamsell und für richtig befunden: „Später Tagesschau hinterhergeguckt: Acht von 15 Minuten über deutschen Männerbundesliga-Fußball. Das halte ich für sehr falsch: Menschen, die sich für dieses Thema interessieren, haben sicher genügend andere, auch öffentlich-rechtliche Quellen dafür.“

***

Kommen Sie gut durch die Viertagewoche, bleiben Sie optimistisch.

Woche 20/2023: Eisheilige, Imkernde und (kein) Brückentag

Montag: Vergangene Nacht träumte ich von einer erheblichen Mailflut im Büro. Kaum war eine Nachricht bearbeitet, trafen zwei neue Imponderabilien ein, zeitweise im Minutentakt, es nahm kein Ende. Die Wirklichkeit zeigte sich heute wesentlich ruhiger, es kostete Mühe, in die Gänge zu kommen und die anstehenden Aufgaben anzugehen. Stattdessen kam eine weitgehend unnötige und an anderen Tagen als lästig empfundene Besprechung gelegen, die keine aktive Teilnahme meinerseits erforderte und es mir stattdessen ermöglichte, eine halbe Stunde lang aus dem Fenster zu schauen und Strichliste zu führen, wie oft jemand „tatsächlich“ sagt (vierzehn mal).

Immerhin trat ich optisch hervor. Einem inneren Bedürfnis folgend wählte ich morgens nach längerer Zeit einen Anzug und ordentliche Schuhe als Arbeitskleidung. Nachdem in den zurückliegenden drei Jahren diesbezüglich eine gewisse allgemeine Lotterei zu beobachten ist, fühlte es sich gut und richtig an, auch wenn es nicht zur Gewohnheit werden muss. Auf eine Krawatte verzichtete ich.

Als ich abends Brötchen für das Abendessen holte, kam ich an einer Dreiergruppe vorbei, zwei Damen und ein Herr (letzterer in Anzug mit Krawatte), die in der Fußgängerzone standen und den Vorübergehenden Druckwerke zur Mitnahme reichten. Daneben ein Schild mit der Aufschrift »Für eine gesunde Psyche«. Wie gesund mag es für deren Psyche sein, wenn niemand stehen bleibt für ein Gespräch, oder wenigstens im Vorbeigehen ein Heft abnimmt?

Dienstag: Heute war es wieder ziemlich kalt, mutmaßlich Nachwirkungen der Eisheiligen. Fragte man mich nach deren Namen, so antwortete ich als weitgehend ungläubiger Mensch Malaga, Waldmeister, Langnese, Schöller und Fürst Pückler. Wie auch immer – Der Wind, der mir auf dem Rückweg vom Werk die ganze Zeit kühl ins Gesicht blies, rüttelte am fragilen Kartenhaus meiner guten Laune.

Mittwoch: Wegen des Feiertages morgen und der sich daraus ergebenden Gelegenheit eines langen Wochenendes wird heute mit zahlreichen Staus auf deutschen Straßen gerechnet. Dazu einst ein gewisser Blaise Pascal: »Tout le malheur des hommes vient d’une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos, dans une chambre.« Übersetzt: »Das ganze Unheil der Menschen kommt nur daher, dass sie nicht gelernt haben, in Ruhe in einem Zimmer zu bleiben.« Ein Satz voller Wahrheit.

Heute ist Weltfernmeldetag. Eine schöne Gelegenheit, an das verblichene Fernmeldewesen zu erinnern, das längst durch die Telekommunikation abgelöst worden ist.

Die Zeitung berichtet über einen Straßenbaum in der Bonner Innenstadt, der gestern ohne Ankündigung und nachvollziehbaren Grund einfach umgekippt ist. Dazu der Leiter des für die Stadtbegrünung zuständigen Amtes: »Bäume sind Lebewesen, die manchmal unberechenbar reagieren.« Besondere Vorsicht daher im Mai, wo sie laut traditionellem Liedgut zum Ausschlagen neigen.

Donnerstag: Vielen Dank den Christen für diesen arbeitsfreien Tag, den ich wenig blogabel verbrachte mit lange Schlafen, einem längeren Spaziergang über den Rhein (also über die Brücken, nicht übers Wasser, das konnte nur der Himmelfahrer) und Lesen auf dem Balkon, letzteres erstmals, da die Sonne der Jahreszeit angemessen wärmte, unter der neuen Markise. Ein Lob der Viertagewoche; mit dem Thema bin ich noch lange nicht durch.

Was es alles gibt
Parkidylle mit friedlichen Kastanien

Freitag: Dank dem Brückentag, den andere eingelegt hatten, war es heute im Büro sehr ruhig, ich hatte die Etage, womöglich das ganze Gebäude für mich alleine. Die erste freitägliche Teams-Besprechung fiel dank geringer Teilnehmerzahl erfreulich kurz, die zweite ganz aus. Auch der Maileingang war gering, zudem schien die Sonne, was sich kürzend auf meinen Dortseibedarf auswirkte und mich zu einem zeitigen Feierabend veranlasste.

»In der Bahn sind Slides schneller getauscht, als du „Deadline” sagen kannst«, wirbt die Deutsche Bahn auf Twitter. Welch ein Unfug. Niemals würde ich freiwillig „Deadline“ sagen. – Apropos Tod: Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wie Sie gerne sterben möchten? Idee: sich selbst verarschen und infolgedessen totlachen.

Abends aßen wir beim Italiener nicht weit von unserer Wohnung entfernt, der das Lokal erst vor kurzem übernommen hat. Wir waren sehr zufrieden und wünschen ihm künftig mehr Gäste als gestern, wo wir das Restaurant fast für uns hatten.

Das Speisenangebot überrascht durch Vielseitigkeit

Samstag: »Bahn will Erde vermarkten«, übertitelt die Zeitung einen Artikel. Darin geht es nicht um eine von Herrn Lutz angestrebte Weltherrschaft, sondern die gewinnbringende Veräußerung von Aushub aus Bahnbaustellen.

Auch aus der Zeitung, in einem Artikel über Bienen: »Der einzige Unterschied zu den Wildbienen ist, dass die Honigbiene eine Lobby hat – nämlich den Imkernden« – Gendern im Singular sollte man Profis überlassen.

Nachmittags freute ich mich über eine Mail im privaten Eingang. Vergangene Woche erzählte ich über meinen Besuch der Lesebühne TapetenPoeten in Beuel und die Idee, dort selbst mal was vorzutragen, Sie erinnern sich vielleicht. Meine diesbezügliche Anfrage von Montag wurde heute positiv beschieden, am 5. September bin ich voraussichtlich dabei. Somit noch genügend Zeit, zu überlegen, was ich dort vortragen werde. Wenn Sie Vorschläge haben, gerne.

Abends gab es Bowle. Das kam so: Der Geliebte hatte in der Woche eine größere Anzahl Nektarinen erstanden. Da ich in diesem Haushalt der einzige regelmäßige Obstesser bin, Früchte in solcher Menge jedoch nicht zu verzehren in der Lage bin, drohten sie, der Überreife und Gammel anheim zu fallen. Daher der Bowlenbeschluss; neben den Nektarinen kamen noch eine Birne und eine Handvoll Erdbeeren unters Messer und in die Schale. Durch ein bedauerliches Versehen erfolgte der Aufguss mit einem höherpreisigen Jahrgangssekt statt des vorgesehenen Erdbeerschaumweins, was zunächst den Unmut des Liebsten hervorrief, dem anschließenden Genuss jedoch nicht abträglich war.

Am späten Abend kreiste für längere Zeit ein Hubschrauber mit erheblichem Lärm über der Stadt, zeitweise verharrte er minutenlang an einer Stelle. Vielleicht Räuber und Gendarmen für Große.

Sonntag: Erstmals in diesem Jahr erlaubte die Außentemperatur das Frühstück auf dem Balkon, bowlenbedingt noch von einer leichten Appetitlosigkeit begleitet.

Doch kommt Appetit bekanntlich beim Trinken. So schmeckte das Spazierbier nachmittags in einer Südstadt-Außengastronomie schon wieder gut. Dabei störte es mich überhaupt nicht, dass aus dem geöffneten Fenster der Gaststätte immer dasselbe Lied in Dauerschleife zu hören war, ein spanisches Stück mit bekannter Melodie und mir unbekanntem Titel. Wie mögen das die Angestellten des Lokals empfinden (beziehungsweise was macht das mit ihnen, wie manche sagen), die das stundenlang anhören müssen? Oder merken die das gar nicht mehr, so wie man sich ja angeblich auch an das Dauerrauschen gewöhnt, wenn man nahe einer Autobahn wohnt?

Wo wir gerade bei Fragen sind: Was veranlasst immer mehr junge Männer zu dieser albernen Kleinlockenfrisur bis weit über die Stirn? Wer hat ihnen gesagt, das sähe gut aus?

***

Kommen Sie gut durch die Woche. Ich sehe ihr mit Vorfreude entgegen: Arbeitstage sind nur Montag und Freitag, dazwischen bin ich privat in München und ich bin mir sicher, das wird gut.

Woche 19/2023: Schmusen statt Cruisen

Montag: Die Woche begann zumindest in meteorologischer Hinsicht trübe und recht kühl, die persönliche Stimmung war trotz Aussicht auf eine gewöhnliche Fünftagewoche zufriedenstellend. Am Nachmittag kam die Sonne raus und ließ die Kastanienblüten aufleuchten, sofern sie nicht bereits nach dem Regen des zurückliegenden Wochenendes abgefallen sind und sich am Fuße der Bäume zu einer bräunlich-weißen beziehungsweise -roten Matsche sammeln. Vergänglichkeit des Frühlings.

In der Kantine gab es Land-Zanderfilet. Landzander? Warum nicht, es gibt ja auch Flughunde, wenn auch nicht oder allenfalls selten in gastronomischen Einrichtungen.

Der einundzwanzigste Hochzeitstag heißt „Opalhochzeit“, aus gegebenem Anlass habe ich das recherchiert. Aus ebendiesem Anlass machte ich pünktlich Feierabend und suchte ein floristisches Fachgeschäft auf, wo ich zum Zeichen der Zuneigung in entsprechender Anzahl Rosen erstand. Man unterstellt blumenschenkenden Männern ja gerne ein schlechtes Gewissen gegenüber der/dem Beschenkten, was ich von mir weise. Andererseits, hat man in einer Partnerschaft nicht permanent ein schlechtes Gewissen, vielleicht nur ein wenig, oder sollte wenigstens ab und zu eins haben? Jedenfalls ist der Hochzeitstag in jedem Jahr der Tag, an dem ich mich frage: So lange hält der das schon mit mir aus?, und tiefen Dank dafür empfinde, der mit ein paar Rosen (oder „Gefühlsgemüse“, wie ein früherer Freund sagte) nicht auch nur ansatzweise angemessen zum Ausdruck zu bringen ist.

Als ich nach Hause radelte, querte kurz vor mir einer mit Kinderwagen den Radweg, ohne auf Radfahrer zu achten. Ich blieb ruhig, da ich mir vorgenommen habe, mich über derartiges nicht mehr aufzuregen. Und doch wünsche ich mir in solchen Momenten eine schallende Straßenbahnklingel für mein Fahrrad statt dieses lächerlichen Pling-Glöckchens am Lenker.

Frau Kraulquappe nimmt unterdessen Anstoß an Anglizismen und schreibt mir damit aus der Seele, wie so häufig.

Abends stellte plötzlich und unerwartet nach zehn Jahren treuer Dienste mit einem zarten Knall der Backofen voraussichtlich für immer seinen Betrieb ein. Das ist nicht schön, aber nicht dramatisch.

Dienstag: Die Wildgänse in den Rheinauen haben Nachwuchs, und das nicht zu knapp. Allüberall trifft man auf Jungtiere in bräunlichem Flaum, die unter Aufsicht ihrer Erziehungsberechtigten piepsend Gräser zupfen. Trotz meiner antinatalistischen Grundhaltung finde ich das ganz entzückend.

Eher zufällig erfuhr ich von den regelmäßigen Lesungen der TapetenPoeten, einer kleinen Lesebühne in Bonn-Beuel, wo jeder, der mag, etwas Selbstgeschriebenes zum Vortrage bringen kann. Heute war es wieder soweit, und also machte ich mich abends bei Regen auf nach Beuel zur Atelierbühne, gelegen in einem Gewerbegebiet, wohin ich mich sonst eher nicht verirrt hätte, schon gar nicht nach Einbruch der Dämmerung. Gleichwohl: Es war ein netter Abend. Die Räumlichkeit ist klein, nicht viel mehr als zwanzig Plätze, L-förmig um die aus einem Teppich bestehenden Bühne angeordnet, darauf ein Stehtisch und ein Barhocker für die Vortragenden, außerdem eine Getränkeausgabe gegen Spende. Sehr freundlich und familiär. Vorgetragen wurden: ein lyrischer Rückblick auf einen längeren Aufenthalt in Japan und den Kulturschock bei Rückkehr ins unfreundliche Deutschland; Auszüge aus einem im Entstehen begriffenen Krimi, den ich nicht verstand, was an meiner grundsätzlichen Abneigung gegen dieses Genre liegen mag; mehrere Kapitel einer Erzählung über eine Wohngemeinschaft, die mithilfe eines zufällig erstandenen Massentoasters ein Toast-Restaurant zu eröffnen beabsichtigt und auf der Suche nach Geldgebern ist; und nochmal Krimis, die aufgrund ihrer kompakten Kürze auf Postkarten Platz finden und deshalb „Postkartenkrimis“ heißen. Zuvor, zur Einstimmung, las der Gastgeber daselbst Anmerkungen über Duftbäume und Tante Hedwig, was mir persönlich am besten gefallen hat.

Unterhaltsam war auch Rahmenprogramm: Im Publikum Vater und Sohn, ersterer im Renten-, der andere im Studentenalter. Schon vor der Eingangstür giftete der Junge den Alten aus nichtigem Grunde an, der Vater, derartiges womöglich gewohnt, blieb freundlich. Im Lesezimmer saßen sie getrennt, der Sohn direkt vor mir, der Vater mit mehreren Stühlen und einem Sofa Abstand weiter links. Er zeigte sich äußerst kommunikativ: Einer hustenden Dame bot er ein Bonbon an, was an die Konzertszene von Loriot erinnerte („oh mo ne la Sa mit los fett Brat …“ – Sie wissen schon), die Darbietungen kommentierte er jeweils nach dem Vortrag freundlich, was ausdrücklich erlaubt war. Derweil tat der Sohn unbeteiligt, las gar, statt den Lesenden zu lauschen, den ganzen Abend in einem Buch, vielleicht hatte er das Wort „Lesung“ falsch verstanden. Warum er seinen Vater dorthin begleitet hatte, war unklar.

Bis September machen die Poeten Pause, danach lesen sie wieder monatlich. Ich werde wohl wieder hingehen, und bin versucht, mich selbst mal mit einem Aufsätzchen auf den Teppich zu begeben. Vielleicht ist der Vater dann wieder da und preist meine Ausführungen, derweil der Sohn in seinem Buch liest.

Mittwoch: Vormittags, während ich im Werk den Geschäften nachging, debattierten auf dem Dach nebenan mehrere Wildgänse lautstark; mit hoch gereckten Hälsen und flatternden Flügeln standen sie sich Schnabel an Schnabel gegenüber und beschimpften sich über einen längeren Zeitraum. Vermutlich waren sie kinderlos und hatten Zeit.

Mittags in der Kantine gab es Himmel un Ääd, das rheinische Nationalgericht. Es war gut, wobei Blutwurst am besten schmeckt, wenn man nicht darüber nachdenkt, wie sie gemacht wird. Wie so vieles.

Nach mehr als acht Monaten Unterbrechung lief ich abends in einer Regenpause endlich mal wieder. Zunächst nur eine kurze Strecke am Rhein und wieder zurück, doch bin ich fest entschlossen, das ab sofort wieder regelmäßig zu tun und mich mit der Zeit zu steigern, bis ohne größere Mühen die Zweibrückenrunde ans andere Ufer gelingt. Das genügt dann auch.

Donnerstag: Durchaus nachvollziehbar beanstanden Leserbriefschreiber in der Tageszeitung den alljährlichen Betriebsausflug der Bonner Stadtbediensteten am Montag vergangener Woche, wodurch der städtische Betrieb stillstand und das für seine Bürgernähe nicht gerade gerühmte Bürgeramt geschlossen blieb. Mindestens so bemerkenswert wie die planmäßige Montagssause die Begründung des Stadtdirektors, warum sie nicht auf das Wochenende gelegt werden kann: Das sei ein Eingriff in die Freizeit der Beschäftigten.

Dieses Fahrzeug stand morgens am Mutterhaus. „Alles von Relevanz“, vielleicht auch eine passende Überschrift für dieses Blog.

Die Dienstfahrzeuge der Bundesnetzagentur tragen übrigens das Kennzeichen „BN-A …“. Oft sind es Kleinigkeiten, die sich sinnergebend zu einem großen Ganzen fügen.

Freitag: Morgens wurde der neue Backofen geliefert. Wie sich beim Ausbau des alten zeigte, war wohl nicht das Gerät defekt, vielmehr war der Stromanschluss dahinter beeindruckend verschmort. Das hätte anders ausgehen können – gegen eine abgebrannte Wohnung ist eine vorübergehend kalte Küche fraglos das kleinere Übel. Der Elektrolaie fragt sich, wie so etwas möglich ist, warum die Sicherung das nicht verhindert hat. Da die Entsorgung des Altgerätes nicht mitgebucht war, trugen meine Lieben es vor das Haus und brachten einen Zettel „Zu verschenken“ an. Zu meinem Erstaunen war es bereits am Abend verschwunden. Wer nimmt einen alten Backofen mit, und warum? Immerhin: Wenn er dadurch womöglich demnächst woanders backt, ist das die bessere Lösung gegenüber Elektroschrott.

Stark. Strom.

»Wahlkampf endet: In Bremen ging es um Bremen«, meldet die tagesschau auf Twitter. Also nicht um Lübeck, wer hätte das gedacht.

Kurt Kister über Robert Habeck: »… weil außer einem schuldbewussten Jungwaschbären niemand sonst so zerknirscht niedlich schauen kann, wenn er sich selbst bezichtigt.« Zu lesen hier.

In einer Fernsehwerbung für ein Arzneiprodukt hörte ich das Wort „entblähend“ und fand es notierenswert, auch wenn ich dafür in absehbarer Zeit keine Verwendung sehe.

Am frühen Abend lief ich erneut auf der Rheinpromenade Richtung Norden und wieder zurück. Da staunt der innere Schweinehund.

Samstag: Morgens am Frühstückstisch fiel als Produkt eines Verhörens das Wort „Durchfallerhitzer“, notierenswert zwar, indes voraussichtlich ohne praktischen Gebrauchswert.

»Make Love, not Treibhausgas«, ist derzeit an zahlreichen Bushaltestellen als klimaschonende Botschaft plakatiert, mit freundlichen Grüßen aus der Texterhölle. Prägnanter wären »Schmusen statt Cruisen« oder »Vögeln statt Fliegen«.

Sonntag: Der deutsche ESC-Beitrag hat gestern Abend mal wieder den letzten Platz erreicht, völlig zu recht. Warum Schweden gewonnen hat ist mir weniger klar, gefallen hat es mir auch nicht. So richtig begeistert hat mich gar kein Lied, doch wer bin ich schon, das zu beurteilen. Wie lange wird man noch Musiker finden, die freiwillig für Deutschland antreten?

Frühlingsgefühle: Endlich hat der Lieblingsbiergarten geöffnet, was beim Spaziergang mit einer Einkehr gewürdigt wurde, und die Singstarkrähe von gegenüber beschallt die Siedlung mit ihrem Geschrei, irgendwas mit „Caaan‘t you see“.

Gott erhalts

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Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 18/2023: Viertagewoche und eine Sprengung zwischen Rasur und Brausebad

Montag: Wie der Zeitung zu entnehmen ist, gibt es einen Interessenverband für Fußgänger, Fuss e. V. Als begeisterter Gernegeher begrüße ich das sehr, doch warum nennen die sich „Fuss“? Nach englischer Lesart bedeutet das Getue, Gedöns, Gewese, Buhei. Damit tun sie ihrem berechtigten Anliegen, Städte fußgängerfreundlicher zu machen, sicher keinen Gefallen.

Heute ist der Tag der Arbeit. Die IG Metall fordert eine Viertagewoche, was der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände ablehnt, stattdessen fordert er ein weiteres Mal „mehr Bock auf Arbeit“, man mag es nicht mehr hören. Nach allem, was ich über die Viertagewoche bei vollem Lohn gelesen habe, bringt sie allen Beteiligten nur Vorteile: Die Mitarbeiter sind zufriedener, arbeiten produktiver, werden seltener krank, neue Leute sind einfacher zu bekommen und zu halten. Und die Arbeit wird erbracht. Also worauf noch warten? Aber ein freier Tag, einfach so, ist in unserer Fleißkultur, wo es immer was zu tun gibt, nicht denkbar. Noch nicht. Liebe Generation Z, bitte übernehmen! Als Boomer stimme ich nicht in allem mit euch überein, in diesem Punkt sind wir uns einig.

Anstatt zu arbeiten nutzte ich den Tag für einen langen Spaziergang ans andere Rheinufer und zurück.

Durch die Hüchten
Ölfeld
Streuobst
Siegauen
Einkehr

Dienstag: Nach zwei richtigen Frühlingstagen lag heute Morgen ein Grauschleier über Stadt, Land und Fluss, dazu ganz feiner Niesel, geradeso zu spüren, indes zu wenig, um dafür den Schirm aufzuspannen. Erfreulicherweise blieb meine persönliche Stimmung davon ungetrübt, daher kam ich einigermaßen wohlgelaunt durch diesen Quasimontag.

Die Linden am Rheinufer schlagen aus, wie man so sagt, was in etwa so unsinnig ist wie aus dem Boden schießende Pilze

Abends schien wieder die Sonne, daher hielt ich spontan Einkehr in der Außengastronomie einer innenstädtischen Gaststätte mit dem Namen Varie Tee. Aus Protest gegen dieses Wortspiel bestellte ich statt des ursprünglich beabsichtigten Pfefferminztees einen Rosé. (Ja ich weiß … Jeder hat halt seinen Dämonen.)

Ich bin kein Gendergegner, kann das darin enthaltene Anliegen nachvollziehen. Meines völlig unmaßgeblichen, in diesem Blog allerdings vorherrschenden Erachtens überwiegen die nachteiligen Auswirkungen auf das Sprach- und Schriftbild die erhofften Vorteile für die Mitgedachten (m/w/d), daher sehe ich auch weiterhin davon ab; bislang hat das keine Leserin beanstandet. Dessen ungeachtet staunte ich heute einmal mehr, wie andere Zeit und Geld für dieses Thema aufwenden:

Um den Reim zu wahren: „Geländer“ ist ein gängiges Synonym für Treppenhandlauf, aber das wissen Sie sicher.

Vielleicht noch das dazu: Gegendert wird gerne mit Sternchen, Doppelpunkt, Binnen-I, der etwas sperrigen Nennung beider Geschlechter („Hosenträgerinnen und Hosenträger“), Partizip („Gastgebende“), sich für besonders fortschrittlich haltende nutzen konsequent das generische Femininum. Kann man alles machen, habe ich nichts gegen. Was ich indes richtig schlimm finde, ist die irritierende Mischform, für die sich unter anderem manche Zeitschriften inzwischen entschieden haben: „Busfahrerinnen und Altenpfleger fordern mehr Lohn.“ Ob sich da alle mitgedacht fühlen?

Mittwoch: „Wenige Tage vor der Keulung von König Charles …“ hörte ich morgens den Nachrichtensprecher im Radio sagen. Vielleicht war das Gehör kurz nach dem Aufwachen noch nicht voll betriebsbereit.

Gehört und notiert in einer Besprechung: „Es müssen mal alle zusammenkommen, die da einen Löffel im Topf haben.“ Das klingt jedenfalls wesentlich netter als Stakeholder.

Als abends vier von fünf Leuten, die mir begegneten, mit ihrem Datengerät beschäftigt waren, entweder indem im Gehen ihr Blick darauf gerichtet war oder sie damit telefonierten, fiel mir wieder ein Artikel in der vorletzten Sonntagszeitung ein. Darin listete eine offenbar junge Redakteurin mit einem Augenzwinkern diverse Dinge auf, die sie an Boomern befremdlich findet, unter anderem (erwartungsgemäß) deren Genderverweigerung. Ein anderer Punkt lautete sinngemäß so: „Ihr habt es nicht gelernt, im Gehen das Smartphone zu benutzen, deshalb steht ihr uns oft im Wege herum.“ Dem ist zu entgegnen: Dafür können wir problemlos größere Strecken gehend oder radfahrend zurückzulegen ohne Kopfhörer und ohne überhaupt das Telefon zu benutzen. Und ohne Kaffeebecher.

Donnerstag: Heute feiert Deutschland den Erdüberlastungstag, an dem wir alle natürlich nachwachsenden Ressourcen für dieses Jahr verpulvert haben. – Der Verband der Automobilindustrie erwartet für dieses Jahr in Deutschland eine Verdopplung des Zuwachses an Neuzulassungen auf vier Prozent, demnach werden 2,8 Millionen neue Autos unsere Straßen bereichern. Hätte ich ein Schamgefühl, wäre es verletzt.

Mittags in der Kantine in der Rubrik „Tradition“: Gyros von der Bio-Landpute mit Bratkartoffeln und Gurkensalat mit Dill. Es gibt schon seltsame Traditionen.

Spontane Frage: Wurde bereits die Halbwertszeit von Vollwertkost erforscht?

Was nervt: das Gechatte auf Teams. Ständig geht unten rechts auf dem Bildschirm das Fensterchen auf, weil einer mal eben was will. Wie auf dem Marktplatz, wo mich Leute ungefragt anquatschen, um mich für Kinder- oder Tierschutz zu begeistern. Der Vorzug von Gruppenchats: Man kann sie stummschalten, was ich konsequent mache.

Aufkleber an einem Lampenpfahl: »Therapie für alle«. Sehr guter Vorschlag, wo kann ich mich anmelden?

Freitag: „Ich habe nächste Woche Urlaub, bin aber erreichbar“, sagt ein Kollege in der Besprechung. Auch hier scheint eine Therapie dringend angebracht.

Nachmittags gab es Gebäck und Sekt anlässlich der Verabschiedung des großen Vorsitzenden, der nun den Stab übergeben hat an den jüngeren Nachfolger. Nach launigen Ansprachen begab er sich in die Menge, die sich sogleich um ihn scharrte für ein Selfie mit dem Scheidenden. Das ganze fotografiert von einem Fotografen der Kommunikationsabteilung, auf dass demnächst zahlreiche Bilder von Leuten, die zusammen mit dem Ex-Chef gequält in ihr eigenes Datengerät grinsen, im Intranet zu sehen sind. Als Selfiesdämlichfinder hielt ich Abstand und griff lieber ein weiteres Gläschen vom gereichten Tablett ab. Prioritäten setzen, so wichtig.

Samstag: Mit einem halben Auge schaute ich die Krönung in London an. Nicht weil es mich sonderlich interessierte oder ich eine Monarchie im Jahre 2023 noch für zeitgemäß und erforderlich hielte, doch wenn der Fernseher läuft, weil andere Haushaltsmitglieder die Zeremonie verfolgen, dann komme ich nicht umhin, ab und zu hinzuschauen. Warum auch nicht, das war schon sehens- und hörenswert. Ich möchte nicht mit denjenigen tauschen, die Verantwortung tragen für die Vorbereitung und Durchführung einer solchen Veranstaltung, die man ja nicht im vollen Umfang vorher proben kann, dennoch müssen alle Beteiligten, egal ob Chorsängerin, Soldat oder König, genau wissen, wann sie wo zu sein, was sie dort zu tun und gegebenenfalls sagen haben. Dafür meine volle Hochachtung. Der Stein, der ihnen danach vom Herzen fällt, wenn alles gut gelaufen ist, dürfte ähnliche Erschütterungen auslösen wie die Rahmedetalbrücke an der Autobahn 45, wenn sie morgen gesprengt wird.

Nach drei Jahren Zwangspause gab es in Bonn wieder Rhein in Flammen, dessen Höhepunkt am späten Abend stets ein grandioses Feuerwerk im Rheinauenpark ist. Zu diesem Anlass hatte der Liebste einen Tisch reserviert im Restaurant im Obergeschoss eines nahe dem Veranstaltungsort gelegenen Hotels, oder Rooftop Restaurant, wie das wohl jetzt heißt. Die Hoffnung war, nach dem Mahl mit einem Getränk in der Hand von dort aus das Feuerwerk zu betrachten. Daraus wurde nicht viel, denn das Spektakel wurde fast komplett durch das frühere Abgeordnetenhochhaus, auch als „Langer Eugen“ bekannt, verdeckt, nur ein paar wenige Male überragten die Lichter das Gebäude. Das einzige, was wir neben Lichtblitzen und Knallen mitbekamen, war die beeindruckende Rauchwolke, die über den Rhein nach Beuel zog. Rhein im Feinstaub statt in Flammen.

Nach Hause gingen wir zu Fuß, weil die Bahnen in Richtung Innenstadt überfüllt waren von Veranstaltungsbesuchern, ein Taxi war nicht zu bekommen. Das war überhaupt nicht schlimm, zum einen gehe ich diese Strecke ohnehin zweimal wöchentlich freiwillig, zudem kam nach der umfassenden Weinbegleitung zum Abendessen etwas Bewegung an der frischen Luft sehr gelegen. (Der Feinstaub war ja rüber nach Beuel gezogen.)

Sonntag: Durch das Programm am Vorabend kamen wir heute Morgen erst etwas später aus dem Tuch. Immerhin schaffte ich es, zwischen Rasur und Brausebad im Fernsehen die Sprengung der Rahmedetalbrücke mitzuerleben, die um zwölf planmäßig zusammenbrach und die Umgebung in eine Staubwolke hüllte. Der Sprengmeister zeigte sich mit seinem Werk sehr zufrieden.

Nach spätem Frühstück ging ich raus, es war warm, man trug T-Shirt und kurze Hose. Und die Kastanien stehen endlich in voller Blüte, nicht nur an der Poppelsdorfer Allee.

Hier ein besonders hypsches Exemplar in der Inneren Nordstadt

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Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 17/2023: Von höheren Mächten veräppelt

Montag: Ein recht angenehmer, ereignisarmer Wochenbeginn ohne berichtenswerte Bermerknisse. Morgens während der Radfahrt in die Werktätigkeit blies der Wind von vorne, abends auf dem Rückweg ebenfalls, solche Tage gibt es, da muss man im wahrsten Sinne durch.

In einer Besprechung fiel das Wort „Blaupause“ und es erinnerte mich daran, nachdem es vergangene Woche nicht so richtig gelungen war, diese Woche auf Alkohol zu verzichten, also jedenfalls bis zum Freitagabend. Da muss ich auch durch.

Dienstag: Ich zweifle nicht im Geringsten an der Erderwärmung. Umso befremdlicher erscheint es mir, kurz vor Mai morgens noch immer mit Daunenjacke, Schal und Handschuhen aus dem Haus zu gehen.

„EAT PUSSYS NOT ANIMALS“, hat jemand in roten, krakeligen Lettern an die Rückseite eines Rhein-Kilometerschildes geschrieben. Vielleicht ist die Legalisierung von Cannabis doch keine gute Idee? Wenige Meter weiter hat jemand mit Sorgfalt in silbernen Buchstaben „LIEBE IM HERZEN WEGEN DIR!“ an einen Lampenpfahl geschrieben, man kann die Liebe geradezu spüren. Wer da nicht wenigstens kurz lächelt, hat kein Herz.

In der Kantine erlebte ich mittags eine Szene. Ein Kollege trat unmittelbar vor mir mit dem Tablett, darauf ein gefüllter Teller, an die Kasse und sprach zum Kassierer, dem auch die Suppenausgabe obliegt: „Eine Suppe bitte.“ – „Eine Suppe …“ sagte der Kassierer und machte sich daran, einen Teller zu füllen. Nachdem er einige Zeit gefüllt hatte, der Kollege: „Ich wollte nur eine kleine, keine große.“ – „Das haben Sie nicht gesagt.“ – „Sie haben auch nicht gefragt.“ Der Kassierer entleerte den Teller wieder in den Topf, füllte eine Suppentasse und gab sie dem Kollegen. „Nächstes Mal sagen Sie das gleich.“ – „Sie haben doch gesehen, dass ich schon was habe und nur eine Beilage brauche.“ – „Manche essen viel.“ – „Sehe ich so aus? Schönen Tag noch.“ – „Ihnen nicht.“

Ein sich neben „tatsächlich“ und „genau“ zunehmender Beliebtheit erfreuendes Füllwort ist „natürlich“. Ich benutze es selbst regelmäßig, wie ich heute während eines kurzen Vortrages bemerkte; man selbst merkt sowas ja normalerweise nicht. Da muss ich an mir arbeiten.

Ernst Huberty und Harry Belafonte sind gestorben. Wieder zwei, bei denen ich dachte: Ach, der lebte noch? Unterdessen hat der achtzigjährige Joe Biden angekündigt, im nächsten Jahr nochmal als Präsident zu kandidieren. Wenn er dann noch lebt.

Übrigens heißt es nicht mehr „behindert“, sondern „leistungsgewandelt.“ Natürlich.

Mittwoch: Da sich meine Brille wegen einer lockeren Schraube in ihre Bestandteile zu zerlegen begann, hatte ich abends einen Servicetermin beim großen Brillendiscounter, wo ich sie erstanden habe. Da ich zehn Minuten zu früh dort war, wurde mir vom freundlichen jungen Mann am Empfang bedeutet, im ersten Stock Platz zu nehmen, man werde sich zu gegebener Zeit meines Anliegens annehmen. Um noch ein paar Blogs zu lesen, holte ich das Datengerät hervor und stellte fest, dass der Wartebereich, obwohl mitten in der Innenstadt, keine Mobilfunkverbindung aufweist. Daher suchte ich nach WLAN und wurde fündig. Aber ach, nach einem Passwort wurde verlangt, daher steckte ich das Gerät wieder weg, nahm eine bequeme Sitzposition ein und schaute untätig herum, wozu ich durchaus in der Lage bin; dieses Gefühl, unbedingt etwas tun zu müssen, ist mir fremd. In Sicht- und Hörweite zwei Optiker im Sehhilfengespräch jeweils mit ihren Kunden gegenüber am Tisch. Dann sah ich, direkt mir gegenüber, das Schild mit dem Namen des WLAN-Netzes, das ich bereits selbst gefunden hatte, und dem Passwort. Es hieß „Nulltarif“. Darauf hätte ich selbst kommen können. Zum Nulltarif wurde schließlich auch die Brille repariert. Ich bin sehr zufrieden.

Donnerstag: Morgens in den Radionachrichten die Meldung, dass der Sieger der Schneepflugmeisterschaft feststeht. Demnach kommt der beste Schneepflüger aus dem Münsterland. Abgesehen von der Frage, wie genau ein solcher Wettbewerb ausgerichtet wird und warum: Wie schafft es eine solche Meldung in die Nachrichten?

Auf dem Weg ins Werk, der am Rheinufer entlangführt, sah ich etwa hundert Meter vor mir das Rheinschiff „Goethe“ rheinaufwärts fahren. Die* Goethe ist ein besonderes Schiff, weshalb ihr ein paar Zeilen gegönnt seien. Sie war das letzte Dampfschiff auf dem Rhein, bis sie vor einigen Jahren wegen eines Schadens an der Dampfmaschine aus wirtschaftlichen Gründen auf Dieselmotorantrieb umgebaut wurde. Nach Bonn kommt sie nur selten, meistens ist sie südlicher im Raum Koblenz im Einsatz. Offenbar nach wie vor dampfbetrieben ist die Schiffssirene: Als der Ex-Dampfer etwa einen Kilometer entfernt war, stieß er eine weiße Dampfwolke aus, Sekundenbruchteile später erfüllte ein lautes, mehrtöniges Heulen das Rheintal, als riefe er: Warum habt ihr mir das angetan?

Die Goethe

Klanglos dagegen starb gegen elf Uhr vormittags mein Festnetztelefon im Büro, weder plötzlich noch unerwartet. Die Stilllegung der Telefone war bereits vor Wochen angekündigt worden, heute erlosch das Display, verstummte der Hörer für immer. Ab sofort Ferngespräche nur noch über Teams oder Mobil. Der Dampfer der Telekommunikation hat ausgedient. Ich beklage das nicht, trauere dem Telefon nicht nach; ohnehin rief nur noch selten jemand darauf an. Ich stöpselte es aus, wickelte die Schnur um den Apparat und stellte ihn weg, auf dass er bald abgeholt und dem Elektroschrott zugeführt werde. Etwas mehr Platz auf dem Schreibtisch. Das einzige, woran ich mich gewöhnen muss, ist, nicht mehr auf das Display zu schauen, um die Uhrzeit oder das aktuelle Datum zu erfahren.

*Eine sprachliche Eigenart: Schiffe sind immer weiblich, auch wenn sie Ludwig, Herbert, Kevin oder eben Goethe heißen. Warum auch immer.

Freitag: Als ich mittags nach vollzogenem Mahl die Kantine verließ, setzte Regen ein, zunächst sanftes Nieseln, daher sah ich keinen Grund, zu warten. Doch mit jedem Meter wurde es stärker, aus Niesel wurden fiese Tropfen, die auch durch Bäume, die einzige Unterstellmöglichkeit auf dem Rückweg, kaum aufgehalten wurden. Aus optimistischen Gründen hatte ich keinen Schirm dabei. Bei Rückkehr im Büro war ich nass, die Haare tropften. Kaum saß ich mit klebenden Hosenbeinen wieder am Schreibtisch, schien die Sonne ins Fenster, als wäre nichts gewesen. Da fühlte ich mich von höheren Mächten ein wenig veräppelt.

Merke: Wenn interne Mitteilungen mit vermeintlich wörtlichen Manager-Zitaten garniert werden, wirkt es zumeist lächerlich. „Die Kommunikationsabteilungen sollten das unterlassen, die Leser merken das“, so der erfolglose Kleinblogger Carsten K.

Samstag: Bereits zum zweiten Mal schreibt mir Maria Elisabeth Schaeffler eine Mail, Milliardärin und Gesellschafterin der gleichnamigen Unternehmensgruppe, mir bislang nicht durch übermäßige Sympathie in Erscheinung getreten. Nun will sie mir eine Million Euro zukommen lassen, das ist wirklich sehr großzügig: »Ich habe 25 Prozent meines persönlichen Vermögens für wohltätige Zwecke verschenkt. Und ich auch zugesagt, die restlichen 25 % in diesem Jahr 2021 zu verschenken Einzelpersonen.« Offenbar muss man Sprache und Prozentrechnung nicht bis in alle Einzelheiten beherrschen, um reich zu werden.

Übermäßige Sympathie empfinde ich bislang auch nicht für die Idee, Kerbtiere zu verspeisen; vielleicht kommt das noch, wenn die Million von Frau Schaeffler eingetroffen ist. Laut SPIEGEL wurden im vergangenen Jahr fast einundzwanzig Tonnen Speiseinsekten importiert. »Das entspricht etwa einem halben Mehlwurm pro Einwohner«, so das Magazin. Mahlzeit.

Manchmal fragt man sich, warum Dinge sind, wo sie sind.

Habe ich Ihnen eigentlich schon die zweiwöchig erscheinende Wittkamps Woche empfohlen? Lesen Sie mal:

»Die Evolution stand vor einem Problemfall. Entweder Menschen entwickeln, die immer größere Gehirne und Becken besitzen. Die wären dann recht klug, könnten aber damit nicht so viel anfangen, weil sie nicht gut laufen können. Oder Menschen entwickeln, die schmale Becken und eher kleinere Gehirne besitzen. Die wären dann sehr sportlich, wüssten aber oft gar nicht so genau, wie sie daraus Kapital schlagen können. Ein bisschen wie Boris Becker.«

Bei Gefallen hier entlang.

Sonntag: Der Frühling ist da mit Sonne und Wärme, ob er bleibt, wird man sehen. In der Stadt noch immer Lenzskeptiker in Daunenjacke (wie mich), andere bereits in kurzen Hosen. An der Poppelsdorfer Allee ist ein Pop-up-Verkauf für Maibäume eingerichtet, wo stapelweise erlegte Birken darauf warten, von jungen Männern gekauft, mit bunten Kreppschleifen und mit dem Namen der/des Liebsten beschrifteten roten Herzen behängt vor dere:ssen Fenstern aufgestellt zu werden, auf dass wir ihnen in den nächsten Monaten beim Verdorren und Verbleichen zusehen können, was für das derart bekundete Liebesglück hoffentlich nicht zutrifft.

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Ich wünsche Ihnen einen erfreulichen ersten Mai und eine angenehme Woche.