Woche 18/2023: Viertagewoche und eine Sprengung zwischen Rasur und Brausebad

Montag: Wie der Zeitung zu entnehmen ist, gibt es einen Interessenverband für Fußgänger, Fuss e. V. Als begeisterter Gernegeher begrüße ich das sehr, doch warum nennen die sich „Fuss“? Nach englischer Lesart bedeutet das Getue, Gedöns, Gewese, Buhei. Damit tun sie ihrem berechtigten Anliegen, Städte fußgängerfreundlicher zu machen, sicher keinen Gefallen.

Heute ist der Tag der Arbeit. Die IG Metall fordert eine Viertagewoche, was der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände ablehnt, stattdessen fordert er ein weiteres Mal „mehr Bock auf Arbeit“, man mag es nicht mehr hören. Nach allem, was ich über die Viertagewoche bei vollem Lohn gelesen habe, bringt sie allen Beteiligten nur Vorteile: Die Mitarbeiter sind zufriedener, arbeiten produktiver, werden seltener krank, neue Leute sind einfacher zu bekommen und zu halten. Und die Arbeit wird erbracht. Also worauf noch warten? Aber ein freier Tag, einfach so, ist in unserer Fleißkultur, wo es immer was zu tun gibt, nicht denkbar. Noch nicht. Liebe Generation Z, bitte übernehmen! Als Boomer stimme ich nicht in allem mit euch überein, in diesem Punkt sind wir uns einig.

Anstatt zu arbeiten nutzte ich den Tag für einen langen Spaziergang ans andere Rheinufer und zurück.

Durch die Hüchten
Ölfeld
Streuobst
Siegauen
Einkehr

Dienstag: Nach zwei richtigen Frühlingstagen lag heute Morgen ein Grauschleier über Stadt, Land und Fluss, dazu ganz feiner Niesel, geradeso zu spüren, indes zu wenig, um dafür den Schirm aufzuspannen. Erfreulicherweise blieb meine persönliche Stimmung davon ungetrübt, daher kam ich einigermaßen wohlgelaunt durch diesen Quasimontag.

Die Linden am Rheinufer schlagen aus, wie man so sagt, was in etwa so unsinnig ist wie aus dem Boden schießende Pilze

Abends schien wieder die Sonne, daher hielt ich spontan Einkehr in der Außengastronomie einer innenstädtischen Gaststätte mit dem Namen Varie Tee. Aus Protest gegen dieses Wortspiel bestellte ich statt des ursprünglich beabsichtigten Pfefferminztees einen Rosé. (Ja ich weiß … Jeder hat halt seinen Dämonen.)

Ich bin kein Gendergegner, kann das darin enthaltene Anliegen nachvollziehen. Meines völlig unmaßgeblichen, in diesem Blog allerdings vorherrschenden Erachtens überwiegen die nachteiligen Auswirkungen auf das Sprach- und Schriftbild die erhofften Vorteile für die Mitgedachten (m/w/d), daher sehe ich auch weiterhin davon ab; bislang hat das keine Leserin beanstandet. Dessen ungeachtet staunte ich heute einmal mehr, wie andere Zeit und Geld für dieses Thema aufwenden:

Um den Reim zu wahren: „Geländer“ ist ein gängiges Synonym für Treppenhandlauf, aber das wissen Sie sicher.

Vielleicht noch das dazu: Gegendert wird gerne mit Sternchen, Doppelpunkt, Binnen-I, der etwas sperrigen Nennung beider Geschlechter („Hosenträgerinnen und Hosenträger“), Partizip („Gastgebende“), sich für besonders fortschrittlich haltende nutzen konsequent das generische Femininum. Kann man alles machen, habe ich nichts gegen. Was ich indes richtig schlimm finde, ist die irritierende Mischform, für die sich unter anderem manche Zeitschriften inzwischen entschieden haben: „Busfahrerinnen und Altenpfleger fordern mehr Lohn.“ Ob sich da alle mitgedacht fühlen?

Mittwoch: „Wenige Tage vor der Keulung von König Charles …“ hörte ich morgens den Nachrichtensprecher im Radio sagen. Vielleicht war das Gehör kurz nach dem Aufwachen noch nicht voll betriebsbereit.

Gehört und notiert in einer Besprechung: „Es müssen mal alle zusammenkommen, die da einen Löffel im Topf haben.“ Das klingt jedenfalls wesentlich netter als Stakeholder.

Als abends vier von fünf Leuten, die mir begegneten, mit ihrem Datengerät beschäftigt waren, entweder indem im Gehen ihr Blick darauf gerichtet war oder sie damit telefonierten, fiel mir wieder ein Artikel in der vorletzten Sonntagszeitung ein. Darin listete eine offenbar junge Redakteurin mit einem Augenzwinkern diverse Dinge auf, die sie an Boomern befremdlich findet, unter anderem (erwartungsgemäß) deren Genderverweigerung. Ein anderer Punkt lautete sinngemäß so: „Ihr habt es nicht gelernt, im Gehen das Smartphone zu benutzen, deshalb steht ihr uns oft im Wege herum.“ Dem ist zu entgegnen: Dafür können wir problemlos größere Strecken gehend oder radfahrend zurückzulegen ohne Kopfhörer und ohne überhaupt das Telefon zu benutzen. Und ohne Kaffeebecher.

Donnerstag: Heute feiert Deutschland den Erdüberlastungstag, an dem wir alle natürlich nachwachsenden Ressourcen für dieses Jahr verpulvert haben. – Der Verband der Automobilindustrie erwartet für dieses Jahr in Deutschland eine Verdopplung des Zuwachses an Neuzulassungen auf vier Prozent, demnach werden 2,8 Millionen neue Autos unsere Straßen bereichern. Hätte ich ein Schamgefühl, wäre es verletzt.

Mittags in der Kantine in der Rubrik „Tradition“: Gyros von der Bio-Landpute mit Bratkartoffeln und Gurkensalat mit Dill. Es gibt schon seltsame Traditionen.

Spontane Frage: Wurde bereits die Halbwertszeit von Vollwertkost erforscht?

Was nervt: das Gechatte auf Teams. Ständig geht unten rechts auf dem Bildschirm das Fensterchen auf, weil einer mal eben was will. Wie auf dem Marktplatz, wo mich Leute ungefragt anquatschen, um mich für Kinder- oder Tierschutz zu begeistern. Der Vorzug von Gruppenchats: Man kann sie stummschalten, was ich konsequent mache.

Aufkleber an einem Lampenpfahl: »Therapie für alle«. Sehr guter Vorschlag, wo kann ich mich anmelden?

Freitag: „Ich habe nächste Woche Urlaub, bin aber erreichbar“, sagt ein Kollege in der Besprechung. Auch hier scheint eine Therapie dringend angebracht.

Nachmittags gab es Gebäck und Sekt anlässlich der Verabschiedung des großen Vorsitzenden, der nun den Stab übergeben hat an den jüngeren Nachfolger. Nach launigen Ansprachen begab er sich in die Menge, die sich sogleich um ihn scharrte für ein Selfie mit dem Scheidenden. Das ganze fotografiert von einem Fotografen der Kommunikationsabteilung, auf dass demnächst zahlreiche Bilder von Leuten, die zusammen mit dem Ex-Chef gequält in ihr eigenes Datengerät grinsen, im Intranet zu sehen sind. Als Selfiesdämlichfinder hielt ich Abstand und griff lieber ein weiteres Gläschen vom gereichten Tablett ab. Prioritäten setzen, so wichtig.

Samstag: Mit einem halben Auge schaute ich die Krönung in London an. Nicht weil es mich sonderlich interessierte oder ich eine Monarchie im Jahre 2023 noch für zeitgemäß und erforderlich hielte, doch wenn der Fernseher läuft, weil andere Haushaltsmitglieder die Zeremonie verfolgen, dann komme ich nicht umhin, ab und zu hinzuschauen. Warum auch nicht, das war schon sehens- und hörenswert. Ich möchte nicht mit denjenigen tauschen, die Verantwortung tragen für die Vorbereitung und Durchführung einer solchen Veranstaltung, die man ja nicht im vollen Umfang vorher proben kann, dennoch müssen alle Beteiligten, egal ob Chorsängerin, Soldat oder König, genau wissen, wann sie wo zu sein, was sie dort zu tun und gegebenenfalls sagen haben. Dafür meine volle Hochachtung. Der Stein, der ihnen danach vom Herzen fällt, wenn alles gut gelaufen ist, dürfte ähnliche Erschütterungen auslösen wie die Rahmedetalbrücke an der Autobahn 45, wenn sie morgen gesprengt wird.

Nach drei Jahren Zwangspause gab es in Bonn wieder Rhein in Flammen, dessen Höhepunkt am späten Abend stets ein grandioses Feuerwerk im Rheinauenpark ist. Zu diesem Anlass hatte der Liebste einen Tisch reserviert im Restaurant im Obergeschoss eines nahe dem Veranstaltungsort gelegenen Hotels, oder Rooftop Restaurant, wie das wohl jetzt heißt. Die Hoffnung war, nach dem Mahl mit einem Getränk in der Hand von dort aus das Feuerwerk zu betrachten. Daraus wurde nicht viel, denn das Spektakel wurde fast komplett durch das frühere Abgeordnetenhochhaus, auch als „Langer Eugen“ bekannt, verdeckt, nur ein paar wenige Male überragten die Lichter das Gebäude. Das einzige, was wir neben Lichtblitzen und Knallen mitbekamen, war die beeindruckende Rauchwolke, die über den Rhein nach Beuel zog. Rhein im Feinstaub statt in Flammen.

Nach Hause gingen wir zu Fuß, weil die Bahnen in Richtung Innenstadt überfüllt waren von Veranstaltungsbesuchern, ein Taxi war nicht zu bekommen. Das war überhaupt nicht schlimm, zum einen gehe ich diese Strecke ohnehin zweimal wöchentlich freiwillig, zudem kam nach der umfassenden Weinbegleitung zum Abendessen etwas Bewegung an der frischen Luft sehr gelegen. (Der Feinstaub war ja rüber nach Beuel gezogen.)

Sonntag: Durch das Programm am Vorabend kamen wir heute Morgen erst etwas später aus dem Tuch. Immerhin schaffte ich es, zwischen Rasur und Brausebad im Fernsehen die Sprengung der Rahmedetalbrücke mitzuerleben, die um zwölf planmäßig zusammenbrach und die Umgebung in eine Staubwolke hüllte. Der Sprengmeister zeigte sich mit seinem Werk sehr zufrieden.

Nach spätem Frühstück ging ich raus, es war warm, man trug T-Shirt und kurze Hose. Und die Kastanien stehen endlich in voller Blüte, nicht nur an der Poppelsdorfer Allee.

Hier ein besonders hypsches Exemplar in der Inneren Nordstadt

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Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 31/2021: Wenn ein Sachse „Workflow“ sagt

Montag: Ich möchte Sie nicht mit Details aus dem Werksalltag langweilen. Vielleicht kennen Sie auch das beglückende Gefühl, wenn der Schmerz nachlässt, etwa nachdem man mit dem Schienbein vor den Couchtisch geknallt ist oder sich – vornehmlich als Mann – die äußeren Genitalien in der Autotür geklemmt hat, kann ja alles passieren. Ähnlich beglückend fühlte es sich an, als am späteren Nachmittag der Bürorechner herunterfuhr.

Ein kleiner Ohrwurm gefällig? Bitte sehr: Heute vor fünfzig Jahren sangen Roy Black und Anita den Hit „Schön ist es, auf der Welt zu sein.“ Gern geschehen.

Dienstag: Wenn ein Sachse in einer Besprechung oder überhaupt „Workflow“ sagt, klingt das lustig.

Ich sollte aufhören, in jedem Porsche ein Arschlochauto zu sehen. Wenigstens könnte ich mir vielleicht abgewöhnen, es ihm jedesmal laut hinterherzurufen.

Heute gab es zwei Gewitter: eins am Nachmittag draußen, das andere abends am Küchentisch. Danach war die Luft vorerst gereinigt, sowohl nach dem ersten als auch dem zweiten, wobei letzteres noch ein wenig nachgrummelte.

Das Buch „Wer alles weiß, hat keine Ahnung“ von Horst Evers ausgelesen, hat mir gut gefallen. Wegen Stellen wie dieser:

„Der Freund meiner Tochter freut sich total, dass die Fitnessstudios wieder öffnen. Ich denke: Mein Leben ist ärmer, weil ich bei den Fitnessstudios vom Vermissen ausgeschlossen war.“

Als nächstes „Das Glück des Gehens“ von Shane O’Mara.

Mittwoch: Glück des Gehens am Morgen ins Werk – nur im Gehen ergeben sich oft Wahrnehmungen, die dem Auge des geräderten Verkehrsteilnehmers zumeist verborgen bleiben.

Im Übrigen ist es oft sehr einfach, meine persönliche Stimmung zu heben.

(Für das Plastikbesteck bitte ich ausdrücklich um Entschuldigung. Die Hoffnung, ab sofort wieder direkt in der Kantine von einem richtigen Teller essen zu dürfen, erfüllte sich leider nicht, stattdessen immer noch nur zum Mitnehmen, warum auch immer. Ab morgen stecke ich mir wieder Messer und Gabel ein, bevor ich zum Mahl aufbreche.)

Donnerstag: Meinem Desinteresse an Olympia (wie an Sportereignissen generell) verlieh ich schon gelegentlich Ausdruck, dennoch kann man dem als Zeitungsleser und Fernsehnachrichtenkucker nicht völlig entgehen, ist auch nicht schlimm, man kann währenddessen auf das Klo gehen und die Zeitungsseiten rasch überblättern. Was mir auffällt: Es scheint aus der Mode zu sein, für die Kameras und Pressefotos auf Goldmedaillen herumzubeißen, was mir immer schon ausgesprochen sinnlos erschien. Gilt das mittlerweile auch irgendwie als rassistisch, diskriminierend oder gesundheitsschädlich, oder weigern sich die Sportler einfach, weil sie selbst nicht erkennen, wozu das gut sein soll?

„Impfen ist ein patriotischer Akt“, sagt der Gesundheitsminister. Das wäre nun wirklich einer der letzten Gründe, die mich überzeugen könnten, wenn ich denn überzeugt werden müsste.

Freitag: Da es morgens stark regnete, fuhr ich mit der Bahn ins Werk. Die Stadtwerke weisen nun per Durchsage in Dauerschleife darauf hin, dass der Aufenthalt auf den Bahnsteigen nur im Falle von (Originalton) „Reiseabsichten“ zulässig ist, man möge die Haltestelle verlassen, wenn man nicht „auf einen Zug beziehungsweise eine Bahn“ wartet, wozu auch immer diese Differenzierung. Vielleicht aus Gendergründen? Und gilt die Fahrt ins Werk auch als Reise?

Der Arbeitstag begann mit einer Besprechung bereits um acht, in der alle durcheinander redeten. Wegen Chefteilnahme musste ich trotz tageszeitlich bedingten Desinteresses gewisse Aufmerksamkeit walten lassen. Es wurde dann dennoch ein recht angenehmer Tag.

Im Haus nebenan ist einer gestorben. Erst sechs Wochen später ist das den Hausbewohnern aufgefallen, wegen des Geruchs. Wie schlimm muss es sein, wenn einen niemand vermisst.

Samstag: Laut Zeitung sind zweiundsiebzig Prozent der Berufstätigen auch im Urlaub für Werksgedöns erreichbar. Da bin ich gerne Teil einer Minderheit, die nicht mal am Wochenende und außerhalb der Bürozeiten erreichbar ist.

Sonntag: „Es ist kein Privileg junger Menschen mehr, sich öffentlich danebenzubenehmen“, steht in der FAS. War es das jemals?

Beim Gehen gesehen:

Golgatha 2.0

Kommen Sie gut durch die Woche!

Woche 49: Geballte Besinnlichkeit

Montag: Zur Erheiterung des Geliebten lief am Morgen mit meiner Frisur etwas schief. Der Tag entwickelte sich dennoch ganz passabel. Zumal eine missratene Frisur ja oft nur der bemerkt, dessen Haupt sie verunziert, und das auch nur beim Blick in den Spiegel oder gegen die Scheibe der Stadtbahn während der Fahrt durch den dunklen Tunnel.

Übrigens, wenn Sie mir Unbehagen einjagen wollen, schicken Sie mir eine Nachricht, die die Begriffe „Offsite“ und „Teambuilding“ enthält.

Dienstag: Oder „Rollenspiel“ oder „Escape Room“.

„Als Kleinkünstler gehört er der Poetry-Slam-Szene an“, schreibt die Zeitung über einen mir bekannten und geschätzten Schreiber. Gibt es eine beleidigendere Bezeichnung für einen Wortschöpfer als „Kleinkünstler“?

Zum Tag:

Mittwoch: „Wolfsverdachtsgebiet“ – welch wunderbares Wort. Schade, dass die Gebrüder Grimm es noch nicht kannten: Welch Zierde hätte es den Märchen von Rotkäppchen und den sieben Geißlein verliehen!

Apropos Märchen: Es liegt mir fern, unangemessen über Heilpraktiker und ihre Methoden und Mittel zu urteilen. Aber was sagt es über diesen Berufsstand aus, wenn eine mir bekannte Vertreterin dieser Zunft ungefähr einmal monatlich eine Erkältung erleidet?

Donnerstag: Heute ein Tag frei. Nach Weihnachtsfeiern gestern und vorgestern ist das sinnvoll und notwendig. Außerdem war ich beim Friseur. Das war auch dringend notwendig.

In einem Leserbrief schreibt ein Alexander T aus B über die Klimadiskussion:

„… sind die Forderungen absurd und fernab jeder Realität. […] Die Annahme, dass ich wegen Kinder-Demonstrationen meinen Lebensstil ändern werde, ist noch abstruser. Ich fahre deswegen nicht weniger Auto, fliege und heize weniger, konsumiere weniger Fleisch oder werde auf Bus und Bahn umsteigen. Zudem leben die auch meisten Menschen weiter wie bisher und lassen sich von dem Klima-Gedöns nicht beeindrucken.“

Klima-Gedöns – auch so etwas muss die Meinungsfreiheit aushalten.

Noch mehr Natur-Gedöns: „Erde gehört nicht in die Biotonne“, steht im neuen Abfallplaner der Stadt Bonn. Dem ist fürderhin nicht zu widerraten – nach all dem Glyphosat und anderem Giftzeugs, das wir versprühen, ist dieser Planet nach Ende der Nutzungsdauer wohl eher als Sondermüll zu behandeln.

Abends die nächste Weihnachtsfeier. Tage voller geballter Besinnlichkeit.

Freitag: In der Bahn saß mir ein Mann mit einer Bouvier-Tasche gegenüber. Für Nicht-Bonner: Bouvier war eine große Buchhandlung in der Bonner Innenstadt, die wahlweise anstatt Plastiktüten rote Stofftaschen mit einem undefinierbaren schwarzen Symbol anbot. Da der Bonner sich gerne kulturbeflissen und naturschonend gibt, gehörten diese Beutel zum Stadtbild wie Beethoven und geschlossene Bahnschranken; ständig sah man jemanden mit einer solchen Tasche. Vor nunmehr sechs Jahren schloss Bouvier für immer, seitdem verschwanden auch die roten Taschen langsam aus dem Stadtbild. Die Bahnschranken in der Südstadt sind unterdessen weiterhin überwiegend geschlossen.

Zur Abwechslung abends mit den Lieben zu Hause, keine Weihnachtsfeier.

Samstag: Wir wohnen in einer Straße, die sehr ruhig wäre, endete sie nicht in der Ein- und Ausfahrt einer öffentlichen Tiefgarage. Zudem ist sie aufgrund am Straßenrand parkender Fahrzeuge stellenweise nur einspurig befahrbar, was gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit immer wieder zu unterhaltsamen Szenen führt, wenn sich zwei Wagen begegnen und nicht aneinander vorbei fahren können. Erst bleiben sie voreinander stehen, auf dass der jeweils andere zurücksetze. Dann hupen sie, schließlich schreien sie sich an, manchmal steigen sie dazu sogar aus, derweil sich hinter beiden Wagen Schlangen bilden, deren Fahrer in das Hupen und Schreien einstimmen. Irgendwann gibt einer der beiden nach, lenkt seinen Wagen über den Bordstein auf den Gehsteig, woraufhin der andere mit aufheulendem Motor und wüsten Beschimpfungen (soeben gehört: „Penner! Wxxxer! Lern erstmal Autofahren!“) auf- und abbraust. Ich liebe es, wenn Menschen Einblicke in ihre Abgründe gewähren. Jedenfalls solange es bei Worten bleibt und ich nicht unmittelbar beteiligt bin.

Sonntag: Nach einer weiteren Weihnachtsfeier bis nach elf im Bett liegen zu bleiben ist auch eine mögliche Form, den Carpe-Diem-Gedanken zu verwirklichen, und sicher nicht die schlechteste an Tagen wie heute, an denen es gar nicht richtig hell werden will.