Woche 12/2023: Polyamore sind keine chemische Verbindung in der Kunststoffproduktion

Montag: Dass der Internationale Glückstag auf einen Montag fällt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Gleichwohl: Wenn man als Minimaldefinition für Glück das Ausbleiben von Unglück gelten lässt, war der Tag trotz in beruflicher Hinsicht bemerkenswerter Antriebslosigkeit durchaus als geglückt zu bezeichnen.

Dienstag: Wie der Weltklimarat mitteilt, steigt die Temperatur schneller als erwartet, was wohl nur wenige wundert. Als eine Lösung wird die beschleunigte Elektrifizierung genannt. Ich habe Zweifel. Wir sind bereits jetzt komplett abhängig von elektrischem Strom, ohne ihn funktioniert nichts mehr: Lebensmittel-, Trinkwasser- und medizinische Versorgung, Heizung, öffentliche Verkehrsmittel, Warenlieferungen, Tik Tok. Wie sich ein längerer flächendeckender Stromausfall auswirken könnte, ist eindrucksvoll im Roman „Black Out“ von Marc Elsberg dargestellt. – Eine bessere Lösung weiß ich allerdings auch nicht. Verbrennungsmotoren und die Rückkehr zur Dampfmaschine sind wohl keine.

Doch sorget euch nicht: Europas Automarkt erholt sich weiter, wird gemeldet. Der Markt regelt es. Jedenfalls so lange, bis demnächst die Natur übernimmt.

Die Zeitung berichtet über fünfzig leerstehende städtische Immobilien in Bonn. Direkt daneben ein Artikel über eine Initiative gegen Obdachlosigkeit. Da hätte ich eine Idee.

Mittwoch: Eine halbe Stunde vor der planmäßigen Aufstehzeit aufgewacht, wegen Arbeitskram im Kopf nicht mehr eingeschlafen. Das kommt zum Glück nur selten vor. Ich werde das demnächst durch eine etwas ausgedehntere Mittagspause ausgleichen.

Die Lurche sind wieder in Liebeslaune, was nicht ganz ohne Konflikte mit einer anderen, ganzjährig vermehrungswilligen Spezies bleibt. Dazu die Zeitung: »Autos nehmen Fröschen die Vorfahrt« – Das wirft die Frage auf, womit Frösche zur Kopulation fahren. Vielleicht mit dem Amphibienfahrzeug.

Oder das hier: »Ich heiße Katharina M. und bin in meiner journalistischen Arbeit in zweierlei Funktion unterwegs. Als Autorin (weniger Zeit im Jahr) pitche ich Themen.« Gelesen in einem Newsletter für besseres Schreiben, wo man derartige Sätze eher nicht vermutet. Zur Versöhnung wird im selben Text verlinkt auf einen lesenswerten Artikel über Polyamore, was zunächst wie eine chemische Verbindung in der Kunststoffproduktion klingt, aber eine menschliche Verbindung beschriebt. Immerhin.

Donnerstag: Inseltag. Da die Wetteraussichten trocken waren, holte ich die Wanderung durch Vorgebirge und Ville nach, die ich im vergangenen Jahr wegen mangelhafter Wanderschuhe und daraus resultierenden Blasen abgebrochen hatte. Angelegt hatte ich sie in Komoot von Bonn bis Brühl, davon ausgehend, sie wegen der Länge von 37 Kilometern wahrscheinlich vorher zu beenden und mit der mehr oder weniger parallel zur Wanderstrecke verkehrenden Stadtbahn zurückzufahren. Die ersten drei Kilometer durch die äußere Nordstadt sind alles andere als pittoresk: Verkehrsgebrause, schmuddelige Gewerbegebiete, die Gesichter unfroh. Doch dann erreicht man das Messdorfer Feld, der Blick wird weit, vogelgesangbegleitet. Im weiteren Verlauf durchquerte ich recht idyllische Orte, Felder und viel Wald; auf langen Strecken begegnete mir kein Mensch, und wenn doch, grüßte man sich. Ab einer bestimmten – mir fällt nicht das passende Wort ein für geringe Dichte. Undichte? Jedenfalls irgendwann grüßt man sich bei Begegnungen, bis die Dichte wieder steigt und man grußlos aneinander vorübergeht. Wie in der Fußgängerzone, wo ständiges Grüßen äußerst unpraktisch wäre und zu großem Gemurmel führte.

Ich schaffte es immerhin bis Walberberg, nur wenige Kilometer vom Maximalziel Brühl entfernt. Es reichte: Beine und Füße waren deutlich zu spüren. Es war mir ein Vergnügen, und doch angenehm, als ich sitzen konnte.

Das Messdorfer Feld
Ein besonders eindrucksvolles Moospolster
Birken – mein Lieblingsbaum
Da haben die Kollegen ganze Arbeit geleistet
Autsch
Allee oberhalb von Bornheim
Unendliche Weiten bei Merten mit dem Siebengebirge im Hintergrund (Pfeil)
Berggeistweiher bei Walberberg
Waldhumor
Huflattich sieht man auch nur noch selten

Freitag: Gleichsam als Nachtrag zu gestern hat sich unter der linken Fußsohle eine größere Blase gebildet. Vielleicht sollte ich künftige Wanderungen auf maximal zwanzig Kilometer Strecke begrenzen.

Es gibt laut interner Mitteilung einen neuen „Chief of Customer Service & Strategy […] Deutschland“. Es fällt nicht immer leicht, die Dinge ernstzunehmen.

Aus Kurt Kisters Wochenkolumne:

Die damalige SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, der das Entstehen der Wahrheit auf der Basis subjektiver Annahmen nicht fremd war, sang 2013 am Rednerpult im Bundestag mal: „Ich mach mir die Welt, wide, wide, wie sie mir gefällt …“ Dieses Pippi-Langstrumpf-Lied soll nach Aussagen von Zeitzeugen auch als geheimes Zusatzprotokoll in den Koalitionsvertrag der Ampel übernommen worden sein.

[…]

Das Sich-beleidigt-Fühlen ist das epochendefinierende Kriterium der Zeit, in der wir gerade leben.

Aus: Deutscher Alltag

Samstag: Gestern Abend, nach Rückkehr aus dem Wirtshaus, schauten wir Fernsehen. Erst die heute-Show, dann Böhmermanns ZDF Magazin Royale. Letzteres war gestern sehr außergewöhnlich: Zu sehen war nicht Jan Böhmermann im Anzug am Schreibtisch, musikalisch begleitet vom Rundfunk- und Tanzorchester Ehrenfeld. Stattdessen sah man Dieter Nuhr auf seiner donnerstäglichen ARD-Bühne. Er sah etwas älter aus, die Haare grauer als sonst, ansonsten wie man ihn kennt. Verwundert schaltete ich hin und her, vielleicht hatte ich mich im Programm vertan, nach ein paar Kölsch kann das passieren, aber nein, auf ZDF lief Nuhr im Erst … nein, erst jetzt bemerkte ich: Dort stand »Nuhr im Zweiten«. Also doch Böhmermann. Der leicht ergraute Dieter Nuhr war nicht nämlicher, sondern Sebastian Rüger, der ihn nahezu perfekt imitierte. Das gilt auch für Sophie Berger, die als „Milli Probst“ die beim echten Nuhr regelmäßig auftretende Lisa Eckhard darstellte, wenn auch mit dunklen Haaren, ansonsten trefflich.

Dieter Nuhr und Lisa Eckhard sind umstritten, weil sie regelmäßig über Themen mit hohem Beleidigungs- und Empörungspotential wie Gendern, Veganer, kulturelle Aneignung und Klimakleber lästern. Das anzuprangern war Böhmermanns Anliegen, der selbst gestern nur ein paar mal kurz im Publikum zu sehen war und ansonsten nicht in Erscheinung trat.

Ich gestehe: Ich mag Dieter Nuhr, schaue mir nicht regelmäßig aber doch hin und wieder seine Sendung an. Lisa Eckhard finde ich zwar speziell-eigenartig, indes ganz amüsant. Vermutlich, weil ich ein alter, weißer Spätboomer bin, der Gendersternchen als unschön empfindet, Fleisch isst, nichts daran verwerflich findet, wenn sich Menschen zu Karneval als Indianer oder Bayern verkleiden und manche Aktionen der Letzten Generation als der Sache schadend ansieht, wie kürzlich den abgesägten Baum vor dem Bundeskanzleramt. Nuhr „rechten Humor“ vorzuwerfen, wie etwa hier, finde ich übertrieben.

Die Böhmermann-Sendung gestern hat mir dennoch gut gefallen. Inhaltlich unterschied sie sich nur wenig vom Original, hier und da etwas überzogen; die Nuhr- und Eckhard-Darsteller machten ihre Sache jedenfalls grandios, siehe oben oder in der ZDF-Mediathek. Ich bin gespannt ob Dieter Nuhr darauf reagiert, und wenn, wie.

Fundsache zur bevorstehenden Zeit-, Verzeihung: Uhrenumstellung:

Sonntag: Nun also wieder Sommerzeit. Dazu ist alles Wesentliche gesagt und geschrieben, daher beklage ich diesen Unfug nicht und hoffe weiterhin darauf, dessen Abschaffung noch zu erleben. Ohnehin entfaltet sie erst ab morgen ihre missliche Nebenwirkung, heute haben wir einfach weitergeschlafen.

Regenbedingt fiel der Spazierganz heute kürzer aus. An eine Wand hat jemand »MIBA SENIL GERNE« gesprüht, was auch immer das zu bedeuten hat. Ein Erklärungsversuch: MIBA ist der Name einer Fachzeitschrift für Modelleisenbahner. Ein Hobby, dessen Ausübung durch eine gewisse Senilität kaum eingeschränkt wird, vielleicht ist sie gar förderlich, um es besonders gerne zu betreiben. (Bevor man mich nun der Altersdiskriminierung bezichtigt: Ich habe selbst eine Modelleisenbahn.)

***

Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche, kommen Sie gut in die Sommerzeit.

Woche 32: Ästhetische Grundbedürfnisse an warmen Tagen

Montag: Morgens auf dem Weg ins Werk hielt vor einer roten Ampel ein anderer Radfahrer direkt neben mir, Abstand unter einem Meter. Wäre ich nicht so konfliktscheu und hätte er zudem nicht gewisse ästhetische Grundbedürfnisse bei mir angesprochen, also der hätte was zu hören bekommen!

Die erste Hälfte des Tages war von geradezu schmerzhafter Unlust begleitet, nach dem Mittagessen wurde es nur geringfügig besser. Erst der Abend zu Hause mit den Lieben und Begleitgetränk auf dem Balkon war ganz schön. Dieses Konzept „Arbeiten um zu leben“ bedarf der Nachbesserung.

Einen wesentlichen Teil meines inneren Friedens ziehe ich wohl daraus, mich nicht allzu sehr dafür zu interessieren, was andere Leute tun oder denken. Dazu gehört auch, abweichende Meinungen auszuhalten. Gleichwohl fand ich es sehr irritierend, von jemandem, den ich ansonsten sehr schätze, solches zu hören: „Das ist doch alles völlig überzogen.“ – „Was soll schon passieren, es ist nicht schlimmer als eine Grippe.“ – „Eine unglaubliche Einschränkung meiner Freiheit.“ – „Muss doch jeder selbst entscheiden, ob er eine Maske trägt und Abstand hält.“ – „Impfen bringt sowieso nichts.“ – „Wer weiß, was da wirklich hintersteckt.“ – „Es trifft doch fast nur die Alten.“ – „Italien? Das italienische Gesundheitswesen ist halt desolat.“

Noch einmal ästhetische Grundbedürfnisse: „Brauchst du eine kalte Dusche?“ lautete die Frage des Tages bei Quergeföhnt. Ja, abends im Rewe hätte sie zur Linderung einschlägiger Gedanken beitragen können, leider war gerade keine im Angebot.

KW32 - 1

Dienstag: Erstmals las ich in der Zeitung das Wort „Fußgehende“ als gendergerechte Bezeichnung für Menschen, die Wege zu Fuß zurücklegen. Ich weiß nicht recht – nicht gerade eine prachtvolle Rose im Wörtersee.

Wie ich nämlicher Zeitung entnahm, beklagt ein gewisser Damian Hardung, mir bislang unbekannter Schauspieler, häufige Belästigungen durch unverlangt zugesandte Zuschriften und Anfragen sittenlosen Inhalts. Nach kurzer Bildrecherche im Netz verstehe ich.

Mittwoch: Morgens auf dem Weg ins Werk sah ich einen, der mit einem Laubbläser den halben Hofgarten in eine Staubwolke hüllte. War wohl eher ein Staubbläser. (Ja ich weiß, humoristisch eher flachwurzelnd.)

Donnerstag: „Manche führen, manche folgen“, stand auf dem hinteren Nummernschildträger eines sterntragenden Wagens, der vor dem Werk parkte. Manche spinnen, erlaube ich mir zu ergänzen.

„Es gibt keine Amseln mit Brustwarzen“, stellte der Geliebte am Abend klar, was wohl nicht einmal der derzeit amtierende amerikanische Präsident anzweifeln würde, sofern er weiß, was eine Amsel ist; Brustwarzen wird er wohl kennen. Später beklagte er sich, also der Geliebte, nicht der Präsident, worüber, sei dahingestellt: „… und ich werde wieder an den Pranger genagelt.“

Freitag: Schiefe Bilder auch im Werk. Aus einer Besprechung: „Wir müssen sehen, ob wir da einen Schuh dran kriegen.“

Die letzte Besprechung des Tages zog sich bis nach siebzehn Uhr hin. Während andere sich bereits kühlenden Wochenendgetränken widmeten, saß ich noch immer im warmen Büro und sah per Skype zu, wie jemand anderes eine Präsentation erstellte.

Hier eine kleine Serviceleistung für die warmen Tage:

(Mein erstes selbst erstelltes Gif, entstanden während einer Besprechung, die nicht meiner vollen Aufmerksamkeit bedurfte. Bitte beachten Sie die Fliege am Fenster.)

Abends waren wir zum ersten Mal beim Griechen im Rosenthal. Jahrelang waren wir auf dem Weg zum und vom Lieblingsbiergarten immer nur daran vorbei gegangen; nie sahen wir die Taverne gut besucht, was möglicherweise Rückschlüsse auf Qualität, Freundlichkeit oder andere Mängel zuließ. Auf nachbarliche Empfehlung hin hielten wir nun Einkehr und waren sehr zufrieden: Das Essen war reichhaltig und wohlschmeckend, der Service freundlich, die Preise moderat; nur der Ouzo des Hauses hätte kälter sein dürfen, dafür bekam jeder zwei. Da werden wir ganz bestimmt wieder hingehen.

Samstag: Es ist zu warm für viele Worte. Daher heute nur ein Archivbild aus kühleren Zeiten.

KW4 - 1

(Aufgenommen bei Göttingen am 21. Januar dieses denkwürdigen Jahres)

Sonntag: Der Sonntagsspaziergang fiel hitzebedingt kurz aus, anschließend mied ich den Balkon und zog mich in mein abgedunkeltes Zimmer zurück, um in Ventilatorbegleitung die Sonntagszeitung zu lesen. Sie können davon ausgehen: Wenn es selbst mir zu warm zum Spazieren und Balkonsitzen ist, dann ist es verdammt warm.

Die Zeitungslektüre war ebenfalls verkürzt, nicht wegen der Hitze, sondern weil nachts ein Irrer unseren Briefkasten und einige andere aufgebrochen und die Inhalte teilweise zerrissen in die Einfahrt verstreut hat, darunter auch die Zeitung. Was hat der zu erbeuten gehofft? Warum tut man sowas?

Außerdem habe ich mir den kurzen Beitrag von Dieter Nuhr für die DFG-Aktion „Gemeinsam #für das Wissen“ angehört, um den in den letzten Tagen soviel Geschrei gemacht wurde, Sie wissen schon, Meinungsfreiheit und so, siehe auch Montag. Ich kann an der Stellungsnahme absolut nichts Erregenswertes erkennen. Im übrigen schätze ich Dieter Nuhr sehr, sowohl auf der Bühne als auch als Autor, gerade weil er gerne mal eine abweichende Meinung vertritt.

Aus der Erklärung der DFG dazu:

In verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft hat sich eine Debattenkultur entwickelt, in der oft nicht das sachliche und stärkere Argument zählt, in der weniger zugehört und nachgefragt, sondern immer häufiger vorschnell geurteilt und verurteilt wird. An die Stelle des gemeinsamen Dialogs treten zunehmend polarisierte und polarisierende Auseinandersetzungen.

Dem ist nichts hinzuzufügen.