Woche 33: Harmonische Dreisamkeit im Mausehaus

Montag: „Zu tun gibt es ja immer was“, sagte der Mann in der Radioreklame, die mich morgens angenehmen Träumen entriss. Blöder kann man wohl nicht in eine neue Woche starten.

Als ich vor gut zwanzig Jahren im Mutterhaus die Arbeit aufnahm, waren Anzug oder wenigstens Jacket und Krawatte eine ungeschriebene Selbstverständlichkeit für männliche Büroknechte. Auch freitags. Wer ohne Krawatte ins Büro kam, konnte sich einer entsprechenden Bemerkung des Chefs sicher sein, es sei denn, die Temperaturen lagen wie zurzeit über dreißig Grad – dann verzichteten sogar Chefs auf den Halsbinder, manche öffneten gar den zweiten Hemdenknopf, auch nicht immer schön. Die Damen hatten es da deutlich besser – leichte Sommerkleider und offene Schuhe waren nie Gegenstand des Anstoßes. In dieser Hinsicht hat sich vieles zum deutlich Besseren verändert: Zunächst entfiel an Freitagen die Krawattenerwartung – womit widerlegt ist, so ungern ich das zugebe, alles, was aus Amerika kommt, sei schlecht – später auch an den übrigen Tagen. Inzwischen sind Krawattenträger klar in der Minderzahl, und das ist gut so. Sogar Männer – auch Abteilungsleiter – in kurzen Hosen zeigen mittlerweile mehr oder weniger wohlgeratene Beine. Auch das ist gut, wobei ich selbst so weit noch nicht bin. Kommt vielleicht noch, wenn ich demnächst der letzte auf dem Flur in langen Beinkleidern bin. ‪Doch so warm der Sommer auch glüht – für Kaffee ist es nie zu heiß.‬

Nicht zu heiß, trotz Anzug und Krawatte und in ganz anderer Hinsicht, war es vergangenen Samstag Florian Schroeder in Stuttgart, der für mich ab sofort zu den ganz Großen dieser Zeit zählt. Deswegen.

Ich habe übrigens beschlossen, mich nicht länger aufzuregen, wenn andere das mit dem Abstand nicht begreifen oder einfach nicht wollen; es würde meine allgemeine Lebensqualität zu sehr beeinträchtigen. Ich kann nur weiterhin für mich selbst darauf achten. Mehr kann ich für mich und andere nicht tun.

Dienstag: Vergangene Nacht schlief ich wärmebedingt schlecht, hinzu kamen akustische und olfaktorische Unwägbarkeiten von der Nebenmatratze, auf die ich nicht näher eingehen möchte. Während einer längeren Wachphase überlegte ich: Erreichen Florian Schroeder nach seinem Auftritt in Stuttgart nun wohl wüste Beschimpfungen und Morddrohungen? Wie geht man mit so etwas um? Droht mir ähnliches, nachdem ich für ihn Sympathie bekundete? Eher nicht, weil das hier nicht viele lesen. Vorteil des Kleinbloggers.

Tagsüber schrieb man mir per Mail: „Bitte geh du hier in den Lead.“ Soll ich jetzt singen, oder was?

Laut Zeitung rüsten die Stadtwerke Bonn ihre Busflotte derzeit mit Anti-Infektionsschutzwänden aus. Maschendraht?

Abends grummelte in der Nähe ein Gewitter, das etwas Regen schickte. Auch zwischenmenschlich grummelte es ein wenig, ohne konkret erkennbare Ursache; manchmal ist das so, wenn Menschen zusammen leben. Womöglich auch eine Folge der Hitze.

Mittwoch: Kurz nach Mitternacht kam das nächste Gewitter. Zunächst ein fernes Dauergrollen, das scheinbar nur sehr langsam sich näherte. Später erhellten Blitze den Nachthimmel über der Stadt und Donner rollte um die Häuser. Nicht wenige Menschen behaupten, sie schliefen besonders gut, wenn über ihnen die Naturgewalten toben; vielleicht haben sie dann auch besonders guten Sex, warum auch nicht, in dieser Hinsicht gibt es ja wenig, was es nicht gibt. Bei mir gilt das nur für nächtlichen Regen ohne Gewitter (also das mit dem Schlafen, mit dem anderen will ich Sie nicht unnötig langweilen). Eine Art erhalten gebliebener Urrespekt aus der Kindheit hält mich bei Gewitter wach. Immerhin, statt mir, bis es vorbei ist, die Bettdecke über den Kopf zu ziehen, wo bald Erstickung droht, stehe ich mittlerweile auf und schaue es mir vom Fenster aus an. Dann zähle ich die Sekunden zwischen Blitz und Donner. Wie weit ist es weg? Kommt es näher? Alte Faustregel, wenn ich nicht irre: Anzahl Sekunden geteilt durch drei gleich Entfernung in Kilometern. Um kurz nach halb zwei war es vorbei. Kurz vor drei kam das nächste, recht schnell und bald wieder vorbei, dafür mit starkem Regen. Dieses Mal blieb ich im Bett und schlief dann doch noch ganz gut.

Nach einem weiteren heißen Tag zog am Abend das nächste Unwetter mit Gewitter, Sturm und viel Regen über die Stadt und richtete (zum Glück nicht bei uns) größeres Unheil an. Vorher sah das vom Balkon so aus:

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Hinterher nach vorne hinaus so:

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Auch die interne Gewitterneigung war noch nicht ganz abgeklungen, weil Tief C sich aus nach wie vor unerfindlichen Gründen noch immer nicht aufgelöst hatte. Hingegen harmonische Dreisamkeit am späten Abend in unserem VogelMausehaus:

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Donnerstag: Badgespräch am Morgen: „Stehst du schon wieder hinter mir!“ – „Nein, du stehst vor mir.“

Billie Eilish – laut Zeitung der zweitwichtigste Teenager der Welt. Nie gehört. Nachteil des Boomerdaseins. Oder Vorteil, wer weiß.

In den Medien wird behauptet, die demokratische Kandidatin für das US-Vizepräsidentenamt, Kamala Harris, sei „schwarz“. Verstehe ich nicht. Sie ist doch mindestens so „weiß“ wie Donald Trump, wenn man die Bilder vergleicht.

Freitag: Nur kurz Regen am Abend. Überhaupt regnet es zu wenig in letzter Zeit, manche Kommunen haben schon Schwierigkeiten mit der Wasserversorgung. Die Schwimmbecken sind voll, aber der Duschkopf bleibt trocken. Dagegen war die Klopapierkrise ein Witz.

Ist Ihnen mal aufgefallen, dass es in Filmen selten regnet ohne Gewitterbegleitung, einfach nur Regen? Befürchten die Filmemacher, der Zuschauer würde den Regen sonst nicht bemerken? Darüber regt sich mal wieder niemand auf.

Samstag: „Die Vorstellung, dass an irgendeiner Stelle des Internets gesiezt wird, ist geradezu abwegig“, steht im General-Anzeiger zum Schwinden des „Sie“. Der Schreiber scheint dieses Blog nicht zu kennen. Warum sollte er auch.

Sonntag: Zwei notierenswerte Sätze aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung:

„Nichts verpufft schneller als die öffentliche Empörung.“
(Rainer Hank über integres Handeln von Unternehmen)

„Heute kommen Menschen aus allen Kontinenten, um Paderborn weiträumig zu umfahren.“
(Oliver Maria Schmitt über Paderborn)

In der PSYCHOLOGIE HEUTE las ich einen interessanten Artikel über sogenannte Spätblüher, das sind Leute, die erst im fortgeschrittenen Alter ihre wahre Berufung finden. Das gibt mir Hoffnung, doch noch Karriere zu machen als erfolgreicher, angesehener … wasweißich.

Am späteren Abend nach Einbruch der Dunkelheit werkelte der Nachbar gegenüber etwas Undefinierbares auf seiner Terrasse herum, wie so häufig. Dass wir ihm offensichtlich dabei zuschauen, störte ihn nicht. Kennen Sie das, wenn Sie jemanden bei seinem unablässigen Tun betrachten und sich fragen: Was treibt ihn nur?

Durch die Brille

Widmet man Zeit und Interesse den zahlreichen Blogs, so drängt sich der Eindruck auf, fast jedes zweite dreht sich um das zweifellos schöne und wichtige Thema Nahrungsaufnahme; etwa genau so hoch scheint der Anteil der Bilder in Instagram zu sein, die eine Mahlzeit zeigen. Daher ist es an der Zeit, das Thema logisch fortzuführen, sich zu befassen mit dem, was danach kommt, also nach dem Essen und anschließender Verdauung. Keine Sorge, ich werde sie nun nicht mit Abbildungen menschlicher Ausscheidungen konfrontieren, auch bemühe ich mich, die weiteren Betrachtungen körperlicher Erleichterung auf das absolut Nötigste zu beschränken.

Der 19. November eines jeden Jahres ist seit einigen Jahren der Welttoilettentag. Warum auch nicht, schließlich ist jeder Tag der Tag von irgendwas: Tag der Frau, des Mannes, des Kindes, des Hundes, der Katze, der Schildkröte, der Befreiung, des Lachens, des Baumes, des Autos, der Volkstrauer, der Arbeit (immerhin arbeitsfrei), nicht zu vergessen und zu recht umstritten der innere Reichsparteitag.

Der Welttoilettentag also soll den weltweiten Unwägbarkeiten des Sanitärwesens Aufmerksamkeit zuteil werden lassen, ist doch vielen Menschen nach wie vor die Behaglichkeit der heimischen Brille verwehrt, stattdessen müssen sie sich dort entleeren, wo gerade keiner kuckt; und das in Zeiten, da die Kriminalisierung sogenannten Wildpinkelns mit großen Schritten voranschreitet.

Obwohl ich mich diesbezüglich auf der Sonnenseite weiß, mehrlagiges Toilettenpapier inbegriffen, möchte ich dennoch die Gelegenheit ergreifen, einige Missstände anzuprangern, welche ausschließlich in Gemeinschaftstoiletten zu Tage treten, in Gaststätten, Bürogebäuden, Bahnhöfen oder Raststätten.

Beginnen wir mit der Geschlechtertrennung, welche Ausdruck findet in Piktogrammen, rätselhaften Figürchen, einem schlichten Schild „Damen“ beziehungsweise „Herren“ oder einfach nur „D“ und „H“ an der jeweiligen Außentür, oder einer Kennzeichnung, die derart originell ist, dass sie nicht oder nur mit gehobenem Allgemeinwissen zu entschlüsseln ist. Und wozu das ganze? Warum müssen die Damen manchmal lange Warteschlangen erdulden, während nebenan alles frei ist, oder – seltener – umgekehrt? Nur weil sie möglicherweise einen Mann von hinten beim Pinkeln sehen könnten? Also bitte – so aufregend ist das auch nicht. Noch viel weniger Aufregendem könnte der Mann ansichtig werden, da das weibliche Geschäft üblicherweise hinter verschlossener Tür abläuft. Und den Anblick einer Lidstrichnachbesserung vor dem Spiegel wird den Herren wohl auch nur in äußerst seltenen Fällen Sitte und Anstand vergessen lassen. Und warum ist die Trennung nicht erforderlich bei Toiletten in Zügen und Dixiklos? Gelten für bewegliche Bedürfniseinrichtungen permissivere Regelungen?

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Führte man diesen Gedanken weiter, müsste gleichgeschlechtlich orientierten Menschen dann nicht das Betreten von WCs ihrer eigenen Genusgruppe untersagt sein, um sie vor der Versuchung und ihre Mitpinkler/-innen vor Belästigungen zu bewahren? Und was ist mit Menschen, die sich nicht einem eindeutigen Geschlecht zuordnen zu lassen, müsste ihnen dann nicht jeglicher Toilettengang außerhalb heimischer Kacheln versagt bleiben? In Berlin hat man dem Vernehmen nach inzwischen reagiert, dort wurden letztes Jahr Unisex-Toiletten eingerichtet, „WC für alle Geschlechter“ steht an der Tür. Na also, geht doch, versteht wohl auch jeder.

Auf Twitter las ich einst folgendes: „Ein guter Schiss ist der Orgasmus des kleinen Mannes.“ Leider ist mir der Urheber nicht erinnerlich, doch wohnt dieser Erkenntnis große Wahrheit inne. Zu einem gelungenen Stuhlgang gehört – neben guter Lektüre – vor allem das uneingeschränkte Alleinsein. Zu einem gelungenen Orgasmus eher nicht, wobei man auch hier in passender Stimmung und mit den richtigen Hilfsmitteln zu durchaus passablen Ergebnissen kommen kann („kommen“, ha ha, zwinker zwinker), doch das ist ein anderes Thema, welches zu erörtern hier in absehbarer Zeit nicht vorgesehen ist. Obwohl, warum nicht, mal sehen… Zurück zum Stuhlgang. Auch dieser findet heutzutage üblicherweise hinter verschlossener Tür statt, was ihn*, den Stuhlgänger*, zumindest davor bewahrt, dass während des Vollzuges plötzlich jemand vor ihm* steht und nach Kleingeld für den Münzteller der Klofrau* fragt. Alleine ist er deswegen noch lange nicht, weil der Klobauer aus Gründen der Kostenersparnis oder besseren Luftzirkulation statt massiver Wände nur dünne Sperrholzplatten zwischen den Aborten eingezogen hat, mit breiten Spalten zum Boden und zur Decke hin, welche nicht nur die Geräusche des Sitznachbarn, sondern auch seine Ausdünstungen ungehindert sich im Raum ausbreiten und diese somit gleichsam zu einem Gemeinschaftserlebnis werden lassen. Man bedarf schon einer robusten Veranlagung, um es zu mögen, einen Orgasmus akustisch mit fremden Menschen zu teilen.

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Wir leben in einer Zeit, da so ziemlich alles zum Wohle des Einzelnen geregelt ist, auf dass sein Wohlgefühl nicht durch andere gestört wird: Geraucht wird nur noch draußen, öffentliche Veranstaltungen werden nur noch genehmigt, wenn sie geräuschlos ablaufen. Nur die Geräusch- und Geruchsdichtigkeit von WC-Kabinen entbehrt bedauerlicherweise bis heute EU-behördlicher Regelung. Das stinkt mir.

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* beziehungsweise, natürlich: sie, -in, ihr, des Klomannes