Woche 47/2022: Mopsfilet im Blätterteigmantel

Montag: Der Werktag begann mit einer Besprechung bereits um acht Uhr und endete mit einer solchen, die bis fast siebzehn Uhr ging. Daran gemessen war die Tageslaune erstaunlich gut.

Für die zahlreichen Rückmeldungen auf meine Betrachtungen der vergangenen Woche danke ich sehr. Wie ich von Frau Christine erfuhr, ist meine geschilderte Abneigung gegen Koriander genetisch bedingt, das war mir bislang nicht bekannt. Für die einen schmeckt er (mutmaßlich) nach Seife, für andere ganz passabel. So ähnlich wie die Sache mit der Spargelpipi, also nicht der Geschmack (das vielleicht auch, bei sehr speziellen Vorlieben, ich möchte das nicht weiter vertiefen), sondern der Geruch, der nur bei bestimmter genetischer Veranlagung der Produzenten entsteht. Oder wahrgenommen wird – wie auch immer.

Gänzlich unbekannt war mir bis heute auch der Name Amalberg, dessen Träger laut Zeitung heute Namenstag haben. Wie immer bin ich zu bequem, zu recherchieren, ob so wirklich jemand heißt, und warum. Klar, weil die Eltern das dem Standesbeamten in die Urkunde diktiert haben. Aber wie kamen sie darauf?

Seit jeher, nicht nur zu Zeiten irgendwelcher Meisterschaften und Ligen, graust es mich, wenn in geschäftlichen Zusammenhängen jemand sagt „Das ist wie beim Fußball“ und dann einen albernen Vergleich zum gerade behandelten Thema zieht. Nicht nur mich:

(Bitte klicken Sie auf das Bild, weiter unten kommt noch was.)

Im Übrigen nahm die Telekom heute die letzten Münzfernsprecher außer Betrieb, womit ein weiteres schönes deutsches Wort demnächst nur noch im Lexikon der ausgestorbenen Wörter zu besichtigen ist. Außerdem ist heute Tag des Fernsehens, hörte ich gerade im Radio. Auch das noch.

Dienstag: Morgens ging ich zu Fuß ins Werk. Beim Gehen kann ich wunderbar über verschiedenes nachdenken. Heute dachte nicht besonders intensiv nach, da es nichts Spezielles zu bedenken gab. Stattdessen erfreute ich mich an dem durchaus angenehmen Ohrwurm, der beim Wecken aus dem Radio in mein Hirn gekrochen war.

Die Flecken sind übrigens keine Verunreinigung des Bildes, was nach Ablösung von Dias durch Digitalbilder ohnehin nur noch selten vorkommt, sondern Kondensstreifen (Mitte) und Vögel (rechts)

Der Rückweg führt am Mutterhaus vorbei durch den nördlichen Ausläufer des Rheinauenparks, ehe man an den Rhein gelangt. Dort, in dem Parkausläufer, ging abends eine Frau einige Meter vor mir her. Hinter einer Wegabzweigung, an der ich rechts abbog zum Rheinufer, sie indes geradeaus weiter gegangen war, blieb sie plötzlich stehen und führte einige Schritte aus, die an Stepptanz erinnerten, freilich ohne das typische Klackediklackediklack, vielmehr ein Scharredischarredischarr, da sie die Tanzschritte auf Kiessand statt auf Parkett vollzog. Vielleicht kam sie gerade von einem Tanzkurs und wollte das soeben Erlernte noch einmal kurz vertiefen. Augenscheinlich hatte sie mich hinter sich nicht bemerkt; wenn man sich unbeobachtet fühlt, tut man ja manchmal merkwürdige Dinge, ich kenne das von mir selbst, ohne das weiter ausführen zu wollen.

Am Rheinufer kam mir ein jüngeres gemischtes Paar eingehakt entgegen. Wenige Meter vor unserer Begegnung griff sie an die ihr abgewandte Wange ihres Begleiters und zog sein Gesicht zu sich hin, um einen Kuss anzufordern und zu bekommen, keinen langen Knutscher Jungverliebter, sondern einen kurzen Wegekuss. Als wollte sie signalisieren, dass sie bereits vergeben ist. Vielleicht hatte sie mich auch durchschaut und wollte mir zu verstehen geben, dass er vergeben ist. Die Welt ist voller Missgunst.

Mir selbst gönnte ich am Rheinpavillon einen Glühwein mit Amaretto, heute in weiß; dazu wurden Spekulatius gereicht.

Im Zwiebelblog las ich erstmals das herrliche Wort „Wortkörperschonung“. Es bezeichnet übrigens nicht eine Ansammlung in Reihe gepflanzter Wortstämmchen, auf dass sie dereinst zu langen Wörtern und ganzen Sätzen heranwachsen.

Mittwoch: In der Zeitung las ich erstmals das Wort Absentismus. Im Netzduden steht als Bedeutung, nachdem man sich der Werbung erwehrt hat: »gewohnheitsmäßiges Fernbleiben vom Arbeitsplatz«. Somit etwas, das als mittelfristiges Lebensziel erstrebenswert erscheint.

Klaus S. aus St. S. nimmt in einem Leserbrief an den Bonner General-Anzeiger daran Anstoß, als Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr als Fahrgast bezeichnet zu werden, sondern als Mitfahrender. »Bin ich als Restaurantgast denn heutzutage auch ein Mitesser?« fragt er am Ende. Nein, lieber Herr S., Mitessender.

Als Fahrradfahrender wurde ich abends auf der Rückfahrt vom Werk nass geregnet, woran ich indes keinen Anstoß nehme. Als praktizierender Absentist wäre mir das nicht passiert.

Am Montag der 42. Woche berichtete ich über die obsolete Operation am rechten Ellenbogen, weil mein Körper die Sache in der Zwischenzeit selbst erledigt hatte. Hierüber erhielt ich heute eine Rechnung der Chirurgischen Praxis über 17,70 Euro. Für knapp zehn Sekunden Anschauen und die Anmerkung „Da haben Sie Glück gehabt“ recht ordentlich.

Donnerstag: Der Radiosender WDR 4 rief heute auf zum „FEIER-DEIN-EINZIGARTIGES-TALENT-TAG“. (Ja, da fehlt ein E, ist mir auch aufgefallen, aber so steht es auf deren Internetseite.) Hörer sollten sich melden und erzählen, was sie besonders gut können. Während des Fußweges ins Werk dachte ich darüber nach, wegen was ich dort anrufen könnte, wenn mir derlei Rundfunkgeschwätz fremder Leute nicht grundsätzlich zuwider wäre. Das Ergebnis meiner Überlegungen war ernüchternd, mir fiel nichts ein. Es mag ein paar Dinge geben, die ich ganz gut kann, etwa Rechtschreibung einschließlich korrekter Verwendung von -s, -ss und -ß, mir per Mnemotechnik meine Kreditkartennummer merken oder den Zauberwürfel entzaubern; auch in beruflicher Hinsicht zeigten sich meine Chefs bislang zufrieden mit meinen Leistungen. Doch findet sich nichts darunter, das besonders hervorsticht, eher ist in allem, was ich tue, Mittelmaß meine Richtschnur. Sollte ich indessen meine Inkompetenzen aufzählen, fiele mir spontan vieles ein, zum Beispiel Autofahren, Trompete spielen oder Kinder hüten. Daher hat dieser Talentfeiertag für mich eine Relevanz wie Mariä Lichtmess oder Bundesligafinale.

Morgens gesehen an einem städtischen Laubsammelwagen

„Wir hatten einen smoothen Hochlauf“ hörte ich in einer Besprechung und nahm es auf in die Liste, die bei der Gelegenheit aktualisiert wurde und mittlerweile über fünfhundert Einträge enthält. Vielleicht zählt das auch als Talent.

Freitag: „Wie gehts dir“, wurde ich gefragt. Nun: Während andere vor Hunger und Kummer nicht in den Schlaf kommen, ist an manchen Tagen meine größte Sorge, was ich heute ins Blog schreiben soll. Ich glaube, es geht mir ganz gut.

Auf dem Bonner Weihnachtsmarkt gibt es jetzt eine Hundebäckerei. Liebhaber von Mopsfilet im Blätterteigmantel muss ich allerdings enttäuschen: Es ist nur Gebäck für des Menschen besten Freund im Angebot. Vielleicht Pansenplätzchen, ich habe mangels Haustier nicht genauer geschaut.

Samstag: Wie die Zeitung mehrspaltig berichtet, ist man in Wachtberg-Ließem empört, weil auf einem Straßenabschnitt wegen Asphaltmängeln die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf dreißig Stundenkilometer reduziert wurde und die Polizei deren Einhaltung zu allem Übel nun auch noch kontrolliert hat, wobei jeder fünfte Wagen zu schnell fuhr. Der Ließemer Ortsvorsteher zeigt sich befremdet: Zahlreiche „abgezockte“ Bürger hätten sich bereits bei ihm gemeldet und „absolutes Unverständnis für die Maßnahme“ geäußert. Nicht empörend, vielmehr verwunderlich finde ich, wie breit die Zeitung darüber berichtet und dabei gewisses Verständnis für die Zuschnellfahrer durchklingen lässt. Der Artikel endet mit dem Satz »Das städtische Presseamt beantwortete am Freitag eine Anfrage zur Ließemer Straße bis Redaktionsschluss nicht.« Warum sollte es auch.

Sonntag: Wieder eine Woche beendet ohne nennenswerte Imponderabilien.

Beendet habe ich auch die Lektüre des Buchs „Von der Nutzlosigkeit erwachsen zu werden“ von Georg Heinzen und Uwe Koch aus dem Jahre 1985, das ich vor längerer Zeit einem öffentlichen Bücherschrank entnahm. Dabei handelt es sich nicht um einen Ratgeber im Sinne von „Auch im fortgeschrittenen Alter jung bleiben“, vielmehr ist es ein Roman und beginnt so:

»Ich bin nicht Lokomotivführer geworden. Alles ist anders gekommen, als ich gedacht habe. Ich bin auch nicht Präsident geworden oder Urwalddoktor, nicht einmal Studienrat. Eigentlich bin ich gar nichts geworden.

Ich bin nicht Vater, nicht Ehemann, nicht ADAC-Mitglied. Ich habe keinen festen Beruf und kein richtiges Hobby. Mir fehlt alles, was einen Erwachsenen ausmacht, die Aufgaben, die Pflichten, die Belohnungen. Ich bin kein Vorgesetzter und keine Autoritätsperson, ich habe keinen Dispositionskredit und trage keinerlei Unterhaltslasten, außer für mich selbst.«

Nach längerer Zeit mal wieder ein Buch, bei dem ich bedauerte, dass es zu Ende war. Es kommt vorläufig nicht zurück in den öffentlichen Bücherschrank.

***

Kommen Sie gut durch die neue Woche, auch wenn die deutsche Mannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft ausgeschieden ist. (Zum Zeitpunkt dieser Niederschrift, 17:30 Uhr, steht das Spiel noch bevor. Ich werde es mir nicht anschauen, so wie ich mir niemals Fußballspiele anschaue, egal wo und warum sie stattfinden, weil mich Fußball nicht interessiert. Das soll mich nicht daran hindern, einen Tipp abzugeben.)

Woche 45: Mittelzehweh und Geschichtsfalten

Montag: Zu der montagsüblichen Todessehnsucht, oder jedenfalls Berufslebensmüdigkeit, gesellte sich am Morgen Missmut gegen das WLAN-Radio im Bad. Seinen Vorteil, darüber auch den französischen Lieblingssender Nostalgie hören zu können, machte es zunichte durch minutenlanges Zwischenspeichern, unterbrochen durch Einspielungen von jeweils nur wenigen Sekunden Dauer. Ich behaupte nicht, früher sei alles besser gewesen; der analoge Vorgänger des Geräts, der den Sender noch mit langer Antenne aus der Luft empfing, fiel durch derartige Unterbrechungen jedenfalls nicht auf. Aber in diesem Haushalt muss aus Gründen (extra für Sie, liebe N) alles digital sein.

Tagsüber drang durch das aufgrund unnovemberlicher Milde gekippte Bürofenster das vielstimmige Lied zahlreicher Laubbläser an mein Ohr. Leider ohne Zwischenspeichern.

„Die Zeit der Jokes über den BER muss jetzt zu Ende sein“, wird der Bundesverkehrsminister in der Zeitung anlässlich der Inbetriebnahme des Hauptstadtflughafens zitiert. Recht hat er. Machen wir lieber Jokes über Herrn Scheuer.

Rückblickend war der Tag gar nicht so montäglich.

Dienstag: Atomkraftgegner befürchten einen Castortransport durch Bonn, steht in der Zeitung. Ich bin kein großer Freund dieser Energiequelle und finde es ebenso bedauerlich, dass dieses Zeug per Zug durch die Gegend gefahren und Millionen von Jahren irgendwo gelagert werden muss, keine Frage. Doch was ist an einem Transport durch Bonn schlimmer als durch andere Orte, vielleicht Bielefeld oder Bottrop? Manchmal erscheint „Mir doch egal“ die einzig angemessene Antwort.

Selbstfürsorge ist in diesen Zeiten besonders wichtig, lese ich, das beinhaltet auch gutes Essen. Dazu passend sah ich heute in einer internen Mitteilung diese Grafik unbekannter Herkunft:

Wenn ich das richtig interpretiere, wären demnach nougatgefüllte Sellerie und Marzipanmohrrüben die beste Wahl.

Ob die Amerikaner heute auch die beste Wahl treffen, erfahren wir frühestens morgen. Ich fürchte nichts Gutes für die nächste und übernächste Zeit, unabhängig von ihrer Wahlentscheidung. Selbst wenn der Wahnsinnige abgewählt wird, seine zahlreichen Anhänger bleiben. Und sie werden nicht schlagartig vernünftig.

„Es wird furchtbarer, in interessanten Zeiten zu leben“, schreibt Frau Myriade, wenn auch in ganz anderem Zusammenhang. Da hat sie leider recht.

Mittwoch: Noch kein Ergebnis, man zählt weiterhin Stimmzettel aus der vom Präsidenten geschmähten Briefwahl. Vorläufig, hoffentlich nicht allzu lange, steht USA für „Unentschiedene Staaten von Amerika“.

Abends stand wegen eines wehen Zehs eine Frage im Raum, über die ich noch nie nachgedacht habe, oder jedenfalls schon sehr lange nicht mehr, jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern: Haben Zehen Namen, so wie Finger? Der große und kleine Zeh schon, die heißen halt genau so, wobei man zum Großen auch „Bockermann“ sagte, jedenfalls da, wo ich her-/wechkomme. Aber die dazwischen, heißen die auch irgendwie? Der neben dem Bockermann, ist das der Zeigezeh?

Donnerstag: „Lange Rede, großer Sinn“, sagt der Projektleiter. Selbstbewusstsein hat er. Vielleicht ist das seine Art der Selbstfürsorge.

Mittags sah ich einen, der aussah wie Atze Schröder, nur in unironisch. Eine gleichsam tragische Erscheinung.

Eine interessante Erscheinung dagegen das Mutterhaus im Nebel:

Nachmittags erschien am Bürofenster ziemlich später Besuch:

Ich weiß nicht, wie oft ich es noch schreiben, sagen oder singen soll: Warum beschäftigt ZDF-heute einen eigenen Sprecher (m/w/d) nur für Sportmeldungen? Das scheint Herr Emil ähnlich zu sehen, wo ich voller Zustimmung dieses las: „Und warum Informationen über […] Fußball noch immer wichtiger sind als viele andere Dinge, die »die Normalbürger« interessieren könnten oder sollten, erschließt sich mir auch nicht.“

Freitag: Das Mittelzehweh lässt nach. Anscheinend hat das aufgetragene Lavendelöl geholfen, oder jedenfalls der Glaube daran. Lavendelöl hilft ja gegen fast alles: Mundgeruch, Hautschuppen, Augenringe, Gesichtsfalten, Fußpilz, Scheidentrockenheit, nächtlichen Harndrang, Schlechtlaunigkeit und Liebeskummer. Warum also nicht auch Zehwehen.

„…als Corona war…“, hörte ich im Vorbeigehen einen zum anderen sagen. Habe ich mal wieder was nicht mitbekommen?

Samstag: Nachtrag zu Montag: Das mit dem WLAN scheint eher eine persönliche Sache zwischen uns zu sein. Während die Geräte meiner Lieben einwandfrei funktionieren, speichert bei mir das Radio zwischen, der Rechner verbindet sich nicht mit dem Netz und das Tablet zickt herum. Als ob das System mein Digitalfremdeln spürte wie Hunde mein Desinteresse an ihnen und mich deshalb meistens genauso ignorieren wie ich sie. Dabei bin ich der Technik keineswegs abgeneigt, sonst könnten Sie das hier ja nicht lesen. Nur wenn ich manchmal noch auf die (mechanische) Armbanduhr schaue, während ich am Rechner sitze, merke ich, so ganz bin ich noch nicht digitalisiert.

„Das Neue ist nicht immer das Bessere. Es ist noch nicht einmal immer das Gute“, stand heute im General-Anzeiger.

Am frühen Abend erreichte uns das Wahlergebnis aus den USA, wonach Joe Biden wohl der nächste Präsident wird. Wie erwartet sieht Donald Trump das völlig anders. So oder so – nicht nur in den Redaktionen der Sonntagszeitungen dürfte die Nachricht einige Hektik ausgelöst haben.

Sonntag: Ich folge Bloggerinnen, und es sind in diesem Fall tatsächlich zumeist -innen, die ungefähr wöchentlich ein neues Buch vorstellen. Wie machen die das nur? Mein Stapel ungelesener Bücher wird immer höher, in manchen Wochen schaffe ich kaum den SPIEGEL und die Sonntagszeitung durchzulesen, schon ist der Tag wieder vorüber und die Bettzeit naht; wenn ich dann vor dem Einschlafen endlich im Buch (aktuell: „Ozelot und Friesennerz“ von Susanne Matthiesen) lese, fallen mir bald die Augen zu. Hat deren Tag mehr als vierundzwanzig Stunden, oder schlafen die nie?

Ansonsten die Woche gehört: „Wie die eine, die in den Brunnen gefallen ist, und dann war der wieder voll Gold … Pechmarie. Ach nee, die ist in Teer gefallen.“

Verschreiber der Woche: Geschichtsfalten. Passt vielleicht ganz gut in diese Zeiten.

Gelesen in der FAS: „Es sind mitnichten Leichtweine, sondern ausgewachsene Burgunderweine, wie sie sich ein fangfrischer Fisch nicht schöner erträumen würde.“

Gesehen in Bonn-Endenich:

Ihnen eine angenehme neue Woche! Ob mit Alkohol oder ohne, sei Ihnen überlassen.

Woche 33: Harmonische Dreisamkeit im Mausehaus

Montag: „Zu tun gibt es ja immer was“, sagte der Mann in der Radioreklame, die mich morgens angenehmen Träumen entriss. Blöder kann man wohl nicht in eine neue Woche starten.

Als ich vor gut zwanzig Jahren im Mutterhaus die Arbeit aufnahm, waren Anzug oder wenigstens Jacket und Krawatte eine ungeschriebene Selbstverständlichkeit für männliche Büroknechte. Auch freitags. Wer ohne Krawatte ins Büro kam, konnte sich einer entsprechenden Bemerkung des Chefs sicher sein, es sei denn, die Temperaturen lagen wie zurzeit über dreißig Grad – dann verzichteten sogar Chefs auf den Halsbinder, manche öffneten gar den zweiten Hemdenknopf, auch nicht immer schön. Die Damen hatten es da deutlich besser – leichte Sommerkleider und offene Schuhe waren nie Gegenstand des Anstoßes. In dieser Hinsicht hat sich vieles zum deutlich Besseren verändert: Zunächst entfiel an Freitagen die Krawattenerwartung – womit widerlegt ist, so ungern ich das zugebe, alles, was aus Amerika kommt, sei schlecht – später auch an den übrigen Tagen. Inzwischen sind Krawattenträger klar in der Minderzahl, und das ist gut so. Sogar Männer – auch Abteilungsleiter – in kurzen Hosen zeigen mittlerweile mehr oder weniger wohlgeratene Beine. Auch das ist gut, wobei ich selbst so weit noch nicht bin. Kommt vielleicht noch, wenn ich demnächst der letzte auf dem Flur in langen Beinkleidern bin. ‪Doch so warm der Sommer auch glüht – für Kaffee ist es nie zu heiß.‬

Nicht zu heiß, trotz Anzug und Krawatte und in ganz anderer Hinsicht, war es vergangenen Samstag Florian Schroeder in Stuttgart, der für mich ab sofort zu den ganz Großen dieser Zeit zählt. Deswegen.

Ich habe übrigens beschlossen, mich nicht länger aufzuregen, wenn andere das mit dem Abstand nicht begreifen oder einfach nicht wollen; es würde meine allgemeine Lebensqualität zu sehr beeinträchtigen. Ich kann nur weiterhin für mich selbst darauf achten. Mehr kann ich für mich und andere nicht tun.

Dienstag: Vergangene Nacht schlief ich wärmebedingt schlecht, hinzu kamen akustische und olfaktorische Unwägbarkeiten von der Nebenmatratze, auf die ich nicht näher eingehen möchte. Während einer längeren Wachphase überlegte ich: Erreichen Florian Schroeder nach seinem Auftritt in Stuttgart nun wohl wüste Beschimpfungen und Morddrohungen? Wie geht man mit so etwas um? Droht mir ähnliches, nachdem ich für ihn Sympathie bekundete? Eher nicht, weil das hier nicht viele lesen. Vorteil des Kleinbloggers.

Tagsüber schrieb man mir per Mail: „Bitte geh du hier in den Lead.“ Soll ich jetzt singen, oder was?

Laut Zeitung rüsten die Stadtwerke Bonn ihre Busflotte derzeit mit Anti-Infektionsschutzwänden aus. Maschendraht?

Abends grummelte in der Nähe ein Gewitter, das etwas Regen schickte. Auch zwischenmenschlich grummelte es ein wenig, ohne konkret erkennbare Ursache; manchmal ist das so, wenn Menschen zusammen leben. Womöglich auch eine Folge der Hitze.

Mittwoch: Kurz nach Mitternacht kam das nächste Gewitter. Zunächst ein fernes Dauergrollen, das scheinbar nur sehr langsam sich näherte. Später erhellten Blitze den Nachthimmel über der Stadt und Donner rollte um die Häuser. Nicht wenige Menschen behaupten, sie schliefen besonders gut, wenn über ihnen die Naturgewalten toben; vielleicht haben sie dann auch besonders guten Sex, warum auch nicht, in dieser Hinsicht gibt es ja wenig, was es nicht gibt. Bei mir gilt das nur für nächtlichen Regen ohne Gewitter (also das mit dem Schlafen, mit dem anderen will ich Sie nicht unnötig langweilen). Eine Art erhalten gebliebener Urrespekt aus der Kindheit hält mich bei Gewitter wach. Immerhin, statt mir, bis es vorbei ist, die Bettdecke über den Kopf zu ziehen, wo bald Erstickung droht, stehe ich mittlerweile auf und schaue es mir vom Fenster aus an. Dann zähle ich die Sekunden zwischen Blitz und Donner. Wie weit ist es weg? Kommt es näher? Alte Faustregel, wenn ich nicht irre: Anzahl Sekunden geteilt durch drei gleich Entfernung in Kilometern. Um kurz nach halb zwei war es vorbei. Kurz vor drei kam das nächste, recht schnell und bald wieder vorbei, dafür mit starkem Regen. Dieses Mal blieb ich im Bett und schlief dann doch noch ganz gut.

Nach einem weiteren heißen Tag zog am Abend das nächste Unwetter mit Gewitter, Sturm und viel Regen über die Stadt und richtete (zum Glück nicht bei uns) größeres Unheil an. Vorher sah das vom Balkon so aus:

KW33 - 1

Hinterher nach vorne hinaus so:

KW33 - 1 (1)

Auch die interne Gewitterneigung war noch nicht ganz abgeklungen, weil Tief C sich aus nach wie vor unerfindlichen Gründen noch immer nicht aufgelöst hatte. Hingegen harmonische Dreisamkeit am späten Abend in unserem VogelMausehaus:

KW33 - 1 (2)

Donnerstag: Badgespräch am Morgen: „Stehst du schon wieder hinter mir!“ – „Nein, du stehst vor mir.“

Billie Eilish – laut Zeitung der zweitwichtigste Teenager der Welt. Nie gehört. Nachteil des Boomerdaseins. Oder Vorteil, wer weiß.

In den Medien wird behauptet, die demokratische Kandidatin für das US-Vizepräsidentenamt, Kamala Harris, sei „schwarz“. Verstehe ich nicht. Sie ist doch mindestens so „weiß“ wie Donald Trump, wenn man die Bilder vergleicht.

Freitag: Nur kurz Regen am Abend. Überhaupt regnet es zu wenig in letzter Zeit, manche Kommunen haben schon Schwierigkeiten mit der Wasserversorgung. Die Schwimmbecken sind voll, aber der Duschkopf bleibt trocken. Dagegen war die Klopapierkrise ein Witz.

Ist Ihnen mal aufgefallen, dass es in Filmen selten regnet ohne Gewitterbegleitung, einfach nur Regen? Befürchten die Filmemacher, der Zuschauer würde den Regen sonst nicht bemerken? Darüber regt sich mal wieder niemand auf.

Samstag: „Die Vorstellung, dass an irgendeiner Stelle des Internets gesiezt wird, ist geradezu abwegig“, steht im General-Anzeiger zum Schwinden des „Sie“. Der Schreiber scheint dieses Blog nicht zu kennen. Warum sollte er auch.

Sonntag: Zwei notierenswerte Sätze aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung:

„Nichts verpufft schneller als die öffentliche Empörung.“
(Rainer Hank über integres Handeln von Unternehmen)

„Heute kommen Menschen aus allen Kontinenten, um Paderborn weiträumig zu umfahren.“
(Oliver Maria Schmitt über Paderborn)

In der PSYCHOLOGIE HEUTE las ich einen interessanten Artikel über sogenannte Spätblüher, das sind Leute, die erst im fortgeschrittenen Alter ihre wahre Berufung finden. Das gibt mir Hoffnung, doch noch Karriere zu machen als erfolgreicher, angesehener … wasweißich.

Am späteren Abend nach Einbruch der Dunkelheit werkelte der Nachbar gegenüber etwas Undefinierbares auf seiner Terrasse herum, wie so häufig. Dass wir ihm offensichtlich dabei zuschauen, störte ihn nicht. Kennen Sie das, wenn Sie jemanden bei seinem unablässigen Tun betrachten und sich fragen: Was treibt ihn nur?