Woche 48/2023: Zum ganzjährigen Verzehr zugelassen

Montag: Der Tag war meteorologisch herausfordernd. Wie angekündigt regnete es von morgens bis abends ununterbrochen, was Ende November keineswegs zu beklagen ist und mich veranlasste, mit der Bahn in die Werktätigkeit zu fahren. Ich empfinde es als großes Privileg, nach Lust und Wetter wahlweise mit dem Fahrrad, der Bahn oder auf Schuhsohlen zur Arbeit zu gelangen und nicht auf ein Auto angewiesen zu sein wie angeblich so viele, für die jeder weggefallene Parkplatz in der Innenstadt ein Skandal ist.

Mittags bemitleidete (müsste es nicht bemitlitt heißen?) ich vor dem Mutterhaus zwei Männer auf einer Hebebühne, die windumtost und regenbegossen die Lichterkette in den großen Weihnachtsbaum flochten, was schon in der warmen, trockenen Stube eine Zumutung ist.

In zwei Besprechungen hörte ich zwei Kollegen unabhängig voneinander betonen, sie hätten einen harten Anschlag, was ja immer auch ein Anschlag auf die Sprachhygiene ist.

Vielleicht plant derjenige auch einen Anschlag, der nämliches an eine Wand schrieb: »Ich räche mich AUCH für mein Aussehen«. Eine gewisse Unzufriedenheit klingt an.

Ansonsten gab es an dem Tag wenig auszusetzen.

Dienstag: Nach einem Wintereinbruch (Wo oder in was bricht der Winter ein?) fragte morgens der Mann im Radio: „Was macht der Schnee mit uns?“ Manchmal möchte man schon vor dem ersten Kaffee schreien.

Gehört in einer Besprechung: „… und zwar zeitnah, auf gut deutsch.“ Nein, lieber Kollege, das ist kein gutes Deutsch, verkniff ich mir anzumerken.

»Konkret bedeutet das, ich brauche keinen Glauben. Und zwar in keine Richtung, d.h. ich bin weder Atheist noch Agnostiker, ich bin einfach nur extrem desinteressiert.« Das und mehr kluge Sätze über Religion und Fußball schrieb Frau Anje hier.

Auf dem Rückweg zu Fuß vom Werk genehmigte ich mir bei passender Kälte am Rheinpavillon das erste Kirsch-Glühbier der Saison und, soweit ich mich erinnere, überhaupt meines Lebens, derweil erste zarte Schneeflocken auf das Rheinland rieselten. (Es ist nicht anzunehmen, dass sie mit irgendwem irgendwas machten.)

Kann man trinken, demnächst jedoch wieder Glühwein mit einem Hauch Amaretto.

Mittwoch: Menschen, die sich zu Fuß, Fahrrad, Auto, Elektroroller oder Rhönrad von hier nach dort und zurück begeben, als „Verkehrsteilnehmende“ zu bezeichnen, wie heute in einem Artikel gelesen, werde ich mir voraussichtlich nicht angewöhnen.

Auch gelesen und gelacht: »Ja, scheiß doch in die Heide!« anstelle von »Ja leck mich doch …« – Sie wissen schon.

Aus einer per Kurznachricht erhaltenen Stellenanzeige im Hotelbereich: »Zu den Arbeitsinhalten gehören vor allem einfache Buchungsaufgaben, die Steigerung des Kundenstroms sowie Entspannung und Zufriedenheit.« Den beiden letzten Anforderungen fühle ich mich gewachsen.

Abends auf dem Weihnachtsmarkt gingen wir an einer Gruppe junger Leute vorbei, die sich unter Begleitung einer Geige daran machte, „O du fröhliche“ anzustimmen. Das war schön. Noch schöner wäre es gewesen, hätte man sich auf eine gemeinsame Tonart geeinigt, idealerweise die der Geige.

Donnerstag: Die Stadt Düren beschafft Iglu-artige, verschließbare Zellen aus Hartschaumstoff mit Liegefläche als Behausungen für Obdachlose, wie morgens gemeldet wurde. Das ist erstaunlich, schließlich leben wir in Deutschland, wo mutmaßlich zahlreiche Vorschriften unter anderem zu Miet-, Sozial-, Steuer und Urheberrecht, öffentlicher Ordnung, Brand-, Daten-, Natur-, Klima- und Jugendschutz einer Aufstellung derartiger Behausungen auf öffentlichen Flächen entgegenstehen, hinzu kommen Einwendungen von ADAC, ADFC, PETA, Katholischer Kirche, Letzte Generation und Amnesty International. Gleichwohl: Gäbe es einen Spendenaufruf, sich als Bürger an der Beschaffung zu beteiligen, wäre ich sofort dabei.

Zu den Dingen, über die mich zu ärgern wundern ich nicht müde werde, gehört dieses: Morgens auf dem Weg ins Werk sah ich zwei Läufer, die nebeneinander plappernd mitten auf dem Radweg am Rhein liefen, so dass Fahrräder nur knapp an ihnen vorbei kamen. Wegen zu erwartender Ein- und Aussichtslosigkeit verzichtete ich auf eine Ansprache, zumal ich mich zu Fuß auf dem mindestens genauso breiten Fußweg fortbewegte.

»Wir sprechen Baumarkt«, stand an einem Lieferwagen am Wegesrand. Offenbar eine sehr seltsame Sprache.

Aus einem Zeitungsbericht über Forderung nach einer Umstrukturierung der Deutschen Bahn: »Die Bahn müsste eigentumsrechtlich in seine Einzelteile zerlegt werden.«

Freitag: Waren Sie auch vor längerer Zeit darüber irritiert, wie viele Eltern ihr Kind plötzlich Miles nennen und dies in der üblichen Weise auf ihrer Autoheckscheibe kundtun? Bis Sie bemerkt haben, dass es sich um Fahrzeuge eines neuen Mietwagenanbieters handelt? Einen solchen Wagen sah ich morgens am Straßenrand abgestellt; bei diesem hatte sich jemand die Mühe gemacht, jeweils den unteren Querbalken des E zu entfernen. Ich musste kurz und heftig grinsen.

Während der Rückfahrt mit dem Rad blies mir eisiger Gegenwind ins Gesicht und ließ mich leiden. Dabei sind es mal gerade um die null Grad. Wie soll das erst werden, wenn es richtig kalt wird?

Samstag: Nach dem Frühstück, das heute den Namen verdiente, da wir einigermaßen zeitig aus den Betten kamen, unternahmen der Liebste und ich eine Ausfahrt ins Ahrtal, wo wir drei Weingüter etwas reicher machten, auf dass die heimischen Vorräte in unserem Keller niemals versiegen. Wobei damit auch ohne die heutigen Einkäufe auf absehbare Zeit nicht zu rechnen ist, voraussichtlich werde ich den Tag nicht erleben, da die letzte Flasche entkorkt wird. Nach mir die Trinkflut.

Pendler über Dernau

Abends begaben wir uns mit befreundeten Nachbarn zum Gänseessen in einem Restaurant. Weiß der Himmel, warum Gänse ausschließlich in der Vorweihnachtszeit gegessen werden, wohingegen Hühner und Enten zum ganzjährigen Verzehr zugelassen sind. Wie auch immer, es war sehr angenehm mit angemessener, nicht ausufernder Weinbegleitung.

Sonntag: Als ich morgens Brötchen holte, erwachte langsam der Weihnachtsmarkt, die ersten Budenbetreiber bereiteten sich und ihr Angebot vor für den Besucheransturm des Tages. Eigentlich ist die Existenz von Weihnachtsmärkten ein Beweis für die Nichtexistenz Gottes: Wenn es ihn gäbe, würde er derartiges Treiben zu seines Sohnes Ehren wohl kaum dulden.

Nach Rückkehr hörte ich erstmals in diesem Jahr „Last Christmas“ im Radio, was ich nicht halb so schlimm finde wie die sprechenden, sich bewegenden Hirschköpfe an einer Weihnachtsmarktbude auf dem Münsterplatz.

Die Lesung am Abend hat Spaß gemacht, wobei sie mehr Besucher vertragen hätte. Mehrere, die mir ihr Kommen angekündigt hatten, blieben dann doch weg. Ich werfe das niemandem vor, vielleicht war der erste Adventssonntag nicht der ideale Termin dafür. Diejenigen, die da waren, hatten augenscheinlich Vergnügen, immerhin.

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Kommen Sie gut, ohne Zorn und harte Anschläge durch die Woche.

Woche 34/2023: Kulturelle Aneignung im Schienenersatzverkehr

Montag: Outlook auf dem Bürorechner hatte morgens zunächst Startschwierigkeiten, wie der davor sitzende Nutzer. Ansonsten unterschied sich der erste Arbeitstag nach dem Urlaub bezüglich Unwilligkeit kaum von einem gewöhnlichen Montag. Was sich bewährt hat: den Tag komplett zu blocken und die Abwesenheitsnachricht bis zum Mittag aktiviert zu halten.

Das angestaute Mailaufkommen blieb im Rahmen, darunter eine interne Mitteilung über die bevorstehende Umorganisation eines Bereichs, mit vertrauten Versen versehen: »Um diesen Herausforderungen zu begegnen und Anbieter erster Wahl zu bleiben, müssen wir unsere Organisation noch stärker auf die Marktbedingungen ausrichten, Strukturen und Prozesse vereinfachen und Synergien nachhaltig heben. Ein konsequenter Fokus auf eine ganzheitliche Kundenorientierung  ist dabei unverzichtbar. […] um diese Herausforderungen zu adressieren […] Mit der Komplettierung der Themen stellen wir eine 360 Grad – Sicht auf die Stimmen unserer Kunden sicher […] und  stärken unseren Kundenangang.« Kundenangang ist ein schönes Wort, was auch immer es bedeuten mag.

Mittags in der Kantine gab es Currywurst. Angesichts der Waagenanzeige morgens – die vergangene Urlaubswoche mit viel Essen, Trinken und wenig Bewegung wirkt nach – entschied ich mich indes für das vegetarische Gericht. Hat gar nicht weh getan. Nur auf das Dessert (Vanillepudding mit Schokoladensoße) zu verzichten, soweit wollte ich nicht gehen.

Dienstag: Bereits letzte Woche trafen der Liebste und ich den Beschluss, zum Zwecke der körperlichen Ertüchtigung künftig regelmäßig gemeinsam radzufahren, also nicht so ein gemütliches Dahinradeln mit Einkehr am Wegesrand, sondern mit Tempo und Schweiß und selbstverständlich ohne Elektrounterstützung. Diesen Beschluss setzten wir heute Abend erstmals in die Tat um, wobei das Tempo noch steigerungsfähig ist. Ich fürchte, die Götterspeise mit Erdbeerschaum, die es mittags in der Kantine gab und die ich unmöglich stehen lassen konnte, wurde dadurch noch nicht völlig kompensiert. Immerhin, der Wille zählt und ein Anfang ist gemacht.

Mittwoch: Heute vor hunderfünfzehn Jahren wurde Arthur Adamov geboren, Autor des Absurden Theaters. Dem verdanken wir das also alles. Ob der sich wohl vorstellen konnte, dass Menschen sich mal massenhaft die Beine tätowieren lassen und sowas wie Donald Trump zum Präsidenten wählen, oder wäre selbst ihm das zu absurd erschienen?

Wurde schon untersucht, welcher Mehraufwand Medien dadurch entsteht, dass sie jetzt jedes Mal, wenn eine vermeintlich bedeutende Person etwas in Elons Schwätzwerk absondert, schreiben müssen „auf der Online-Plattform X, vormals Twitter“?

Donnerstag: Falls Sie mich in der Kantine suchen – ich bin der, der allein isst und dabei nicht aufs Datengerät schaut.

Abends hatte ich einen Termin im Bürgeramt der Stadt, weil mein Personalausweis im November ausläuft. Zuvor suchte ich den Selbstbedienungsapparat auf, um ein Foto zu erstellen, außerdem Unterschrift und Fingerabdrücke zu hinterlegen. Dabei fielen meine Zeigefinger durch die Qualitätskontrolle, die Daumen wurden nach mehrfachem Auflegen schließlich akzeptiert. Was ist falsch an meinen Zeigefingern? Ich finde das empörend.

Als vorsichtiger Mensch fand ich mich lange vor dem Termin im Stadthaus ein, man weiß ja nie, wie lange sowas dauert mit der Selbstbedienung. Abgesehen vom Zeigefingeraffront ging es jedoch ganz einfach und schnell. Ich hätte mir dennoch Zeit lassen können, laut Anzeige kam es bei der Bedienung zu Verzögerungen von anfangs sechzig, später dreißig Minuten, da statt der planmäßig fünfzehn Stadtbediensteten krankheitsbedingt heute nur fünf anwesend waren, wie gegen achtzehn Uhr ein freundlicher Mitarbeiter den noch Wartenden erklärte. Kurz darauf wurde meine Wartenummer angezeigt, der Rest ging dann schnell. Für sechsundsechzig Prozent Personalausfall finde ich eine halbstündige Wartezeit akzeptabel.

Finde den Fenler

Freitag: Nachmittags schloss ich die Bürofenster, weil draußen zwei Grünschnittexperten mit einer lärmenden Motorheckenschere eine Hecke frisierten und sich dabei ständig anschrieen. Ansonsten verlief der letzte Arbeitstag der Woche in angenehmer Unaufgeregtheit.

Mal wieder erhalte ich seit Tagen per Mail eine Benachrichtigung darüber, dass mir jemand in irgendeiner Teams-Gruppe eine Aufgabe zugewiesen hat. Leider verzichtete er bei der Erstellung auf eine nähere Beschreibung seines Begehrs. Seit Tagen bereitet es mir großes Vergnügen, diese Mail zu löschen.

Samstag: Mit Freunden fuhren wir ins Ahrtal, zunächst mit der Bahn und Schienenersatzverkehr, auch so ein wunderschönes Wort, das die deutsche Sprache ermöglicht, bis Bad Neuenahr, von dort zu Fuß weiter über den Rotweinwanderweg, ein nicht minder schönes Wort, bis Walporzheim zum örtlichen Weinfest. Aufgrund unglücklicher Kommunikation führte dieser spontan von einer einzelnen Person getroffene Wanderbeschluss zu Unmutsäußerungen innerhalb der Gruppe, die jedoch unmittelbar nach Ankunft in Walporzheim abgelöscht wurden und verstummten.

Hier werden Wurzelbehandlungen noch auf dem Amboss vorgenommen

Die gute Stimmung hielt sich im Bus auf der Rückfahrt. Während im vorderen Busteil Erbrochenes aufgewischt wurde, tönte hinten Musik aus einer von jungen Leuten mitgeführten Lärmbox; bei „Kölle Alaaf“ sangen fast alle mit. Als später „Africa“ von Toto spielte, fragte ich mich: Wenn Zwanzigjährige diese ungefähr vierzig Jahre alte Lied aus meiner Jugend spielen, ist das dann nicht auch so etwas wie kulturelle Aneignung?

Sonntag: Ein Weinfest gab es auch in der Bonner Innenstadt. Dort war ich mittags verabredet, wodurch der Spaziergang sehr kurz beziehungsweise ganz ausfiel. Ich gelobe baldige Besserung.

Per Mail wurde ich an meine aktive Teilnahme an der Lesung der TapetenPoeten am 5. September in Bonn-Beuel erinnert, als ob ich das vergessen könnte. So langsam sollte ich mal entscheiden, was ich dort vorlesen werde. Falls Sie am übernächsten Dienstagabend in Bonn sind und nichts besseres zu tun haben, kommen Sie gerne. Näheres hier.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche.

Woche 32/2022: Der kleine Hippolyt möchte aus dem Bälleparadies abgeholt werden

Montag: „Ich liebe den Sommer, weil die Leute schon morgens gut gelaunt sind“, sagte in der Frühe eine Frau im Radio. Was für Leute kennt die? Mich offenbar nicht.

Der Sommer macht mich eher nervös, nicht nur aus klimatischen, vielmehr aus optisch-hormonellen Gründen.

Tennissocken sind wieder im Trend

Schlechtlaunig erschienen mir abends auf der Rückfahrt vom Werk die Verkehrsteilnehmer; da war ein Drängen, Hupen und Schimpfen auf den Straßen wie selten. Ein wenig sprang das auf mich über: Als ich nach der Heimkehr zu Fuß Brötchen für das Abendessen holte, bereitete es mir diffuse Freude, Radfahrern, die mir regelwidrig in der Fußgängerzone begegneten, bewusst nicht auszuweichen; das unausgesprochene „A…loch“ in ihrem Blick nahm ich befriedigt zur Kenntnis. Ansonsten bin ich meistens ganz verträglich.

Dienstag: Olivia Newton-John ist tot, dreiundsiebzig ist sie geworden. Ihr größter Hit für mich war „Xanadu“, den sie 1980 mit dem Electric Light Orchestra in die Radios brachte. Der Ohrwurm des Tages spielte indes dieses, etwas älter, auch schön.

Mittags in der Kantine gab es rheinischen Döppekuchen, allerdings nicht für mich. Da ich aufgrund einer Besprechung etwas später zum Essen ging, konnte ich nur zusehen, wie die letzte Portion bereits um kurz nach zwölf an den Kollegen vor mir ausgegeben wurde, anscheinend hatte man die Beliebtheit des Gerichtes unterschätzt. Kann passieren, zumal ich die Kantine heute so voll erlebte wie zuletzt in Vorseuchenzeiten. „Döppekuchen ist wahrscheinlich aus, ich frage mal in der Küche nach“, beschied mir die freundliche Bedienung und verschwand. Während ihrer Abwesenheit bildete sich hinter mir eine Schlange weiterer Döppekuchenhungriger. Sie kehrte zurück mit einer dampfend gefüllten Wanne, doch ach: „Döppekuchen ist aus, es gibt jetzt Kartoffelauflauf.“ Das missfiel dem Kollegen hinter mir, er zog empört ab ob der vergeudeten Warteminute mit Worten ähnlich „Das müssen Sie doch besser kommunizieren“, die Antwort „Ja ja …“ der Servierdame wird er nicht mehr gehört haben. Der Kartoffelauflauf schmeckte vorzüglich.

Gelesen in einer Mitteilung: »Fange nie an, aufzuhören, und höre nie auf, anzufangen.« Du liebe Güte. Kennen Sie das, wenn man sich am liebsten einen Blecheimer über den Kopf stülpen und so lange mit einem hölzernen Kochlöffel dagegen schlagen möchte, bis es aufhört?

Mittwoch: Morgens erlosch, wie regelmäßig in letzter Zeit, im Bad das Licht, während ich den alten müden Leib für den Tag herzurichten mich mühte. Grund ist die moderne Haustechnik, die in wundersamer Weise mit dem Datengerät des Liebsten vernetzt ist. Sobald er das Haus verlassen und eine gewisse Distanz erreicht hat, gehen bei uns die Lichter aus. Früher gab es fest in der Wand installierte Lichtschalter, im Haus meiner Großeltern waren das Bakelitschalter mit so einem Drehdings in der Mitte, die bei Betätigung laut „klack“ machten, später einfache Drucktaster. Eines war allen gemeinsam: Wenn man drehte oder drückte, gingen diesen Schaltern fest zugewiesene Lampe an oder aus. Ein größeres Wunder war, wenn man eine Lampe über zwei Schalter an unterschiedlichen Stellen beliebig an- oder ausschalten konnte, das nannte man Wechselschaltung; in Physik war das mal Unterrichtsgegenstand, ich könnte heute nicht mehr erklären, wie das funktioniert. Jedenfalls funktionierte es zuverlässig.

Lichtschalter haben wir heute auch noch an den Wänden, die fast so laut „klack“ machen wie ihre Bakelitahnen, allerdings ist völlig rätselhaft, was sie auslösen und wer das entscheidet. Mal gehen auf Knopfdruck die Lampen in der Küche an, mal im Flur, ein anderes Mal wechseln sie nur den Farbton von grellweiß nach schummriggrün. Manchmal passiert nichts, dann schimpft der Geliebte und der Liebste ist stundenlang mit irgendwelchen Apps beschäftigt. Ohnehin werden bei uns nur noch selten Schalter gedrückt, stattdessen sagt einer „Hey Siri – im Wohnzimmer Lampen aus“ oder „Hey Siri – alle Lampen an“, daraufhin sagt eine devote Frauenstimme irgendwas und im günstigsten Fall wird der Befehl ausgeführt. Manchmal auch nicht, dann sagt sie so etwas wie „Ich kann die Lampe im Bad nicht finden“ oder sowas, woraufhin wieder der eine schimpft und der andere sich den Apps widmet. Manchmal bin ich dessen schrecklich müde und wünsche mir die alten Klackschalter von Oma zurück. Bei Manufactum gibt es die noch, allerdings werden die sich wohl nicht mit des Liebsten Datengerät und Siri verstehen.

Donnerstag: Wie jeden Donnerstag ging ich zu Fuß ins Werk, davon hält mich auch Sommerglut nicht ab. Erstaunlich, wie viele Läufer auch bei solcher Hitze noch laufen. Warum tun die das? Weder macht es Spaß, noch ist es gesund. Aber das trifft auf vieles zu, was Menschen tun.

Auch sah ich Fahrradfahrer mit freiem Oberkörper. In hormoneller Hinsicht unbedenklich – meist sind ja diejenigen am wenigsten bekleidet, von denen man lieber weniger sehen würde.

Abends waren wir im Biergarten, von wo aus wir dem Mond beim Aufgehen zuschauten.

Leider verschwand er sogleich wieder hinter einer Wolke.

Freitag: Morgens im Radio: „Sei mein kleiner Säugling“ – einer der zahlreichen Liedtexte, die nur in Englisch möglich sind.

Etwas tiefsinniger klingt „Kein Grund zu bleiben ist der beste Grund zu gehen“, gesungen von Roland Kaiser, lautstark mitgesungen vom Geliebten. Es wird wohl nichts zu bedeuten haben.

Ich war beim Friseur. Einem spontanen Beschluss folgend ließ ich die Haare sommerlich kurz schneiden und bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden, auch wenn aufgrund einer gewissen altersbedingten Spärlichkeit je nach Lichtfall die Kopfhaut nun deutlicher zutage tritt.

Schwarz-weiß ist gnädig

Gelesen und notiert:

… man kann, dachte Frank, jemanden sympathisch finden und sich dennoch wünschen, dass er mal eine Weile wegbleibt.

Sven Regner / „Glitterschnitter“

Samstag: Aus nicht näher darzulegenden und im Übrigen nicht völlig nachvollziehbaren Gründen fiel ich letzte Nacht aus dem Bett; vorangegangener Alkoholgenuss kann als alleinige Ursache weitgehend ausgeschlossen werden. Ja, der Vorabend endete, wie die meisten Freitage, in der Weinbar des Vertrauens, doch hielt sich der Verzehr im Rahmen, soweit ich mich erinnere. Folgen des Bettsturzes sind eine nur leichte Schramme am linken Unterarm sowie, gravierender, eine Wunde am rechten Ellenbogen, die recht ordentlich blutete, ziemlich genau an der Stelle, mit der man gerne mal irgendwo anstößt, was sich nun jedes Mal mit einem „Aaaa-ja“ schmerzhaft bemerkbar macht.

Nachmittags fuhren der Liebste und ich nach Mayschoß im Ahrtal, wo die Zerstörungen nach der Flut im vergangenen Jahr noch allgegenwärtig sind. Während wir in Rech vor einer Baustellenampel warteten, blickten wir links auf die halb weggerissene Nepomukbrücke, die nun der berühmten Brücke von Avignon ähnlich mitten im Fuss endet, dahinter Häuser in unterschiedlichen Beschädigungs- und Wiederaufbaugraden sowie freie Flächen, wo einst Häuser standen. Auf der rechten Seite dagegen eine gut besuchte Schankwirtschaft, wo sich fröhliche Leute auf der Terrasse den Wein schmecken ließen. Das ist gut, das Leben muss weitergehen, auch wenn es im Ahrtal es wohl noch lange dauern wird, bis die Spuren der Katastrophe beseitigt sind. Wenn nicht vorher die nächste „Jahrhundertflut“ durch das Tal tobt. Davon heute keine Spur: Die Ahr war nicht viel mehr als ein friedlicher Bach, in dem Graureiher ihrem Tagwerk nachgingen, an menschliche Schicksalen ohnehin uninteressiert. Zweck unseres Ausflugs war übrigens der Besuch eines Weingutes, wo uns der gut gelaunte Winzer einiges probieren ließ, anschließend fanden mehrere Kartons den Weg in den Kofferraum. Das Leben muss weitergehen, auch mit vorübergehend lädiertem Ellenbogen.

Namenstag haben heute: Pontianus, Kassian, Hippolyt, Ludolf und Wigbert. „Der kleine Hippolyt möchte aus dem Bälleparadies abgeholt werden.“ (Oder die? Das?)

Sonntag: Auch der Rhein ist zurzeit weit entfernt von einer Jahrhundertflut, aber das wissen Sie als medienkompetenter Mensch wahrscheinlich längst.

Noch fahren Schiffe.

In der aktuellen PSYCHOLOGIE HEUTE fand ich übrigens das schöne Wort „Pornografiekompetenz“. Habe ich.

Anscheinend gibt es in Bonn eine Initiative zur Unsichtbarmachung von Stomkästen, mit sehenswerten Ergebnisse:

Kleine Anekdote am Rande: Keineswegs unsichtbar und auch nicht unsachgemäß abgestellt war der Elektroroller, über den ich nach Fertigen des letzten Bildes stolperte, woraufhin ich mich gründlich auf die Klappe legte. Immerhin nicht auf den bereits verwundeten Ellenbogen, dafür schlug ich mir beide Knie blutig wie ein Fünfjähriger beim Rollschuhlaufen. Also erstmal keine längeren Spaziergänge mehr.

Ansonsten gesehen:

Ich weiß ja nicht.

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Ich wünsche Ihnen (und mir) eine angenehme Woche ohne Stürze aller Art.

Woche 28/2021: Dieses Mal hatten wir Glück

Montag: Am Beginn der neuen Arbeitswoche war nicht allzu viel auszusetzen – Umfang und Dringlichkeit der anstehenden Aufgaben waren in etwa deckungsgleich mit meiner Motivation.

Mittags gabs was Fleischloses und einen Spaziergang durch den Rheinauenpark, wo jemand noch auf sein Mittagsmahl lauerte.

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https://twitter.com/zaasten/status/1414529045925072896?s=21

Dienstag: Tief Bernd ist da, die Wetterdienste warnten den Westen vor heftigem Dauerregen mindestens bis Donnerstag. Daher schien es mir angezeigt, das Fahrrad Fahrrad sein zu lassen und nach Monaten mal wieder mit der Bahn ins Werk zu fahren. In der Tat hatte es am frühen Morgen stark geregnet; als ich das Haus verließ, fielen indes nur wenige Resttropfen auf den Schirm. Die Bahn war pünktlich und nicht allzu voll besetzt, alle außer mir waren mit ihren Datengeräten beschäftigt. Nächster Halt: Hauptbahnhof. Auf dem Nebengleis stand ein Zug derselben Linie in dieselbe Richtung, vielleicht war ich der einzige, dem das auffiel, da alle anderen, siehe oben, mit ihren Geräten beschäftigt waren. So standen wir eine Weile nebeneinander und warteten. Irgendwann bellte der Fahrer in unseren Wagen: „Endstation, aussteigen!“ – leider erst, nachdem der leidgeprüfte Pendler zuschauen konnte, wie der Ersatzzug auf dem Nebengleis abfuhr. Niemand meckerte, vielmehr glaubte ich, hinter den Masken so etwas wie Resignation auszumachen.

Der angekündigte Regen blieb übrigens tagsüber weitgehend aus, jedenfalls hier in Bonn. Erst am späteren Abend, da ich diese Zeilen notierte, hatte Bernd den Hahn wieder ordentlich aufgedreht und die Aussicht auf eine weitere, möglicherweise störungsfreiere Bahnfahrt morgen genährt.

Mittwoch: Nachdem es am Morgen zunächst nur leicht tröpfelte, nahm ich doch das Fahrrad, um ins Werk zu gelangen. Das war ein Fehler – bereits nach wenigen hundert Metern erwachte Bernd und ergoss sich bis zum Abend, was er gestern aufgespart hatte. Zurück dann doch mit der Bahn, mit trockenem Sitzplatz und ohne besondere Vorkommnisse.

Aus der wöchentlichen Kolumne von Kurt Kister:

„Ob er [Elton John] tatsächlich auftritt, wissen natürlich nur die Götter, respektive jene Mächte, die Corona geschickt haben und möglicherweise schon jetzt die vierte (oder ist es die fünfte?) Welle vorbereiten. Boris Johnson gehört mutmaßlich zu diesen Mächten. Überhaupt sollte man mal untersuchen, ob Johnson nicht einem Labor in Wuhan entstammt.“

Donnerstag: Am Morgen nach Bernd führte der Rhein nicht nur Hochwasser, sondern auch große Mengen Treibholz und anders Zeugs mit sich, wie ich es niemals zuvor gesehen hatte. „Stundenlange Regenfälle, die zum späten Nachmittag hin immer stärker wurden, haben in Bonn und der Region zu schwierigen Situationen geführt“, hatte ich zuvor beim ersten Morgenkaffee im General-Anzeiger gelesen.

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Mittags schien schon wieder die Sonne und die Welt, bis auf den üblichen Wahnsinn, einigermaßen in Ordnung. Als in Medienkonsumgewohnheiten eher traditionell veranlagter Mensch, der Nachrichten überwiegend auf klassische Weise aus der Zeitung und dem Fernsehen erfährt, hatte ich tagsüber nicht mitbekommen, welche Katastrophe sich hinter den „schwierigen Situationen“ verbirgt. Erst durch die Fernsehbilder und Meldungen am Abend von den Zerstörungen, Toten, Verletzten und Vermissten im Ahrtal, im Kreis Euskirchen, im Rhein-Erft-Kreis und anderswo nicht weit von Bonn entfernt weiß ich: Bonn hat riesiges Glück gehabt.

Freitag: Noch immer bin ich fassungslos von den Ereignissen in der näheren Umgebung. Dieses Mal hatten wir Glück. Schon beim nächsten Mal trifft es vielleicht uns mit voller Wucht. Eine der zahlreichen Fragen, auf die ich keine Antwort weiß, lautet: Was würde ich tun, wenn wir durch eine solche Katastrophe alles verlören? Ich weiß nur, was nicht: mich vor den Trümmern unseres Hauses von einem Reporter befragen lassen, weil ich fürchte, komplett auszurasten, wenn er mich fragt „Was macht das mit Ihnen?“

Samstag: Der Bundes- und der Ministerpräsident besuchten das besonders hart getroffene Erftstadt-Blessem, um sich ein Bild von der Lage zu machen und warme Worte zu spenden. Gestern las ich beim SPIEGEL, auch Horst Seehofer habe der Region seinen Besuch angedroht. Als wäre das alles nicht auch so schon schlimm genug.

Sonntag: Während ich mich sonntäglicher Muße hingebe, erinnern die Stadt überfliegende Hubschrauber daran, dass im Ahrtal noch immer Vermisste gesucht und hoffentlich gerettet werden.

In diesem Zusammenhang ist immer noch von „Jahrhundertflut“ zu hören und lesen. Die diesem Wort innewohnende Hoffnung, für die nächsten hundert Jahre von solchen Ereignissen verschont zu bleiben, erscheint ein bisschen naiv.

Trotz allem wünsche ich Ihnen eine angenehme neue Woche und, sollten Sie von den Ereignissen selbst betroffen sein, viel Kraft und alles Gute!

Woche 21: Sommer, Wein und Abgründe

Montag: Gilt „Moinsen“ am Montagmorgen eigentlich als hinreichender Grund, eine Telefonkonferenz grußlos zu verlassen? – Summer in the city mit allen optischen und akustischen Begleiterscheinungen, wie der Singstarkrähe von gegenüber. Es ist nicht eindeutig zu erkennen, ob sie übt oder ihr ein schwerer Gegenstand auf den Fuß gefallen ist.

Dienstag: Obwohl ich am Vorabend aus Gründen des Mitredenkönnens einen Blick in besonders tiefe Abgründe menschlichen Daseins wagte, indem ich mir auf RTL II Naked Attraction ansah, schlief ich vergangene Nacht ganz gut, wobei ich nicht mit Sicherheit sagen kann, was mich an der Sendung mehr entsetzte: zu sehen, wie weit Menschen für Geld gehen, oder die auffallende Unattraktivität des dargebotenen metallgespickten und großflächig tätowierten Fleisches.

Mittwoch: Andererseits – vielleicht ist Naked Attraction ja auch Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels, an dessen Ende Nacktheit nicht mehr mit „igitt“ und „kuck mal“ verbunden ist, und jede(r) sich so zeigen kann wie er/sie ist, auch wenn es nicht dem gemeingültigen Schönheitsideal entspricht. Das wäre wohl nicht das schlechteste. Dennoch sehe ich mich nicht veranlasst, die Sendung noch einmal anzusehen.

Donnerstag: Auch am sogenannten Vatertag sollte es selbst in intimster Partnerschaft eine Selbstverständlichkeit sein, sich der Darmentleerung nur hinter geschlossener Toilettentür hinzugeben.

Freitag: Wie ich hörte, soll zur Vermeidung von Getränketransporten eine Bier-Pipeline zum Festgelände von Wacken gelegt werden. Seitdem träume ich von einer Rosé-Leitung, welche die südliche Côte-du-Rhône mit unserer Küche verbindet.

Samstag: Da der Wein mangels Leitung vorläufig nicht zu uns kommt, müssen wir uns zum Wein begeben, genauer: ins Ahrtal.

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Sonntag: Wie ich heute lernte, werden Menschen, die Sex mit Bäumen haben, Dentrophile genannt. Ob es auch eine Bezeichnung gibt für Leute, die zur Kopulation mit dem amerikanischen Präsidenten bereit sind, entzieht sich meiner Kenntnis.

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