Montag: „Ich liebe den Sommer, weil die Leute schon morgens gut gelaunt sind“, sagte in der Frühe eine Frau im Radio. Was für Leute kennt die? Mich offenbar nicht.
Der Sommer macht mich eher nervös, nicht nur aus klimatischen, vielmehr aus optisch-hormonellen Gründen.

Schlechtlaunig erschienen mir abends auf der Rückfahrt vom Werk die Verkehrsteilnehmer; da war ein Drängen, Hupen und Schimpfen auf den Straßen wie selten. Ein wenig sprang das auf mich über: Als ich nach der Heimkehr zu Fuß Brötchen für das Abendessen holte, bereitete es mir diffuse Freude, Radfahrern, die mir regelwidrig in der Fußgängerzone begegneten, bewusst nicht auszuweichen; das unausgesprochene „A…loch“ in ihrem Blick nahm ich befriedigt zur Kenntnis. Ansonsten bin ich meistens ganz verträglich.
Dienstag: Olivia Newton-John ist tot, dreiundsiebzig ist sie geworden. Ihr größter Hit für mich war „Xanadu“, den sie 1980 mit dem Electric Light Orchestra in die Radios brachte. Der Ohrwurm des Tages spielte indes dieses, etwas älter, auch schön.
Mittags in der Kantine gab es rheinischen Döppekuchen, allerdings nicht für mich. Da ich aufgrund einer Besprechung etwas später zum Essen ging, konnte ich nur zusehen, wie die letzte Portion bereits um kurz nach zwölf an den Kollegen vor mir ausgegeben wurde, anscheinend hatte man die Beliebtheit des Gerichtes unterschätzt. Kann passieren, zumal ich die Kantine heute so voll erlebte wie zuletzt in Vorseuchenzeiten. „Döppekuchen ist wahrscheinlich aus, ich frage mal in der Küche nach“, beschied mir die freundliche Bedienung und verschwand. Während ihrer Abwesenheit bildete sich hinter mir eine Schlange weiterer Döppekuchenhungriger. Sie kehrte zurück mit einer dampfend gefüllten Wanne, doch ach: „Döppekuchen ist aus, es gibt jetzt Kartoffelauflauf.“ Das missfiel dem Kollegen hinter mir, er zog empört ab ob der vergeudeten Warteminute mit Worten ähnlich „Das müssen Sie doch besser kommunizieren“, die Antwort „Ja ja …“ der Servierdame wird er nicht mehr gehört haben. Der Kartoffelauflauf schmeckte vorzüglich.
Gelesen in einer Mitteilung: »Fange nie an, aufzuhören, und höre nie auf, anzufangen.« Du liebe Güte. Kennen Sie das, wenn man sich am liebsten einen Blecheimer über den Kopf stülpen und so lange mit einem hölzernen Kochlöffel dagegen schlagen möchte, bis es aufhört?
Mittwoch: Morgens erlosch, wie regelmäßig in letzter Zeit, im Bad das Licht, während ich den alten müden Leib für den Tag herzurichten mich mühte. Grund ist die moderne Haustechnik, die in wundersamer Weise mit dem Datengerät des Liebsten vernetzt ist. Sobald er das Haus verlassen und eine gewisse Distanz erreicht hat, gehen bei uns die Lichter aus. Früher gab es fest in der Wand installierte Lichtschalter, im Haus meiner Großeltern waren das Bakelitschalter mit so einem Drehdings in der Mitte, die bei Betätigung laut „klack“ machten, später einfache Drucktaster. Eines war allen gemeinsam: Wenn man drehte oder drückte, gingen diesen Schaltern fest zugewiesene Lampe an oder aus. Ein größeres Wunder war, wenn man eine Lampe über zwei Schalter an unterschiedlichen Stellen beliebig an- oder ausschalten konnte, das nannte man Wechselschaltung; in Physik war das mal Unterrichtsgegenstand, ich könnte heute nicht mehr erklären, wie das funktioniert. Jedenfalls funktionierte es zuverlässig.
Lichtschalter haben wir heute auch noch an den Wänden, die fast so laut „klack“ machen wie ihre Bakelitahnen, allerdings ist völlig rätselhaft, was sie auslösen und wer das entscheidet. Mal gehen auf Knopfdruck die Lampen in der Küche an, mal im Flur, ein anderes Mal wechseln sie nur den Farbton von grellweiß nach schummriggrün. Manchmal passiert nichts, dann schimpft der Geliebte und der Liebste ist stundenlang mit irgendwelchen Apps beschäftigt. Ohnehin werden bei uns nur noch selten Schalter gedrückt, stattdessen sagt einer „Hey Siri – im Wohnzimmer Lampen aus“ oder „Hey Siri – alle Lampen an“, daraufhin sagt eine devote Frauenstimme irgendwas und im günstigsten Fall wird der Befehl ausgeführt. Manchmal auch nicht, dann sagt sie so etwas wie „Ich kann die Lampe im Bad nicht finden“ oder sowas, woraufhin wieder der eine schimpft und der andere sich den Apps widmet. Manchmal bin ich dessen schrecklich müde und wünsche mir die alten Klackschalter von Oma zurück. Bei Manufactum gibt es die noch, allerdings werden die sich wohl nicht mit des Liebsten Datengerät und Siri verstehen.
Donnerstag: Wie jeden Donnerstag ging ich zu Fuß ins Werk, davon hält mich auch Sommerglut nicht ab. Erstaunlich, wie viele Läufer auch bei solcher Hitze noch laufen. Warum tun die das? Weder macht es Spaß, noch ist es gesund. Aber das trifft auf vieles zu, was Menschen tun.
Auch sah ich Fahrradfahrer mit freiem Oberkörper. In hormoneller Hinsicht unbedenklich – meist sind ja diejenigen am wenigsten bekleidet, von denen man lieber weniger sehen würde.
Abends waren wir im Biergarten, von wo aus wir dem Mond beim Aufgehen zuschauten.

Freitag: Morgens im Radio: „Sei mein kleiner Säugling“ – einer der zahlreichen Liedtexte, die nur in Englisch möglich sind.
Etwas tiefsinniger klingt „Kein Grund zu bleiben ist der beste Grund zu gehen“, gesungen von Roland Kaiser, lautstark mitgesungen vom Geliebten. Es wird wohl nichts zu bedeuten haben.
Ich war beim Friseur. Einem spontanen Beschluss folgend ließ ich die Haare sommerlich kurz schneiden und bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden, auch wenn aufgrund einer gewissen altersbedingten Spärlichkeit je nach Lichtfall die Kopfhaut nun deutlicher zutage tritt.

Gelesen und notiert:
… man kann, dachte Frank, jemanden sympathisch finden und sich dennoch wünschen, dass er mal eine Weile wegbleibt.
Sven Regner / „Glitterschnitter“
Samstag: Aus nicht näher darzulegenden und im Übrigen nicht völlig nachvollziehbaren Gründen fiel ich letzte Nacht aus dem Bett; vorangegangener Alkoholgenuss kann als alleinige Ursache weitgehend ausgeschlossen werden. Ja, der Vorabend endete, wie die meisten Freitage, in der Weinbar des Vertrauens, doch hielt sich der Verzehr im Rahmen, soweit ich mich erinnere. Folgen des Bettsturzes sind eine nur leichte Schramme am linken Unterarm sowie, gravierender, eine Wunde am rechten Ellenbogen, die recht ordentlich blutete, ziemlich genau an der Stelle, mit der man gerne mal irgendwo anstößt, was sich nun jedes Mal mit einem „Aaaa-ja“ schmerzhaft bemerkbar macht.
Nachmittags fuhren der Liebste und ich nach Mayschoß im Ahrtal, wo die Zerstörungen nach der Flut im vergangenen Jahr noch allgegenwärtig sind. Während wir in Rech vor einer Baustellenampel warteten, blickten wir links auf die halb weggerissene Nepomukbrücke, die nun der berühmten Brücke von Avignon ähnlich mitten im Fuss endet, dahinter Häuser in unterschiedlichen Beschädigungs- und Wiederaufbaugraden sowie freie Flächen, wo einst Häuser standen. Auf der rechten Seite dagegen eine gut besuchte Schankwirtschaft, wo sich fröhliche Leute auf der Terrasse den Wein schmecken ließen. Das ist gut, das Leben muss weitergehen, auch wenn es im Ahrtal es wohl noch lange dauern wird, bis die Spuren der Katastrophe beseitigt sind. Wenn nicht vorher die nächste „Jahrhundertflut“ durch das Tal tobt. Davon heute keine Spur: Die Ahr war nicht viel mehr als ein friedlicher Bach, in dem Graureiher ihrem Tagwerk nachgingen, an menschliche Schicksalen ohnehin uninteressiert. Zweck unseres Ausflugs war übrigens der Besuch eines Weingutes, wo uns der gut gelaunte Winzer einiges probieren ließ, anschließend fanden mehrere Kartons den Weg in den Kofferraum. Das Leben muss weitergehen, auch mit vorübergehend lädiertem Ellenbogen.
Namenstag haben heute: Pontianus, Kassian, Hippolyt, Ludolf und Wigbert. „Der kleine Hippolyt möchte aus dem Bälleparadies abgeholt werden.“ (Oder die? Das?)
Sonntag: Auch der Rhein ist zurzeit weit entfernt von einer Jahrhundertflut, aber das wissen Sie als medienkompetenter Mensch wahrscheinlich längst.


In der aktuellen PSYCHOLOGIE HEUTE fand ich übrigens das schöne Wort „Pornografiekompetenz“. Habe ich.
Anscheinend gibt es in Bonn eine Initiative zur Unsichtbarmachung von Stomkästen, mit sehenswerten Ergebnisse:





Kleine Anekdote am Rande: Keineswegs unsichtbar und auch nicht unsachgemäß abgestellt war der Elektroroller, über den ich nach Fertigen des letzten Bildes stolperte, woraufhin ich mich gründlich auf die Klappe legte. Immerhin nicht auf den bereits verwundeten Ellenbogen, dafür schlug ich mir beide Knie blutig wie ein Fünfjähriger beim Rollschuhlaufen. Also erstmal keine längeren Spaziergänge mehr.
Ansonsten gesehen:


***
Ich wünsche Ihnen (und mir) eine angenehme Woche ohne Stürze aller Art.
,,Döppekuchen“ kannte ich bisher noch nicht (komme ja auch aus Westfalen und nicht aus dem Rheinland). Den werde ich in den nächsten Tagen mal kochen.
Danke für den Hinweis!
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„Fange nie an, aufzuhören, und höre nie auf, anzufangen.« Du liebe Güte. Kennen Sie das, wenn man sich am liebsten einen Blecheimer über den Kopf stülpen und so lange mit einem hölzernen Kochlöffel dagegen schlagen möchte, bis es aufhört?“
Ja, das kenne ich gut. Den Blecheimer würde ich aber noch lieber denen verordnen, die sich derlei Motivationssprüche (?) an die Zimmerwand/auf den Bildschirm transferieren. Oder sonstwohin.
Überhaupt gelange ich langsam zu der Erkenntnis, dass wir sehr viel – leider vor allem eine negative Einstellung zum „Zeitgeist“ – gemeinsam haben. Falschfahrys nicht ausweichen? In die Hände klatschen, wenn entgegenkommende Fußgängys einfach nicht vom Handy aufblicken? Mit den Augen rollen, wenn Leute Begriffe aus der Liste des Grauens verwenden? „Kommunizieren“ ist ja schon drauf, sonst hätte ich es vorgeschlagen.
Grund wird sein, dass wir der Generation der in den 50er/60er-Jahren Geborenen (nein, ich schreibe das geläufige und abgegriffene Wort B… nicht aus) angehören. Es setzt ein leichter Überdruss ein.
Auf die Lektüre Ihres Blogs freue ich mich aber jeden Montag. Noch deprimiert er mich nur vorübergehend. Viel Kraft wünsche ich Ihnen übrigens für das Zusammenleben mit den technikaffinen (und damit überaus unkritischen) Liebsten. Das wird in Zukunft nicht besser werden.
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