Woche 5: Eher geringfügig

KW5 - 1 (1)

Montag: Bei der Kaffeebereitung am Morgen versäumte ich mal wieder, in die Nespressomaschine eine frische Kapsel einzulegen. Das ist zwar gut für die Umwelt, dem Aroma hingegen wenig zuträglich. Ja ich weiß, Nespresso ist schlecht, von wegen Umweltsau und so. Und jetzt kommen Sie mir bitte nicht mit „denk an Greta“ oder einem ähnlich originellen Satz.

„Verkauf nicht dein Leben“, hat jemand an den Zugang zur Stadtbahn gesprüht, womit das Schicksal des Berufstätigen schon am frühen Morgen in erschreckend prägnanter Weise auf den Punkt gebracht ist. Ähnlich prägnant, wenn auch in gröberen Lettern, schreit den zum Werke Gefahrenen „KEIN BOCK AUF ARBEIT“ von der Tunnelwand aus an, gelesen, als die Bahn vor einem Halt zeigenden Signal stand. Vorstehendes gleichsam ergänzend wird der große Chef im Intranet zitiert: „Menschen brauchen Sinnhaftigkeit.“ Wer wollte das bezweifeln. Das waren dann aber auch genug Sinnsprüche für einen Montag.

Dienstag: Im Radio moderiert Jan-Malte Andresen. Ein schöner Name, wie ich finde. Wenn ich ihn höre, stelle ich mir Mutter Andresen vor, wie sie früher, als er noch klein war, rief: „Jan-Malte, räum endlich dein Zimmer auf!“ Seine Freunde und sein Partner (m/w/d) nennen ihn „Janni“. Nur wenn er mal wieder seinen knüsseligen Schlüpfer achtlos neben der Dusche liegen gelassen hat, dann heißt es: „Jan-Malte, ist das wirklich so schwierig?“ Zugegeben: Das alles ist meiner Phantasie entsprungen, ich kenne den Mann ja gar nicht. Woher soll ich etwa wissen, ob er Schlüpfer trägt. Hätte die Natur für mich einen Kinderwunsch vorgesehen und mich dazu mit einem Sohn ausgestattet, würde ich ihn vermutlich nicht Jan-Malte nennen. Dafür vielleicht Hector-Pascal, nur damit ich sagen kann, wenn er ungezogen ist: „Hector-Pascal, hör jetzt, sonst gibts Druck!“

Mittwoch: Projekt-Tagung in Bad Breisig. Selten sah ich so viel Powerpoint mit überflüssigen Bildchen und zu viel Text in viel zu kleiner Schrift. Doch blieb der Erkenntnisgewinn nicht ganz aus, etwa diese: „Ich kann den Braten erst teilen, wenn er auf dem Teller liegt“, hörte ich in einem Vortrag. Dafür hat sich die Anreise schon gelohnt.

„Damit bin ich fein.“ Warum sagen Menschen solche Sätze? Klar, weil sie das irgendwo gehört haben und gedankenlos nachplappern. Aber wer hat damit angefangen?

Abends während der Bahnfahrt nach Köln schrieb ich in mein Notizbuch, warum, oder eher: inwiefern ich eine Umweltsau bin, und warum/inwiefern nicht. Dazu hier demnächst mehr.

Donnerstag: Morgens auf dem Weg zum Werk ging vor mir eine Dame, die so sehr mit ihrem Datengerät beschäftigt war, dass sie beinahe über einen im Weg stehenden Elektroroller gestolpert wäre. So gerne es mir leid tut – ein schäbiges Lachen hätte ich im Fall des Falles wohl kaum unterdrücken können.

Freitag: Morgens erzählte mir der Geliebte von seinem Traum der vergangenen Nacht: „Wir haben dich weggetragen, du warst ganz hart. Auf dem Tisch in der Küche stand hinterher Champagner.“ Ich bin seitdem etwas in Sorge.

Der am Montag zitierte Schriftzug an der Stadtbahnhaltestelle wurde mittlerweile ergänzt um „sondern erlebe deinen Verkauf“. Mal sehen, ob da noch mehr kommt, Platz wäre vorhanden. Ich halte Sie auf dem Laufenden.

In einer Besprechung zum Thema Datengeräte spricht einer von einem „unmotivierten Warmstart“. Kenne ich, jeden Montag aufs Neue.

Samstag: „Der Ex und der Sex – Wie die beiden Päpste aneinandergerieten“, steht auf der Titelseite des SPIEGEL. Gell, da kommen verstörende Bilder auf.

Sonntag: In der Debatte um die mögliche Abschaffung von Ein- und Zweicent-Münzen bezeichnet der FDP-Politiker Otto Fricke laut FAS Bargeld als „geprägte Freiheit für den Einzelnen und gesellschaftlicher Kitt im Zwischenmenschlichen“. Gewissermaßen die liberal aufgeschäumte Variante dessen, was schon die Oma sagte: „Wer den Pfennig nicht ehrt …“ – Sie wissen schon.

Eher geringfügig war auch unser Auftritt bei der Karnevals-Massenveranstaltung „Bonn steht Kopp“.

KW5 - 1 (2)

Man muss es schon gerne machen, um eine halbe Stunde für An- und Abfahrt und eine Dreiviertelstunde Wartezeit in einem positiven Verhältnis zu sehen gegenüber drei Minuten Auftritt. Aber was treibt man doch oft für einen Riesenaufwand, um ein paar Minuten Spaß zu haben, nicht wahr.

KW5 - 1 (3)

Woche 1: Das neue Jahr zieht sich

KW1 - 1

Montag: Laut Zeitung haben heute Leute Namenstag, die Sabinus heißen. Sabinus. Denken die sich so etwas wohl aus?

Einen eher ungewöhnlichen Namen hat auch der Hund, dessen Besitzer ich auf dem Rückweg vom Werk nach ihm rufen hörte: Bonsai. Es war kein besonders kleiner Hund, auch kein großer, woraus man immerhin auf eine ironische Ader des Namensgebers hätte schließen können, so wie wenn ein Dackel oder Chihuahua (zugegeben, ich musste recherchieren, wie man das schreibt) auf den Namen „Amboss“ hört. Es war so ein mittelgroßes Tier, als Braten für vielleicht vier bis fünf Personen.

Eher klein waren auch die Mädchen, die für den WDR eine umgetextete, leicht gesellschaftskritische Fassung des alten Kinderliedes „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ sangen. Riesig dagegen der daraus folgende Skandal und die Empörung derjenigen, die sich ertappt fühlen, was den WDR zu einer reumütigen Entschuldigung veranlasste. Schade, mir gefällt es:

Hier noch einmal zum Mitlesen, für alle, die wie ich Schwierigkeiten haben, gesungene Liedtexte zu verstehen:

Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorad, Motorad, Motorad. / Das sind tausend Liter Super jeden Monat, meine Oma ist ne alte Umweltsau.

Meine Oma sagt, Motoradfahren ist voll cool, echt voll cool, echt voll cool. / Sie benutzt das Ding im Altersheim als Rollstuhl, meine Oma ist ne alte Umweltsau.

Meine Oma fährt im SUV beim Arzt vor, beim Arzt vor, beim Arzt vor. / Sie überfährt dabei zwei Opis mit Rollator, meine Oma ist ne alte Umweltsau.

Meine Oma brät sich jeden Tag ein Kotelett, ein Kotelett, ein Kotelett. / Weil Discounterfleisch so gut wie gar nichts kostet, meine Oma ist ne alte Umweltsau.

Meine Oma fliegt nicht mehr, sie ist geläutert, geläutert, geläutert. / Stattdessen macht sie jetzt zehnmal im Jahr ne Kreuzfahrt, meine Oma ist doch keine Umweltsau.

Noch einmal zurück zum Thema Namen, jedoch weder Mensch noch Tier, sondern Bundesländer betreffend. Eine eher weniger weltbewegende Frage, die mir in schlafloser Nachtstunde einfiel, woher auch immer sie mir in den Sinn kam: Warum gibt es Nieder-, jedoch nicht Obersachsen, jedenfalls nicht als eigenes Land? Warum Sachsen-Anhalt, jedoch nicht Sachsen-Losfahr?

Apropos Niedersachsen: Nachdem tagsüber das Sturmtief „Christian“ über den Bahnhof des fiktiven südniedersächsischen Ortes Barlingerode hinweggezogen war, folgte abends ein Donnerwetter. Die Sach- und Personenschäden blieben dank frühzeitig eingeleiteter Bergungsmaßnahmen zum Glück gering, nur die atmosphärischen Störungen hielten noch etwas an. Und wieder bestätigt sich: Gut gemeint ist das genaue Gegenteil von gut. (Das können und müssen Sie jetzt nicht verstehen.)

KW1 - 1 (7)

Dienstag: Gut gemeint ist es sicher auch, Silvestergrüße in diverse WhatsApp-Gruppen zu schicken, womöglich garniert mit lustigen Bildern und Filmchen. Dummerweise fühlt sich daraufhin mindestens jedes zweite Gruppenmitglied animiert, angemessen zu antworten, was je nach Gruppengröße schon nach kurzer Zeit sehr anstrengend für alle Teilnehmer werden kann. Wenn man mehreren Gruppen angehört, kann es zudem passieren, dasselbe Filmchen mehrmals zugesandt zu bekommen. Zum Glück bietet WhatsApp die Möglichkeit der vorübergehenden Stummschaltung, wovon ich heute dreimal Gebrauch machte, danach herrschte wieder Stille auf meinem Datengerät. Im Übrigen schaue ich mir zugesandte Filmchen grundsätzlich niemals an.

Mittwoch: Wir können uns glücklich schätzen, in einem Land zu leben, in dem es auch im Jahre 2020 für alle Bedürfnisse entsprechende Fachgeschäfte gibt, denen der zunehmende Onlinehandel bislang wenig anhaben kann.

KW1 - 1 (1)

Die Diskussion darüber, ob mit 2020 das neue Jahrzehnt beginnt oder erst 2021, erscheint mir besserwisserisch-überflüssig. Für mich beginnen heute die Zwanziger. Ob sie wild, golden oder sonstwie werden, wird man sehen. Auf jeden Fall wird es hier voraussichtlich weiterhin genug zu notieren geben, denn der Wahnsinn des Alltags geht weiter, soviel ist sicher.

Zum Jahreswechsel schrieb ich heute ganz viel in mein Tagebuch, unter anderem folgendes, das mir – bei aller Bescheidenheit – so gut gefällt, dass ich es auch Ihnen zur Kenntnis zu geben mir erlaube:

KW1 - 1 (4)

Frohes neues Jahr!

KW1 - 1 (2)

Donnerstag: Der erste Achtstunden-Arbeitstag seit längerem. Erkenntnis: Das neue Jahr zieht sich.

Freitag: In der Kantine saß Geschäftsbereichsleiter H mit all seinen Freunden. (Bitte stellen Sie sich hier ein Bild vor, das eine Person zeigt, die alleine an einem Tisch sitzt und während des Verzehrs einer Kohlroulade mit dem Datengerät beschäftigt ist.)

Auf dem Heimweg vom Werk sah ich erste Magnolienknospen und dachte: Ihr seid ganz schön mutig.

Samstag: »Weil es im­mer we­ni­ger op­ti­mie­rungs­freie Zo­nen gibt, fehlt Men­schen das für eine ge­sun­de Psy­che not­wen­di­ge Ge­gen­ge­wicht: das Ge­fühl, dass et­was ein­fach so sein darf, wie es ist.« (Der Psychiater Klaus Lieb im SPIEGEL)

Nichts zu optimieren, allenfalls zu kaschieren, gibt es beim Alter. In einem Monat habe ich übrigens Geburtstag, nur damit Sie sich schon mal Gedanken über ein Geschenk machen können.

Sonntag: Stark zu optimieren wäre die Bebauung am Gallierweg im Bonner Norden, wie ich beim Sonntagsspaziergang feststellte. Die Häuser dort sind nicht nur, jedes auf seine Art, auffallend hässlich, sie passen auch überhaupt nicht zueinander. Als hätte man einem Schimpansenbaby einen Faller-Katalog und einen Stempel ausgehändigt, und jedes Häuschen, das das Äffchen bestempelt hat, hätte man anschließend zusammengebaut und in wahlloser Reihenfolge hintereinander aufgestellt. Komisch, darüber regt sich niemand auf.

Unterdessen scheint in der Inneren Nordstadt ein gewisser Notstand zu herrschen.