Woche 34/2022: Kassenpatienten müssen draußen warten

Montag: Die Woche begann mit einer zweitägigen Dienstreise per Bahn nach Bad Breisig. Bereits in Bad Godesberg ging es nicht weiter, zunächst wurden in der Tür stehende Fahrgäste der Ursache bezichtigt, was eine entsprechende Unmutsäußerung des Triebfahrzeugführers nach sich zog. „Irgendwelche Bauern …“ murmelte daraufhin ein Reisender in Hör- und Sichtweite, öffnete die Flasche eines bekannten Kräuterschnapses aus Wolfenbüttel und nahm einen kräftigen Schluck, er hatte offenbar für derartige Situationen vorgesorgt. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, die Türen zu schließen, sah man den Fahrer nach hinten gehen, nach etwa zehn Minuten und behobener Türstörung kehrte er zurück und endlich ging es weiter. Dank zeitlich großzügiger Planung nahm ich es gelassen, auch ohne Kräutertrunkunterstützung.

„Nächster Halt Oberwinter, planmäßige Ankunft acht Uhr neun, heute acht Uhr neununddreißig“, verkündete eine künstliche Frauenstimme in diesem unerträglichen Werbeton, der Spuren von Lachen enthält und bei dem man sich stets sofort verarscht fühlt, verzeihen Sie den derben Ausdruck. Sie wissen vielleicht, was ich meine: „… statt zehn Euro neunundvierzig nur neun Euro achtundneunzig“; „Kauf zwei – zahl drei.“

Dienstag: Vergangenen Samstag habe ich einen etwas größeren Rucksack gekauft, den ich benötige, wenn ich demnächst ein paar Tage ins Allgäu fahre. Zwischen dem Bahnhof Martinszell und der Unterkunft in Niedersonthofen liegt ein Fußweg von knapp vier Kilometern, den ich ungern mit Rollkoffer oder Reisetasche in der Hand zurücklegen würde. Da ich auf Reisen stets nur das Nötigste mitnehme, was sich bestens bewährt hat, selten vermisste ich am Zielort etwas nicht Mitgenommenes, sollte die Größe ausreichen. Für zweitägige Dienstreisen ist er schon mal perfekt, wie ich feststelle; auch für viertägige Reisen sollte sich Platz für weitere Klamotten und Lektüre finden. Eine gute Investition.

Mittags während der Tagung erreiche mich eine schlechte Nachricht meine Mutter betreffend. Der Rest der Veranstaltung, zum Glück war sie kurz nach 14 Uhr vorbei, zog daraufhin weitgehend unbeachtet an mir vorbei, gedanklich war ich bereits in Bielefeld und dabei, die nächsten Tage und Wochen umzuplanen, einschließlich Verschiebung des Allgäuaufenthalts auf unbestimmte Zeit, was von den denkbaren Übeln das geringste gewesen wäre. Nach Rückkehr in Bonn rief die Mutter an, es ging ihr besser, so dramatisch wie es zunächst schien war es wohl nicht. Die damit einhergehende Erleichterung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich auf diese Situation, die irgendwann eintreten wird, ziemlich schlecht vorbereitet bin.

Laut Zeitung wurden gefälschte FDP-Plakate sichergestellt: „Kein Geld für ÖPNV? Sollen sie doch Porsche fahren.“ Der Staatsschutz ermittelt. Insbesondere, ob es sich wirklich um Fälschungen handelt.

Mittwoch: Kurze Dienstreise nach Porz-Wahn. Für Nicht-Rheinländer: Das ist kein Ausruf des Entsetzens, sondern ein Stadtteil von Köln. Während ich morgens im Siegburger Bahnhof auf die S-Bahn wartete, brauste ein Güterzug am Bahnsteig entlang. Schon erstaunlich, dass das noch möglich ist in Zeiten, da alles mehrfach abgesichert ist, um jegliche Schadensersatzforderungen abzuwehren.

Donnerstag: Inseltag. Da es zum Wandern zu warm war, verbrachte ich den Tag nach Rückkehr aus Porz-Wahn am Lieblingsplatz am Rhein im Schatten der Pappeln. Wobei Schatten übertrieben ist, allenfalls spendeten die Bäume noch Halbschatten, der Boden darunter war von trockenem Laub bedeckt wie Mitte Herbst, minütlich fielen weitere Blätter herab. Mehrfache Ortswechsel waren erforderlich, um einigermaßen unbesonnt zu liegen, da die Sonne stets nach kurzer Zeit wieder eine Lücke im Geäst fand.

Derweil fuhr auf dem Rheinuferweg hinter mir ein Radfahrer vorüber, aus seiner Lärmdose tönte der alte Rudi-Carrell-Hit „Wann wirds mal wieder richtig Sommer“. Ein fragwürdiger Humor.

Die Schiffe fahren rheinaufwärts ganz nah am Ufer, abwärts etwas weiter zur Flussmitte. Vielleicht schreibt das die Rheinschiffahrtsverkehrsordnung oder welche Regelung hier auch immer einschlägig ist für diese Stelle so vor, ich weiß es nicht. Wobei, manche fahren auch andersrum, also abwärts am Ufer und aufwärts mittig. Immerhin, noch fahren welche. Die Fahrgastschiffe sind nur schwach besetzt, niemand winkt. Es ist zu warm für jede überflüssige Aktivität. Ein Schwarm Düsenbarken* (auch als Jetski bekannt) zog lärmend Richtung Königswinter. Auch so eine fragwürdige Freizeitgestaltung.

*Das schöne Wort habe nicht ich mir ausgedacht, sondern der Postillion.

Ein Krankenwagen hielt an, ein Sanitäter stieg aus mit einem Käfig in der Hand, darin, soweit aus der Ferne erkennbar, eine Ente. Damit ging er runter zum Fluss und kehrte bald, nachdem er die Ente zu Wasser gelassen hatte, mit leerem Käfig zurück zum Rettungswagen und sie fuhren wieder ab, neuen Einsätzen entgegen.

Freitag: Die gestern getroffenen Sonnenschutzmaßnahmen waren offenbar unzureichend. Heute rötet ein leichter Sonnenbrand den geschundenen Körper.

Da die Heilung des am vorletzten Wochenende verletzten Ellenbogens nur langsam voranschreitet und optisch recht bizarr anmutet, suchte ich morgens eine Arztpraxis auf. „Sie sind Privatpatient? Dann dürfen sie dort im Wartezimmer Platz nehmen.“ Kassenpatienten müssen offenbar draußen warten.

Gehört in einer Besprechung: „Wir werden nicht alle unter einen Tisch kriegen.“

Gelesen in einer Mail: „Das müssen wir zeitnah auf eine Zeitleiste setzen.“ Bitte vorher das Zeitfenster putzen.

Auch gehört: „Du musst mit uns in einfacher Sprache sprechen.“ – „Mach ich doch, du A…loch.“ Liebe hält das aus.

Samstag: „Angst um Atomkatastrophe“ ist ein Zeitungsartikel übertitelt. Um?

Mit der Bahn nach Bielefeld zum Mutterbesuch. In ICE-Zügen mag ich gar nicht – neben den Nichtfensterplätzen, wo man statt nach draußen gegen eine graue Wand schaut – die bei anderen sehr begehrten, weil man daran so gut „arbeiten“ kann, Vierergruppen mit Tisch. Durch den Tisch fühle ich mich beengt und man muss aufpassen, nicht mit den Füßen des Gegenübers zu kollidieren. Sie dürfen gerne raten, welche Art von Platz mir das Bahnreservierungssystem zugewiesen hat.

Bei der Einfahrt in Köln fährt man nahe an Wohnhäusern vorbei. Dort saß auf einem Balkon ein älteres Paar und winkte dem Zug zu. Wenn die das bei jedem einfahrenden Zug tun, sind sie gut beschäftigt.

Nach Verlassen des Bielefelder Hauptbahnhofs hörte ich hinter mir eine Frau zu ihrer Begleiterin sagen: „Warum verbringen wir überhaupt einen Samstagnachmittag in Bielefeld?“ Das sind die wahren Fragen des Lebens.

Sonntag: Da morgen die nächste Dienstreise nach Celle ansteht und Bielefeld auf halber Strecke liegt, bot sich die Verlängerung des Mutterbesuches an. Der Sonntagsspaziergang führte daher durch Gefilde aus Jugendzeiten.

Unter anderem durch das Ehlentruper Holz, ein kleiner Wald in der Nähe des Elternhauses

Entgegen üblicher Gewohnheiten und innerer Überzeugung waren heute zwei dienstliche Telefongespräche erforderlich. Das war nicht schlimm, bedarf indes keiner baldigen Wiederholungen.

„Heute Morgen war so schönes Wetter, jetzt scheint schon wieder die Sonne“, sagte die Mutter am späten Nachmittag.

***

Ich wünsche Ihnen eine angenehme neue Woche mit kühlem Kopf.

Ein Gedanke zu “Woche 34/2022: Kassenpatienten müssen draußen warten

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s