Woche 20: Künstliche Zoom-Hintergründe

Montag: Die größte Leistung bestand heute mal wieder darin, nach vier freien Tagen acht Stunden lang den Dingen Interesse entgegen zu bringen, für die zu interessieren ich ganz gut bezahlt werde.

Erster Gedanke in Besprechung mit junger Kollegin: Gleich sagt sie „genau“. Sie hat mich nicht enttäuscht.

Die Zeitung berichtet über ein Treffen von rund zweihundertfünfzig PS-Äffchen am vergangenen Samstag in Sankt Augustin. Auf einem Parkplatz präsentierten sie sich gegenseitig ihre Geschlechtsteile Fahrzeuge, unter Verzicht auf Masken und Abstand, dafür mit Musik und Tanz. „Die Polizei war nach Angaben der Leitstelle vor Ort, habe aber keine Straftaten festgestellt. Für die Kontrolle der Corona-Vorschriften sei das Ordnungsamt zuständig“, so die Zeitung. Es ist schön, in einem Land mit klaren Zuständigkeiten zu leben.

Abends verursachte eine arglose Frage zu Ölsardinen heftige, völlig unnötige und zum Glück nur kurzzeitige Reibungen. Ansonsten geht es uns gut.

Dienstag: Die bevorstehende Ablösung des Fußballpräsidenten bezeichnete die Frau im Radio morgens als „eine ernste Frage“. Dagegen ist der Nahostkonflikt natürlich ein Fliegenschiss.

Journalistisch Gelungeneres dagegen in der Zeitung über die Verbreitung der indischen Virusvariante in Groß Britannien: „… ein Wettrennen zwischen Infektion und Injektion“.

Mittwoch: In einer Besprechung wurde verkündet, dass ein nicht anwesender Kollege Vater geworden sei („Ein ganz süßes Kind“). Darauf die auch sonst von mir sehr geschätzte Kollegin C: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm gratulieren oder ihn dafür bedauern soll.“ Ein besonderer Moment, wenn jemand ausspricht, was ich allenfalls im Stillen zu denken wage. Respekt, liebe C!

Donnerstag: Heute nahm ich an einer der bei uns glücklicherweise noch immer seltenen Videokonferenzen teil. Künstliche Zoom-Hintergründe sind ja auch so eine eher spezielle Sache: Man sieht die Kollegen, während sie „genau“ (45 mal), „quasi“ (25 mal) und „tatsächlich“ (nur einmal) sagen, virtuell am Strand, in den Bergen, in einer tristen Fabrikhalle, an einer pittoresken, villengesäumten Allee oder anderen Orten, wo man währenddessen eben viel lieber wäre als im Büro oder am Heimarbeitsplatz. Da ich nicht weiß und es mich nicht im Geringsten interessiert, wie man das bei Zoom einstellt, zeigte mich das Bild ganz normal im Büro, wobei ich mich erst daran gewöhnen musste, nicht desinteressiert die Augen zu verdrehen, als einer anfing, von seinem Hund zu erzählen. Bester Satz des Einladenden, als einer eine textschwangere Präsentation zeigen wollte: „Ich mach dich zum Host.“ Gibt es eigentlich auch den Vollhost?

Freitag: Liebe Kollegen*, es macht mir wirklich überhaupt nichts aus, regelmäßig in der Kaffeeküche die Spülmaschine auszuräumen, das ist vielleicht gut für mein Kaffeeküchenkarma. Doch verratet mir bitte: Welchen Sinn hat es, Besteck mit dem Griff nach unten in den Besteckkorb zu stecken? Es wird dadurch nicht sauberer, und beim Entnehmen muss ich es dort anfassen, wo ihr es später in den Mund steckt.

Frage der Woche: Wann haben Sie das letzte Mal vor Weiterleitung einer längeren Mailkommunikation geschaut, ob der Betreff noch zum Inhalt passt?

Eigenlob verpflichtet: Die erste epubli-Abrechnung für „Herbsterwachen“ ist eingetroffen, demnach wurde im zurückliegenden Monat ein Buch verkauft. Na also, die Mühen und Entbehrungen der letzten Jahre beginnen, sich auszuzahlen, wenn auch zunächst verhalten, aber das wird schon. Lieber Käufer*, ich hoffe, Sie bereuen die Ausgabe nicht und empfehlen es weiter.

Samstag: Im Zusammenhang mit der gestern beschlossenen Kükenverschonung steht in der Zeitung das wunderschöne Wort „Zweinutzungshühner“. Biologisch bemerkenswert auch dieser Satz: „Dabei sollen weibliche Küken Eier legen.“

Seit heute dürfen auch in Bonn Läden und Außengastronomie wieder öffnen. Leute stehen Schlange für ein zweifelhaftes Getränk, das als „Bubble Tea“ bezeichnet wird und mit „Blasentee“ wenig gemein hat.

Kennen Sie noch Hermann Hoffmann? Er war in den Achtzigern mit seiner „Kleinen Dachkammermusik“ Teil der Radiounterhaltung am Samstagnachmittag, als das Wort „Comedy“ zumindest bei uns in Ostwestfalen noch nicht gebräuchlich war. Die Sendung wurde stets eingeleitet mit einer schief intonierten Kinderflöte, dann folgten ungefähr eine Viertelstunde lang witzig-absurde Szenen und Lieder mit Herrn Hoffmann, seiner Frau, den Herren de Vries, Schräuble, Schotterbeck und anderen; alles gespielt und gesprochen von Hermann Hoffmann daselbst. Lange ist es her.

Wie ich darauf komme: Etwas Ähnliches hat mein lieber Kollege Farhad Shahed nun gemacht, nur nicht im Radio, sondern im Netz: „Dark Day“, mit ihm daselbst in allen Rollen. Schauen Sie es sich an – es lohnt sich.

Übrigens: Wenn beim Scrabble richtig viele Punkte machen wollen, merken Sie sich das Wort „Shershenowiskanajaskiana“.

Sonntag: Ich habe angefangen, „Die Selbstgerechten“ von Sarah Wagenknecht zu lesen. Wenngleich ich mich nicht als der Dame und ihrer Partei nahestehend betrachte, gefällt mir doch sehr gut, wie sie den Linksliberalen, oder, wie sie sie nennt, „Lifestyle-Linken“, das sind die, denen Gendersterne wichtiger sind als gerechte Entlohnung, wie sie denen also – mit generischem Maskulinum – ordentlich die Uhr stellt.

Eins meiner persönlichen Probleme mit links sind übrigens konsequent linksgehende Fußgänger*, die mir auf dem Gehweg entgegenkommen und mich so zum Ausweichen nötigen. Vielleicht haben die noch den Satz „Links gehen – der Gefahr ins Auge sehen“ allzu sehr verinnerlicht, der uns als Kinder mit auf den Weg gegeben wurde, wenn wir eine Landstraße ohne Bürgersteig entlanggehen mussten. Alles vorbei: Heutige Kinder laufen nicht mehr entlang solcher Straßen, und Bürgersteig sagt man wohl auch nicht mehr. Auch nicht Bürger*innensteig.

Übrigens, wundern Sie sich bitte nicht über die neue Optik dieses Blogs. Seit gestern ließen sich Artikel nicht mehr über das MacBook bearbeiten oder neu anlegen. Da laut WordPress das bisherige Theme nicht mehr unterstützt wird, dachte ich, vielleicht liegt es daran, und habe kurzfristig die virtuelle Stube neu tapeziert. Daran lag es dann aber doch nicht, sondern an irgendwelchen Cookies, wie der Liebste herausfand. Das bisherige Design gefiel mir zwar etwas besser, aber an das neue werde ich mich wohl auch bald gewöhnen, es schadet ja fast nie, mal was zu ändern.

* Das Experiment Gender-i‘ erkläre ich für beendet. Kann man machen, muss man aber nicht. Deshalb, liebe Damen und Diverse, bitte fühlen Sie sich ausdrücklich mitgedacht.

Ein Gedanke zu “Woche 20: Künstliche Zoom-Hintergründe

  1. Claudia Rappard Mai 24, 2021 / 07:59

    Guten Morgen Karsten,
    der Tag wird gut! Ich habe gerade schon schallend gelacht über den Bürger*Innensteig, und – ja, genau – darüber den Kopf geschüttelt. Bisher dachte ich, dass nur mich das etwas nervt. Auf welcher englischen Grundlage beruht diese inflationäre Nutzung eigentlich? Oder ist es gleichgestellt mit “will” im Bergischen? Wer weiß….
    Ich wünsche einen erholsamen bürofreien Feiertag!
    Beste Grüße vom Niederrhein, Claudia

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