Woche 17: Womöglich noch ein paar Jahre

Montag: Nach einer Woche Werksabstinenz wird besonders deutlich, wie sehr ich Sätze wie „Wir müssen jetzt das Momentum nutzen“ und „Ich habe um zwölf einen harten Anschlag“ nicht vermisst habe.

Laut einem Zeitungsartikel heißt die Leiterin der Duden-Redaktion Kathrin Kunkel-Razum. Das klingt auch wie ein harter Anschlag, beziehungsweise Aufschlag, etwa wenn eine Blechtonne auf einer LKW-Ladefläche umfällt und auf den Asphalt knallt, schriftvertont durch die legendäre Entenhausen-Korrespondentin Erika Fuchs. Eigentliches Thema des Artikels war die geplante Umstellung der amtlichen Buchstabiertafel auf Städtenamen, statt „Cäsar“ vielleicht künftig „Castrop-Rauxel“, „Schloss Holte-Stukenbrock“ statt „Schule“, warum nicht, kann man machen. Aus demselben Artikel: „Ä wie Ärger ist eben typisch deutsch.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Gelesen bei Frau Anje: „Auch nach über einem Jahr Pandemie genieße ich es immer noch, dass es keinerlei gesellschaftliche Verpflichtungen gibt, ich fürchte, meine Abneigung gegen Menschenversammlungen lässt sich nicht mehr heilen.“ Genau so fühle ich auch.

Dienstag:Wir können mit einiger Sicherheit sagen, dass die Pandemie keinen signifikanten Einfluss auf die globalen Militärausgaben 2020 hatte“, wird jemand in der Zeitung zitiert. Welch Lichtblick in dieser trüben Zeit.

Auch ein Lichtblick: Unser bescheu gar großartiger Bundesverkehrsminister verkündet den „Nationalen Radverkehrsplan 3.0“. Aha. Was genau waren nochmal die Inhalte der Radverkehrspläne 1.0 und 2.0? Vielleicht solches:

(Schonmal gezeigt im vergangenen Jahr)

Mittwoch: Die Werbewirtschaft ist sauer auf Apple, weil es jetzt Nutzern ermöglicht, das sogenannte Tracking durch externen Apps zu unterbinden. Deswegen hat sie sich an das Bundeskartellamt gewandt: „Durch diese einseitig auferlegten Maßnahmen schließt Apple faktisch alle Wettbewerber von der Verarbeitung kommerziell relevanter Daten im Apple-Ökosystem aus“, so die Begründung. Das ist etwa so, als verklagte die Einbrecherinnung den Hersteller neuartiger Sicherheitsschlösser. Auf die Entscheidung bin ich gespannt.

Klage ist auch immer wieder zu hören über sogenannte „kulturelle Aneignung“, etwa wenn sich eine weiße Sängerin Rastalocken kleistern lässt. Wie viele der derart Empörten ohne Asienhintergrund mögen wohl dennoch ihr Sushi mit Stäbchen essen, nur um damit anzugeben, dass sie es können?

Es ist immer wieder schön, nach einem Werktag heimzukehren zu den Lieben. Gestern: „Was bis du spät.“ Heute: „Was willst du denn schon hier?“ Manchmal weiß ich auch nicht.

Donnerstag: Die Zeitung berichtet über eine Radfahrerin, die mit dem Fahrrad eine rote Ampel missachtete und deshalb hundert Euro zahlen musste. Das findet sie empörend, denn: „Meist fühle ich mich natürlich als ‚Klimaretter’ im Recht und lege bei mir nicht einsichtigen Verkehrsregeln das ein oder andere Mal diese zu meinen Gunsten aus.“ Damit verkörpert die Dame eine Haltung, die in unserer Gesellschaft zunehmend um sich greift, sei es bei der Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr oder Corona-Abstandsregeln. Viele legen ihnen nicht einsichtige Regeln zu ihren Gunsten aus, auch ich betrachte manche Fußgängerampel eher als unverbindlichen Vorschlag. Werte Frau W, wenn Sie der Meinung sind, sich nicht an Regeln halten zu müssen, dann akzeptieren Sie bitte mögliche Konsequenzen, anstatt Zeitungsleser mit ihrem Egoismus zu belästigen.

Nach sonnigem Fußmarsch am Morgen …

… tobte mittags Tief „Christian“ mit Sturm und Regen durch die Stadt, beruhigte sich im Laufe des Tages jedoch wieder. Erst am Abend brauste es wieder etwas auf, wenn auch nur im häuslichen Rahmen.

Ansonsten lernte ich heute das mir neue Wort „pejorativ“ kennen, laut Duden bedeutet es „abwertend, eine negative Bedeutung besitzend“. So wie für manche Menschen Verkehrs,- Ab- und Anstandsregeln.

Freitag: Stell dir vor, es ist Ende April und wir verlassen das Haus morgens immer noch mit Schal und Handschuhen. (Bitte dies ausdrücklich nicht als Zweifel an der Klimaerwärmung verstehen.)

Samstag: Der Mai ist gekommen. Erstmals steht auch bei uns im Hof ein Maibaum, sofern man dieses dürre, frühzeitig herzlos aus dem jungen Leben gesägte Birkenkind mit zwei farbigen Krepppapierbändern als „Baum“ bezeichnen möchte. Herzlos ist hier wörtlich zu nehmen – da das sonst bei Maibäumen übliche rote Sperrholzherz mit Namenszug fehlt, bleibt offen, wer die oder der Angebetete ist und wer den Baum aufstellte. Gleichsam das amouröse Pendant zum Grabstein des unbekannten Soldaten, der auf fast jedem Friedhof zu finden ist.

Sonntag: Der Spaziergang führte entlang eines größeren, bei Hundehaltern beliebten Areals im Bonner Norden, wo sie heute wieder in größerer Anzahl anzutreffen waren, Hunde wie Halter. Auch wenn mir das egal sein kann und ich in keiner Weise belästigt wurde – solange ich in dieser Welt wandele, also womöglich noch ein paar Jahre, wird sie und mich ein tiefer Graben gegenseitigen Unverständnisses trennen, da bin ich mir ziemlich sicher.

Ein Gedanke zu “Woche 17: Womöglich noch ein paar Jahre

  1. AnJe Mai 4, 2021 / 22:23

    Das ist etwa so, als verklagte die Einbrecherinnung den Hersteller neuartiger Sicherheitsschlösser.
    Das ist ein sehr schöner Vergleich, den habe ich gleich mehreren Leuten weitererzählt, weil ich ihn so treffend fand. Das Grinsen und die Zustimmung, die ich für den Vergleich erntete, habe ich für Sie in Empfang genommen und leite es hier gerne weiter, ein verlinkter Hinweis auf die eigentliche Fundstelle ist in der analogen Kohlenstoffwelt ja leider etwas kompliziert.

    Über den anonymen, herzlosen Maibaum habe ich übrigens auch geschmunzelt und fand den Bogen zum unbekannten Soldaten faszinierend passend, diese Geschichte ließ sich aber nicht so gut weitererzählen, deshalb kann ich dazu nur mein eigenes Gefallen zum Ausdruck bringen.

    Und dass uns die Abneigung gegen Menschenversammlung eint, nehme ich erfreut zur Kenntnis, ich fürchte nur, wir sind da sehr in der Minderheit und mich gruselt es schon jetzt ein wenig vor den Massenparties, die nach dem offiziellen Ende der Pandemie wahrscheinlich landesweit in Dauerschleife laufen werden.

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