Woche 21: Worte und Wünsche

Montag: Während das Pfingstwunder uns einen arbeitsfreien Tag schenkt, wundere ich mich über eine technische Neuerung in unserem Haushalt. Seit gestern wird das Licht im Bad per Bewegungsmelder gesteuert, warum auch immer. Für längere Verrichtungen bedeutet dies, immer in Bewegung zu bleiben, möchte man sie nicht im Dunkeln verrichten. Wobei das immer noch besser ist, als jedes Mal, wie jetzt schon bei der Beschallung von Küche und Wohnzimmer, mit der begriffsstutzigen Siri diskutieren zu müssen. Und doch frage ich mich, was an klassischen Lichtschaltern so verkehrt sein soll.

Beim Spaziergang kam ich an einem Maibaum vorbei, der laut Herzchenbeschriftung für „T T“ aufgestellt worden ist. Zur Ehrenrettung des Verehrers wollen wir annehmen, die Angebetete heißt Thekla-Tanja oder Tamara-Tabea, und der Birkenschmuck ist nicht nur ausgewählten Körperteilen der Dame gewidmet.

Dienstag: Kälte und Regen lähmen heute ein wenig die Lust auf detaillierte Schilderung der Tagesbeobachtungen und -ereignisse. Immerhin – der Regen legte erst nach Ankunft im Werk los und endete vorübergehend kurz vor der Rückfahrt. Auch über Mittag pausierte er und ermöglichte mir, unbeschirmt trockenen Hauptes eine Portion Rheinischen Sauerbraten aus der Togo-Kantine zu holen. Nur abends beim Laufen tröpfelte es ein wenig auf mich herab, was ich beim Laufen indes ganz gerne mag. Fazit: Mein Regenschutzengel ist zu loben.

Eine der Lausch- und Laberbüchsen, in denen Frau Siri lauert, verweigert dauerhaft und irreparabel ihre Funktion. Mein Bedauern darüber ist überschaubar, zumal in unserer Wohnung (mindestens) vier weitere derartige Geräte über unsere Worte und Wünsche wachen.

Mittwoch: Sie mögen keine Anglizismen? Da habe ich was für Sie, schon etwas älter, heute eher zufällig hier gefunden. Am besten gefallen mir „Düsenbarke“ (Jet Ski), „Verjetztlichungsstrahl“ (Live-Stream) und „Eiferkauz“ (Nerd).

Gelesen hier und für gut befunden:

Es gibt Leute, die sich in Fachgeschäften persönlich beraten lassen, anschließend nach Hause fahren und das Produkt im Internet bestellen, weil es dort 0,1 Prozent billiger ist. Ich mache es umgekehrt. Ich nutze die Seite von Lieferando, um mich über das gesamte Angebot schnell zu informieren. Dann klicke ich auf das „i“ auf der Seite des Restaurants, das ist ausgewählt habe, wähle die dort angegebene Telefonnummer und bestelle mein Essen analog. Lieferando verdient keinen Cent, ich habe die Dienstleistung der Firma kostenlos genutzt. Fühlt sich jedes Mal gut an. Wie Klingelstreich.

Donnerstag: Vergangene Nacht geträumt von Inge Meysel, wie sie aus dem Buch Jesaja liest. Hat wohl nichts zu bedeuten.

Aus einer Besprechungseinladung: „… gerne möchte ich uns in Vorbereitung zum Thema in der Überschrift einmal gleichschalten, damit wir mit (bla bla) sicher ins Ziel kommen. Auch das Thema (bla bla) können wir hier zusammen verstehen.“ Ich möchte nicht gleichgeschaltet werden.

„Ich freue mich total, dass ich dieses Projekt leiten darf“, sagte eine. Da es eine sehr große, wenn auch virtuelle Runde war, verzichtete ich auf die angemessene Entgegnung „Du sollst nicht lügen“.

„Wartet nicht auf die Wartung“, sagte eine andere. Es sind Sätze wie dieser, die mich bisweilen lächeln lassen.

Ansonsten entkam ich mit knapper Not einer Break Out Session, bevor ich erfahren musste, was das überhaupt ist.

Freitag: Heute ist laut Zeitung Tag des Hamburgers, also nicht des Hanseaten, des Einwohners von Hammonia, sondern des Hackfleischgebräts im Weichbrötchen. Auf das Kantinenangebot hatte das glücklicherweise keinen Einfluss.

Ich ließ mich bereits aus über die recht neuartige Gewohnheit, Hausrat zum Zwecke der Entsorgung vor das Haus zu stellen mit einem Zettel „Zu verschenken“ daran, anstatt ihn dem Wertstoffkreislauf anheim zu stellen. Abends bei Rückkehr vom Laufen (Sie dürfen mich gerne loben, in dieser Woche lief ich wie geplant zweimal) ging ich an einem Stuhl vorbei mit ebendiesem Hinweis. Keiner der allgegenwärtigen Monobloc-Stühle, auch nichts dolles, ein einfacher Holzstuhl halt. Doch bezweifle ich, dass er bald einen Mitnehmer fand, da ein weiterer Zettel angebracht war: „Nicht draufsetzen“.

Auch bemerkenswert:

(General-Anzeiger Bonn)

Samstag: In Bonn ist der Inzidenzwert noch immer mit um die achtzig vergleichsweise hoch, dennoch strömt alles in Läden und Gastronomie. Ich möchte nicht spaßhemmend wirken, zumal ich in den vergangenen Monaten nur weniges mehr vermisst habe als als den Besuch eines Restaurants oder Biergartens. Und doch sehe ich die nun herrschende allgemeine Öffnungseuphorie mit Skepsis. Während sich die Wirte über Gäste freuen, freut sich das Virus schon auf neue Wirte. Aber womöglich sehe ich das zu negativ, beziehungsweise positiv. Wie auch immer – wir warten noch etwas. Der Liebste hat Maibock gekauft, der lässt sich auf dem Balkon auch kurz vor Juni noch ganz gut genießen.

(Keine Werbung, für diese Abbildung erhalte ich von der Herforder Brauerei keine Zuwendung.)

Gelesen bei Frau Anje und gelacht:

„Es war ein bisschen kompliziert, weil das Kind eine sehr eigenwillige Sprache benutzte, ich also nicht verstand, was es mir erzählte. Solche Situationen kenne ich aber auch von Besprechungen mit wichtigen Personen, die erzählen auch oft wirren Kram, der niemanden interessiert, ich habe also reagiert wie ich im beruflichen Kontext in solchen Situationen auch reagiere, erst habe ich lange nichts gesagt und dann ebenfalls Blödsinn erzählt, das Kind war sehr zufrieden mit meiner professionellen Reaktion.“

Sonntag: Endlich ein Sonntag, der seinen Namen verdient. Die meiste Zeit verbrachte ich (ohne alkoholische Stimmungsaufhellung) auf dem Balkon, wo es angenehm ruhig war, mal abgesehen von den üblichen Sonntagsinnenstadtgeräuschen. Nur wenige Menschen waren in der Nachbarschaft und näheren Umgebung auszumachen, die anderen betrieben vielleicht Inzidenzwertpflege in Cafés und Biergärten.

Woche 41: Vielleicht nicht mehr lange

Montag: Da fährt man mal eine Woche lang nicht ins Werk, schon ist es morgens finster.

Während der frühmorgendlichen Zeitungslektüre las ich einen Satz, der Christian Lindner aus der zotig-forschen Feder geflossen sein könnte: „Bei der herbstlichen Leistungsschau zeigen die Cucurbitaceae-Züchter ihre prallsten Exemplare und wetteifern darum,“ (theatralische Pause, zwinker zwinker, nicht was Sie schon wieder denken, hö hö) „wer den schwersten Kürbis des Jahres gezogen hat.“

Wenig Erbauliches las ich dagegen in den Mails, die nach einwöchiger Abwesenheit in größerer Anzahl meiner Kenntnisnahme harrten: „… gezielter Input für die Visualisierung eines Drafts“ – „Wir haben die Agenda für den Call finalisiert.“ Merken die es wirklich nicht?

Dienstag: Donald Trump ist aus dem Krankenhaus entlassen. Vielleicht ertrugen sie dort einfach sein Gelaber nicht mehr, nachdem sie sich nicht getraut hatten, ihm das kürzlich noch von ihm selbst empfohlene Desinfektionsmittel zu spritzen. Wie zu erwarten behauptet er, man müsse vor Corona keine Angst haben. Unterdessen denkt die ganze Welt: Ich weiß, man soll niemandem wünschen … – trotzdem … Immer diese blöde Moral.

„Vielleicht ist Moral nichts anderes als der Versuch einer Entschuldigung für diejenigen, die es nicht wagen, ihre Träume und Wünsche und Wahrheiten auszuleben?“, schreibt Herr Emil, und bekommt dafür ein Sternchen von mir.

Wohl eher keine Moralschwäche, eher Gedankenlosigkeit mittags in der Kantine. Scheinbar Trumps absurder Empfehlung folgend, rücken die lieben Kolleginnen und Kollegen mit ihren Stühle zu viert und mehr an Tische, wo nur zwei sitzen dürfen. Warum wird das nicht kontrolliert und unterbunden? Ich schwanke zwischen Ratlosigkeit und Wut.

Mittwoch: „Ich habe die Kollegen mal cc‘ed“, schreibt einer in einer Mail, die ich Cc erhalten habe. Noch so einer, der es offenbar nicht merkt.

Meinen oben geschilderten Unmut bezüglich des Abstandhaltens in der Kantine habe ich schriftlich gegenüber der Werksleitung geäußert. Mal sehen, ob es eine Reaktion gibt.

Donnerstag: Wenn jemand aus einer WhatsApp-Gruppe Geburtstag hat (oder sich krank meldet) ist die einzig richtige Aktion, ihm die Gratulation (oder Genesungswünsche) als persönliche Nachricht zu übermitteln und dann die Gruppe für acht Stunden stummzuschalten.

Aufsitzrasenmäher gelten gemeinhin als beliebtes Männerspielzeug. Das gilt vermutlich auch und erst recht für den Monster-Laubbläser, den ich mittags im Rheinauenpark zunächst schon von weitem hörte, dann sah – allein schon wegen der immensen Geräuschentwicklung. Aus Gründen, die mir verschlossen bleiben, mögen es ja viele Männer laut.

Ansonsten gerierte ich mich heute leicht trottelig. Merke: Wenn man ein Paket aus der Packstation abholen und ein weiteres darin einlegen will, beachte man unbedingt die Reihenfolge – erst das eine einlegen, dann das andere entnehmen. Im umgekehrten Fall kann es sonst passieren, dass man die Packstation mit derselben Sendung verlässt, mit der man ankam.

Freitag: „Ein ruhend Beschäftigter ist nicht aktiv beschäftigt“, sagte einer. Ein schöner Satz zum Wochenende. Ein anderer sprach von „Beschäftigtinnen und Beschäftigten“. Auch schön.

Das Wetter war mir in dieser Woche gnädig: Es regnete häufig, nur nie, wenn ich ins Werk oder zurück radelte. Vielleicht habe ich einen Regenschutzengel. – Mal unter uns Radfahrern: Das Missachten einer roten Ampel wird nicht akzeptabler, wenn man dazu auf den Gehweg nebenan ausweicht.

Abends begaben wir uns zum Essen ins Wirtshaus. Auf dem Weg dorthin und zurück sah ich viele Menschen in den Straßen und vor den Gaststätten, unbekümmert, unmaskiert, eng beieinander, und dachte: Vielleicht nicht mehr lange.

Das schlimmste an diesem Abend aber war die Melodie aus der Reklame für ein neuartiges Trimmrad, auf dem man sich über einen Bildschirm anschreien lassen kann, die vorübergehend als Ohrwurm den Sender meines Hirnradios beherrschte. Gut gemacht, Paloton.

Samstag: Nach dem Frühstück schickte mich der Liebste zum Metzger unseres Vertrauens. Auf dem Türschild mit den Öffnungszeiten ist auch eine Notfall-Telefonnummer angegeben. Falls außerhalb der Geschäftszeiten die Leberwurst ausgeht?

„Die Schönheit des Alters wird oft unterschätzt. Hier kommt sie zur Geltung“, las ich in der Zeitung über einen Rotwein von der Côte-du-Rhône. Vielleicht ist dieser Satz auch zur Hebung der Frühlaune geeignet, wenn ich ihn an den Spiegel im Bad hefte.

Sonntag: „Das neue Zuhause für Querdenker“, las ich während des Spaziergangs auf dem Werbeplakat eines Büromöbelhauses in der Innenstadt. Vielleicht sollte die Marketingabteilung darüber aus aktuellem Anlass nochmal in sich gehen.

Kurze Zeit später kam ich an einem Hutgeschäft vorbei mit dem schönen Namen „Hutgeflüster“. Leider hat es offenbar den Geschäftsbetrieb eingestellt, jedenfalls deuten die zugeklebten Scheiben darauf hin*. Der Hut als alltägliche Kopfbedeckung ist einfach außer Mode, wie ich schon mehrfach beklagte.

Des Weiteren sah ich eine wegen Bauarbeiten verkehrsbefreite Autobahn …

… einen Radweg (hier war vielleicht im Rahmen des Vorhabens „Fahrradhauptstadt Bonn“ etwas Geld übrig) …

… und ein herbstliches Stilleben mit dem unsterblichen Designklassiker Monobloc-Stuhl:

Ansonsten in dieser Woche erfreulich waren ein nicht zu langer erster Arbeitstag, Queen, Rheinischer Sauerbraten und ein Haarschnitt.


*) Nachtrag vom 14. Dezember 2020 – Heute erreichte mich ein Hinweis des Ladeninhabers (oder der Inhaberin, das geht aus der Nachricht nicht hervor):

Mein kleines Lädchen ist nach wie vor aktiv. Ich stelle dort Hüte nach altem Hutmacher-Handwerk her und verkaufe diese auch. Glücklicherweise gibt es auch heute noch Menschen, die ihren Kopf gerne mit (individuellen) Hüten schmücken. Bei starker Sonneneinstrahlung lasse ich hin und wieder ein großflächiges Rollo im Schaufenster herunter, um meine Hüte zu schützen. Daher wirkte es auf Sie vermutlich wie geschlossen. Ich würde mich freuen, wenn Sie in Ihrem Blog einen kurzen Hinweis geben könnten, dass das Atelier nach wie vor „lebt“.

Dieser Bitte komme ich selbstverständlich gerne nach.