Woche 5/2022: Ganz in Ordnung

Montag: Die Stadt Freiburg im Breisgau hat eine weitere Variante der geschlechterneutralen Sprache für sich entdeckt. In Stellenausschreibungen wird nun ausschließlich die weibliche Form verwendet, ergänzt durch ein kleines „a“, das für „alle“ steht und das bekannte „m/w/d“ ersetzt. Also beispielsweise „Stahlträgerin (a)“. Dazu die Stadtverwaltung: »Mit einer klaren und zugleich auffordernden Botschaft werden unmissverständlich alle Menschen angesprochen.« Da fühlt man(n) sich doch mitgedacht.

Dienstag: Wenn man von der Dame am Werksempfang morgens mit Namen begrüßt wird, hat man es irgendwie geschafft.

Die Wochenmail von Kurt Kister kam bereits heute. Für alle, die sie aus völlig unerfindlichen Gründen noch nicht abonniert haben, sei daraus zitiert:

»Wenn Sie mal jemandem begegnen, der im Zusammenhang mit Nachdenken, Lesen und Schreiben immer nur von „Texte erstellen“ oder „Inhalte produzieren“ redet, dann wissen Sie, dass er oder sie mutmaßlich auch in einer Digitaldistributionsagentur tätig ist und solche wasserlosen Verben für die Sprache der Zukunft hält.«

Wenn Ihnen das gefällt und Sie ähnliches wöchentlich lesen möchten, bitte hier entlang.

Ein Vorhaben für das nächste Lebensjahr ist das Anlegen einer Liste mit Dingen, über die ich mich nicht mehr aufregen möchte, weil es nichts nützt. Etwas, worüber ich mich zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Absatzes sehr aufgeregt habe, ist das Wegwerfen von Lebensmitteln. Das kommt auf jeden Fall auf die Liste, wobei nicht sicher ist, ob es mir gelingen wird, darüber künftig hinwegzusehen.

Was auch darin stehen wird ist der Gebrauch dämlicher Wörter wie „okayish“, das ich heute gelesen habe und das wohl soviel heißen soll wie „ganz in Ordnung“.

Mittwoch: Zu meinen Leibgerichten (ein Wort, über das auch gelegentlich nachzudenken ist) zählen unter anderem Entenbrust und Grünkohl. In der Kantine gab es heute beides in Kombination. Ganz in Ordnung.

Donnerstag: Die schönste der drei Bonner Rheinbrücken ist Friedrich-Ebert-Brücke, auch Nordbrücke genannt. Gebaut wurde sie vor fünfundfünfzig Jahren, somit haben wir bald etwas gemeinsam. Leider sind ihre Jahre gezählt, 2034 endet ihre Nutzungszeit, dann muss sie abgebrochen und neu gebaut werden, steht in der Zeitung. Mit einem Neubau meinerseits ist dann eher nicht zu rechnen.

Noch schöner war freilich die alte Rheinbrücke zwischen Bonn und Beuel, die 1945 leider einer großangelegten überregionalen Maßnahme der damaligen Regierung zur Stadtbildänderung zum Opfer fiel und danach durch einen schlichten Zweckbau ersetzt wurde.

Freitag: Als am 4. Februar 1967 in Bielefeld ein Kind mit schwarzen Haaren geboren wurde, ahnte niemand, dass daraus mal einer der erfolglosesten Blogger werden würde, allein schon, weil es noch keine Blogs gab. So wie jetzt niemand weiß, was dereinst aus Kindern wird, die heute erstmals das Licht der Welt erblicken. Sofern in einer vergleichbaren Anzahl an Jahren die zurzeit laufenden Maßnahmen zur Selbstabschaffung der Spezies noch nicht abgeschlossen sind.

»Russland verbietet Deutsche Welle – Moskau reagiert drastisch im Streit um ein Sendeverbot des deutschsprachigen Programms seines Staatssenders RT DE«, schreibt die Zeitung. Das ist gemein von Herrn Putin, keine Frage. Und doch verstehe ich die Empörung nicht ganz – welche Reaktion hat man denn sonst erwartet?

Aus gegebenem Anlass verbrachten wir den Abend in einem Restaurant. Sie sehen mich hier in freudiger Erwartung.

Samstag: Ein weiteres Zitat aus dem Welzer-Wälzer, ein ausgezeichnetes Buch übrigens über den menschlichen Wahnsinn:

»… Dummheit kann sehr gefährlich werden, wenn sie mit Macht gepaart ist. Dann kann in mörderischen Gesellschaften so etwas wie Adolf Eichmann dabei herauskommen, unter milderen Bedingungen des demokratischen Rechtsstaats so etwas wie Andreas Scheuer*«

Harald Welzer: Nachruf auf mich selbst.

*Für spätere Generationen und den eher unwahrscheinlichen Fall, dass dieses Blog dann noch existiert und gelesen wird: Während Adolf Eichmann aufgrund unrühmlicher Taten voraussichtlich längerfristigen Eingang in Geschichtsbücher gefunden hat, wird Andreas Scheuer vermut- und hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft vergessen sein. Deshalb zur Erinnerung: Andreas Scheuer (CSU) war von 2018 bis 2021 Bundesverkehrsminister. In diesem Amt stach er durch herausragende Unfähigkeit, gepaart mit unerschütterlicher Selbstherrlichkeit hervor. Sein „Meisterstück“ war die gescheiterte PKW-Maut, für die er mit den Betreiberfirmen milliardenschwere Verträge abgeschlossen hatte, kurz bevor das Vorhaben für rechtlich unzulässig erklärt wurde, was erhebliche Schadensersatzpflichten aus ScheuerSteuermitteln nach sich zog. Zudem beglückte er sein Heimatland Bayern stets mit überproportional hohen Bundesmitteln für die Verkehrsinfrastruktur, womit er allerdings nur eine beliebte Tradition seiner CSU-Amtsvorgänger fortsetzte. Böse Zungen behaupten, durch ihn hätte das Wort „bescheuert“ deutliche Verstärkung erlangt.

Übrigens: „Ich bin halt ein Mann, was soll ich machen“ ist eine äußerst fragwürdige Begründung für bescheuertes Verhalten.

Sonntag: Im Wein liegt bekanntlich Wahrheit, im Champagner womöglich Weisheit, worauf folgendes hindeutet, gehört gestern Abend: „Es gibt ja viele Tiere, die sind klein; wenn sie wachsen, werden sie größer.“

Apropos Tiere: Was treibt eigentlich Menschen dazu, die Kacke ihrer Hunde in kleinen Beutelchen aufzusammeln, wenn sie diese anschließend ins nächste Gebüsch werfen?

***

Kommen Sie gut durch die Woche.

8 Gedanken zu “Woche 5/2022: Ganz in Ordnung

  1. Roswitha Februar 7, 2022 / 16:15

    alles gute zum geburtstag, aus unkenntnis verspätet. der text über den ehemaligen verkehrsminister gefällt mir ganz besonders. gruß roswitha

    Gefällt 1 Person

    • stancerbn Februar 7, 2022 / 21:37

      Bei aller Bescheidenheit – das gefällt mir selbst ganz gut.

      Like

  2. Gabi Februar 7, 2022 / 17:22

    Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.
    Ich lese Ihren Block sehr gerne, besonders Ihre Beobachtungen in Bezug auf Sprache. Meine Liste von Bemerkungen die ich nicht liebe ist auch lang. Beispiel: „ das müssen wir der Bevölkerung besser kommunizieren.“

    Gefällt 1 Person

  3. Theo Februar 8, 2022 / 11:50

    Wonderful stuff – week after week. Yes, everyday life is weird enough in itself – I guess we can soon ditch the comedians.
    Wish you all the best.

    Gefällt 1 Person

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s